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  • Day 99

    Ciudad Perdida, Santa Marta, Kolumbien

    March 11, 2020 in Colombia ⋅ ⛅ 23 °C

    Meine Lieben, in den letzten Tagen ist es hier ganz schön ruhig geworden, was meiner etwas langwierigen und aufregenden Rückreise aus Kolumbien geschuldet war. Den meisten von Euch habe ich schon berichtet, dass letztlich alles doch noch funktioniert hat und ich gut zu Hause bei meiner Familie angekommen bin. Ich erzähle Euch gerne noch ganz in Ruhe, wie ich im Einzelnen zurückgereist bin, aber der Reihe nach😉.

    Vorher möchte ich Euch noch von meiner wirklich ganz tollen und beeindruckenden Wanderung zur „Ciudad Perdida“ (also der „Verlorenen Stadt“) in Kolumbien berichten. Leider bin ich in dieser App kein Premium-Kunde mehr, weshalb ich nicht mehr so viele Fotos hochladen kann. Ich mache aber gleich noch einen zweiten Beitrag ohne großen Text, damit Ihr noch ein paar Bilder sehen könnt.

    Von der viertägigen Wanderung zur Ciudad Perdida habe ich zum ersten Mal vor etwa zwei Jahren gehört, als meine liebe Freundin Johanna ganz begeistert von ihrer eigenen Wanderung hierher berichtete. Seit Beginn meiner Reise war diese Tour einer der Orte, die ich auf jeden Fall bereisen wollte. Dass dies wegen der Corona-Krise nur noch ganz knapp möglich sein würde, erfahre ich erst, als ich von der Wanderung wieder zurückkehre.

    Von Bogotá aus fliege ich am 10. März 2020 nach Santa Marta, gelegen an der Karibikküste Kolumbiens, um am 11. März die Wanderung zu beginnen. Eigentlich wollte ich schon am 4. März los gewandert sein, aber wegen einer Mandelentzündung muss ich den Start um eine Woche verschieben und bleibe noch etwas länger bei Carolina und José in Bogotá. Zum Glück ist die Reiseagentur, mit der ich die Wanderung gebucht habe, völlig flexibel und ich um die Erfahrung meines ersten Telefonats auf Spanisch reicher. Allerdings frage ich wiederholt und leicht panisch nach, ob dieses Telefonat zum Verschieben der Tour ausreicht oder ich noch eine Mail schreiben solle. Irgendwann lacht mein kolumbianischer Gesprächspartner, Juan vom Wanderveranstalter Wiwa Tour in Santa Marta, nur noch und sagt mir sinngemäß, dass ich mich wegen der Terminsverschiebung doch nun bitte mal entspannen solle („Tranquila, tranquila, chica, todo está bien!“ 😆). Ich bin eben doch die eher unflexiblen Tourveranstalter aus Europa gewöhnt. Als ich am 10. März abends im Büro von Wiwa Tour stehe, bekommt Juan den nächsten Lachanfall und spiegelt mir vor, dass mit der Verschiebung etwas schief gelaufen sei. Es handelt sich aber nur um eine Ausprägung kolumbianischen Humors, denn tatsächlich kann ich die Tour am 11. März beginnen. Wie schon in Mexiko habe ich mich für einen Tourveranstalter der indigenen Bevölkerung entschieden und bin von der Organisation, der Zuverlässigkeit und der Höflichkeit der Beschäftigten wieder begeistert. Wiwa Tours ist einer der wenigen Veranstalter, der die Wanderung mit indigenen Guides anbietet. Die allermeisten Tourveranstalter in Santa Marta sind fest in den Händen kolumbianischer Familien, die bis vor ein paar Jahren im Kokainhandel verbandelt waren und es teilweise noch sind und die Wanderung als neue Einnahmequelle gefunden haben. Sollte sich jemand von Euch für die Wanderung interessieren, kann ich Euch nur empfehlen, bei einer Organisation zu buchen, die von den Indigenen betrieben wird oder zumindest mit ihnen zusammenarbeitet, damit der Nationalpark und der Lebensraum der indigenen Bevölkerung dauerhaft erhalten bleibt.

    Früh am Morgen des 11. März geht es mit einem Jeep von Santa Marta aus los in Richtung des Nationalparks Tayrona, in dem sich die Ciudad Perdida befindet. Bis zu unserem Startpunkt sind es schon gut zwei Stunden Autofahrt, nach etwa einer Stunde gibt es keine Internetverbindung mehr. Ich bin ganz schön aufgeregt, mir ist bewusst, dass die viertägige Wanderung sehr anstrengend und fordernd sein soll, zumal sie vier Tage durch den feucht-warmen Regenwald führt. Hinzukommt, dass ich seit Ende November nicht mehr wirklich Sport gemacht habe und auch davor wegen meiner Knieverletzung ziemlich eingeschränkt war. Auch habe ich auf Kuba ziemlich abgenommen und schlicht nicht mehr so viel Energie wie noch vor ein paar Wochen. Wieder einmal sind es ein paar ganz liebe, aufmunternde und bestärkende Nachrichten von Euch, die mir helfen, letztlich doch zuversichtlich in die Wanderung zu starten. Glücklicherweise habe ich eine ganz liebe und sehr lustige Wandergruppe erwischt. Marie und Marlon aus Berlin, Meg aus Japan, Adam und Andrew aus den USA, Ed und William aus London sowie ich aus dem schönen Rheinland verstehen uns auf Anhieb und wachsen in den kommenden vier Tagen zu einer Art Schicksalsgemeinschaft während der Wanderung zusammen. Begleitet werden wir von Sawa, der dem indigenen Stamm der Kogui angehört und der auf Spanisch Eliseo heißt. Ihr könnt ihn auf dem ersten Foto, an einen Stein gelehnt, sehen. Das Dorf, aus dem er ursprünglich kommt, ist vier Tageswanderungen von unserem Startpunkt entfernt. Sawa ist für seine 23 Jahre unglaublich ruhig und erfahren und macht uns während der Wanderung immer wieder auf seltene Vögel oder Pflanzenarten aufmerksam. Wenn wir zwischendurch müde werden, motiviert er uns mit traditioneller Kogui-Musik, die er von seinem Handy abspielt. Als ich ihn vorsichtig frage, ob man die Musik eventuell im Internet findet, schaut er mich vorwurfsvoll mit seinen großen, dunklen Augen an und sagt: „Astrid, por favor, estamos en Spotify!“🙄 Na klar, wie naiv von mir, natürlich kann man den Kogui-Remix auf Spotify streamen😆🙈. Neben Sawa begleitet uns auch noch Victor, der als Übersetzer bei Wiwa Tours tätig ist, denn der überwiegende Teil der Gruppe spricht kein Spanisch . Victor ist eigentlich Koch und ist vor einigen Monaten aus Venezuela nach Kolumbien geflüchtet. Da er als Koch zu wenig verdienen würde in Kolumbien, arbeitet er derzeit als Übersetzer und träumt von einer Küchenchef-Karriere in Europa. In den nächsten Tagen erfahren wir viel über die schlicht unglaubliche Situation der Menschen in Venezuela. So kann er auf unbestimmte Zeit nicht mehr in sein Heimatland einreisen, weil ihm sofort der Reisepass abgenommen würde, damit er das Land nicht mehr verlassen kann. So will die venezolanische Regierung verhindern, dass noch mehr Menschen das Land verlassen. Außerdem müssen die Venezolaner unglaublicherweise ihre Stimme bei den Präsidentschaftswahlen mit dem Fingerabdruck abgeben. Gleiches gilt für den Kauf von Reis, Linsen und anderen notwendigen Lebensmitteln. In der Konsequenz bedeutet dies, dass man keinen Reis und Linsen mehr für seine Familie bekommt, wenn man jemand anderen wählt als den aktuellen Präsidenten Maduro. Diese in meinen Augen vollkommen untragbare Situation hatte mir vor einigen Wochen auch schon eine andere Venezolanerin erzählt, die bei Carolina und José zu Besuch war, um sich bis auf Weiteres zu verabschieden. Nach mehreren Jahren als Flüchtling in Kolumbien hat sie sich entschieden, nach Venezuela zurückzukehren, um bei ihrer Familie zu sein.

    Nun aber zurück zu meiner Wanderung. Am ersten Tag wandern wir knappe vier Stunden bis in unser erstes Camp, in dem wir mit Abendessen versorgt werden und nach einem Stündchen am Lagerfeuer früh in unsere Betten fallen. Schlafen werden wir in den nächsten Tagen unter freiem Himmel oder Wellblechdächern in großen Lagern, die entweder aus Hochbetten oder Hängematten (glücklicherweise jeweils mit Fliegennetzen ausgestattet) bestehen. Geschlafen wird meist schon gegen 20 Uhr, denn dann wird der Strom in den Camps ausgeschaltet und es wird stockfinster. Geweckt werden wir morgens um kurz vor fünf, Frühstück gibt es um halb sechs und die Wanderung startet um 6 Uhr in der Frühe. Was am ersten Tag noch ungewohnt ist, wird am zweiten Tag schon zur Routine. Unterwegs werden wir nach langen Aufstiegen immer wieder mit Ananas, Orangen und Wassermelone versorgt, um den Wasser- und Energiehaushalt wieder aufzufüllen. Geschlafen habe ich übrigens überraschend gut (vor allem, nachdem ich gelernt habe, dass man in der Hängematte am besten diagonal schläft, damit der Rücken gerade ist). Während des zweiten Tages kommen wir nach und nach in das Gebiet der Indigenen. Im Nationalpark leben insgesamt vier indigene Stämme, die Wiwa, die Kogui, die Arhuacu und die Kankuamo. Von vielen Angehörigen der Indigenen wird der Tourismus im Zusammenhang mit der Wanderung zur Ciudad Perdida sehr kritisch gesehen, zumal die Ciudad Perdida ein heiliger Ort ist. Ich komme zwischendurch immer wieder ins Grübeln und frage mich, ob es die richtige Entscheidung war, die Wanderung zu machen und somit in das indigene Territorium einzudringen. Auf der anderen Seite stellt die Wanderung auch eine Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung dar, zumindest wenn man mit einer vernünftigen Organisation bucht. In den kommenden Tagen wandern wir auf und ab durch den Regenwald und kommen immer wieder an den traditionellen Dörfern vorbei. Ich habe Euch im nächsten Post ein Bild von einem traditionellen Haus hochgeladen. Sämtliche Indigene tragen weiße Kleidung, die Frauen weiße Kleider und die Männer ebenfalls weiße Kleider mit einer weißen Hose darunter. Ihr könnt sie auf einigen Bildern sehen. Mittags kommen wir meist am Fluss oder an Wasserfällen vorbei, springen einmal ins eiskalte Wasser, um uns von der Hitze zu erfrischen und wandern danach weiter. Besonders schön fand ich die spielenden Kinder am Wasser, die ihr auf dem zweiten Foto sehen könnt. Ich fühlte mich ein bisschen an Ronja Räubertochter erinnert. Im nächsten Beitrag könnt Ihr noch ein Bild von einem der natürlichen Pools sehen, in dem wir geschwommen sind.

    Die Ciudad Perdida selbst erreichen wir am dritten Tag der Wanderung, nachdem wir insgesamt 1.250 Treppenstufen hinaufgeklettert sind. Die Verlorene Stadt ist eine riesige terrassenförmige Anlage mitten im Regenwald und ist neben Machu Picchu in Peru eine der ältesten präkolumbischen Städte Südamerikas. Auf dem vierten Bild könnt Ihr Marlon und mich sitzend auf einer der Terrassen sehen. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter und freuen uns über die klare Sicht in der Verlorenen Stadt. Die Stimmung ist wirklich einmalig und fast ein bisschen magisch. Noch nie zuvor war ich an einem so entlegenen Ort. Ich kann gar nicht glauben, wie früh die indigenen Völker Kolumbiens schon eine vollkommen entwickelte Stadt nebst Entwässerungssystem auf solch einem unwegsamen Gelände erschaffen haben.

    Nachdem wir die 1.250 Treppenstufen wieder hinabgestiegen sind, springen wir noch einmal in den Fluss und beginnen mit einer weiteren Übernachtung den Rückweg zum Startpunkt der Wanderung. Als wir schließlich nach vier Tagen offline wieder Internetempfang haben, überschlagen sich die Nachrichten in Sachen Coronavirus. Es ist, als hätte sich in diesen vier Tagen so ziemlich alles verändert. Wir erhalten die Nachricht, dass der Nationalpark um die Ciudad Perdida ab sofort gesperrt wird und wir eine der letzten Gruppen waren, die die Wanderung noch beginnen durften. Wir hören von geschlossenen Hostels, Stränden und Nationalparks. Meine Gastfamilie aus Bogotá, die ich eigentlich noch einmal für ein paar Tage besuchen wollte, schreibt mir, dass ich nicht mehr bei ihnen wohnen kann, weil ihnen das Risiko einer Ansteckung zu groß ist. Ich kann die rasante Entwicklung ehrlich gesagt gar nicht fassen und muss nach der Rückkehr erstmal ein paar Telefonate mit meiner Familie und einigen Freunden führen. Euch ging es ganz bestimmt ähnlich. Bis ich mich entscheide nach Hause zu kommen, wird es nur zwei Tage dauern, aber davon erzähle ich Euch ganz in Ruhe in einem eigenen Beitrag.

    Ich hoffe, es geht Euch allen erst einmal gut und die Einschränkungen des täglichen Lebens treffen Euch nicht zu hart.

    Trotz aller Umstände und gruseligen Nachrichten wünsche ich Euch allen einen guten Start in die neue Woche. Alles Liebe von Eurer Astrid😘❤️
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