Satellite
  • Day 16

    Mizzy Lake Trail

    July 15, 2019 in Canada ⋅ ⛅ 15 °C

    4:00 Uhr morgens, eine Stunde und 42 Minuten vor Sonnenaufgang. Was auch immer uns dazu geritten hat: Wir stehen im Urlaub zu dieser unmöglichen Zeit so langsam auf. Weil wir früh los wollen, verzichten wir sogar auf den Kaffee, schieben uns jeweils ein Brot rein, packen Proviant, Kamera und Mückenspray ein und machen uns auf den Weg in den Park. Um 4:42 Uhr sitzen wir im Auto. Die Sonne ist zwar noch deutlich unter dem Horizont, aber obwohl der Mond gerade untergegangen ist, ist es nicht mehr ganz dunkel. Außer ein paar Grunzern auf die üblichen Fragen, ob wir auch an alles gedacht haben, bekommen wir auf der Fahrt nicht viel raus.
    Um viertel nach fünf erreichen wir den Parkplatz und sind traurigerweise nicht das einzige Auto: Neben uns steht ein Fahrzeug der Parkwache, die bis heute damit beschäftig war, zwei 16-jährige Mädchen, die am Donnerstag auf einem Campingtrip verloren gegangen sind, zu suchen. Vorab: Die beiden sind wohl auf! Sie wurden heute kurz vor Mittag gefunden. Das wissen wir zu dem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Dem Ort, an dem sie zum letzten Mal gesehen worden waren, sollen wir uns auf dem Trail bis 5km nähern, weswegen wir auch sehr häufig die Suchflugzeuge und -hubschrauber gehört haben. Das gibt uns ein ziemlich mulmiges Gefühl. Aber hey: Ende gut, alles gut!
    Wir machen uns also auf den Weg und stehen sofort im dichten Wald und es ist stockduster. Zum Glück hab ich meine Taschenlampe dabei und plötzlich sind wir froh darüber, dass die blauen Wegmarkierungen an den Bäumen reflektieren.
    Mit dem Wunsch, heute einen Elch von - relativ - nah oder einen Bären von fern zu sehen, geht es weiter, auch wenn wir uns natürlich bewusst sind, dass beides sehr unwahrscheinlich ist.
    Wir kommen nach einer halben Stunde am ersten See auf der Wanderung an und bemerken, dass wir etwas nicht auf dem Schirm hatten, was das frühe Aufstehen noch mit sich bringt: Auf dem Wasser liegt noch dicht der Nebel der Nacht, der jetzt ganz langsam von der gerade aufgegangenen Sonne vertrieben wird. Ein zauberhaftes Bild, das wir jedoch nicht lange genießen können: Geschätzt 20 Meter von uns entfernt, verdeckt von Dickicht und Bäumen, hören wir schwere, stampfende Tritte. Ich leuchte mit der Taschenlampe in die Richtung, kann jedoch nichts entdecken. Wir sind uns nicht ganz sicher, wie groß das Tier, was sich dort bewegt, wohl sein mag und verhalten uns kurz ruhig. Da wieder: Schritte, die sich uns gefühlt nähern. Egal, was es sein mag - Hirsch, Elch, Schwarzbär - *so* nah und vor allem unvorbereitet wollten wir der Wildnis nicht begegnen, auch wenn wir genau für diese Tiere ja so früh aufgestanden waren. Also denken wir schnell zurück an die Tipps, die hier überall aushängen oder -liegen und machen ein bisschen Lärm. Wir fragen laut, wie es dem Bären oder dem Elch geht und plappern allerlei Sachen. Nach ein paar Minuten sind wir uns sicher, das Tier vertrieben zu haben, was im Nachhinein ein bisschen schade ist, denn es sollte unsere einzige Möglichkeit bleiben, einen so großen Waldbewohner zu sehen.
    Was wir allerdings sehr häufig entdecken, sind die Spuren, die die Tiere hinterlassen: Während dieser ganzen Episode stehen wir auf einem immensen Biberbau, der den See aufgestaut hat und auf dem matschigen Weg sehen wir immer wieder unverkennbar die Hufabdrücke von Elchen (immerhin etwas!).
    Wir gehen also weiter, kommen am zweiten großen See entlang und können von der nebligen und trotzdem farbenfrohen Szenerie gar nicht genug bekommen. Der Höhepunkt der Ruhe, die dieser Morgen ausstrahlt, ist wohl eine kleine Entenfamilie, die im Halbdunkel unter einem Nadelbaum ihr morgendliches Bad nimmt und sich von uns auch ü ja noch recht früh und daher kalt. Ich trage deswegen drei Lagen am Oberkörper, von denen die oberste ein Kapuzenpulli ist, dessen Kapuze auch nötig ist, um die Plagegeister davon abzuberhaupt nicht stören lässt.
    Nach eineinhalb Stunden gelangen wir zu einem alten Gleisbett, was uns geradewegs zu dem See bringt, an dem man wohl die größten Chancen hat, einen Elch in der Ferne zu sehen. In dieser Hoffnung bleiben wir dort über eine halbe Stunde und trotzen den Mücken, die hier so schlimm sind, wie noch bei keinem anderen Trail. Es isthalten, einen bei lebendigem Leib zu verspeisen. Ich habe kein Moskitoshampoo gefunden, sonst hätte ich das wohl benutzt. Meine Handrücken habe ich mit DEET behandelt. Die Seitenflächen jedoch nicht und diese finden die Moskitos auch mit erstaunlicher Präzision.
    Wir haken es ab, noch Elche zu sehen und gehen weiter. Eine Belohnung für die Mückentortur gibt es aber noch: In einem kleinen See sehen wir ein paar Minuten vier Ottern beim Spielen - oder Kämpfen? - zu.
    Zwei Stunden und damit leider die schöne Hälfte des Trails sind vergangen. Der Rest des Weges ist der Versuch, möglichst ungeschoren davon zu kommen. In einem Blog hatte ich gelesen, dass jemand geschrieben hatte: "The only way to stay sane is to keep hiking" und jetzt verstehe ich den Autor dieses Satzes auch. Sobald man stehen bleibt, setzen sich gleich mehrere Viecher auf alle möglichen Körperteile. Als ich mir einmal fest auf die Wange klatsche, habe ich danach die Hand blutig. Wessen Blut ich da aus der Mücke gequetscht habe, werde ich wohl nicht erfahren. Im besten Fall meins.
    Die restlichen fünf Kilometer des 10,5km langen Trecks verbringen wir fast rennend. Die anderen Trails hatten immer wieder eine kleine Belohnung nach einer Strapaze: Eine tolle Aussicht über die Landschaft oder einen ungewöhnlichen Flecken Natur. Der Mizzy Lake Trail hatte nur Insekten für uns und leider sahen die späteren Seen auch lange nicht so toll aus wie ihre Vorgänger im Nebel.
    Sechs Stunden veranschlagen die Parkführer für diese Wanderung. Nach etwas mehr als vier kommen wir auf dem Parkplatz an, klitschnass geschwitzt und komplett ausgelaugt. Um kurz vor zehn sind wir wieder in der Unterkunft, den ganzen Tag noch vor uns, aber wir wollen eigentlich nur noch duschen und schlafen.

    Ich bin trotzdem froh, dass wir den Mizzy Lake gemacht haben. Die Eindrücke der ersten zwei Stunden waren wunderschön. Das Opfer, durch die Mückenschwärme waten zu müssen, habe ich gerne gebracht. Nichtsdestotrotz würde ich bei meinem nächsten Trip hierher die Mückensaison in meine Planung einfließen lassen.

    Bild 1: Hier stehen wir ganz am Anfang auf dem Biberdamm. Links im Wald waren die Geräusche.
    Bild 2: Nebel.
    Bild 3: Mehr Nebel mit Sonne
    Bild 4: Spiegelungen im Nebel
    Bild 5: Die Sonne ist aufgegangen über dem West Rose Lake
    Bild 6: Zwei der vier spielenden Otter
    Read more