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  • Hari 113

    Bealjáidjávri - Nordkaptunnel

    20 September 2023, Norway ⋅ 🌬 6 °C

    Die Nacht war erst windig, am frühen Morgen dann stürmisch. Zwischen drei und vier Uhr werde ich wach, weil sich das ganze Zelt biegt und wackelt und laute Geräusche macht. Immer wieder mischt sich schwerer Niederschlag in die hohen Windgeschwindigkeiten und es prasselt richtig laut auf die Zeltwand. Trotz all der Bewegung macht das Zelt eine gute Figur. Aber es bleibt Skepsis und einfach auf die Seite drehen und weiterschlafen ist jetzt besonders schwer. Lange liege ich einfach auf dem Rücken und starre die wackelnde Zeltdecke an. Dabei schlafe ich tatsächlich nochmal ein. Um kurz nach sechs werde ich wieder wach. Der Sturm draußen hört nicht auf. Es gibt immer wieder kurze Phasen, wo es ein klein wenig ruhiger wird, doch dann geht es wieder von vorne los. Nach meinem ersten Kaffee kommt das unvermeidbare. Ich muss auf’s Klo!

    Ich warte eine ruhigere Phase ab und gehe raus. Auch wenn ich den Wind im Zelt nicht mehr so stark wahrgenommen habe, ist es hier draußen immernoch sehr windig. Und um die null Grad. Erst mache ich noch zwei, drei Fotos vom Zelt, das hatte ich gestern vergessen. Selbst dabei frieren mir schon fast die Hände ab und ich beeile mich, das unvermeidbare schnell zu erledigen. Mit heruntergelassener Hose stehe ich in mitten der Prärie. „Arschkalt“ kann man hier wörtlich nehmen. Ich hätte mit die Zeltfotos sparen sollen. Und dann kommt die nächste Böenphase. Ich richte mich aus, dass ich mit dem Wind arbeite und nicht gegen. Sonst wird das hier ein ziemlich beschissener Morgen. Meine Beine zittern in der Hocke, meine Hände schmerzen. Die Hose in der Kniekehle flattert. Jedes Tier, das mich hier beobachtet, muss sich fragen, was für ein überlebensunfähiges Wesen die Natur da hervorgebracht hat. Dann mischt sich auch noch Schneeregen in den Sturm. Unangenehmer und unwürdiger geht es nicht. Das hier ist der schwierigste Klogang meines Lebens. Daher bitte ich um Verzeihung für die detaillierte Beschreibung. Auch die philosophische Frage der Handhabung des Klopapiers stellt sich hier neu. Falten oder Knittern. Bis heute konnte ich mir nicht vorstellen, dass es Leute gibt, die das Klopapier knittern. Aber bis heute habe ich auch noch nicht versucht, Klopapier bei 40 km/h Wind und Schneeregen zu falten. Irgendwann ist alles geschafft und als ich zurück im Zelt bin, fühle ich mich als hätte ich gerade ohne Sauerstoff den Mount Everest bestiegen.

    Dann frühstücke ich und genieße das im Zelt liegen eine Spur mehr als vorher. Ich packe alles im Zelt und mache mich fertig. Das in die Schuhe schlüpfen macht jetzt keinen Spaß. Nasse Socken und nasse Schuhe gut vorgekühlt auf ein oder zwei Grad. Beim Zeltabbau muss ich wieder gut darauf aufpassen, dass mir nichts davon fliegt. Immerhin regnet oder schneit es gerade nicht. Um zwanzig nach neun mache ich mich auf den Weg. Einzig konstant ist eigentlich nur der viele Wind. Ansonsten ist es ein reines Aprilwetter. Im Minutentakt wechselt es zwischen Sonnenschein, Graupel, Regen oder Schneeregen. Die ersten Kilometer fühle ich mich einfach nur lebendig. Ich bin warm angezogen und der kalte Wind kann mir nichts. Vielleicht war das auch gestern schon Teil meines Antriebs, dass ich mich bei den Bedingungen so lebendig gefühlt habe. Das einzige, was es gerade ungemütlich macht, sind die extrem nassen und kalten Füße, die sich trotz Bewegung nicht ein Minimum erwärmen.

    Nach sechs oder sieben Kilometern meldet sich mein Knie seit langem mal wieder. Aber die stark schmerzenden Stiche bleiben aus. Ich gehe etwas bewusster und habe das Problem so einigermaßen im Griff. Immer wieder gibt es sumpfige Abschnitte, die dafür sorgen, dass das Wasser in den Schuhen frisch und kalt bleibt. Aber irgendwie gelingt es mir ganz gut, die Füße mental abzukoppeln und es einfach nur hinzunehmen. Der Weg führt weiter bergab. Erst sehe ich das Meer in der Ferne. Einige Zeit später erreiche ich dann einen kleinen Strand. Die Luft riecht richtig nach Meer. Es ist gerade Ebbe und ich kürze ein paar hundert Meter einfach über den Strand und die wasserlosen Bereiche ab. Hier unten auf Meereshöhe ist es auch kalt aber sicher ein paar Grad wärmer als oben. Dann habe ich zwölf Kilometer geschafft und mache eine Pause mit Nussmischung und Snickers. Für zwölf Kilometer bin ich ganz schön im Eimer. Ich bin viel gegen den Wind gelaufen und das wird sich auch auf der weiteren Strecke nicht ändern.

    Die weiteren Kilometer führen zunächst direkt am Meer entlang. Gegenwind und viel Sumpf machen das Vorankommen hier schwer. Außerdem merke ich, dass ich gestern nicht untätig war. Unfassbar viel Müll liegt hier herum. Ich vermute, dass erst das Meer den Müll angespült hat und der Wind ihn dann hier in den Gräsern verteilt hat. Dann führt der Weg weg vom Ufer, der Sumpf bleibt aber. Bis Kilometer 20 ist es eine einzige Arbeit. Jeder Schritt ist anstrengend und die Bedingungen mit dem Sumpf und den kalten Füßen machen es nicht leichter. Ich erreiche einen Fluss, der wieder für frisches Wasser in meinen Schuhen sorgt. Ab hier geht der Weg 300 Höhenmeter steil bergauf. Eigentlich keine Zahl, mit der man beeindrucken kann, aber nach dem Weg bis hierher nochmal eine echte Probe. Nach den ersten 100 Höhenmetern mache ich eine Pause. Ein paar Nüsse, ein Snickers und dann ist es auch schon wieder kalt. Weiter geht‘s. Oben wird der Weg zum Glück einfacher. Nach einer weiteren kleinen Steigung geht es fast nur noch bergab. Der Weg ist fest und der Wind ein klein bisschen weniger, weil ich im Windschatten des Berges nördlich von mir gehe. Ich folge dem Tal bergab und höre etwas Musik. Weiter unten stoße ich auf ein weiteres Tal, das links und rechts abbiegt. Ein steiler Weg führt runter zum Fluss und auf der anderen Seite wieder bergauf. Ich folge dem linken Tal. Während sich der Fluss unten seinen Weg durch eine enge Schlucht sucht, führt mein Pfad schräg zum Hang dauerhaft bergauf. Die Sonne kommt raus und taucht die gesamte Landschaft in eine ganz besondere Stimmung. Die Berge um mich herum sind steil und felsig, während ich mich auf meiner Seite auf einer sanften Graskuppe bewege. Ich mache einige Fotos und gehe weiter. Ich höre mal wieder Filmmusik und es fühlt sich fast unwirklich an, Teil dieser besonderen Kulisse sein zu dürfen. Weit und breit kein anderer Mensch. Ein erhabenes Gefühl, besonders mit den Klängen des Orchesters im Ohr.

    So schnell wie die Sonne die Landschaft erstrahlen lassen hat, so schnell ändert sich das Wetter wieder. Alles wird dunkel und grau, der Wind zieht an und peitscht mir kleine Eiskristalle ins Gesicht. Genussmodus aus. So langsam sollte ich mich auch nach einem Schlafplatz umschauen, wenn ich nicht drei Kilometer weiter direkt am Eingang des Tunnels zur Magerøya-Insel übernachten möchte. Aber der Hang hier ist zu steil zum Zelten und das Wasser ist zu weit entfernt in der Schlucht. Ich gehe weiter, finde aber nicht wirklich was geeignetes. Also folge ich dem Weg und steige ab in die Schlucht. Dort unten ist es nicht mehr weit bis zur Straße. Noch einmal gibt es Frischwasser für meine Socken, dann folge ich dem Pfad auf der anderen Seite des Flusses. Das enge Tal öffnet sich und bald finde ich ein paar Quadratmeter, eben und gerade wie auf einem Campingplatz. Fünf Meter entfernt davon ein kleiner Bach. Perfekt, hier bleibe ich. Das Zelt ist schnell aufgebaut. Der Wind hier ist deutlich schwächer. Abendessen, Schokolade zum Nachtisch und dann ist auch schon Nachtruhe. Noch 42 Kilometer bis zum Ziel!
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