• Das Rätsel der Riesenschaukel

    March 2 in Thailand ⋅ 🌙 28 °C

    Strolcht man erkundend durch das heutige Bangkok, dann fällt dem aufmerksamen Betrachter in der Nähe des Chinesenviertels ein großes rot angestrichenes Holzgerüst auf dem Platz vor dem Wat Suthat unterhalb des Wat Saket (Golden Mountain) auf. Das ist die Große Schaukel, die Giant Swing, die heute etwas verlassen und eigentlich funktionslos in der Gegend herumsteht. Der interessierte Zeitgenosse fragt sich nun, was es mit dieser Konstruktion für eine Bewandnis habe. Steigen wir dazu etwas in die Vorgeschichte ein!

    Seit alten Zeiten existierte offenbar bereits eine brahmanische Schaukelzeremonie in der Thai-Kultur. Dieses wichtige Ritual des Tri Yampawai Tripawai, im Volksmund bekannt als Lo Jin Ja (die Schaukel anschieben), war eine der interessantesten der siamesischen Staatszeremonien. Keiner der europäischen Schriftsteller des 17. Jahrhunderts erwähnt allerdings dieses Ritual, mit Ausnahme des Jeremias van Vliet. Jeremias van Vliet (in Thailand auch: „Wan Walit“, *1602 in Schiedam, Holland; † Februar 1663 ebenda) war ein Kaufmann und Faktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC).

    Der Faktor ist der Leiter einer sogenannten Faktorei. Eine Faktorei (französisch factorerie oder factorie, englisch factory, spanisch factoría, portugiesisch feitoria, italienisch fattoria, niederländisch factorij) war im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die Niederlassung eines Handelshauses oder einer Handelskompanie in anderen Handelszentren. In seiner Eigenschaft als Faktor des VOC-Handelskontors in Ayutthaya, der damaligen Hauptstadt des siamesischen Königreiches, war van Vliet ein bedeutender westlicher Chronist der Geschichte Siams bis 1642.

    Obwohl Jeremias van Vliet 1640 in seiner „Kurzen Geschichte der Könige von Siam“ schrieb, dass die erste Schaukel während der Herrschaft von König Ramathibodi II. (reg. 1491-1529) von zwei Brahmanenpriestern nach Ayutthaya gebracht wurde, war die königliche Zeremonie wahrscheinlich bereits seit der Sukhothai-Zeit bekannt, also bereits lange, bevor der Sitz der Hauptstadt nach Ayutthaya verlegt wurde. Das Ritual wurde noch während der Ratanakosin-Ära bis in die 1930er Jahre durchgeführt.

    Van Vliet führt zur Entstehung des Brauchs weiter aus:
    „Der König von Ramaradt (Benares/Indien?) sandte daher zwei gelehrte Brahmanenpriester mit einem Brief in freundlichem Ton an den König von Siam, in dem er Seine Majestät bat, alles Vorangegangene zu vergessen und ihn als Bruder anzunehmen. Er wies die Brahmanen auch an, das Spiel Schoppen oder Schongelen in Siam bekannt zu machen und dort einzuführen. Der siamesische König akzeptierte die Brahmanen, den Brief und den angebotenen Frieden und sandte einen Antwortbrief, in dem er eine Freundschaft zwischen beiden Königen begründete, die bis heute aufrechterhalten und alle zwei bis drei Jahre durch in Gold eingravierte Briefe erneuert wird. Seitdem sind verschiedene Brahmanen aus vielen Orten, insbesondere aus Ramaradt, nach Siam gekommen und werden weiterhin von den Königen, Prinzen, der königlichen Familie und der Gemeinde hoch geschätzt. Zu dieser Zeit kamen die maurischen Händler von der Koromandelküste mit ihren Stoffen, was bis heute so üblich ist. Schoppen oder Schongelen gibt es auch heute noch, weil es dafür spezielle Plätze gibt. Es gibt jedes Jahr besondere Festtage, die sich über lange Zeit von einem Tag zum nächsten hinziehen."

    Der britische Thailandexperte Horace Geoffrey Quaritch Wales (1900-1981) kam zu dem Schluß, daß das Schaukeln ursprünglich eine Sonnenzeremonie war. Er erklärte, daß in Indien zwei ähnliche Zeremonien bekannt seien und beide solaren Ursprungs seien. Seine Behauptung, daß das siamesische „Lo Jin Ja“ ursprünglich eine Sonnenzeremonie darstellte, basiert auf den folgenden Tatsachen:
    1.) Das „Schwingen“ fand etwa zur Zeit der Wintersonnenwende statt. Es wurde von Ost nach West in Richtung des Laufs der Sonne durchgeführt.
    2.) Die Schaukelpfosten waren zur Querachse des Platzes, in dessen Mitte sie sich befanden, ausgerichtet, so daß das Schwingen genau von Ost nach West erfolgte.
    3.) Und schließlich symbolisierten die Kreistänze, die dem Schwingen folgten, wahrscheinlich die Umdrehung der Sonne und ihre Wiedergeburt anlässlich ihrer Rückkehr in die nördliche Hemisphäre.

    Die Zeremonie war ursprünglich ein Ritual der nachahmenden Magie, das den alten Hindu-Sonnengott Surya an die Erfüllung seiner Aufgaben erinnern sollte. Es war die Hin- und Herbewegung der Schaukel, die den Lauf der Sonne symbolisierte. Quaritch Wales schrieb: „Die auffälligste und vielleicht früheste Änderung, die in der späteren Geschichte dieser Zeremonie stattfand, war die Ersetzung des Sonnengottes Surya durch Shiva ... Surya war ein vedischer Gott, der in brahmanischen Zeiten auf einen vergleichsweise niedrigen Stand herabsank, und mit dem Aufkommen des Shivaismus ging die ursprüngliche Bedeutung der Zeremonie verloren, und der Große Gott (Shiva) nahm den Platz des vergessenen Sonnengottes ein."

    Das Ritual wurde also dann durchgeführt, um Shiva zu huldigen und an den jährlichen Besuch des Gottes auf der Erde zu erinnern. Einmal im Jahr steigt nämlich der Gott herab, um diese Welt zu besuchen, und bleibt zehn Tage hier. Er kam normalerweise am siebten Tag des zunehmenden Mondes im ersten Mond-Monat an und reiste am ersten Tag des abnehmenden Mondes ab. Daher wurde das Schaukelfest im ersten Mondmonat durchgeführt, wurde später jedoch in der Ratanakosin-Zeit auf den zweiten Mond-Monat verlegt.

    Das Schwingen wurde möglicherweise als Symbol für die Funktionen Shivas als Zerstörer und Reproduzent umgedeutet, und so hätte es seine magische Bedeutung behalten, obwohl es nun als eines der vielen hinduistischen Erntefeste stärker mit der Landwirtschaft in Verbindung gebracht wird.

    Nach siamesischer Auffassung ist Shiva ein fröhlicher Gott, der gern unterhalten wird; daher waren das Schwingen und die akrobatischen Kunststücke, die die zur Zeremonie gehörende Prozession begleiteten, zu seiner Zerstreuung gedacht. Die Verbindung zwischen Schwingen und Ernte entstand wahrscheinlich schon vor der Einführung des Rituals in Siam, und es war hier wahrscheinlich nie eine reine Sonnen- Zeremonie.

    Während der Ayutthaya-Zeit blieb der König anläßlich der Schaukelzeremonie in seinem Palast und bestimmte, daß der amtierende Landwirtschaftsminister den Gott Shiva zu verkörpern hatte. Während der drei Tage, die das Fest dauerte, hatte dieser Adlige fast unbegrenzte Macht und Rechte über bestimmte Staatseinnahmen. Er war in der Tat ein „zeitweiliger König“ oder „zeitweiliger Gott“, wobei die beiden Begriffe in Siam fast synonym sind. Die Tatsache, daß die Rolle des Shiva vom Landwirtschaftsminister übernommen wurde, deutet auf einen Zusammenhang mit einem Erntedankfest hin. Das Schaukel-Fest wurde so gelegt, dass es mit dem Neujahrsfest der Brahmanen zusammenfiel.

    In der alten siamesischen Hauptstadt Ayutthaya existierte seinerzeit das Wat Sao Ching Cha - der Tempel des Schaukelpfostens – der längst verschwunden ist. Er befand sich in einem Gebiet, wo sich die Brahmanen der Stadt niedergelassen hatten. Der Standort ist deshalb wahrscheinlich ein Brahmanentempel gewesen. Einer Karte aus dem 19. Jahrhundert zufolge befand sich das Kloster am Ostufer des Khlong Pratu Jin und teilweise entlang der Straße, die die Franzosen seinerzeit „Rue des Maures“ oder „Moor Street“ nannten. Historische Daten zum Kloster und seinem Bau sind nicht überliefert.

    Die aktuelle Bangkoker Riesenschaukel wurde 1784 auf Befehl von König Rama I. vor dem Brahmanentempel Thewasathan Bot Phram ( „Der Aufenthalt der Götter' oder Brahmanenbüro des thailändischen Königshofs) errichtet und 1920 nach Renovierung auf ihren heutigen Standplatz vor dem Wat Suthat versetzt.

    "... Brahmane Naliwan, genannt Phra Khru Phram Sittichai (Kratay), aus der Provinz Sukhothai, berichtete Seiner Majestät König Rama I, dass die Triyampawai-Zeremonie, eine alte Brahmanentradition, eine Schaukel erfordert. Seine Majestät ordnete daher am Mittwoch, dem 4. abnehmenden Mond des 5. Monats, im Jahr des Pferdes 2327 (1784 n. Chr.), den Bau einer Schaukel vor dem Tempel an. Später wurde an der ursprünglichen Stelle der Schaukel ein Lagergebäude für Kerosin errichtet, wodurch das Gerüst von seinem ursprünglichen Standort an seinen heutigen Standort vor dem Wat Suthat verlegt werden mußte...“

    "... Während der Herrschaft von König Rama V. war das Gebiet um die Riesenschaukel herum zugewuchert. König Chulalongkorn ordnete daher Verbesserungen in der Gegend an, indem er das Gerüst abriß und dort einen Markt baute. Während des Ministertreffens besprach Seine Majestät Folgendes: Wohin sollte die Schaukel nach der Demontage gebracht werden oder sollte die Triyampawai- oder Loh Ching Cha-Zeremonie eingestellt werden? Wenn es für angemessen erachtet würde, sie einzustellen, wäre es nicht nötig, eine weitere Schaukel zu bauen.
    Die Mehrheit der Minister stimmte zu, dass sie nicht eingestellt werden sollte, da es sich um eine uralte Tradition handele. Daher ordnete Seine Majestät den Bau eines neuen Gerüstes an. Diese neue Schaukel befand sich in kurzer Entfernung von der alten, wo sie sich heute befindet. Für die diesmal gebaute Schaukel wurde Holz der Louis T. Leonowens Company verwendet. Das Unternehmen bot zwei große und sehr lange Teakholzstämme zum Bau an."

    Einschub:
    Die Firma Louis T. Leonowens (LTL) besteht bis heute und geht auf den Sohn von Anna Leonowens zurück, der 1862 siebenjährig mit seiner Mutter nach Thailand kam, als sie von König Mongkout als Erzieherin an den königlichen Hof berufen wurde (vgl. "Anna und der König von Siam", "The King and I"). Louis wurde zusammen mit den Kindern des Königs erzogen. Er kehrte nach einigen Jahren in Europa 1881 nach Siam zurück und diente als Hauptmann in der Kavallerie König Chulalongkorns. Anschließend arbeitete er im Teakholzgeschäft für die Borneo Company im Lande und gründete 1905 schließlich die Firma unter seinem Namen. Die Firma LTL besaß Teakholzkonzessionen und vertrat innerhalb eines bunten Portfolios darüber hinaus internationale Zementfimen, Whiskybrennereien, Champagnerkellereien, Schreibmaschinenhersteller und auch Versicherungen. 1913 kehrte er nach Großbritannien zurück und verstarb dort 1919.

    Während des Schaukelns versuchten jüngere Brahmanen einen Sack mit Münzen zu erhaschen, der erreichbar auf einem Pfeiler in der Nähe des Gerüstes plaziert worden war. Hierbei kam es öfter zu tödlichen Stürzen.

    Die nächsten Renovierungsarbeiten fanden dann 1959 statt. Nach weiteren 45 Jahren fortgesetzter Witterungseinflüsse zeigten die Holzpfeiler Anzeichen schwerer Schäden. Im April 2005 begann eine umfassende Sanierung der Konstruktion. Dabei kamen sechs Teakholzstämme zum Einsatz. Die beiden Hauptpfosten der Schaukel haben einen Umfang von über 3,5 m und eine Höhe von über 30 m. Die restlichen vier Pfosten dienen der Stabilisierung und haben einen Umfang von 2,30 Metern und eine Höhe von 10 Metern. Die wiederaufgebaute Schaukel wurde im September 2007 im Rahmen einer feierlichen Zeremonien unter der Leitung von König Bhumipol Adunjadet eingeweiht. Das Holz der ursprünglichen Schaukel wird im Bangkoker Nationalmuseum aufbewahrt.

    Im Jahr 2005 wurde die Riesenschaukel zusammen mit dem Wat Suthat zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste der UNESCO vorgeschlagen.

    Man praktizierte den aktiven Schaukel-Ritus noch bis zum Jahr 1935 regelmäßig, bis er dann eingestellt wurde. Quaritch Wales schrieb bereits 1930, dass ihm von „hoher Stelle“ mitgeteilt worden sei, dass man die Frage der Abschaffung im Obersten Staatsrat geprüft habe. Man stellte fest, dass es seinerzeit wenig Interesse am „Swingen“ gab, da es den modernen Siamesen absolut nichts mehr bedeute.
    Andere Quellen sprechen wenn es um die Abschaffung geht von wirtschaftlichen Gründen oder den vielen tödlichen Unfällen, die das wilde Schaukeln forderte.

    Quellen: https://www.ayutthaya-history.com/ & Wikipedia
    Read more