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  • Day 21

    Für ein paar Meilen mehr

    November 8, 2018 in Argentina ⋅ ☀️ 26 °C

    Die einen nennen es Zeitverschwendung, die anderen eine gute Möglichkeit, viel von der Stadt zu sehen. Ich kann mich nicht ganz entscheiden, insgesamt bin ich aber der Meinung, dass Boedo zwar sehr schön und sympathisch und alles ist, aber insgesamt ein relativ unpraktischer Ort ist, um seine Basis zu haben. Zwar lebe ich nur eine halbe Stunde von der Innenstadt entfernt, aber Palermo, der Ort, wo man schön ausgehen kann, Recoleta (ich war zwar noch nicht da, man sagt aber es sei so wie Palermo nur der Geheimtipp für Hipster), der Ort an dem ich arbeite, der Ort an dem Peter arbeitet, Klaus' Haus (ja, ich bin Dichter) UND diese (verdammte sch*&+!@ &€+'?# =¢=•°©}¥-) Schlüsselfabrik liegen alle mindestens eine Stunde mit Bus und Bahn entfernt. Mit einem Uber dauert es zwar generell nur eine halbe Stunde, aber ich bin der Meinung, dass man erst eine Stadt und deren Kultur kennengelernt hat, wenn man sich genug mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auseinandergesetzt hat. Und so ist auch besser für die Umwelt ;)
    Also entweder muss ich mich daher ab jetzt immer bei gutaussehenden jungen Menschen in Palermo einfinden und ihnen einen gewissen Dienst ableisten (oder Hanna? 😏) oder ich muss damit leben. Mal sehen.
    Ich war in den letzten beiden Tagen immer bei Peter im Büro (danke nochmal!) und konnte da arbeiten. Die Leute waren nett, konnten mir bei Fragen helfen und wir haben auch zusammen was gegessen (ich stand dumm daneben, als sie gekocht haben). Ich würde sagen, dass ich insgesamt mit der Arbeit sehr weit gekommen bin, aber sie immer noch nicht vollendet habe. Mal sehen, was ich gleich nich schaffe, wenn ich es aus diesem sehr warmen Bus schaffe, falls ich es hinkriege, meine Klamotten vom Sitz zu schälen. Aber gut.
    Heute war ich einfach im normalen Büro, Ezequiel hat(te) allerdings wieder Termine, weswegen ich wieder alleine war. Also versteht mich nicht falsch, ich langweile mich nicht und mir macht das Praktikum Spaß! Ein wenig mehr Gesellschaft wäre aber, denke ich, nicht ganz verkehrt. Aber, Ihr fragt Euch bestimmt: ,, Matthew, wieso sitzst Du denn schon um vier Uhr am Nachmittag schon im Bus nach Hause?" Tjaaaaaaa... Ganz einfach: ich war gerade beim Schlüsseldienst und habe die Schlüssel abgeholt, die ich gestern bestellt habe. Endlich sind sie fertig! Es hat zwar nur einen Tag gedauert, aber gestern Nacht wäre ich fast nicht mehr in die Wohnung gekommen! Aber lasst mich von vorne anfangen: Nach einem relativ späten Start war ich gestern endlich um zehn Uhr morgens da, wo ich eigentlich schon um 9.30 Uhr sein wollte: vor der Tür dieses vermalledeiten Schlüsseldienstes. Am Montag war ich schon bei deren anderer Adresse gewesen, das war aber nur das Büro (eine Uber-Fahrt umsonst!), aber jetzt stand ich endlich vor der richtigen Tür! Ich klingelte und führte ein, man kann es nicht wirklich Gespräch nennen, es war eher eine Art Dialog des Pförtners und ein Nichtverstehen meinerseits, irgendwann machte er aber die Tür auf und ließ mich durch die Tür, die lustigerweise einfach ein Loch an dem Ort hatte, an dem eigentlich ein Schlüsselloch bzw. Schloss hätte sein müssen. Ich wartete daraufhin in einem mehr oder weniger sehr skurrilerweise komplett verspiegeltem Raum und betrachtete mein wunderschönes Angesicht in dem Glas. Ich war kurz davor, das neue Kaiserreich auszurufen (Geschichtswitz), bis der Pförtner wieder etwas sagte, dass ich nicht verstand und eine Frau danach hereinkam und mir alles erklärte. Ich gab ihr den Schlüssel, den ich für bis zu drei Tage dalassen sollte, und meine Kreditkarte mit coolen Monstern drauf. Sie verschwand wieder für eine ganze Weile und rief irgendwann durch ein Telefon an, dass im Warteraum stand. Sie gab mir zu verstehen, dass die Kreditkarte nicht funktionierte, weil es eine MasterCard ist, und ich deswegen bar bezahlen musste. Schlau wie ein Fuchs, wie ich nun mal bin, hatte ich mit diesem Szenario gerechnet, also holte ich die 3000 Pesos von meiner Unterhose (nicht wirklich, aber mehr oder weniger) hervor und überreichte sie stolz der Frau, als sie wieder in den Spiegelsaal kam. Jetzt hatte ich also bis morgen (also aus heutiger Sicht heute) keinen Schlüssel mehr. Ich schrieb den Garcías, was Sache war, und sie sagten ich solle mir keine Sorgen machen, sie würden mir nämlich die Tür aufmachen, wenn ich wiederkäme. Also dachte ich mir nichts dabei, fuhr zu Peters Büro und nach der Arbeit fragte man (also welche von der Schule) mich dann, ob ich mit zu einem argentinischen Restaurant kommen wolle. Klar, warum nicht. Als ich da war, bemerkte ich aber, dass das doch nicht so spontan klappen würde, wie gedacht. Wir mussten unsere Namen auf eine Liste schreiben und warten. Es beschleunigte nicht wirklich den Vorgang, dass wir zu siebt waren. Also beschlossen wir, in die Bar gegenüber zu gehen und hin und wieder mal nachzufragen.
    Als wir nach anderthalb Stunden immer noch nicht dran waren, hatten wir keine Lust mehr. Eine Alternative musste her, also führte uns einer aus der Gruppe zu einem leckeren Italiener, wo wir dann den Abend verbrachten.
    Irgendwann, so um kurz vor zwölf, stand ich vor der Hausmatte. Zwar konnte ich in das Gebäude hinein, aber nicht in die Wohnung. Alles, was mich von meinem Bett trennte, war diese armdicke Hochsicherheitstür. Nach zehn Minuten leisen Klopfens, entschied ich mich für eine andere Taktik: kurz klingeln, weil man ja niemanden wecken will, trotzdem jemand aber die Tür aufmachen soll. (Ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass ich die Garcías wirklich mehrmals gefragt habe, ob es in Ordnung ist, wenn ich so spät nach Hause komme.)
    Als auch diese Taktik fehlschlug, ging ich dazu über, länger diesen Knopf der Schande zu drücken. Das funktionierte aber auch nicht, also bereitete ich mich darauf vor, im Flur vor der Wohnung zu schlafen. Ich würde noch einmal klingeln, und dann würde ich mich auf den Boden setzen und abwarten. Ein paar schreckliche Sekunden vergingen. Mein Herz raste, meine Hände wurden schwitzig, ich bekam das Zittern. (Natürlich nicht, aber zu literarischen Zwecken muss das sein...) Ich nahm all meinen Mut zusammen, drückte den Knopf und wartete ab. Nach ein paar Sekunden passierte nichts, also setzte ich mich hin, umklammerte meine Tasche und starrte die Wand an. Da hörte ich aber plötzlich himmlische Chöre in Form eines Schlüsselklirrens in meinen Ohren und Oscar lächelte mich müde an. Er ließ mich hinein, verschwand im Bad und machte ein eher weniger schönes Geräusch, dass sich danach anhörte, als würde er in Zukunft mit nur noch einer Lunge leben müssen. Ich aber war froh, dass ich in der Wohnung war.
    Deswegen bin ich froh, jetzt insgesamt vier Schlüssel an meinem Gürtel klirren zu hören. Die Zeiten der Schande sind vorbei, ich kann wieder mit einem geraden Hals durch Buenos Aires wandeln. Ich sitze nämlich gerade im Bus 84 auf dem Weg vom Schlüsseldienst nach Boedo, dem zwar vom Norden und Westen der Stadt abgeschiedenen, aber dennoch heimischem Ort.
    Und da werde ich auch gleich weiterarbeiten und Bestechungsgeschenke für Journalisten vorbereiten.

    Achja, eine Sache noch: ich war am Montag Abend bei Klaus mit der ganzen Familie (auch inklusive Conny, Mercedes und deren Sohn (Conny ist ein weiterer Cousin meines Vaters)) und habe mich sehr nett mit Conny und Daniela unterhalten. Grüße gehen raus an alle Meierhölder und Helbigs, ich finde es sehr schön, dass wir wieder bzw. eigentlich ja zum ersten Mal zusammen Zeit verbringen!
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