Malawi
Dowa

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    • Day 52

      Das Tumaini Festival

      November 2, 2018 in Malawi ⋅ ☀️ 29 °C

      „Reisen - es lässt dich sprachlos, dann verwandelt es dich in einen Geschichtenerzähler.“
      (Ibn Battuta)

      Dieses Zitat hat mir mein Bruderherz Matze zum Abschied auf eine Karte geschrieben. Und wie schon so oft auf dieser Reise muss ich auch jetzt wieder daran denken.

      Ich liege auf einer Matratze in einem Lehmhaus mitten im Flüchtlingslager „Dzaleka“ und fühle mich ganz klein.
      Was haben wir nur für ein Luxusleben mit Luxusproblemen, beschweren uns über Nichtigkeiten und realisieren dies vor lauter Alltagstrubel oft nicht mal mehr.

      Mir wird das immer wieder beim Reisen bewusst. Und ich kenne diese Momente eigentlich schon, in denen man sich denkt: „Ab jetzt will ich daheim genügsamer leben. Ab jetzt will ich mich ein wenig mehr aus dem westlichen Konsumstrudel herausnehmen. Ab jetzt will ich mich mehr gegen Ungerechtigkeiten in der Welt einsetzen, mehr für das Allgemeinwohl tun und und weniger nur an mein eigenes persönliches Glück denken.“
      Mir sind diese Gefühle nicht fremd.
      Aber in diesem Moment trifft mich das Mitgefühl trotzdem mit voller Wucht. Ich gehe in meiner Erinnerung nochmal durch, was gerade eben passiert ist:
      Wir sitzen in dem winzigen, dunklen Lehm-Wohnzimmer unserer Gastfamilie. In der Luft hängt der Staub der trockenen Erde. Die Gasteltern stammen aus dem Kongo und können kaum Englisch. Abgesehen von den 8 Kindern sitzt heute der Neffe Sawadi mit in der Runde. Er spricht sehr gutes Englisch und erzählt über die Flucht und das Leben im Refugee Camp Dzaleka.
      Hier leben ca. 34.500 Flüchtlinge aus dem Kongo, Burundi, Ruanda, Somalia, Südsudan und Äthiopien. 900 davon sind Kinder, die ohne Eltern im Camp ankamen.
      Seit 5 Jahren findet in Dzaleka das Tumaini-Festival statt, es soll Geld einbringen (die Flüchtlinge verkaufen Kunsthandwerk, Essen etc.), zum Austausch der Kulturen anregen und den Talenten der Flüchtlinge eine Plattform bieten.
      Dieses Jahr gibt es zum ersten Mal ein Homestay Programm. Besucher des Festivals können die 3 Tage bei einer Flüchtingsfamilie wohnen.

      „Each of the forcibly displaced persons in Dzaleka is a survivor and has an inspiring story to tell.“

      Unsere Familie ist aus dem Kongo über Ruanda und Tansania nach Malawi geflohen. Seit 17 (!!) Jahren leben sie hier im Flüchtlingslager. 5 der Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Sie kennen nichts anderes als das Leben hier im Camp. Um dies verlassen zu können, muss man beim UNHCR-Office einen Antrag stellen. Nur wer einen triftigen Grund hat, darf raus.
      Einmal pro Monat bekommt jeder von ebendiesem Office Lebensmittel ausgeteilt: 14 kg Maismehl, 1 Tasse Bohnen, 1 kleine Tasse Öl, manchmal ein Stück Seife. Einen bezahlten Job zu haben ist den Flüchtlingen nicht gewährt.
      Fließend Wasser gibt es nicht, Elektrizität nur sehr unzuverlässig.
      Trotz meiner Reiseerfahrungen kann ich kaum fassen, wie die Menschen hier leben (müssen). Wild aneinander gereiht stehen Lehmhütten mit Dächern aus Plastikfolie und Stroh. Die hygienischen Umstände sind sehr gewöhnungsbedürftig. Ich muss kurz schlucken, als ich auf das Plumpsklo hocken soll, das eigentlich nur ein Loch im Boden ist, aus dem Tausende eklige Fliegen hochsurren und aus dem man riecht, dass der Inhalt des Loches seit Ewigkeiten nicht geleert wurde.
      Das Badezimmer unserer Gastfamilie ist ebenfalls nur ein Lehmzimmer mit absolut nichts drin. Also wirklich gar nichts. Kein Loch, kein Brett, kein Haken, kein Spiegel, einfach nur nichts. Außer vier Lehmwänden und dem Lehmboden. Wenn man sich mit einem Eimer Wasser wäscht, ist man an den Füßen direkt wieder schmutzig weil man ja auf dem Lehmboden steht.
      Unser Schlafzimmer (mittels Vorhang vom Wohnzimmer abgetrennt) ist wie die restliche Wohnung auch, extrem niedrig und extrem dunkel. Es gibt zwar ein kleines Lukenfenster, aber es wird um 17 Uhr schon dunkel und oft gibt es keinen Strom.
      Die Lebensumstände sind hart, aber immerhin kann man hier in Frieden leben, erzählt Sawadi.
      Seine Geschichte treibt mir einen Kloß in den Hals und mir steigen die Tränen in die Augen.

      „Here in the refugee camp we are like fish in the basin: we can’t move the way we want. We are not free.
      Here we are living in peace, but we can’t live the way we want. We are not allowed to work. When we want to leave the Camp, we need special authorisation.
      We have no safe future here. Each and every morning we are scared of the message that one day they close the camp. Because we don’t know where we can go. We can not go back to our country. In my country they kill people. They killed my parents. They just come in your house and ask for money. Even if you give money to them, they kill you with knife oder shoot you.
      So we can never go back, because we lost hope in our country.
      As refugees, we face discrimination. Sometimes Malawi people say: ‚Go back to your country!‘
      If you want to hurt me in my heart, tell me I shall go back home. Because I can never go back in my country ever again.

      The challenge what we have here at the Camp: we have children and when they graduate from school? After that?! Many young people loose hope after school. What can they do? They have no future. Many just smoke and drink.
      That’s why we love the Tumaini Festival. Tumaini means hope. We really enjoy it. We had never the chance to meet people from abroad like you. Now you know how we refugees live. And we can make conversation. It’s great!“

      Ich weiß nicht, was mich mehr rührt: die schreckliche Fluchtursache und die heftigen Aufenthaltsumstände im Camp oder dass Sawadi beim Erzählen dieser Dinge trotzdem ein glücklich zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht und einen stolzen Glanz in den Augen hat.
      Er ist ein Beispiel dafür, wie tausend andere Flüchtlinge hier im Camp auch ihr Schicksal so nehmen wie es ist und das Beste draus machen.
      Vor diesem Hintergrund finde ich es noch viel ergreifender, was ich die letzten zwei Tage hier auf dem Festival gesehen habe: Poetry Slammer, die über das Leben als Flüchtling, über die Stellung der Frauen und über Freiheit sprechen (Even though I am a refugee I am human. Even though I am poor I am human...).
      Tänzer, in verschmutzter und kaputter Kleidung, dafür mit unfassbarem Rhythmusgefühl und und einer Körperbeherrschung, vor der man nur den Hut ziehen kann.
      Sänger, Schauspieler, Künstler, Akrobaten.
      Und die allermeisten wirken trotz der Umstände glücklich, herzlich, interessiert, stolz, zufrieden. Genügsam.

      Es herrscht eine angenehme, ausgelassene Stimmung. Die Flüchtlinge sind neugierig, offen. Viele kommen auf uns zu, wollen ein bisschen Englisch reden oder sich mit uns fotografieren. Die Kinder suchen sogar noch engeren Kontakt. Nicht selten hat man links und rechts je 3 Kids an der Hand. Manche wollen nur Zuwendung und weiße Haut berühren. Andere wiederum betteln einen direkt an „mzungu give me money!” oder “buy me food!”. Und das sind wieder genau die Momente, die mir das Herz brechen: Natürlich könnte ich ein paar Kindern was zum Essen kaufen oder ein bisschen Geld geben. Aber daraus lernen sie leider nur, dass sie die Weissen einfach anbetteln müssen und ohne eine Gegenleistung Geld bekommen.

      Eine Geschichte möchte ich noch erzählen, die für mich Sinnbild ist für den Zwiespalt zwischen der Nothandlung aus der Armut heraus und einer tief im Menschen verwurzelten Hilfsbereitschaft:

      Wir schauen uns eine Akrobatenshow an. Es herrscht ein absurdes Gedränge. Plötzlich ruft ein kleiner Flüchtlingsjunge ganz aufgeregt „Phone! Phone! Phone!”, zieht an Felix‘ Tshirt, zeigt auf seine Hosentasche und zerrt ihn in Richtung eines weglaufenden Jungen. Da realisiert Felix, dass dieser wohl sein Handy geklaut hat. Wir rennen ihm hinterher, stoppen ihn und fragen, ob er das Handy genommen hat. Da zieht er es tatsächlich aus seiner Tasche, dabei wirkt er beschämt, wenn nicht sogar ängstlich. Wir sagen ihm zwar deutlich, dass sowas nicht geht, können ihm aber gleichzeitig auch nicht wirklich böse sein, wie er da so vor uns steht mit seinen verlumpten Kleidern und seinem schmutzigen Gesicht.
      Mittlerweile hat sich eine ganze Schar Schaulustiger um uns herum versammelt, die uns auffordern, dem kleinen Jungen „Finderlohn“ zu geben. Natürlich wollen wir ihm was geben, ich knie runter zu ihm, gebe ihm die Hand und versuche ihm klar zu machen, wie unglaublich toll das eben von ihm war. Er hat wirklich alles gegeben, uns zu verstehen zu geben, dass jemand das Handy genommen hat und gleichzeitig den Dieb nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sind ihm zutiefst dankbar und wollen ihm ein bisschen Geld geben. Da bemerkt Felix, dass auch sein Geldbeutel aus seinem Brustbeutel gestohlen wurde. Panik! Die Meute um uns herum wird immer größer und lauter. Alle wollen uns helfen, der kleine Junge rennt direkt los, um den Handydieb zu suchen und zu checken, ob er auch den Geldbeutel gestohlen hat.
      Da kommen plötzlich ein paar andere Jungs und bringen uns den leeren Geldbeutel. Sie haben ihn auf dem Boden gefunden und anhand des Personalausweises erkannt, dass er einer der mzungus gehört. Da es davon nur eine Handvoll auf dem Festival gibt, haben sie ein paar Touris abgeklappert, bis sie schließlich mit Felix den richtigen Geldbeutelbesitzer gefunden haben.
      Die Hilfsbereitschaft dieses kleinen Jungen und der vielen anderen Flüchtlinge beeindruckt mich sehr und überwiegt den Ärger, beklaut worden zu sein um ein Vielfaches.

      Unsere Gastmama kümmert sich liebevoll um uns. Zum zweiten Mal auf unserer Reise habe ich eine „African Mama“ und bin „mzungu daughter“. Sie hält Händchen mit mir, kocht uns Essen, bereitet warmes Wasser zum „Duschen“ vor und putzt sogar unsere einpanierten Schuhe. Da sie kaum Englisch kann, versuchen wir es mit unserem brüchigen Französisch, und ich wünsche mir mehr denn je meine zwei Lieblinge Michi und Evi herbei.

      Wie immer kann man sich aber auch prächtig mit Händen und Füßen unterhalten. Außerdem sprechen Bilder eh mehr als tausend Worte und so zeige ich einige Fotos auf meinem Handy: Mzungu-Bruder Matthias (da freut sich Sawadi unfassbar, weil sein Sohn genauso heißt). Mzungu-Mama Ingrid mit roten Haaren (völlig verrückt). Mzungu-Baby Matilda in Felix‘ Händen („Ohh Mister Felix you will be a good Papa! I pray for you that you have a baby next year!”). Mzungu-Omas Resi und Rosl, über deren schöne graue Haare sie staunen. Mzungu-Freunde Max, Frank und Christi in Lederhosen. Felix hat seine natürlich gerade an und präsentiert sie stolz. „That’s a cow. You can touch it!”

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      P.S. Wer noch nicht weiß, wohin mit seiner Weihnachtsspende: Die Flüchtlinge im Dzaleka Camp hätten sie verdient!

      http://www.unhcr.org/malawi.html
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