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  • Day 12

    Gastfreundschaft statt Ungeheuer

    August 5, 2023 in Scotland ⋅ 🌧 13 °C

    Nach einem gemütlichen Start in den Tag (diesmal mit einer warmen Morgendusche) stehen heute noch zwei Programmpunkte auf dem Plan, bevor wir dann schon mal in Richtung Süden Schottlands fahren wollen.

    Christel und ich mögen zwar beide keinen Whisky 🥃, doch da es auf der Isle of Skye eine der berühmtesten Destillerien überhaupt gibt, ist ein Besuch dort quasi gefühlt Pflicht.

    Es handelt sich um die Talisker Distillery.

    Der Whisky-Liebhaber weiß es vielleicht schon: Der weltbekannte Whisky Storm wird hier hergestellt. Und auch andere Talisker-Whiskeys wurden bereits preisgekrönt …

    Der Besuch dort im Shop war ganz nett, doch eine Führung (für 20 GBP pro Person) haben wir uns gespart und hätten wir offensichtlich auch schon lange im Voraus buchen müssen.

    Dem schon sehr alten Unternehmen (gegründet 1830) scheint es blendend zu gehen. Zumindest macht der Verkaufsraum (und selbst die Toiletten mit eigenem Wachbecken pro Toilette) ganz den Anschein.

    Doch Moment:

    Man kommt zu der Distillery nur mit dem Auto. Und das über extrem schmale Straßen mit vielen Unebenheiten.

    Da frag ich mich schon, wieviele der Autofahrer, die einem von dort entgegenkommen (es gibt einen großen Besucherparkplatz), schon einen im Kahn haben. 😂

    Für uns wurde es eine kurze nette Stippvisite.

    Jetzt wollen wir wieder runter von der Isle of Skye - Unser Zwischenziel: Das Glennfinnan Viaduct bei Fort William.

    Doch schon seit gestern höre ich irgendwie immer wieder ein schwaches aber komisches Geräusch vom Auto.

    Und jetzt, nach einer weiteren Strecke auf unebener Straße wird es plötzlich richtig schlimm.

    Bitte nicht schon wieder!

    Doch es ist eindeutig. Jedes Mal, wenn ich bremse, gibt es hinten rechts ein lautes extrem ungutes Geräusch! Es ist eine Art Rattern und krchhhh … und seit gerade eben auch ziemlich laut!

    Der Blick unters Auto konnte mir als Leihen nicht wirklich weiterhelfen.

    Aaahhhh!!! Es ist Samstag, 14:45 Uhr … leichte Panik steigt auf.

    Jetzt heißt es ruhig bleiben. Bitte lieber Gott hilf uns weiter!

    Christel macht mir Mut, wo ich schon kurz vor‘m Verzagen bin. Für jedes Problem gibt es eine Lösung!

    Wir wollen (müssen) morgen Nachmittag/Abend die Fähre in Dover bekommen. Das sind knapp 1..100 km!!!

    Ein bisschen geht noch, doch so können wir auf KEINEN Fall diese weite Strecke fahren. Es hört sich gruselig und auch gefährlich an.

    Doch welche Werkstatt hat Bitteschön an einem Samstag Nachmittag auf?

    In der unmittelbaren Nähe haben alle Werkstätten bereits geschlossen.

    Die Google-Suche zeigt uns eine einzige Werkstatt in relativer Nähe an, die noch offen sein soll, am südlichen Ende vom Loch Ness an.

    In Fort Augustus.

    Das ist zumindest einigermaßen auf dem Weg.

    Wir hatten den Eindruck, dass wir diese Strecke bis dahin noch gut, wenn auch langsam, schaffen können. Als ich dort endlich jemanden telefonisch erreicht habe, hatten wir noch ca 1 h zu fahren.

    Ich konnte ihn kaum verstehen, so einen starken schottischen Akzent hat er gesprochen.

    Doch so viel war klar: er will es sich mal ansehen, wenn es etwas größeres ist, könnten sie es heute jedoch nicht mehr machen.

    (Hoffentlich hat er eine Rampe für den Van!!! Das war ja beim letzten Mal das Problem bei einigen Werkstätten!)

    Wir kommen also um 16:45 Uhr an. Der Chef dort - James - war die Ruhe in Person. Nach einer kleinen Probefahrt war klar, da ist tatsächlich ein Problem an der hinteren rechten Bremse.

    Da die Bremsscheiben links UND rechts letzte Woche frisch ausgetauscht wurden, muss es etwas anderes sein. Das sieht soweit alles gut aus.

    Es ist auch ein ganz anderes Geräusch als beim letzten Mal. Eben NICHT Metall auf Metall.

    Und nach dem richtigen Aufbocken war James schnell klar, woher das Problem kommt.

    Offensichtlich ist dem Mechaniker der letzten Werkstatt in Glasgow ein grober Fehler passiert.

    Die untere fette Bolz-Schraube wurde höchst wahrscheinlich zu locker angezogen worden, so dass diese sich durch die Erschütterungen der unebenen Straßen gelöst hat, denn sie fehlte inzwischen komplett!!!!! (Siehe Bild)

    Dadurch war ein anderes Teil der ganzen Bremsanlage lose, was beim Bremsen immer irgendwie gegenschlug … (keine Ahnung, was das Ganze in Sachen Bremswirkung auf Dauer angerichtet hätte …)

    James hat zwar keine neuen passenden Schrauben, doch es gibt auf seinem Hof einen anderen alten Renault Van, der nun als Organspender dienen soll.

    Doch jetzt schreibt mir mein Schwiegerpapa auch noch, dass die Briten andere Schraubgewinde haben.

    AAAAAHHHH! Es bleibt also spannend!

    Puh, was für eine Aufregung.

    Doch es klappt tatsächlich. Die Transplantation war erfolgreich. Die Schrauben passen, alle anderen Schrauben (zur Sicherheit auch die auf der linken Seite) checkt James ebenfalls und zieht sie nochmal nach.

    Und wir sind wieder einmal sooo dankbar.

    James will auf jeden Fall noch einmal mit mir eine kurze Strecke fahren.

    Und ja, Gott sei Dank, das Problem ist gelöst!!!

    Um 18:45 Uhr verlassen wir die Werkstatt - glücklich und dankbar über diese großartige Hilfe.

    James meinte, das sei Schottische Gastfreundschaft.

    Vielen herzlichen Dank!

    Lieber James, du gehörst nun auch zu den Helden unserer Schottland-Reise!

    By the way: Beide Werkstatt-Besuche hätten wir uns natürlich sehr gerne erspart, haben sie uns 2,5 Tage Urlaubszeit gekostet (von kostbaren 11 Tagen in Schottland).

    Im Grunde muss schon bei der letzten großen Inspektion in Deutschland (die erst vor kurzem stattfand) ein Fehler passiert sein. Denn die Hinterradbremsen mussten da schon so gut wie abgenutzt gewesen sein! Doch frage ich mich ernsthaft, ob diese überhaupt gecheckt wurden????

    Und so ein Fehler der Werkstatt in Glasgow, dass eine Schraube bei der Bremse zu locker angezogen wird, sollte natürlich tunlichst vermieden werden!

    Auf jeden Fall waren sich die Automechaniker unabhängig voneinander sicher, dass weder ein Aufsetzen auf einem kleinen Kieshaufen noch ein Festfahren und Aufsetzen in Grasnarbe zu solchen Bremsproblemen führen kann. Und das hat mich natürlich auch etwas beruhigt, denn damit waren beide Werkstattbesuche von meiner Seite völlig unverschuldet.

    Dadurch, dass alles nun so gekommen ist, haben wir jedoch die große Hilfsbereitschaft dieser so offenen und freundlichen Schotten nochmal viel mehr kennengelernt.

    Und wir haben Menschen wie James, Gérard & Nicole, Fahrid, die Schweizer National-Radfahrer und Sir Charles getroffen. Und wir hätten Glasgow als auch das Loch Ness verpasst …

    Was also für ein Abenteuer!

    Ansonsten stelle ich auch fest: ich bin richtig stolz auf Christel und auf mich, wie gut wir diese teils brenzligen und emotional wirklich herausfordernden Situationen gemeistert und am Ende erfolgreich gelöst haben.

    Und das in einem fremden Land mit fremder Sprache und ganz besonderem englischen Akzent 😉

    Dabei war ich auch sehr froh, dass wir zu zweit unterwegs waren. Denn so konnten wir uns gegenseitig ermutigen, was gut tat!

    —-

    Nach dieser Werkstatterfahrung mit James gab es erstmal ne richtig leckere Portion Fish & Chips.

    Das Glennfinnan Viaduct haben wir uns dann für eine zweite Schottland-Reise aufgehoben.

    Dafür konnten wir noch eine Schweizer Tramperin glücklich machen.

    Und dann hieß es zurück durch die traumhaft schönen Highlands und möglichst viel Strecke machen!

    Gegen 23 Uhr ging es schließlich im Süden von Schottland für uns erschöpft und dankbar zugleich ins Bett.
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