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- Sep 7, 2023
- ☀️ 27 °C
- Altitude: 755 m
- ChinaHeilongjiangJimusa’er43°59’6” N 89°10’15” E
Tag 181: Bofengije bis Jimsar
September 7, 2023 in China ⋅ ☀️ 27 °C
Wir frühstücken und machen uns dann zeitnah auf den Weg, da wir eine lange Fahrt vor uns haben.
Lukas fühlt sich etwas unwohl, aber möchte trotzdem fahren. Ausgerechnet heute haben wir starken Gegenwind und ein paar Höhenmeter vor uns. Wieder haben wir die schneebedeckten Berge im Blick, herrlich!
Die Straße ist allerdings keinesfalls so herrlich. Denn diese teilen wir uns mit einer Menge LKWs, die nicht gerade wenig Staub aufwirbeln. Unter den LKWs sind gelegentlich auch Tiertransporte. Auf einem sind über drei Gitterkäfig-Stockwerke verteilt Mastschweine auf engstem Raum zusammengepfercht. Mehr als zwei Schweine kommen auf einen Quadratmeter und meist liegt darunter noch eines quer. Bei jedem Ruck, den der LKW macht, schreien die Schweine auf. Sie beißen sich gegenseitig in die Seiten oder Schwänze und erdrücken sich schier. Es ist unbeschreiblich!
Wir fahren nicht lange und schon haben wir wieder Begleiter. Das Polizeiauto, an dem wir zufällig vorbei gekommen sind, lässt nicht von uns ab. Dann überholen sie und wir denken schon fast, dass wir sie los sind da halten sie auch schon in der Haltebucht. Oh nein, nicht schon wieder! Vor allem weil wir heute einiges zu fahren haben. Doch aus dem Wagen steigt zunächst niemand aus. Erst als wir nur noch vielleicht 30 Meter weg sind, steigen zwei Polizisten aus. Sie blicken uns entgegen und winken. Sie winken! Hm, dann können wir es ja auch mal probieren. Also winken wir einfach zurück. Sie winken weiter und machen keinerlei Anstalten, dass wir anhalten sollen. Also fahren wir vorbei und sind vollkommen perplex, dass sie nicht einmal hinter uns hergerufen haben.
Wieder fahren wir ein gutes Stück, bis sie uns erneut überholen und dann wieder anhalten. Dieses Mal machen sie uns deutlicher klar, dass sie mit uns sprechen wollen. Also halten wir pflichtbewusst an und grüßen. Sie reden natürlich auf Chinesisch auf uns ein und wir verstehen kein Wort. Natürlich vermuten wir was sie wollen, aber sie benutzen weder ihr Handy, Gesten oder andere Mittel, um es uns zu erklären. Dann wird alles ruhig und weder sie noch wir sagen etwas. Als die Stille kein Ende nimmt und die beiden keinerlei Anstalten machen uns irgendwas zu sagen oder zu fragen, handeln stattdessen wir. Wir bedanken uns auf Chinesisch und verabschieden uns von ihnen. Darauf reagieren sie völlig unerwartet und auch sie winken uns zum Abschied wieder zu. Also nutzen wir den Moment und fahren weiter. Was für eine absurde Szene!
Diesmal kommen wir ein gutes Stück weiter, bevor sie uns ein drittes Mal überholen und anhalten. Nun sind sie nicht mehr alleine. Eine junge Frau sitzt bei ihnen im Wagen. Als wir bei ihnen ankommen und sie wieder freundlich begrüßen, fragt uns die Frau in gebrochenem Englisch, ob wir Chinesisch sprechen. Wir verneinen, woraufhin sie ein einziges Wort sagt: Passport. Wir reichen ihr unsere Pässe, die Polizisten betrachten sie und machen Fotos. Ohne weitere Worte bekommen wir sie wieder und alle drei steigen in den Wagen. Perplex darüber, dass das schon alles gewesen sein soll, packen wir sie weg. Dann geht erneut die hintere Türe auf, die Frau streckt ihren Kopf heraus und fragt uns noch woher wir kommen. Diese Frage verwundert uns dagegen weniger, denn mit den Pässen in lateinischer Schrift können hier die Wenigsten tatsächlich etwas anfangen. Wir antworten also und damit schließt sich wieder die Türe. Diesen Moment nutzen wir um wieder loszufahren, bevor ihnen noch weitere Fragen einfallen.
Lukas geht es derweil immer schlechter, also fahre ich vorne, um ihn wenigstens von einem Teil des Windes abzuschirmen. Nach 30 gefahrenen Kilometern kommen wir in einen kleinen Ort und Lukas geht es so schlecht, dass wir anhalten und nach einer Unterkunft fragen. Auf unseren Karten wird keine angezeigt und falls es eine gibt, ist sie auf Ausländer auch sicherlich nicht eingestellt. Wegen der besonderen Situation wagen wir es aber trotzdem und bekommen auch bald ein Hotel gezeigt.
Während Lukas draußen wartet, gehe ich hinein, um nach einem freien Zimmer zu fragen. Ich erkläre dem Hotelangestellten unser Problem und sage auch extra dazu, dass ich weiß, dass er eigentlich keine Ausländer nehmen kann, aber dass wir auf keinen Fall weiter fahren können. Er nickt und verschwindet in einem Hinterzimmer. Kurz darauf kommt er mit einem anderen Mann zurück, dem Hotelbesitzer. Dieser ist nicht wirklich freundlich, schüttelt den Kopf und meint, es sei kein Zimmer frei. Klar! Wieder nenne ich das Problem und bitte darum uns zu beherbergen. Keine Chance!
Mit dieser schlechten Nachricht kehre ich zu Lukas zurück. Wir schieben von dem Hotel weg und halten im Schatten mehrerer Bäume an. Es geht nicht weiter! Also beschließen wir das Unmöglichste zu tun, die Polizei um Hilfe zu bitten. Immer wieder wurde uns hier im Land gesagt, dass wir bei jeglichen Schwierigkeiten die Polizei zu Hilfe holen sollen. Wir fahren also umher, aber das gerade noch normal wirkende Örtchen (in anderen Worten: Ein Ort mit ausreichend Polizeipräsenz) ist mit einem Mal wie leergefegt. Keine Polizisten sind zu sehen. Ein Mann auf einem Motorrad bemerkt unseren suchenden Blick. Er stellt sich als Soldat vor und meint er werden die Polizei für uns anrufen.
Als wir uns also zufrieden bei ihm bedanken, nimmt er den auf dem Boden sitzenden Lukas halb in den Schwitzkasten, hält sein Handy im Selfimodus vor beide und macht Bilder. Nicht zu fassen! Empathie kennt er scheinbar nicht!
Sobald der erste Wagen angekomen ist verabschiedet er sich wieder von uns. Dann stehen sie vor uns, drei Polizisten mit schussicheren Westen, bewaffnet und scheinbar auf alles vorbereitet - nur nicht auf uns.
Sie merken schnell, dass wir kein Chinesisch verstehen, können selbst aber kein Wort Englisch. Ich nutze also wieder den Übersetzer und erkläre ihnen, dass es Lukas nicht gut geht und wir ein Hotel für die Nacht brauchen, damit er sich ausruhen kann. Der erste ließt sich die Nachricht durch und beginnt zu telefonieren. Kurz darauf kommt der zweite zu mir und fragt nochmal exakt das selbe. Ich zeige auch ihm die Übersetzung. Auch er beginnt zu telefonieren. Dann kommt der erste wieder und fragt mich, ob Lukas ein Krankenhaus benötigt. Ich lehne ab und betone nochmal, dass wir uns nur ausruhen müssen. Wieder ist er am Telefon.
Mittlerweile sind weitere Polizeiwägen dazu gekommen. Unter anderem auch unsere beiden Bekannten von vorhin, die noch immer die Dolmetscherin im Schlepptau haben. Zeitweise stehen 11 Polizisten um uns herum.
Es sind immer mindestens zwei am Telefonieren. Von Zeit zu Zeit werde ich von weiteren Polizisten gefragt, um was es geht und ob Lukas ins Krankenhaus muss. Wieder verneine ich. Dann händigen wir auf ihre Bitte hin unsere Pässe aus, die interessiert begutachtet werden.
Während dieser ganzen Szene werden auch einige Bürger auf uns aufmerksam. Zwei Frauen benachbarter Läden kommen hinzu, bringen Lukas einen Hocker und etwas zu trinken. Auch sie fragen, was los ist. Ich erkläre es ihnen bereitwillig. Sie machen noch besorgtere Gesichter und reden auf die Polizisten ein.
Dann irgendwann kommt alles ins Rollen. Manche Polizisten steigen in ihre Wägen ein und entfernen sich und unsere drei Ersthelfer begleiten uns zu dem Hotel, in dem wir vor nun schon eineinhalb Stunden abgelehnt wurden. Gemeinsam mit einem betreten wir die überschaubare Lobby, Lukas setzt sich auf die Couch und ich kläre mit dem Polizisten und dem Hotelbesitzer alles für die Übernachtung Notwendige, beantworte alle üblichen Fragen und werde Zeuge davon, wie wieder einmal die Pässe abfotografiert werden.
Dann ist alles sicher. Der Polizist will sich gerade verabschieden, als wir ihn nochmal mit dem Handy fragen, was das Hotelzimmer kostet. Das machen wir extra noch in seiner Anwesenheit, damit uns der von uns vermutlich genervte Hotelbesitzer keinen horrenden Preis nennt. Unser Polizist fragt nach, bekommt eine Antwort und gibt uns diese weiter. "Das Hotel ist ausgebucht. Es gibt keine freien Zimmer."
Wir können unseren Augen nicht trauen, als wir das lesen. Wie ausgebucht? Was haben wir denn dann die ganze Zeit hier und auf der Straße gemacht? Wer wurde ständig angerufen und warum kam niemand vorher auf die Idee vielleicht im Hotel zu fragen, ob dort Platz ist?
Wir sind uns ja ziemlich sicher, dass das Hotel eben nicht ausgebucht war aber das spielt auch keine Rolle mehr. Wir stehen also da. Kein Hotelzimmer, Lukas geht es immer schlechter und wir haben zwei Stunden verloren!
Wir fragen also, wo denn die nächsten Unterkünfte wären. "In 80 km", heißt es. So haben wir das auch auf den Karten gesehen. "Eventuell auch schon nach 50 km."
Mindestens 50 km, Gegenwind und Lukas geht es schlecht. Eine tolle Aussicht!
Uns bleibt also nichts anderes übrig, als unseren Zorn zurückzuhalten und stattdessen in weitere Radelenergie umzuwandeln. Vor den Läden der beiden Frauen machen wir nochmal kurz Halt. Eine von ihnen winkt mich herbei und sie schenken uns noch etwas zu trinken und eine Süßigkeit. Als ich ihnen erkläre, dass wir nicht bleiben dürfen, entschuldigen sich sich.
Wieder fahre ich vorne und gebe eigentlich mehr Gas als ich Kraft habe, aber ansonsten kommen wir nicht mehr im Hellen an.
Durch unsere Polizistenpause haben wir auch noch nicht zu Mittag gegessen. Da Lukas sowieso nichts essen kann, reise ich mir nur ein paar Stücke Brot ab und wir fahren weiter. Das reicht für den Moment.
Wir werden von unserem Polizeiauto von heute Morgen überholt. Mittlerweile erkennen wir es problemlos am Nummernschild. Kurz darauf steht es am Straßenrand. Wir fahren vorbei und wieder folgt es uns. Die Polizisten überholen uns ein weiteres Mal, bleiben dann aber vorerst weg. Etwas später nähert sich ein Polizeiwagen von vorne. Wer könnte es anders sein!
So geht das noch einige Male. Sie überholen uns, stehen dann entweder mehr als offensichtlich am Straßenrand oder etwas "versteckter" auf einem kleinen Parkplatz neben der Straße als einziges Auto und kommen uns teils wieder von vorne entgegen. Was genau sollen sie kontrollieren? Ob wir auch wirklich bis dorthin fahren? Denken sie vielleicht wir zelten? Oder sind sie damit beauftragt worden uns zu "retten" falls es Lukas zu schlecht gehen sollte? Wir vermuten eher das Erstere.
Kurz vor Sonnenuntergang haben wir es dann geschafft. 50 km später kommen wir durch einen kleinen Ort. Auch hier würden sie uns normalerweise vermutlich ablehnen, aber die nahende Dunkelheit ist auf unserer Seite.
Wir finden eine Unterkunft und bekommen auch direkt ein Zimmer zugewiesen. Während Lukas sich schon hinlegt, trage ich die Sachen nach oben und warte bis wir uns registrieren können. Währenddessen kommt eine Gruppe an anderen Bikepackern rein. Es sind Chinesen. Wir haben hier in China tatsächlich schon einige Chinesen als Bikepacker gesehen, weshalb uns ihr Anblick nicht allzu sehr überrascht. Vielmehr sind wir ganz froh, denn es lässt uns hoffen, dass dann auch bei uns alles glatt gehen wird.
Bald kommen zwei Polizisten (diese kennen wir noch nicht) in die Lobby. Sie führen ein kurzes Gespräch mit dem Besitzer und kommen dann zu mir. "Es gibt ein viel komfortableres Hotel für euch", meint der eine. Mein Atem wird schwerer. Zu gut kenne ich diese Worte! Ich erkläre auch ihnen die Situation, sage dass es nun schon dunkel ist und wir zu erschöpft sind. "Das Hotel darf euch nicht beherbergen. Im Ort weiter gibt es ein Touristenhotel, da müsst ihr hin."
Egal was ich mache oder welche Argumente ich bringe, es gibt kein Pardon. Geknickt gehe ich zu Lukas. Bei ihm ist mittlerweile die Wut durchgedrungen. Wir tragen die Taschen wieder nach unten und drängen die Polizisten dazu, für uns im Hotel anzurufen und ein Zimmer zu buchen, damit wir nicht ohne was da stehen.
Weitere 30 km stehen uns bevor. Die Polizisten bieten an uns ein Taxi zu rufen. Wir hadern. Es ist mittlerweile stockdunkel, wir sind erschöpft und ich dränge darauf. Also kommt kurz darauf ein Auto angefahren, natürlich viel zu klein für unsere Räder. So sehr sich der Fahrer auch bemüht, die Räder passen nicht. Das Auto der Polizisten dagegen ist großräumig und würde uns mit den Rädern gut fassen können. Wir deuten auf den Wagen, mehr aus Trotz als aus Hoffnung. Doch sie lachen nur und schütteln den Kopf.
Wir bepacken also nochmal unsere Räder. Lukas ist jetzt nur noch sauer, erschöpft sieht er nicht mehr aus. Mir dagegen fehlt jetzt jede Kraft. Als wäre die ganze Situation nicht schon schlimm genug macht einer der Polizisten auch noch Selfis mit uns. Das ist Lukas zu viel. Auch er nimmt sein Handy und beginnt Selfis zu machen, um ihm zu zeigen, wie unangebracht das ist. Das veranlasst ihn dazu, sein Handy wegzustecken und sich abzuwenden. Der andere Polizist muss bei der Szene nur lachen.
Wir fahren also durch die Dunkelheit. Lukas ist nun voller Energie. Ich völlig ermattet. Vielleicht ist es der Stress oder was Lukas unwohl gemacht hat holt mich ausgerechnet jetzt ein. Ich bekomme Bauchschmerzen.
Wir kommen um halb zwölf am Hotel an, können recht problemlos einchecken (vielleicht, weil sie schon über das Telefon mit der Polizei Kontakt hatten) gehen aufs Zimmer. Der Blick in den Spiegel verrät einiges über diesen Tag. Unsere Gesichter sind schwarz verußt und die Augen müde. Irgendwie versuchen wir aber doch noch gute Laune zu haben und legen uns hin.
Was für ein Tag! 110 km bei Gegenwind, Staub, Erschöpfung, mit zwei Stunden Polizeipause, Verfolgung, Ablehnung an zwei Hotels und einer Unsensibilität, wie ich sie persönlich noch nicht erlebt habe. Wie oft haben wir gesagt "Von jetzt an wird es besser!" Dass es noch so schlimm werden würde, hätten wir wirklich nicht gedacht.
Jetzt ist der Punkt gekommen: Wir wollen einfach nur noch aus dem Land raus!Read more