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  • Day 126

    Martinique 1

    March 19, 2020 in Martinique ⋅ ☀️ 28 °C

    Während ich leicht hin und her schaukelte rüttelte an meiner Schulter. Halb wach, halb in Träumen versunken hörte ich ein leises "Vera, aufstehen!" neben meinem Kopf ertönen...
    Ohh je, das heißt wohl kein Schlaf mehr für heute. Eine erste 4-stündige Nachtschicht hatte ich bereits hinter mir. Und nun kam die zweite und letzte für heute Nacht. Langsam kroch ich aus meiner Koje versus, warf meine Fließjacke über und begab mich an Deck.

    Als ich das Steuer übernommen hatte überkam mich statt der erwarteten Müdigkeit ein totales Glücksgefühl. Moritz vertraute uns und ließ uns quasi alleine segeln. Er hatte immer ein Auge auf alles und erklärte mir genau was ich zu tun hatte. Dennoch segelten Annika und ich das Boot alleine. Diese Verantwortung, die Moritz mir übertrug und, dass er mich einfach machen und ausprobieren ließ fühlte sich grandios an. Selbst bei Hafenmanövern bekam ich einfach das Steuer in die Hand gedrückt, abwechselnd bediennten Annika und ich die Segel und nun fuhr ich das Schiff alleine durch die Nacht. Während ich die Pinne fest in der Hand und die Sterne im Auge behielt, dachte ich daran, wie dankbar ich Moritz für alles war. Auf der "grünen Fee" hatte ich mehr über Wetter, Winde, Boote und das Segeln gelernt, als auf den gesamten andern Schiffen zusammen. Auch die Lichter und Signale am Horizot konnte ich schon großteils genauenst deuten. So durch die Dunkelheit zu schippern war ein atemberaubendes Gefühl. Ich nippte an meiner Tasse, die mir unser lieber Kapitän voll mit heißer Supper extra herausgebracht hatte. Dazu noch meine Lieblingsmusik auf den Ohren und einem angenehmen Wind in den Haaren setzte fuhr ich durch die tiefschwarzen Wellen. Ich genoss es so sehr, dass ganz schnell aus den zwei Stunden Nachtschicht doppelt so viel wurde, da ich die Zeit vergass.

    Mein herumschweifender Block erfasste die hellen Lichter neben uns. Wir befanden uns bereits vor der Küste Martiniques. Sie wurde mir schon von vielen Kapitänen als schönste Insel der ganzen Welt vorgestellt. Das sie das toppen sollte, was ich die letzten Tage erlebt hatte konnte ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen. Abgesehen davon ging es im Moment nicht mehr um ein bisschen Naturerlebnisse, sondern um unsere Einreise in die EU.

    Als wir der Insel näher kamen funktionierte das Internet nämlich wieder. Und probt kamen die Nachrichten all unserer Seglerfreunde an. Der Inhalt jeder Nachricht war ungefähr "Warum zur Hölle fahrt ihr dahin? Ihr wisst schon das da die Grenzen zu sind!". Wir machten uns zugegebenermaßen auch echt Sorgen. Alle halbe Stunde kamen neue Nachrichten welche Grenzen zu gemacht hatten. Zu wissen ob die Regeln noch so waren, wie zu dem Zeitpunkt an dem wir ablegten war unmöglich. Und selbst davor konnten wir von nirgendswo wirklich rausfinden was Sache war. Dass in Guadeloupe, die ja auch eine französische Insel war, die Marinas schon geschlossen waren wussten wir sicher. Inzwischen fühlte sich der Himmel schon mit knalligen orangenen Farben. Mit jedem weiteren Sonnenstrahl näherte sich die "Fee Verte" unserem Ziel, der "Le Marin". Je kleiner der Abstand wurde zwischen unserem Boot und der Insel, desto mehr stieg die Anspannung. Wenn sich ein Schlauchboot näherte, schauten Annika und ich uns jedes Mal sofort an. Ist das die Polizei? Oder die Capitanerie? Wollen die zu uns?
    Vorallem als wir dann ohne die gelbe Flagge zu hissen, einfach zu dem Stammplatz unseres Kapitäns fuhren, hielt ich fast den Atem an. Die Taue wurden befestigt und Moritz zog mit unseren Pässen auf zur Behörde. Annika und ich durften als Crew das Boot natürlich nicht verlassen, bevor unser Kapitän die Einreisepapiere erledigt hatte. Die Wartezeit verging einfach nicht. Die Minuten wurden zu Stunden, währen wir auf dem Deck bangten.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit, sahen wir dann Moritz Gestalt auf dem Steg auftauchen. Und? Was ist? Seinem Gesichtsausdruck war nichts zu entlocken. Erst als er zurück aufs Boot geklettert war, kam endlich die Nachricht:

    "Hat alles super geklappt! Papiere sind geklärt und wir sind nun offiziell nach Frankreich eingereist!"
    Ein Stein viel mir vom Herzen. Erleichtert nahmen Annika und ich uns in die Arme. Jetzt sind wir erstmal in der EU. Das schwierigste ist geachafft! In den nächsten Tagen können wir nun entscheiden, ob wir nach Hause fliegen oder erstmal hierbleiben.
    Besonders ich hatte aber natürlich den Plan zu schauen, ob ich einen Weg finde, nicht nach Hause zu gehen. Den um meine Reise abzubrechen war es definitiv noch nicht die Zeit. Aber jetzt sind wir erstmal da, jetzt ist alles erstmal entspannter...

    Das hatte ich zumindest gedacht, aber natürlich kam es wiedermal anders.

    Statt ein bisschen Entspannung erwarteten uns noch aufgeregtere Anrufe. Es hieß nicht mehr "schaut mal was ihr macht, aber es wäre besser wenn ihr heimkommt", sondern nur noch "Kommt so schnell wie möglich heim!". Diese Woche fliegen definitiv die letzten Flüge von der Insel. Mit dem Segelboot können wir noch raus, aber nirgendswo anders mehr rein.
    Hier ist überall Totenstille und keine Menschen auf den Straßen. Es herrscht Ausgangssperre, die Polizei kontrolliert das tatsächlich viel und wenn man einkaufen geht muss man eine Art "Ausnahmegenehmigung" mit sich rumtragen. Obendrauf gibt es ein Beherbergungsverbot, somit ist es niemanden mehr erlaubt mich aufzunehmen. Das alles war zu absurb um wahr zu sein. Vorallem, da wir gestern noch in einem Land waren, in dem der Alltag ganz normal weiter läuft.
    Allein während dem Telefonat mit meinen Eltern, waren die Flugpreise von hier um über hundert Euro gestiegen. Die letzten Plätze wurden von panischen Touristen ausgebucht und von den verbleibenden schossen die Preise im Minutentakt in die Höhe. Wir mussten uns JETZT entscheiden! Mit Tränen übergossen und vollkommen überfordert saßen Annika und ich im Hafen. Ich war verzweifelt und wusste nicht mehr weiter. Noch nie auf meiner gesamten Reise hatte ich mich so hilflos gefühlt. Auf keinen Fall wollte ich nach Hause fliegen! Jetzt abbrechen? Niemals! Es war doch gerade erst der Anfang meiner Reise, ich wollte noch ganz rum um den Globus trampen. Nein, jetzt zurückzufliegen konnte ich einfach nicht.
    Die Neuigkeiten erschlugen mich aber. In den letzten Minuten hatte Annika einen Flug gebucht. Morgen würde auch sie weg sein. Vollkommen fertig, inzwischen wunderte ich mich schon wie viele Tränen da aus meinen Augen rauskommen konnten, versuchte ich andere Backpacker und meine besten Freunde in Deutschland zu erreichen. Irgendwer musste mir sagen, was ich tun sollte.
    Aber so oft und bei wem ich es auch probierte. Keiner konnte in diesem Moment abheben.
    Ich konnte meine Reise einfach nicht abrrechen. Es ging einfach nicht! Leider musste ich irgendwo aber such begreifen, dass es die einzige Möglichkeit war. Dank meinen ungenügenden Technikkentnissen und eventuell auch aufgrund meiner Verpeiltheit konnte ich im Moment nicht auf meinen Kontostand zugreifen. Keinen blassen Schimmer hatte ich, wie viel da wohl noch drauf war. Aber um monatelang Essen hier zu kaufen, definitiv viel zu wenig. Containern? Geht in dieser Situation nicht. Einfach Campen? Geht absolut nicht mehr. Hostels buchen? Komplett unmöglich. Leute treffen, die mich monatelang bei sich schlafen lassen? Äußerst unwahrscheinlich, vorallem seh ich ja niemand, da ich dank Ausgangssperre nicht vom Boot runterdarf. Wie ursprünglich jetzt nen Job suchen? Kann ich total vergessen.
    Tobi und Carmen sind jetzt ans Telefon gegangen. Flieg sofort zurück, bleib da, ach keine Ahnung. Auch das Gespräch half nicht viel bei der Entscheidung. Meine Gedanken überschlugen sich. Einen Satz der beiden blieb mir aber im Kopf hängen: "Vera, überleg dir nochmal, warum du reist. Du wolltest Länder, Kulturen, dich selber und andere Menschen und Lebensstiele kennenlernen. Das was jetzt auf Martinique ist, ist nicht mehr rein reisen, sondern verzweifeltes aushalten." Aber in ein paar Monaten könnte ich ja wieder weiterreisen. Ich gehe einfach noch nicht zurück. Für aufgeben war es noch nicht an der Zeit.
    Nun war aber leider Schluss mit den sturren Gedanken. Ich hatte keine Wahl mehr und musste den Ernst der Lage begreifen...
    Mit zitternden Händen drückte ich auf den kleinen weißen Hörer in der Ecke meines Handybildschirmes. Ich fühlte mich, als würde ich zusammenbrechen, als ich einen der wohl schwersten Sätze meines Lebens aussprach:

    "Mama, kannst du mir bitte den nächsten Rückflug buchen?"
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