Altes Lager

Einmal im Jahr fahren wir nach Berlin. Das hat mehrere Gründe. Zum einen knapp ein Dutzend netter Menschen, von denen immer einige grade in der Zeit nicht anwesend sind. Dann gibt es immer noch unbekannte Ecken, interessante Orte, und im Norden der Stadt ist die einzige Tierärztin in dieser Welt, zu der Hilde freiwillig in die Praxis geht. Zum Glück geht es nur um die jährlichen Impfungen und einen körperlichen Check, da Hilde ansonsten bislang gesund ist.

Im Süden der Stadt wohnt Dibby, die eigentlich Kerstin heißt, was mir meist entfallen ist, wenn wir uns nach einem Jahr wiedersehen. Anreise über die einsame B 246 an einem heißen Sonnensonntag. Es ist so windstill, dass der Planet uns in die Haut brennt, wenn wir kurze Spaziergänge machen und atemlos in den Bus einsteigen.

Abends trinken wir Wein im Garten, bis der erste Junikäfer vorbeitorkelt, dann geht das Gute Nacht ganz schnell, weil sich ein Schwarm um den blauen Bus herumtreibt. Mit Einbruch der Dunkelheit ist der Spuk vorbei.

Morgenspaziergang zusammen, dann Abschied. Dibby geht im Haus frühstücken, und wir fahren zum Friedhof, auf dem viele ältere Frauen sich treffen. Das Grab von Mutti oder dem Ehemann, die männliche Lebenserwartung scheint in dieser Gegend doch stark eingeschränkt zu sein.

Sie fahren mit ihren Rädern fast zum Grab, ein bisschen rechen, Blumen gießen, mit der Nachbarin schwatzen. Mir ist eingefallen, dass ich das nie gemacht habe. Das Grab meiner Eltern hat die Nachbarin gepflegt, meine Kinder haben die Großeltern nicht gekannt. Ich bin manchmal dorthin gefahren - auf der Durchreise - um mich zu erinnern, weil es niemanden mehr gab, mit dem ich über meine Kindheit, über meine Eltern reden konnte. Das prägt.

Heute frühstücken wir hier und schauen ein bisschen den Menschen zu.Read more