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  • Day 22

    Grödner Joch & Puez Gruppe

    July 19, 2020 in Italy ⋅ ☀️ 14 °C

    Der heutige Tag wird Jonathan und mir noch lange im Gedächtnis bleiben - als Tag unserer Beinahe-Preisträgerschaft des Darwin-Awards...

    Reflektierend wohl aus Ignoranz, Überambition, Technologiehörigkeit (Komoot) und Selbstüberschätzung übersehen wir geflissentlich alle großen Warntafeln und beginnen in das Mittagstal abzusteigen. Sowohl die Schlucht-Klippen zu beiden Seiten, als auch der Untergrund, ein Altschneebrett,sind wahnsinnig steil und bieten praktisch kaum Halt. Nach etwa 100 Metern soll eine Klippe folgen deren Tiefe wir von oben nicht abschätzen können. Wir halten inne, fragen uns, ob wir richtig sind und steigen dennoch die ersten 50 Meter ab. Jeder Fehltritt, jedes Ausrutschen auf dem seifigen Schneebrett würde ein Abrutschen in den Abgrund bedeuten. Völliger Wahnsinn - was uns langsam auch zu dämmern beginnt. Adrenalin pumpt ein und das Herz rast. Wir wollen umkehren und schlagen Stakkato Fuß- & Fingerspitzen in den konturlosen Schnee, um die zirka 50 Meter wieder aufzusteigen. Eine gefühlte Ewigkeit. Oben angekommen realisieren wir die Torheit und taumeln statt trekken entlang des richtigen Weges. Das war richtig knapp!

    Ausgerechnet heute stehen dann die härtesten Abstiege an. Während der am Gördner Joch mit vielen Seilen und Trittstufen technisch für uns anspruchsvoll ist, nervt uns der finale Abstieg im Puez Nationalpark vor allem wegen des instabilen Gerölls auf dem man erneut kaum Halt findet.

    Keine zwei Stunden nach unserem Fauxpas am Mittagstal hören wir dann Schreie und Wimmern etwas unterhalb der Kletterpassagen am Grödner Joch. Eine italienische Familie nahm den Aufstieg, doch aus uns unerklärlichen Gründen kletterte die Mutter ab des Weges 10 Meter hoch in ein Geröllfeld. Mit Blick in den Abgrund geriet sie in Panik, unfähig sich rechts noch links nach Halt zu strecken. Nach Rücksprache mit den Kindern wissen wir, dass sie kein Englisch spricht. Versuche ihres Ehemanns und anderer junger italienischer Bergwanderer zu ihr zu gelangen scheitern wegen des allzu losen Untergrundes. Sie rutschen immer wieder ab und treten Steine los, die dann gefährlich nah an den Köpfen anderer, die Schlucht erklimmender Bergsteigern vorbeidonnern. Kein Netzempfang, also keine Chance auf direkt Hilfe der Bergwacht. Wir verharren 15 Minuten ohne Einfall, können lediglich die Kinder aus der Schussbahn der Steine nehmen und versuchen gut zuzureden. Als weitere italienisch-sprachige Bergsteiger kommen verstehen wir, dass wir nun eher im Weg stehen, als Hilfe zu sein und entscheiden abzusteigen. Ein nagendes Gefühl der Nähe und Empathie gepaart mit Hilflosigkeit. Wir sind emotional durch. Und ein Blick auf die Routenplanung verrät uns: noch knappe 20 Kilometer.

    Wir kehren ein. Italienische Nudeln erwecken die müden Geister wieder, sodass Erlebniswille und Ambition neu geweckt werden. Wir ziehen es durch und kommen nach über 10 Stunden Tour, mehr als 30 km und guten 3000 Metern überbrückter Höhe völlig platt am Auto an, das -gottseidank- die Woche unentdeckt und unbeschadet in der Tiefgarage des Hotels überlebt hat. Die Belohnung der Strapazen des Tages: Snackattacke im lokalen SPAR, Pizza und die Aussicht auf eine heiße Dusche & herrlichen Espresso in Udine (nach 4 Stunden Fahrt zumeist über enge italienische Serpentinenstraßen).
    Gute Nacht!
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