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  • Day 86

    750km durch Nebraska zu den Black Keys

    August 27, 2023 in the United States ⋅ 🌙 23 °C

    Vom Norden Colorados fahren wir nun gen Osten. Unser Ziel ist das 750km entfernte Lincoln, die Hauptstadt Nebraskas. Am Sonntag spielen die Black Keys. Nebraska gehört zu den so genannten Flyover States: Hier fliegt man für gewöhnlich nur drüber um von der einen zu anderen Küste zu kommen. Aber wir fahren selbstverständlich, wir sind ja schließlich auf nem Roadtrip. Viel passiert dann auch wirklich nicht auf der Fahrt: Noch in Colorado geht es los, dass links und rechts des Highways Farm an Farm grenzt. Rinderfarm, Schweinezucht, Maisfeld, Weizen, Gemüse, Weideflächen. Dazu immer ein mehr oder weniger runtergekommenes Gehöft samt Silo und ein paar Landmaschinen davor. Kaum überfahren wir die Grenze nach Nebraska verschwinden die Gehöfte, nun gibt es nur noch unendlich weite Felder. Der Highway geht fast schon gnadenlos geradeaus über leicht gewelltes Land. Auflockernd wirken die zarten, im Ansatz angedeuteten Kurven. Alle 25 Kilometer durchfahren wir eine kleine Siedlung, viele von ihnen bestehen aus nicht mehr als einer Tankstelle, einem Bretterverschlag der als Kirche dient und zehn Häusern. Es gibt fast keinen Verkehr. Wir hören die ganze Zeit Musik oder Hörspiele. So spulen wir die Kilometer Stunde um Stunde runter und empfinden die Tour durchs flache Land als willkommene Abwechslung zu den Bergen der letzten Wochen. Abends kommen wir auf unserem heutigen Campground an, der ganz stilecht mitten im einem Maisfeld gelegen ist. Man könnte sagen “in the middle of Nowhere”. Bei lautem Grillengezirpe und Mac‘n Cheese lassen wir den Abends ausklinken.

    Am nächsten Morgen - es ist Sonntag - geht es weiter: Noch 1,5 Stunden bis Lincoln, das heißt weitere 1,5 Stunden Farmen und Felder. Schon von weitem ist Lincolns alles überragendes, dystopisch anmutendes ‚Nebraska State Capitol’ mit seiner goldenen Kuppel zu sehen. Von der Stadt selbst sehen wir nicht viel, sie ist aber auch nicht wirklich bekannt für ihre architektonische Schönheit und ihren Charme. Unser Campground - Ausgangspunkt für das Black Keys Konzert heute Abend - liegt direkt an einem Autobahnkreuz. Der unablässig rauschende Verkehr wird glücklicherweise durch den brachialen Sound der Düsenjets der angrenzenden Flugshow überdeckt. Uns bringt zum Glück nichts aus der Ruhe. Wir springen in den Pool und spielen dann eine gediegene Runde Schach vor der Rezeption (diese klassischen Schachspiele im Freibad, wo das Spielfeld auf den Boden gemalt ist und man die großen, schweren Figuren nur durch beherztes Zupacken setzen kann). Beim Abendbrot gibts für mich (Rico) das erste Bier, Johannes bleibt trocken weil er der Fahrer ist.

    Das Konzert findet im Pinewood Bowl Theater statt. Die gemütliche Bühne mitten im Wald fasst etwa 5500 Besucher. Auf dem Parkplatz - einem Feld vor der Location - herrscht ausgelassene Stimmung: in den Kofferräumen sitzen Leute und zischen ein Bier, lässige Dudes tragen noch lässigere Sonnenbrillen, man sieht lange Bärte und Jeansjacken mit Aufnähern. Entspannte Leute in entspannter Atmosphäre.

    Am Einlass prüft der Security Johannes Bauchtasche. “It is too big”, er faltet ein Blatt Papier ziemlich genau auf die Größe der Bauchtasche, “that’s the maximum allowed size”, raunt er uns an. Finden wir komplett albern, und versuchen es daher an einem anderen Eingang nochmal. Hier mit Erfolg, denn ohne mit der Wimper zu zucken werden wir durchgewunken. Geht doch!

    Drinnen herrscht schon reges Treiben. Wie erwartet ist das Pinewood Bowl Theater komplett bestuhlt. Kaltes Dosenbier gibts für schlappe 10 Dollar. Also noch kurz Bier shoppen - hilft ja nix - und dann gehen wir zu unseren Plätzen. Alle um uns herum sitzen brav auf ihren Klappstühlen. Eine Truppe Mitt-50iger Frauen hinter uns quatscht uns an und will sicherstellen dass wir beim Konzert ordentlich abgehen werden. “For sure!”, versichern wir ihnen. Die Vorband beginnt zu spielen, die Leute stehen nach Aufforderung der Sängerin auf und wippen leicht zum krachigen Sound der Frauencombo. Das zweite Bier (für Rico) gibts während wir eine Runde drehen. An den Dixies steht eine lange Schlange wartender, auch am Merchandising ist einiges los. Als es langsam dunkel wird, kommen die Keys auf die Bühne und eröffnen mit “I got mine” das Konzert. Die Menge steht vom ersten Riff an, im Hintergrund läuft eine farbenprächtige Visualisierung, der Sound ist durchdringend. Es folgen Songs wie “Ever lasting Night“, „Next girl“ oder „She’s long gone“. Es sind die typischen Black Keys Songs in ihrem unverwechselbaren Stil. Man kennt sie alle, jeder Song groovt und hat diesen gewissen Blues. Song 17 und 18 sind die Zugabe: “Little black submarines”, gespielt von Dan Auerbach auf der Konzertgitarre - jeder der den Song kennt weiß wie der im letzten Drittel eskaliert - und natürlich “Lonely boy”. Und doch fehlt da was. Irgendwas stimmt hier nicht: Zum einen sind da die Klappstühle. Wenn du die ganze Zeit so einen in den Kniekehlen hast und dadurch zusätzlich auch noch einen Meter Abstand zu den Leuten hinter dir und vor dir, dann kommt einfach keine wahnsinns Stimmung auf. Man ist gehemmt. Und dann verlassen ab der zweiten Konzerthälfte kontinuierlich Besucher das Konzert, vermutlich aus Angst vor dem Verkehrschaos nach dem Konzert, inklusive der Frauentruppe hinter uns, die sich zuvor noch nach unserer Partywilligkeit erkundigt hat. Außerdem fiel die Interaktion der Band mit dem Publikum äußerst dürftig aus: Bis auf ein “Hi, we’re the Black Keys” kam da nicht viel. Keine Songansagen, keine Anekdoten, irgendwie ernüchternd.

    Nach dem Konzert ging es zurück zu unserem Campground am Autobahnkreuz, das erwartete Verkehrschaos hielt sich komplett in Grenzen. Es war cool die Black Keys endlich mal live gesehen zu haben (nachdem ich - Rico - sie das erste Mal 2011 intensiv in Lübeck beim Rennrad fahren gehört habe). In Europa fetzen Rockkonzerte einfach mehr, da wird Livemusik vom Veranstalter und vom Publikum anders gelebt, da haben die Bands mehr Bock, so ist zumindest unser Eindruck. Wir hatten trotzdem einen geilen Abend und können Nebraska zufrieden am nächsten Tag verlassen. Den ursprünglichen Plan, durch weitere Flyover States wie Kansas oder Missouri zu fahren, verwerfen wir kurzer Hand und beschließen, lieber einen Abstecher in den Norden zu machen. Nach Chicago - The Windy City - die Stadt am Lake Michigan! (R)
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