• Monte Gristow - ein Dorf wie damals

    June 8 in Germany ⋅ 🌩️ 17 °C

    Gristow. Ein Ort, der klingt wie das Gegenteil von Aufbruch. Ein Name, als würde man beim Aussprechen schon langsamer werden. Ich hatte für die ganze Woche dort gebucht – im Landidyll Monte Gristow, einem Wortspiel, das versucht, mediterranen Schwung in mecklenburgische Weite zu bringen. Vergeblich, aber liebenswert.

    Ich kannte die Anlage schon, hatte mit meiner Mutter hier Ostern verbracht. Zehn Bungalows, ein kleines Hostel, irgendwo zwischen Experiment und Abenteuer. Die Betreiber – ein Ehepaar, beide in Gristow geboren – waren früher die Seele des Dorfladens, der an der sogenannten "Hauptstraße" lag, einem Feldweg mit Straßenlaterne. Jetzt hatten sie das Gelände auf 15 Jahre gepachtet. Ohne jede Erfahrung in Gastronomie oder Hotellerie. Man merkte das. Keine Struktur, keine Abläufe. Aber Herz. Irgendwo dazwischen jedenfalls.

    Er, der Mann, führte jetzt den neuen Dorfladen und das Café. Sie, die Frau, kümmerte sich allein um die Bungalows und das Hostel. Als ich ihn bei meinem ersten Besuch fragte, wie das alles zu schaffen sei, hielt er mir einen halbstündigen Monolog über den Zustand der Nation. Von Inflation über Energiepolitik bis hin zu dunklen Andeutungen, dass sich alles wiederhole. 1933 sei gar nicht so weit weg, sagte er. Ich fragte ihn, halb im Spaß, ob wir dann in fünf Jahren wieder Krieg hätten.

    Er legte den Kopf schräg, Hand ans Kinn, Denkerpose. „So genau kann man das nicht sagen. Aber ja… so ungefähr.“
    Ich nickte nur noch ungläubig und schaute, dass ich den Bungalow finde.

    Wir zahlten den Restbetrag für die Unterkunft. Wir wurden vom "Grafen von Monte Gristow" - so nannten wir ab sofort den Mann, darauf hingewiesen, dass es jetzt eine neue DDR-Ausstellung im Keller des Hostels gibt. „Ist ganz frisch aufgebaut“, sagte er. Ich nickte. Innerlich machte ich mir eine Notiz: Das schauen wir uns genauer an.

    Später. Erstmal ankommen.

    Der WLAN-Router und der Fernseher sollten später gebracht werden – sie hätten nur zwei Geräte für zehn Bungalows. Man müsse eben teilen, sagte er. Sozialismus 2.0.

    Zuerst wollten wir aber ins Dorfzentrum. Am Hafen essen. Auf dem Weg kamen wir an der Kirche vorbei, wo gerade eine kleine Kunstausstellung stattfand. Die Kirche selbst sah aus wie aus einem Film über das Jahr 1905. Fachwerk, Reetdach, rissige Fensterrahmen. Daneben: ein Kuchenbuffet auf Tischen mit karierten Decken. Gegen Spende. Margriet war begeistert, aber ich hatte einen Tisch bei „De Fischer un sin Fru“ reserviert.

    Die Gaststätte liegt direkt am Bodden, betrieben von einem Fischerpaar, das jeden Morgen rausfährt, bevor das Dorf überhaupt die Augen aufmacht. Der Fisch kam frisch aus dem Wasser in die Räucherkammer, auf den Teller oder zum Verkauf am Stand nebenan. So einfach kann Gastronomie sein.

    Drinnen war es urig und wir wurden herzlich empfangen - klein, aber fein. Es gab nur 5 Tische. Wir bestellten Matjes mit Apfel-Sahnesoße und Kartoffeln – ein Klassiker aus meiner Kindheit. Margriet war erstaunt.
    „In Holland essen wir Matjes nur mit Zwiebeln. Keine Soße, kein Apfel. Nichts.“

    Ich war überrascht. „Aber das hier ist doch das Beste! Das ist… Heimat auf dem Teller.“
    Ich schwärmte ihr vom Rote-Bete-Heringssalat meiner Oma vor, ein ostdeutsches Kunstwerk in Rosa. Margriet hörte zu, mit echtem Interesse. Margriet hörte zu und lachte. „Ihr Deutschen habt so viele Arten, Fisch zu essen, wie wir Namen für Regen haben.“

    Sie hatte recht.

    Nach dem Essen gingen wir noch einmal kurz zum Wasser. Der Bodden lag still, ein paar Möwen kreischten. Der Wind war weich. Der Regen verzogen. Es war ein Ort, der nichts wollte. Kein Fortschritt, kein Tempo. Einfach nur sein.

    Wir entschieden noch spontan nach Lubmin an den Strand zu fahren. Ich hatte Lust auf Weite. Aber der Wind war gnadenlos. Binnen zehn Minuten waren wir komplett durchgepustet. Sand in den Haaren, Gischt im Gesicht, Möwen quer im Flug. Nach einer halben Stunde kapitulierten wir. Der Strand gehörte dem Sturm - Bilder folgen...

    Zurück in Gristow gingen wir früh ins Bett. Am nächsten Morgen wollten wir früh los – Frühstück in Milow, dann aufs Wasser. Aber in meinem Kopf begann sich etwas zu regen: Eine Neugier auf den Keller des Hotels. Auf die kleine DDR, die dort wieder auferstanden war...
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