1 Jahr in Lima

September 2017 - February 2018
A 155-day adventure by Kevin Read more
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  • Day 1

    Stille

    September 8, 2017 in Germany ⋅ ⛅ 19 °C

    Hier sitze ich das letzte Mal für eine ganze Weile in meiner kleinen Ruheoase in Pullach und lasse mir auf einer Parkbank die Sonne ins Gesicht scheinen. Stille ist was tolles und ein Privileg, insbesondere wenn man eigentlich sehr nahe an einer Großstadt wohnt. Bestimmt werde ich München mit seinem satten Grün vermissen, mit Sicherheit die vielen tollen Menschen in meinem Umfeld. Aber umso mehr kann ich es auch nicht erwarten, mich in eine ganz neue Erfahrung zu stürzen und ab morgen dazu gezwungen zu sein, Spanisch zu sprechen, eine Sprache, die ich liebe, bisher aber kaum außerhalb des Seminarraums einsetzen konnte.

    Hasta luego!
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  • Day 6

    Ankommen | erste Eindrücke

    September 13, 2017 in Peru ⋅ ☁️ 17 °C

    Eindrücke, so viel Neues für mich. Besser geht's nicht. Nachdem Beweisfotos unserer Ankunft gemacht werden, geht es mit zwei Autos, einem für die Koffer und einem mit drei anderen Freiwilligen, unserer sympathischen Koordinatorin und mir durch das um sechs Uhr abends schon sehr dunkle Lima. Dunkel ist aber relativ, denn auf der großen Avenida gibt es unzählige Lichter von verschiedenster Reklame. Genaueres kann ich kaum wahrnehmen, denn mein Spanisch-Niveau verlangt auch von mir, dass ich meine volle Aufmerksamkeit Mónica schenke, während sie spricht und uns Tipps für das Leben in Lima gibt und ihre Rolle erläutert. Glücklicherweise schnappe ich in jedem Satz zumindest so viel auf, dass ich grob weiß, um was es geht. Meine Unterkunft ist die erste auf dem Weg, davor bekommt jeder von uns noch aus dem Supermarkt nebenan eine große Wasserflasche für den ersten Tag. Mein Gastbruder Mario holt mich von unten ab und ich verabschiede mich von der Gruppe. Ich begrüße ihn mit "Hola Hermano" und wir fahren mit dem Aufzug in den sechsten Stock. Im Wohnzimmer erwarten mich fünf Jungs, die sich zusammen gerade ein Lima-Fußball-Derby ansehen. Wie angenehm, das kenne ich doch von daheim. Trotzdem gehe ich erstmal die Treppen nach oben, wo sich die drei Schlafzimmer und das Bad befinden. Mario erklärt mir, dass meine Gastmama morgen erst zurückkommt und ich mir so viel Zeit wie nötig nehmen soll, um mich einzurichten. Das habe ich schon immer geliebt, nach der Ankunft alle Sachen aus dem Koffer zu verräumen. Nach getaner Arbeit setze ich mich unten zu den Jungs. Im Spiel gibt es einige lustige Szenen, sodass wir reichlich zu lachen haben. Nacho, einer der jüngeren Cousins, gibt den anderen schmunzelnd zu verstehen, dass ich jetzt bestimmt denke, dass alle peruanischen Spiele so ablaufen. Ich verstehe es und lache mit.

    Nach dem Spiel verabschiede ich mich ins Bett, viel geschlafen habe ich im Flieger nicht. Ich schlafe sehr gut und fest in meinem neuen Bett. Nichtsdestotrotz erinnere ich mich schon an die Stille in Pullach zurück, denn wir wohnen an einer viel befahrenen Straße. Sirenen und Hupen sind Standard - kenne ich aber zum Glück auch schon aus meiner Zeit in New York.

    Die nächsten beiden Tage lerne ich sehr viele Familienmitglieder kennen, alles ist sehr harmonisch und ich werde herzlich begrüßt. Die Großmutter der Familie hat am zweiten Tag Geburtstag und es gibt ein festliches Frühstück. Alles was ich esse, schmeckt mir unglaublich gut. So viele neue Geschmäcker.

    Mit meinem Gastbruder Mario habe ich die ersten Tage auch schon sehr spannende Gespräche. Im allgemeinen bin ich schon auch sehr viel am Grinsen und Kopfnicken, aber mit ihm kann ich mich schon gut verständigen. Wir reden darüber, was meine Erwartungen an das Jahr sind. Ich sage, dass ich keine habe, da ich denke, dass Erwartungen einen ein stückweit einschränken. Ich möchte einfach neue Sichtweisen aufs Leben und neue Menschen kennenlernen. Ihm gefällt das, denn er hat miterlebt, dass viele Freiwillige mit dem klaren Ziel herkommen, zu sich selber zu finden oder auch zu wissen, was sie danach studieren oder arbeiten wollen. Ihm ist es außerdem wichtig, dass ich alle Seiten von Lima und von Peru kennenlerne. Er findet es schade, wenn Leute ein simplifiziertes Bild von seiner Heimat bekommen, der tolle Machu Picchu eben. Denn Peru ist eben alles: Sowohl die schönen Berge, Küsten und Regenwälder, als auch die Armut und der "tráfico de mierda" in Lima. Das finde ich sehr wichtig und genau das liegt mir auch am Herzen. Bei einer Stadtrundfahrt zeigt er mir die schönen Plätze ebenso wie die armen Viertel ohne Straßenlichter.

    Lima ist wirklich eine riesige Stadt, zum Glück erklärt er mir von Anfang an die Zusammenhänge und sagt mir welche großen Straßennamen ich mir merken sollte.

    Grade ist er von der Arbeit nach Hause gekommen, deswegen mache ich an dieser Stelle mal Schluss. Morgen geht's das erste Mal in die Arbeit, freue mich schon sehr. Die Jungenheim-Leiterin holt mich netterweise ab.

    Bis bald, peace.
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  • Day 15

    Begegnung im Bus

    September 22, 2017 in Peru ⋅ ☁️ 15 °C

    Da bin ich wieder, Freunde. Die Tatsache, dass ich aus dem Wohnzimmer hier im 6. Stock immer auf die viel befahrene Straße blicken lässt, führt dazu, dass ich noch immer dabei bin, mich an Lima als meine Homebase zu gewöhnen. Aber der Prozeß, wie anfangs neue Vorgänge und Abläufe immer routinierter werden, ist sehr spannend. Ein Beispiel ist die Fahrt mit dem Microbús in die Arbeit - zwar habe ich die Station praktisch vor der Haustür, trotzdem warte ich immer noch gut und gerne mal 20 Minuten auf den Bus. Schnell habe ich angefangen, mir Bücher mit in den Bus zu nehmen und mich damit abzufinden, dass ich für 7 Kilometer zwischen 60 und 95 Minuten brauche. So kann man sich darauf freuen. Was aber auch vorkommt, ist dass man steht oder sich in eine Ecke quetscht, dann hat man genug Zeit sich auf seine Gedanken einzulassen. Bis zum heutigen Tag lag ich immer schon mindestens eine halbe Stunde vor meinem Wecker wach, also seit 6:00 Uhr morgens. Wohl kein seltenes Phänomen in einer neuen Umgebung, wie ich es auch von Freunden mitbekommen habe, die momentan in einer ähnlichen Situation sind.

    Auf der heutigen Rückfahrt ist mir was sehr schönes widerfahren - nachdem ich erst im falschen Bus gelandet bin und eine halbe Stunde geradeaus spaziert bin, steige ich in den richtigen ein. Eine Dame spricht mit lauter Stimme.
    Dazu muss man erwähnen, dass in Lima, natürlich gerade für mich im Vergleich zu meinem verschlafenen München, einfach wahnsinnig viel "passiert". Bei einer roten Ampel nutzen Straßenakrobaten ebenso ihre Chance, wie diverse Obst- und Süßigkeitenverkäufer. Diese steigen auch in den Bussen kurz zu. Ebenso habe ich schon zwei sehr talentierte Improvisations-Rapper und Flüchtlinge aus dem politisch unruhigen Venezuela angetroffen. Daher wunderte ich mich nicht, dass die Dame etwas mitzuteilen hat. Ich sehe, dass sie in der Hand eine Zeitung hält und lese das Wort "Oxfam". Dann fange ich an, konzentrierter zuzuhören.
    Die Dame spricht von der Armut und Ungerechtigkeit in Peru, von der Ausbeutung durch multinacionales und von der Verschmutzung des Rio Rímac, an dem wir eben vorbeifahren. Nestlé macht hier noch sehr viel direkter Werbung als ich es aus Deutschland gewohnt bin (Trinkt unser Milo jeden Tag, denn es ist sehr gesund!!! ist auf einer riesigen Hauswand abgebildet) Auch das Menschenrecht auf saubere Luft wird erwähnt. Als sie dann den Preis für die Zeitung nennt, 1 Sol (28ct) hebe ich die Hand und sie zeigt sich sehr dankbar. Als ich ihre Frage, ob ich aus Peru bin, verneine (yeah, das hab ich direkt verstanden) wendet sie sich wieder an die anderen Passagiere, das sei doch ironisch, dass sich ein Extranjero mehr für ihr Land interessiert als sie. Später sagt sie dann das, worauf ich eigentlich hinauswill: Sie sagt, dass Peru mein Land ist. Und wenn sie eines Tages in mein Land kommt, ist das auch ihr Land. Wir sind doch alle eins!
    Zu keinem Zeitpunkt hat sie mich gefragt, woher ich denn eigentlich bin. Das ist bei mir ja eh etwas kompliziert.

    Hier noch ein Bild von der Zeitung, so wie ich das sehe, von einem indigenen Herausgeber. Ihr wisst schon, die im Einklang mit der Natur und so. Mal gucken, wie viel ich verstehe.

    Peace
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  • Day 34

    Taxifahrer | der Fußball

    October 11, 2017 in Peru ⋅ ☁️ 16 °C

    Selten bin ich so spannenden Menschen begegnet wie im Taxi. Umso schöner, dass ich gestern hier auch das erste Mal alleine mit einem gefahren bin und ich mich schon soweit mit ihm verständigen konnte, dass wir über Themen wie den zweiten Weltkrieg, den Kapitalismus und zwei Seiten der Geschichte reden konnten. Was mir auffällt ist, dass die meisten hier sich sehr freuen, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland komme und interessiert sind, was mich nach Peru verschlagen hat.

    Gestern hatte ich das Vergnügen, weil Peru eins der wichtigsten Spiele seit Jahrzehnten (!) hatte. Kriegt man natürlich auf der anderen Seite des Ozeans nicht mit. Nationalheld Paolo Guerrero hat mit einem ansehnlichen Freistoßtor dafür gesorgt, dass das Spiel gegen Kolumbien 1:1 ausging. Somit geht es als 5. in die Relegation gegen Neuseeland. Kein Interesse am Fußball gibt es hier soweit ich das sehen kann eigentlich nicht. In einem Zeitungsartikel habe ich gelesen, dass das Land auch aus einer psychologischen Sicht die erste WM-Qualifikation seit 1982 gut gebrauchen könnte. Die Leute fiebern hier unglaublich mit, das konnte ich jetzt in einer Bar im Touristenviertel Miraflores ebenso beobachten wie gestern bei Freunden von meinem Gastbruder. Danach wird gefeiert und die wenigsten hatten vor, morgen in die Schule/Arbeit zu gehen :-) der Staat hatte auch ein allgemeines schulfrei ab 16:00 angeordnet, dass alle sich bis 18:30 entsprechend vorbereiten können. An jeder Straßenecke werden Trikots verkauft.

    Tatsächlich würde ich sagen befinde ich mich nach nun einem Monat hier immer noch in der Eingewöhnungsphase. Das spiegelt mir auf jeden Fall mein Körper, noch war ich keine ganze Woche gesund in der Arbeit. Meine Gastmutter hatte ja leider einen Autounfall und liegt seitdem durchgehend im Bett im Wohnzimmer. Schön ist, dass fast ohne Ausnahme jeden Tag wer anders bei ihr ist (Oma ist für die Zeit aus dem 4 Stunden entfernten Ort wo sie wohnt bei uns eingezogen). Dann wird zusammen Netflix geschaut. Allgemein finde ich es total schön zu beobachten, wie bedingungslos sich die Familie hier hilft. Mein Gastbruder beispielsweise stellt die Etiketten für den Pisco und Wein, den der Onkel anbaut und verkauft, selbst hier am Wohnzimmertisch her, kann man auf einem der Bilder sehen.

    Zwei Mal bin ich schon den Weg von Zuhause zur Arbeit spaziert, dauert gerade mal 10 Minuten länger, also 1 Stunde und 10 Minuten. Auch an den Wochenenden wird viel spaziert und die verschiedenen Viertel der Stadt besucht. Woran ich mich gerne zurückerinnere ist auch unser Tag am Meer, da kann man mal richtig runterfahren. In einigen Wochen werde ich dann mal surfen gehen.

    Beim nächsten Mal berichte ich dann über die Arbeit mit den Kindern. Vielleicht.

    Peace
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  • Day 59

    Pareces Peruano

    November 5, 2017 in Peru ⋅ 🌙 16 °C

    Du wirkst peruanisch - das sagt einer der Jungs öfters zu mir im Heim. Natürlich ein schönes Kompliment nach nun knappen 2 Monaten in Lima.

    Mit der Sprache habe ich zum Glück wirklich Fortschritte gemacht, Serien auf Spanisch schauen und parallel auf Duolingo verstehen, wie die Zeiten gebildet werden hat geholfen :-) Seit einiger Zeit helfe ich nachmittags bei einem Murales (Wandmalerei) - Projekt und habe auch mit zwei Spaniern zu tun, die ich sehr gut verstehe. Auch die kennen viele Wörter und Ausdrucksweisen nicht, was ich auch interessant finde. Auch kulturell fallen ihnen viele Sachen auf, die hier anders ablaufen als in ihrer Heimatstadt Barcelona. Die beiden haben die Firma ArtistLove (artistlove.org/) gegründet, eine soziale Organisation, die mit Kindern und Gemeinden malt und parallel durch Gespräche und Coaching die Leute bestärken möchte. Das macht mir natürlich super Spaß, mit denen zu arbeiten. Mitgemalt habe ich auch schon. Dass die beiden Hintergrund in Anthropologie und Psychologie haben, macht es noch spannender.

    Ich muss auch zugeben, dass es mir ganz gelegen kommt, etwas weg vom Alltag im Heim zu kommen. Mit den 11 Jungs, die dort wohnen, läuft es mal gut, mal weniger gut. Während einige Interesse zeigen, sich mit mir zu unterhalten und auch zu lernen, gibt es andere, die einen konstant provozieren und austesten und mich auch als Autorität in Frage stellen. Da das Mittelmaß zu finden, fällt mir nicht leicht, denn ich will nicht anfangen von Sanktionen Gebrauch zu machen, ich bin ja kein Profesora, sondern Freiwilliger, der mit den Kindern Aktivitäten machen soll. Auch da bin ich bisher nicht sonderlich einfallsreich. Gelegentlich habe ich mit den Kindern Englisch oder Mathe gemacht (2/3 der Jungs gehen zur Schule) oder Rommé/Basketball/Fußball/Hangman gespielt. Neulich haben wir auch mal Origami gemacht und gezeichnet. Trotzdem fühlt es sich noch so an, als könnte ich deutlich mehr leisten, gerne würde ich auch mal Ausflüge mit den Kids machen, aber dafür müsste ich am Wochenende reinkommen oder ich warte auf die Ferien. Bald werde ich auch die Akten der Kinder mal lesen, um zu wissen, was für ein Köfferchen jeder mit sich mitschleppt. Ich dachte mir, dass es besser ist, die Kinder erstmal unvoreingenommen kennenzulernen.

    Die Freizeit ist natürlich ein wichtiger Ausgleich und ich genieße die Wochenenden sehr. Vor kurzem war ich auf Mistura, einem gastronomischen Festival, was sehr cool war. Wir wurden auch direkt von einem TV-Sender entdeckt und haben für einen kurzen Auftritt kostenlos Ceviche bekommen, das war schön. Im Anhang findet ihr Bilder von Mistura und den Anfängen des Mural in der Schule.

    Bis bald

    Kevin
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  • Day 65

    Begegnung

    November 11, 2017 in Peru ⋅ ☁️ 17 °C

    Vor einigen Tagen wurde ich gefragt, ob ich meine Jungs ins Theater nach Miraflores mitnehmen könnte. Im Vergleich zu Rimac, wo sich das Heim befindet, ist Miraflores, das touristische Zentrum von Lima, eine andere Welt. Ohne Stau wäre es eine Autofahrt von wahrscheinlich gerade mal 15 Minuten, doch der Unterschied ist gewaltig. Während das Straßenbild von Rimac geprägt ist durch Straßenhunde und brüchige Häuser gibt es in Miraflores sogar einen Fahrradweg zwischen beiden Straßenseiten, bunte Lichter, schöne Parks und natürlich das Meer. Dementsprechend groß waren die Augen der Jungs, als wir den Corredor Azul, einen der Busse, die von der Municipalidad Lima sind, genommen haben. Nachdem wir mit leichter Verzögerung losgekommen sind, war ich insgesamt sehr positiv davon überrascht, wie gut die Kinder auf mich gehört haben. Vielleicht lag es daran, dass ich natürlich auch die Verantwortung gespürt habe und etwas resoluter gesprochen habe. Des Staus wegen sind wir kurz vor knapp beim Theater abgekommen, wo uns die Leiterin der Organisation CEDRO, für die ich arbeite, und die Mädchen aus dem korrespondierenden Mädchenheim erwartet haben. Mir war im Bus schon aufgefallen, dass einer der Jungs einen Babyhund aufgegabelt hat und jetzt mit dabei hatte. Ich hatte allerdings nicht so weit gedacht, dass wir den nicht mit ins Theater nehmen können. Nun ging es gleich los und ich bin mit dem Jungen raus, eigentlich um den Hund auszusetzen. Das haben wir beide dann aber überhaupt nicht übers Herz gebracht, natürlich ist er uns direkt wieder gefolgt als wir ihn da lassen wollten. Vergeblich habe ich dann bei zwei Kiosks gefragt, ob sie auf den aufpassen könnten. Nun war ich schon ziemlich verzweifelt und mittlerweile auch echt traurig. Da habe ich mich entschieden, mit dem Hund draußen am Gehsteig zu warten. Neben vielen mitfühlenden Blicken ist mir ein älterer Herr im Kopf geblieben, der mich angesprochen hat. Es ergab sich ein sehr intensives Gespräch, denn dieser Mann hat die letzten 20 Jahre mit Waisenkindern in den Bergen nahe von Lima gearbeitet. Wie eigentlich jeder hier, dem man von seiner Tätigkeit erzählt, war er sehr dankbar und begeistert. Am Ende des Gespräches hat er mich in sein Dorf eingeladen und ich würde mir wünschen, dass das im neuen Jahr klappt, mal an einem Wochenende hinzufahren. Sie sollen dort super leckeres Obst haben ;-)

    Er hat mir noch erzählt, dass er selber nie eine Familie hatte und es genau wie ich sieht, dass man manche Sachen vom Herzen aus macht. Und dass Geben schöner als Nehmen sein kann. Auf jeden Fall hat mir das wieder unglaublich viel Kraft gegeben und jedweder Frust, den ich manchmal in der Arbeit habe, war schon wieder relativiert.

    Mein Wochenende hat gestern mit einem gemütlichen Abend mit meiner Gastmutter und meinem Mitbewohner angefangen, wir haben zusammen das Hinspiel der WM-Qualifikation von Peru geschaut. Es war eine gelungene Überraschung, dass sie mir auch ein Trikot gekauft hatte, die ganze Stadt trägt weiß-rot :) mein armer Gastbruder musste arbeiten, er macht eine Koch-Ausbildung und hat jetzt "nebenbei", 6 Tage die Woche, im TGI Fridays in Miraflores angefangen zu arbeiten. Heute ging es dann auch wieder an den Strand. Morgen früh dann Basketball und anschließend wahrscheinlich ins japanisch-peruanische Kulturzentrum nebenan (hier gab es mal sehr viele Einwanderer aus Japan, hätte ich davor auch nie erraten), wo es ein gastronomisches Fest gibt :-)
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  • Day 90

    La Punta, Perú

    December 6, 2017 in Peru ⋅ ⛅ 18 °C

    Mehr und mehr habe ich das Gefühl schon seit Ewigkeiten hier zu sein, andererseits ist es weiterhin super spannend. Ein Freiwilligendienst ist schon was besonderes, weil man alle Seiten des Lebens kennenlernt.

    Vor einigen Tagen, als ich nach einem abwechslungsreichen Tag in einen Laden um die Ecke vom Heim gegangen bin, um mir ein Brötchen zu kaufen, habe ich mir mal überlegt mehr sagen zu wollen als "Hallo, das und das bitte. Danke, tschüss". Da habe ich mich für eine eigentlich etwas makabere Formulierung entschieden: "Ich sterbe vor Hunger". Der Ladenbesitzer hat daraufhin angefangen zu lachen und mich gefragt wo ich herkommen, Frankreich? Daraus hat sich, wie eigentlich immer, ein sehr sehr schönes Gespräch entwickelt. Er wollte vor allem wissen, wie die Medizin in Deutschland ist und was ich hier mache. Ich erzählte ihm, dass bei uns fast jeder kranke Mensch zum Arzt gehen kann und eine Versicherung hat. Er hat mir traurig erzählt, dass er eine ältere Dame kennt, die eine Gehirnblutung hat und langsam dahin stirbt, er fühlt sich sehr machtlos, weil er sie sehr gerne mag, aber er kann kaum seine Familie versorgen. Dann haben wir festgestellt, dass wir beide Geben für wertvoller als Nehmen halten und das Gefühl, das man davon bekommt, kaum mit irgendwas materiellem vergleichen kann. Geendet hat es damit, dass er mir einen Saft ausgegeben hat und wir uns zum Abschied umarmt haben. Ich habe ihm gesagt, dass wir uns bestimmt noch öfters sehen. Jetzt habe ich also meinen Freund Raùl :-)

    Sehr schön war auch die Verabschiedung der Spanier in der Schule, die Lehrer und Direktoren waren sehr dankbar und gerührt, dass Menschen von so weit weg sich für sie interessieren und sie unterstützen. Vielleicht kriege ich es hin, dass hier zukünftig von einem spanischen Startup Laptops hingeschickt werden, das würde mich sehr freuen, denn natürlich mangelt es hier an vielen Stellen. Was ich super finde ist, dass meine Organisation CEDRO auch viele ökologische Projekte an den Schulen vorantreibt, ich meine, dass Kinder da genauso viel über das Leben und ihre Umwelt lernen können. Wir haben mehrere Pflanzen mit verschiedenen Bewässerungssystemen installiert, in meinem Heim und in der Schule.

    Hier wird es ja gerade Sommer, das haben wir am letzten Samstag ausgenutzt und sind nach Callao gefahren, eine Art Vorort von Lima. Dort sind wir an die Spitze, "La Punta". Es hat mir sehr gut gefallen, der Stil war gefühlt etwas "authentischer" als in anderen Strandorten wo der europäische Kolonialstil überwiegt. Auf dem Weg dahin habe ich mal ausnahmsweise mit dem Handy aus dem Bus rausgefilmt, als wir gerade an einem Markt vorbeigefahren sind.

    Die Weihnachtszeit spüre ich hier zwar nicht ganz so stark wie daheim, aber auch hier gibt es genügend Dekoration und Weihnachtsbäume, in meiner Familie haben sie eine ziemlich große Krippe aufgebaut :-)

    Gestern war es schön als ich mit zwei anderen Freiwilligen, mit denen ich auch schon auf dem Vorbereitungsseminar war, in Barranco saß und wir uns um überlegt haben dass es ja auch diese ganz alltäglichen Sachen sein werden, die das Jahr prägen, so wie dass wir entspannt mit Blick aufs Meer an einem Wochentag abends zu dritt über Gott und die Welt quatschen können.
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  • Day 155

    2 Monate später...

    February 9, 2018 in Peru ⋅ ☀️ 24 °C

    Und jetzt ist es passiert: seit meinem letzten Blogeintrag ist so viel passiert und die Zeit wie im Flug vergangen. Über Weihnachten und Silvester war ich bei meinen Eltern in der Nähe von San Francisco und habe meine Batterien wieder richtig aufladen können, spannend fand ich vor allem wie ich mich dann doch an sehr vielen Sachen der "westlichen" "Kultur" erfreuen konnte, beispielsweise den bunt geschmückten Häusern in der Nachbarschaft oder amerikanische Weihnachtslieder, die mich an meine Kindheit erinnern.

    Hier wieder angekommen hat es mich zwei Tage gekostet wieder reinzufinden, dann hatte ich aber zwei sehr schöne Wochen in meinem Heim, die Ferien haben begonnen und ich erlebe die Jungs viel gelassener und weniger auf Provokation aus. Meine Vermutung ist, dass während der Schulzeit die einen von den Verpflichtungen gestresst sind und die andere Hälfte, die nicht zur Schule gehen kann (was daran liegt, dass sie meistens im Schuljahr von ihrer Familie getrennt worden/geflohen sind), darauf neidisch ist.

    Vor zwei Wochen stand dann ein Ereignis an, auf das ich mich auch schon lange gefreut habe: Unser Visa-Zwischenseminar. Etwa eine Stunde außerhalb von Lima, nahe des Ortes Chancay, in einer Wohlfühloase wie ich sie noch nie gesehen habe, haben wir Freiwillige aus Lateinamerika Kolumbien, Costa Rica, Ecuador und Peru) uns mit drei Teamern (Trainern) versammelt. Das Seminar fand in einem Eco Truly Park statt, einem Ort der Religion, die aufgrund ihres Gesangs besser unter Hare Krishna bekannt ist. Meine Gedanken davor, ob das wirklich ein passender Ort ist, sind mit der Ankunft verschwunden: Wir haben eine kleine Hausführung bekommen, wo uns auch über die Philosophie dieser Gruppe erzählt wurde: Im Grunde geht es um bedingungslose Liebe gegenüber allen Lebewesen (daher wird sich hier auch rein vegetarisch und zum Großteil aus Eigenanbau ernährt), zum anderen um Pflege von Körper und Seele und außerdem um Toleranz gegenüber allen Religionen, es gibt keinen alleinigen Wahrheitsanspruch, sondern man ist der Überzeugung, dass es eine Quintessenz aller großen Religionen gibt, etwas was sie eint: Liebe und Respekt!

    Was dort passiert ist, werde ich ebensowenig wie das Vorbereitungsseminar jemals vergessen: ich habe zum einen so viel über mich selber lernen können, aber auch wieder feststellen können, was für eine wertfreie und harmonische Gruppenatmosphäre zustande kommen kann, wenn kein Druck oder ökonomisches Interesse im Vordergrund steht. Die richtige pädagogische Begleitung eines Freiwilligendienstes ist in meinen Augen das allerwichtigste, denn nur so schärft man seinen kritischen Verstand und bekommt Gelegenheit, über Ereignisse und Erlebnisse während des Jahres zu reflektieren. In Gruppenübungen konnten wir unsere Selbstwahrnehmung mit Fremdwahrnehmung vergleichen, über Kultur und "Entwicklung" diskutieren und unsere Erfahrungen austauschen. Doch uns wurde auch genügend Zeit für uns selbst gegeben. Ich bin morgens entweder am Strand vor der Haustür spazieren gegangen oder habe im Tempel meditiert.

    Ich habe nach diesem halben Jahr schon so viele Früchte getragen und zurzeit vergeht die Zeit wirklich wie im Flug.

    In meinem Heim ist jetzt der Direktor wieder da und die Stimmung hat sich damit wesentlich verbessert, worüber ich auch sehr dankbar bin. Zurzeit gehen wir fast jeden Tag Fußball spielen und mein letztes Erfolgserlebnis war, den Jungs Yahtzee (Kniffel) beizubringen :-) das wurde auch sehr gut angenommen.

    Inzwischen sind auch schon einige Jungs gegangen und neue gekommen, es ist spannend zu sehen wie sich dadurch auch die Dynamik im Heim immer etwas verändert. Ein richtiges Highlight hatte ich vor kurzem, als ich zwei Stunden länger als geplant blieb, weil ich mit einem der Jungs in ein tiefes Gespräch verwickelt war, wo er unter anderem erwähnt hat, dass ich so etwas wie eine Vaterfigur für ihn bin. Das hat mich mit Kraft und Energie gefüllt und auch wenn die eigene Lernerfahrung hier im Vordergrund steht, so bin ich doch froh, dass ich auch den Jungs helfen kann und sie meine Ratschläge schätzen.

    Am Ende dieses Eintrages hätte ich noch eine Bitte: Dieses Jahr gibt es ein großes Spendendefizit für die Entsendung von Freiwilligen, aber auch für das Incoming-Programm, was mir auch sehr am Herzen liegt. Damit können Leute aus anderen Ländern nach Deutschland komme und hier ihre Erfahrungen machen. Vielleicht geht es euch ja auch so, dass ihr gerne spenden würdet, aber nicht wisst wohin oder mit der Vielfalt an Optionen überfordert seid. Via ist ein wirklich toller Verein, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und das Geld, das ihr spendet, trägt zu einem größeren interkulturellen Verständnis bei, etwas was mir als sehr wichtig für die Zukunft unseres Planeten erscheint. Wenn ihr noch Fragen habt, freue ich mich auch, euch mehr darüber zu erzählen, ehrlich!

    Eure Spende ist anonym und ihr müsst nicht mich als Verwendungszweck angeben. Tausend Dank!

    www.via-ev.org/spenden

    Hasta luego <3

    Kevin
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  • Day 257

    Rímac

    May 22, 2018 in Peru ⋅ ⛅ 19 °C

    Naja gut, ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich nicht so oft wie ich es gerne wuerde dazu komme, ueber mein Leben zu schreiben. Das haengt wahrscheinlich nicht zuletzt damit zusammen, dass mein gesamter Tagesablauf sehr anders ist, als wie ich es aus Deutschland gewohnt bin. Da ich keinen Laptop dabei habe und auch in meinem Zimmer weder Fernseher noch WLAN habe, verbringe ich gluecklicherweise signifikant weniger Zeit vor Bildschirmen und geniesse das Real Life.

    Peru ist ein Land zum Verlieben und ich bin nicht die erste Person, die hier herkommt und der das passiert. Montagabends gehe ich oefters zu einem anderen Freiwilligendienst, "las manos que ayudan", helfende Haende in etwa. Dort habe ich schon Leute aus USA, anderen suedamerikanischen Laendern und Europa getroffen, die gerne hier sind und gerne auch etwas gutes tun. Das Prinzip ist im Grunde ganz einfach. In einer Location mit Kueche bereiten wir einen grossen Topf Essen zu, beschriften die To-Go-Boxen mit netten Nachrichten und verteilen es anschliessend im historischen Viertel von Lima an die Leute, die in der Strasse leben. Die Dankbarkeit und die Tatsache, so mit den Leuten ein paar Worte wechseln zu koennen, ist eine der schoensten Sachen, die ich in meinem Leben mitmachen durfte.

    Im Heim laeuft es auch supergut, die Tage vergehen wie im Flug und schon lange empfinde ich hier nichts mehr als "Arbeitszeit" und bleibe gerne laenger oder schlafe auch mal hier. Mein Interesse fuer die Umwelt, fuer Gaertnern und Pflanzen ist hier noch groesser geworden und da wir von einer Supermarktkette mittlerweile Lebensmittelspenden bekommen, bin ich auch sehr oft in der Kueche anzutreffen, wie ich frischen Fruchtsaft oder Pfannengemuese zubereite, gute Ernaehrung liegt mir naemlich auch sehr am Herzen.

    Zu bisschen mehr Reisen habe ich es auch schon geschafft: Zweimal war ich in Paracas, einem Strandort etwa vier Stunden suedlich von Lima. Die Oase Huacachina hat es mir so angetan, dass ich gleich vier Tage (alleine) dort verbracht habe. In Nazca habe ich die beruehmten Linien bewundern koennen und mit einer internationalen Truppe einen ganz besonderen Tag in der Natur inmitten von Gruen und Kaskaden verbracht.

    Ein ander Mal bin ich der Grossstadt entflohen, um mit Freunden im Norden in der Naehe von Trujillo im Surferort Huanchaco runterzukommen. Auch wenn Lima im Stau untergeht, gibt es auch innerhalb der Stadt zum Glueck viele schoene Orte, wo man runterkommen kann. Was mich immer noch fasziniert ist das ausgefeilte System der gefuehlt hundert Busunternehmen, die auf den ersten Blick "kreuz und quer" durch die Stadt fahren, aber du eigentlich immer von A nach B mit hoechstens einem Umstieg kommst. Schon lange fuehle ich mich hier sehr sehr zuhause.

    Demnaechst gibt's - vielleicht - mehr.

    Greeeeeeeeeeeeets Kevin
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  • Day 278

    Zufriedenheit

    June 12, 2018 in Peru ⋅ ⛅ 19 °C

    Ich bin verliebt in Peru. Ein besonders schöner Moment war, als ich vor einiger Zeit in Huanchaco im Norden in einer Hängematte eines Eco-Hostels Gebrauchsanweisung Peru gelesen habe. Ich sage bewusst vor einiger Zeit, denn eine der elementarsten Lernerfahrungen für mich hier ist der Wandel meines eigenen Umgangs mit Zeit, Vergangenheit und Zukunft. Ich konnte mit der Autorin des Buches sehr gut sympathisieren, denn sie schrieb davon, dass das Zeitverständnis hier in Peru nicht linear ist, sondern zirkulär. Davon habe ich schon mal in meinem Studium was gehört, viele indigene Kulturen, aber auch bspw. die tibetische oder peruanische nehmen Zeit nicht als limitiert war. Vielmehr ist das Leben, ebenso wie die Natur, ein Kreislauf. Wenn man mal das Gedankenspiel macht, dass es die menschliche Rasse nicht mehr gäbe, das Konzept Zeit würde ebenso nicht mehr existieren. Natürlich ist in Grossstädten wie Lima schon lange der Einfluss der Globalisierung angekommen und Zeit im westlichen Sinn gewinnt immer mehr an Bedeutung. Momentan lese ich ein Buch auf spanisch, el poder del ahora von Eckhart Tolle, was mich so sehr bereichert wie nur sehr wenige Bücher in meinem Leben. Es kommt mir vor, als wäre es auch genau im richtigen Moment in mein Leben getreten. Dass Sprache Realität prägt, habe ich glaube ich schon mal erwähnt. Aber kein Tag vergeht, an dem ich nicht darüber nachdenke, was das alles für Konsequenzen hat. Der Europäer, der hier nur für einige Tage herkommt, erlebt mit Sicherheit die Peruaner als laut und gesprächig. Das liegt aber daran, dass die Kommunikation hier auch einen ganz anderen Stellenwert hat und nicht so effizienzorientiert wie bspw. im Deutschen ist. Das selbst hinterfragen zu können, das kostet viel Arbeit. Auch habe ich lange gebraucht, um anzuerkennen, dass der für das fremde Ohr eher „raue“ oder „dominante“ Ton der Sprache hier oft notwendig ist, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen, vor allem im Umgang mit Kindern und Jugendlichen.

    Als Arbeit empfinde ich meinen Freiwilligendienst schon lange nicht mehr. Ich verbringe einen Grossteil meiner Freizeit hier im Heim, denn die Educadores und die Jugendlichen sind meine Familie hier. Dass ich im Heim die Möglichkeit habe, viel mit Pflanzen zu arbeiten und wir auch einen eigenen Garten habe, gibt mir Hoffnung, inmitten des ganzen Smogs und Stau hier Leben zu kreieren.
    Ich geniesse sehr viel Vertrauen und Freiheiten und kann mich neuerdings auch kulinarisch entfalten: Wir empfangen von einer grossen Supermarktkette täglich Spenden. Da Juan, mein Direktor, mich auch zu dem Kennenlerntermin mitgenommen hat, bin ich mit der Koordinatorin, die für supermercados peruanos arbeitet, auch über Facebook im Kontakt und bekomme noch mehr von sozialen Organisationen mit. Soziale Netzwerke werden hier anders genutzt, denn Privatsphäre hat einen niedrigeren Stellenwert beziehungsweise es wird mehr und bereitwilliger geteilt, um auch noch mal den Bogen zur Sprache zu spannen: Es macht keinem was, wenn im Bus jemand anders mitliest oder mithört. Da wird einem erst klar, dass das wiederum wohl etwas kulturell deutsches ist und vermutlich nicht zuletzt aus der jüngsten Vergangenheit des Landes stammt, wo man aufpassen musste, was man seinem Nachbar erzählt.

    Dass man mein Gesicht mittlerweile an verschiedensten Orten kennt freut mich und führt natürlich umso mehr dazu, dass ich mich hier wie zuhause fühle. So sehr, dass ich meinen Freiwilligendienst gerne um sechs Monate verlängern möchte. Ich bin Via unendlich dankbar dafür, mir das Jahr hier ermöglicht zu haben und auch wenn ich schon die Vermutung hatte, dass es positive Veränderungen mit sich bringt, so geht das, was ich hier erlebe, über alles hinaus. Mir ist aber auch wichtig zu erwähnen, dass das meine persönliche Erfahrung ist. Auch bin ich hier andererseits schon vor Herausforderungen gestellt worden, die mich unter Stress gesetzt haben. Aber tatsächlich spüre ich sichtlich, wie ich gerade an diesen Erfahrungen gewachsen bin. Mir, nachdem mir mein Rucksack mit Handy, Geldbeutel und Klamotten im Reisebus entwendet worden ist, von einer fremden Dame einen Sol für die Heimfahrt zu erbitten beispielsweise. Dass mich dann der cobrador ohne nachzufragen für die Hälfte des Fahrtpreises mitnimmt, hat mir etwas wertvolles gezeigt: Man hilft sich, wohl weil man weiss, wie es ohne Geld ist.
    Montagabends bin ich oft bei einer anderen Freiwilligenarbeit, manos que ayudan, wo wir Essen zubereiten und anschliessend im historischen Zentrum von Lima verteilen, an Leute, die in der Strasse schlafen. Die Dankbarkeit und das gracias hermano, was ich dort erhalten habe, werde ich nie vergessen, das hat mich wirklich mitten ins Herz getroffen. Für ein paar kurze Augenblicke schenkt man den Personen nämlich nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern vor allem Respekt und Aufmerksamkeit, was das System Kapitalismus ihnen in seiner momentanen Form leider nicht erlaubt. Da wir das ganze Brot, was wir im Heim gespendet bekommen, gar nicht verwerten können, habe ich auch schon einige Personen auf dem Rückweg vom Supermarkt, die sich jeden Tag auf mich freuen. Dass ich diese Tätigkeit verrichten darf, ist für mich etwas ganz Besonderes. Das schöne ist, dass ich hier mit Menschen aus verschiedensten Lebensabschnitten in Berührung komme und es ergibt sich schnell die Möglichkeit für ein Gespräch, so lerne ich noch viel mehr über die peruanische Kultur. Neulich zum Beispiel wurde mir erzählt, dass sich die ganze Verkehrssituation über die letzten Jahre in Lima stark verbessert hat.

    Immer mehr komme ich auch mit kulturellen Netzwerken und Angeboten in Kontakt. Neulich wurde ich spontan kostenlos in ein Theaterstück eingeladen, weil noch Plätze übrig waren, es wurde lediglich gebeten, danach ein kurzes Feedback zu geben. Zu Lesungen gehe ich in die nueva acropolis oder in Tempel der Hare-Krishna-Gemeinschaft und lerne verschiedene Blickwinkel auf das Leben und Zufriedenheit kennen, die mich und meine Gedanken stimulieren, etwas, was mir in meinem deutschen Alltagstrott oft gefehlt hat. Philosophie habe ich tatsächlich als ein neues Hobby entdeckt und in Kürze werde ich hier einen dreimonatigen Kurs anfangen. Was mir hier sehr gut gefällt, ist zum Beispiel, dass sich hier weniger über sein Schicksal beschwert wird. Ich selbst habe hier noch mehr als in Deutschland zu meiner inneren Mitte gefunden und bin sehr glücklich, was mir Meditation und Spiritualität hier geben.
    Eine andere spannende Frage ist für mich hier die Präsenz von Religion beziehungsweise die Tatsache, dass mehr als 90% der Peruaner sich als katholisch identifizieren. Eine für mich sehr stereotypische Erklärung wäre, dass aufgrund des fehlenden technischen Fortschritts die Menschen noch abergläubischer sind. Da aber hier definitiv mehr Menschen am oder unter dem Existenzminimum leben, macht die marx’sche Erklärung des „Opium fürs Volk“ für mich schon ein stückweit Sinn. Dabei möchte ich keineswegs den Glauben als etwas unrealistisches abtun, denn für mich persönlich stehen Spiritualität und Wissenschaft keineswegs im Gegensatz zueinander, sondern ergänzen sich vielmehr.

    Als Englischlehrer habe ich einmal die Woche die Möglichkeit, etwa 20 Schüler darauf aufmerksam zu machen, dass die Tatsache, dass im Spanischen alles entweder männlich oder weiblich ist einen Einfluss auf die Wahrnehmung hat. Allgemein macht es mir sehr viel Spass zu unterrichten und ich gehe darin regelrecht auf. Das ist auch etwas, was ich mich für meine persönliche Zukunft vorstelle, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten.

    Neulich habe ich von Rosa, der Sozialarbeiterin hier, ein sehr schönes Lob bekommen. Sie meinte ich sei multifacético und stürze mich ohne dass ich aufgefordert werden muss, in verschiedenste Themen. So eine grosse Unterstützung, wie ich dem Heim gebe, hat sie selten gesehen. Das hat mich natürlich sehr gefreut und ich habe geantwortet, dass ich das aber auch mit Freude mache.

    Deswegen will ich hier sechs Monate verlängern und bin daher momentan auf der Suche nach Spendern und Spenderinnen. Kontaktiert mich bitte über Facebook oder Mail: kevincyrusbrown@protonmail.com, wenn ihr unterstützen möchtet :-)

    Euer Kevin

    P.S. im Anhang sind diesmal Fotos vom Kompost, den wir selber machen, Pflanzen und Kokedamas, alles selber gemacht.
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