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  • Day 43

    In der ehemals reichsten Stadt der Welt

    February 13, 2020 in Bolivia ⋅ ☀️ 17 °C

    Zu Beginn des 17. Jahrhunderts zählte die bolivianische Stadt Potosí auf über 4’000 Metern über Meer zu den grössten Städten der Welt. Poto... was? Die Stadt hatte zu jener Zeit mehr Einwohner als etwa Madrid, Paris oder Rom. Und nicht nur das: Potosí galt als eine der reichsten Städte der Welt. «Vale un Potosí» ist noch heute eine gängige Redewendung, um zu sagen, dass etwas ein Vermögen wert ist. Zu verdanken hatte Potosí seinen Reichtum dem Silbervorkommen unter dem Cerro Rico, dem reichen Berg. Beweis des einstigen Reichtums sind die vielen stattlichen Bauten und die unzähligen Kirchen. Doch der frühere Glanz ist längst verblasst. Die Stadt schrumpfte zwischenzeitlich auf unter 16’000 Einwohner. Heute zählt sie gut 170’000 Bewohner. Nach 1800 konnte immer weniger Silber abgebaut werden. Fortan waren die Minenarbeiter auf der Suche nach Zinn. Auch heute ist die Stadt noch von den Zinn-, Kupfer- und Silbervorkommen abhängig. Und noch immer schuften täglich Hunderte junge Männer und gar Kinder in den Minen. Die Lebenserwartung der männlichen Bewohner von Potosí liegt gerade mal bei knapp 50 Jahren. Doch Alternativen um ihre Familien zu ernähren, haben die Männer kaum. Denn auf der Hochebene des Altiplano wächst wenig und andere Erwerbsquellen sind entsprechend rar. Schätzungen besagen, dass unter dem Cerro Rico, dem Hügel, der der Stadt einst Reichtum bescherte, seit dem 17. Jahrhundert mehrere Millionen Minenarbeiter ums Leben gekommen sind, darunter viele indigene Zwangsarbeiter.

    Auch heute noch werden die Minen für viele Arbeiter zur Todesfalle durch Unfälle oder längerfristig durch Staublungen. Zahlreiche Touristen besuchen in Potosí eine Minentour. Wir haben uns dagegen entschieden, da wir nicht Kindern bei der prekären Arbeit zusehen wollten und die Touren zudem nicht ungefährlich sind. Als Geschenke bringen die Touristen den Minenarbeitern Dynamit mit. Der hochexplosive Sprengstoff kann auf dem Mercado de los Mineros ohne Probleme gekauft werden.

    Potosí ist eine überraschend hübsche Stadt. Anders als viele bisher gesehenen Städte ist sie nicht blockweise aufgebaut, sondern verfügt über schöne enge Gassen. Es gibt viele Gebäude im Kolonialstil des 17. und 18. Jahrhunderts zu bewundern. Am Rand der Stadt sieht man dann vor allem aus Lehmziegeln gebaute Häuser. Auch der Blick vom Dach des Convento de San Francisco bietet eine fantastische Sicht auf den Ort und das wilde Treiben, das vor allem auch dem Carnaval geschuldet ist. Als wir in Potosí weilen, erreicht der gerade seinen Höhepunkt.

    Kurzer Blick zurück: Die Busfahrt von Uyuni nach Potosí dauerte rund vier Stunden, sodass wir die Stadt erst am Abend erreichen. Obwohl der Zustand des Busses nicht berauschend war und der Buschauffeur Sandalen trug, war die Fahrt überraschend angenehm. Wir kommen an vielen kleinen Dörfern mit einfachsten Häusern aus Stein mit Strohdächern vorbei. Immer wieder besteigen Verkäuferinnen den Bus und wollen uns ihre Waren, vor allem eine farbige Flüssigkeit in Plastiksäckchen, andrehen. Aber auch Fleisch und Nüsse werden feilgeboten. Über viele Kurven gewinnen wir an Höhe.

    Am Busbahnhof angekommen, ist Potosí zunächst eine Überforderung. Dutzende aufgemotzte Autos rauschen an uns vorbei. An jedem zweiten haftet irgendwo ein Taxiaufkleber. Unser Reiseführer in Buchform riet uns, aus Sicherheitsgründen nur Funktaxis zu benutzen. Wir müssen eine ganze Weile warten, bis wir ein solches finden. In Potosí gönnen wir uns nach der Uyuni-Tour ein etwas teureres Hotel und werden nicht enttäuscht. Das Santa Mónica hat einen schönen Innenhof voller Pflanzen und gemütliche Zimmer mit einer warmen und funktionierenden Dusche. Keine Selbstverständlichkeit, aber bei den kälteren Temperaturen in der Höhe umso schöner.

    Anderntags spüren wir die Höhe und beschliessen deshalb, den Tag ruhig anzugehen. Wir schlendern durch die Gassen und bemerken, dass da ziemlich Trubel ist. Bei der Casa De La Moneda, dem königlichen Schatzhaus, gibt eine Carnavalstruppe ein Ständchen zum Besten. In der Moneda wurden einst Münzen gepresst. Wir beobachten das Schauspiel, als plötzlich eine Tänzerin Simon aus der Menge pickt und er mit ihr um den Brunnen tanzen darf. Roseline erfreut sich am Schauspiel und hält es genüsslich filmisch fest, bis sie plötzlich selbst auserwählt wird. So tanzen wir mit den Potosianern ein paar Runden, müssen aber vor Ende des Stücks völlig aus der Puste forfait geben. Energie tanken wir in einem Salteñas-Schuppen. Für gerade mal 60 Rappen gibt es in dem rustikalen Lokal eine hiesige Cola und zwei kleine Empanadas.

    Doch zurück zur Fasnacht. Am Carnaval in Potosí darf vor allem ein Utensil nicht fehlen: Eine Spraydose. Fast jedes Kind läuft mit einer solchen Dose umher und fletzt den weissen Schaum anderen Kindern oder auch unbekannten, teils ungläubigen Touristen ins Gesicht. Aus dem Hinterhalt werden auch wir Opfer des weissen Schaums, der aber zum Glück keine Flecken hinterlässt. Die Potosianer scheinen ein festfreudiges Volk zu sein. Vielleicht lenkt der Carnaval auch etwas von den Gefahren der Mine und der schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler Bewohner ab.
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