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- Apr 26, 2025, 1:18 PM
- ☁️ 16 °C
- Altitude: 8 m
FranceArques-la-Bataille49°53’11” N 1°8’9” E
Argues-la-Bataille

3.225 TAGE AUF UNSERER
LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 95 km/ Gesamt 391.646 km / Ø121,44 km)
Wohnmobilstellplatz (frei)
Argues-la-Bataille
Frankreich
Aus der hinteren Ecke unseres Sees hat sich eine Gruppe von zehn Schwänen gelöst, die dort übernachtet haben, und gleitet still und leise über den See. Aus dem Nebel in die Sonne. Wir sind schon früh draußen, das Gras ist noch nass, und nur weit hinten schüttelt ein nächtlicher Angler sein Zelt aus.
Auf dem Stellplatz ist es noch still. Uns gegenüber ein deutsches Ehepaar, er Lastwagenfahrer, sie hats in der Hüfte, der alte Schäferhund trägt die Ruhe der Welt in seinen dunklen, sanften Augen. Dahinter eine irische Familie. Zwei Eltern, zwei Kinder, vier Hunde, für jeden einer zum Kuscheln. Ganz hinten ein einzelner Franzose, der auch weiblich sein könnte nach den Pantoffeln, die draußen stehen, denn gesehen hat sieihn noch keiner. Es dunkelt schon, als eine kurzsichtige, französische Familie dicht hinter uns parkt, als gäbe es keinen Platz mehr. Schade für sie, dass wir schon früh auf sind. Türen knallen, Motor läuft, Musik an, Sonne scheint.
Ich höre viel Musik heute morgen, während die Schwäne vor meinen Augen sich über den See verteilt haben. Der Morgen war schwer, wie schon die letzten Tage kämpfe ich mich aus dem Schlaf in den Tag, aus den Träumen in die Realität, die wesentlich angenehmer ist, auch wenn ich jeden Knochen spüre.
Die Tage sind voller Geschichten, wenn sie nicht draußen passieren, sind sie in meinem Kopf. Ich sehe und werde gesehen, ein Radfahrer nickt mir zu, später kommen wir ins Gespräch. Er fährt von Portugal nach Norwegen, immer an der Küste entlang, sammelt Geld für ein medizinisches Projekt. Ein Franzose mit einem kleinen Gepäck, darin habe er alles, was er braucht.
Am Geländer mit Blick auf den Ort Houtot-sur-Mer, vor dem sich der Atlantik bis nach England hinüber ausdehnt, steht ein Paar vorm blauen Bus, das schon ein bisschen älter als jung ist. Sie trägt ihr schwarzes Haar lang in Wellen wie das Meer, während er sie mit einem Blick voller Liebe anschaut, als er mit ihr redet.
Es ist ein Land voller Krieg, durch das wir fahren. Ein Meer voller steiniger Strände, an denen sich berühmte Maler verewigt haben. Oder Soldaten und einfache Bauern im Widerstand ihr Leben gelassen haben. Die Schwäne haben sich jetzt in ihren Paaren zusammen gefunden und sprenkeln das grüne Wasser mit ihren weißen Federn. Ich höre Musik. Blues. Saxophon. Eine Frauenstimme. Die Sonne scheint.
Als ich zu der Mauer um den Friedhof ohne Bandagen an den Knien gehe, sagt eine saarländische Stimme, dass ich schlecht zu Fuß bin, sie kenne das. Und erzählt von Georges Brague, der hier beerdigt ist. "Varengeville liegt tatsächlich hoch über dem Meeresspiegel nahe der normannischen Steilküste. Im Ort ist das Meer zunächst gar nicht sichtbar, da es hinter Waldstücken und Hügeln verschwindet. Erst plötzlich gerät der Atlantik mitsamt der Steilküste ins Blickfeld, wenn man sich aus dem Dorf in Richtung Steilküste zur Kirche St. Valéry mit dem berühmten Friedhof „Cimetière marin“ begibt: Dann ist das Panorama atemberaubend...
Mitten auf dem Friedhof erhebt sich die romanisch-gotische Pfarrkirche St. Valéry mit sehenswerter Bauplastik aus dem 15./16. Jahrhundert. Innen sind schöne Glasmalereien des 20. Jahrhunderts (u.a. von Georges Braque) zu sehen sowie Gemälde von Michel Ciry.
Zwei berühmte Künstler, die auch in Varengeville gelebt haben, sind auf dem Friedhof bestattet: der Maler Georges Braque (1882-1963) gemeinsam mit seiner Frau Marcelle, sowie der Komponist Albert Roussel (1869-1937; Roussel war Vorbesitzer von Le Vasterival). Beim Braque-Grabmal hebt ein großer Mosaik-Vogel zum Flug an."
https://nachfrankreich.de/varengeville-sur-mer-…
Die Kirche ist heute unser erste Ziel an der Küste. Ich guck immer, wie weit ich bis zum Wasser kommen kann, und was es dort für besondere Orte gibt. Dort schau ich mich um, und wenn es nötig ist, begegnet mir dort jemand, der mich aufklärt.
Eine Straße weiter soll Monet auf einem Feld 1882 gemalt haben, das Meer schaut durch eine gewundene Straße zu uns hin, ich muss mir meine Wege gut einteilen, auch wenn das verführerisch aussieht. Wir haben das Museum mit Werken von Michael Ciry im Vorbeifahren gesehen, eindrucksvolle Bilder.
Draußen hat ein Pkw angehalten, der Mann steht an seinem Kühler, zündet sich in typischer Weise seine Gauloise an, die Sonne scheint über den Telegraphenmast durch die verschmierten Fenster auf meinen Rücken. Hilde leckt meinen linken, nackten Arm, legt ihren Kopf auf meinen Oberschenkel, ein Motor läuft im Hintergrund, der Franzose ist abgefahren.
Aus den stillen Hügeln kommen wir ans Meer, der Radfahrer ist längst zwischen den Häuserschluchten von Dieppe verschwunden. Eine Küste voller Erinnerungen. Aus dem einen Jahrhundert die Künstler mit der Palette und dem Leben, aus dem letzten die mit den Waffen und dem Tod.
Dieppe ist keine schöne Stadt. Menschenmenge, die Schule ist aus, ein liebloses Gebäude in früherem Weiß, die Wohnhäuser schmutzig dunkel, ein Ton zwischen schwarz, braun und verlebt. Gewundene Straßen, riesiger Asphalt, gekahlte Bäume mit erstem, frühlingshaften Blätterwuchs, wie schütteres Haar.
Mittig das Hafengelände, und als ich mich gerade an die Stimmung der Stadt zu gewöhnen beginne, fangen die Zäune an. Flüchtlingszäune. Erst die Deutschen, die die Stadt besetzt hatten. Dann die Amerikaner, die sie befreit haben. Später kamen die Hippies, die Touristen, die Nordafrikaner, die mit den Schiffen aus der Ferne, und die mit den kurzen Röcken in dunklen Ecken. Aber erst die Flüchtlinge aus der Dritten und Vierten Welt, und die ganz Ärmsten, haben die Stadt um ihren Hafen herum weitläufig zu einem Gefängnis gemacht.
Hier werden nicht die eingesperrten Straftäter an der möglichen Freiheit gehindert, sondern die Flüchtlinge am Großen Brittanien. Der Aufbruch in die Freiheit wurde über Jahrhunderte gefeiert, und heute verflucht. Zwischen hohem Stacheldraht fahren wir alleine durchs Hafengelände, vorbei am Fähranleger, wo die Fahrzeuge auf das Schiff warten, dass sie von Dieppe nach Niewhaven in England bringt, was für manchen Refugee die große Freiheit bedeutet.
Auf Youtube höre ich Musik in englischer Sprache und Werbung auf Italienisch, vielleicht hat ja Google unter meinen Armen geschnüffelt und Parfum vom Po gerochen. Puys ist ein kleiner Ort am Meer. Bis fast hierhin geht der Zaun, und am Strand erinnern sie an 1942, ich nehme das Bild von den Felsen mit, und den alten Menschen, die am Mahnmal sitzen.
Was mögen sie über die Deutschen denken. Kein Blickkontakt, als würden sie mich meiden, aber sicher sind sie eher gelangweilt von den Touristen, falls sich einer hierher verirrt, denn das haben sie alle gemein, sie wollen alleine sein. Immer wieder denke ich, wir sind in England. Und muss mich kneifen, mich erinnern.
Wir fahren von hier aus ins Landesinnere zum Schlafen. Erst auf einen Berg zum Spaziergang, dann eine einsame Straße bergab bis zu einem unscheinbaren Denkmal, eine vergoldete Platte vor einem schwarzen Eisenzaun, während der Blick ins Tal an drei Holzpfosten und einer rostigen Kette verweilt.
Dann eine Nacht am See vor dem Seitenfenster, wo jetzt ein Vater mit seinem Sohn die Angeln ausgeworfen hat, während sich die Schwäne wieder in ihre dunklen Ecken verzogen haben.
"Oh, the swans are on the lake, my love
The swans are on the lake
The winter winds are soft and still
And the swans are on the lake...
And we’ll wake the morn
And greet the dawn
With hearts entwined and free
And when the sun's begun to dance upon you
Filtering through the leaves."
(Foy Vance - The wild swans on the lake)
https://youtu.be/BjT5DV-5tTo?si=SsoeGzIx5xFcORcFRead more