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  • Day 6

    Oaxaca und Fahrt nach San Cristóbal

    December 2, 2022 in Mexico ⋅ ☀️ 16 °C

    Am nächsten Morgen schaffe ich es tatsächlich, bis 9:30 Uhr auszuschlafen, was in einem 6er-Schlafsaal eine Leistung ist, die an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte.

    Ich starte also langsam in den Tag und entscheide mich für einen Besuch im „Museo de las Culturas“. Hier werden alle möglichen Schätze ausgestellt, die unter anderem bei den archäologischen Grabstätten auf dem Monte Albán (Berg direkt neben der Stadt) ausgebuddelt wurden. Als „Bares für Rares“-Fangirl geht mir da natürlich das Herz auf.

    Nach meiner Tagesdosis Bildung laufe ich zurück zum Hostel, um mich mit meiner Bettnachbarin Eva zu treffen, mit der ich bereits gestern die Tagestour durch die Umgebung von Oaxaca gemacht habe. Sie schreibt mir, dass sie noch Essen für mich übrig hat. Als ich ankomme, wartet ein perfekt angerichteter Teller mit dem geilsten Salat aller Zeiten auf mich. Wer mich kennt, weiß, dass Liebe bei mir definitiv durch den Magen geht - und das war ne große Liebe!

    Danach spazieren wir durch Jalatlaco, eines der schönsten und buntesten Viertel von Oaxaca. Wir besuchen ein Café und bestaunen anschließend wieder die wunderschönen Wandmalereien, die sich durch alle Straßen ziehen.
    Als wir am Bahnhof vorbei kommen, kaufen wir noch ein Ticket für meine morgige Busfahrt. Und das hab ich übrigens ganz alleine auf spanisch hingekriegt. Nur, dass das hier mal schriftlich festgehalten ist.
    Darauf, dass ich in der Schlange stehend ne halbe Stunde Zeit hatte, die drei Sätze, die Eva mir vorgesagt hat, auswendig zu lernen, muss man ja jetzt nicht unnötig herumreiten.
    Wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst hätte, wie geil Busfahren wird, hätte ich mich vielleicht etwas weniger doll gefreut..
    Als es langsam dunkel wird, laufen wir zum Zócalo und essen gemeinsam zu Abend.

    Am nächsten Morgen packe ich mein Zeug zusammen, da heute mein letzter Tag in Oaxaca ist und stelle meinen Backpack nach dem Check-out im Hostel ab. Jetzt muss ich mich von Eva verabschieden, da sie nach Guatemala aufbricht. Wir umarmen uns etwas länger als üblich. Keiner will loslassen. Als wir vor der Tür des Hostels in verschiedene Richtungen laufen, haben wir beide Tränen in den Augen und versprechen uns, in Kontakt zu bleiben.

    Ich laufe Richtung Kirche, um eine englische Führung durch den botanischen Garten zu machen. Während der Wartezeit quatsche ich mit Carol aus den USA. Sie ist Gärtnerin und forscht zur Baumfamilie des „hawthorn“ (das ist Weißdorn, blüht weiß, wächst was dran, das aussieht wie Hagebutte, ist aber keine - hab Carol extra gefragt). Für ihre Forschungszwecke reiste sie schon durch sechs Länder. Als sie mich fragt, ob ich auch zum Thema Botanik forsche, schüttle ich den Kopf und erkläre ihr, dass meine Expertise im Töten von Zimmerpflanzen besteht. Sie lacht.

    Nach der Führung merke ich, dass ich Heimweh habe. Der Abschied von Eva hängt mir doch noch etwas nach und mir schießen schon wieder Tränen in die Augen - auch in dem Moment, wo ich das hier gerade in mein Handy tippe.

    Ich laufe um die Kirche herum, wo gerade eine Hochzeit gefeiert wird. Die Mexikaner lassen sich nicht lumpen. Eine große Kapelle spielt Live-Musik, eine Gruppe von traditionell gekleideten Frauen tanzt und nach und nach halten auch das Brautpaar und die Gäste nicht mehr still. Von der Stimmung können sich die deutschen Kartoffeln noch was abschauen.

    Um mich von meinem Heimweh abzulenken, beschließe ich, eine Maniküre zu machen, bevor meine Nägel bald auf schmerzhaftem Wege kürzer werden. Dank Google Übersetzer kann ich über WhatsApp einen Termin vereinbaren.
    Auf dem Weg zum Nagelstudio lerne ich noch schnell die Wörter „kurz“ und „rund“, damit diese Aktion keine komplette Katastrophe wird.
    Ich schaue mich auf der Straße um und stelle fest, dass „kurz und rund“ auch ne sehr passende Beschreibung für die Figur vieler Mexikaner hier ist. Ich liebe es, mir selbst Witze zu erzählen.

    Was in deutschen Nagelstudios maximal 45 Minuten dauert, nimmt hier 2 Stunden in Anspruch und ich stelle fest, dass der Lohn kein preistreibender Faktor sein kann. Am Ende bin ich sehr zufrieden und auch ein bisschen froh, dass ich keinen Zeitdruck habe, da mein Bus erst um 21 Uhr fährt.

    Ich laufe noch zur einer Kunstgallerie, die wechselnde und provokative Objekte lokaler Künstler ausstellt und danach zum Inder, den Eva mir empfohlen hat. Nachdem der Restaurantbesitzer meine Bestellung aufgenommen hat, indem er seinem Koch eine WhatsApp-Nachricht geschrieben hat (irgendwie beeindruckend einfach) fange ich an, Tagebuch zu schreiben, um mit meinem Heimweh klarzukommen. Der Restaurantbesitzer kommt auf mich zu und fragt mich, was ich da mache. Wir unterhalten uns übers Schreiben und er erzählt mir, dass er 2019 damit angefangen hat, als es ihm schlecht ging. Damals lebte er in Vietnam, wo er als Investmentbanker arbeitete. Vor zwei Jahren ist er nach Méxiko gekommen, um dieses Restaurant zu eröffnen. Er verdient und arbeitet hier weniger und muss kein Tagebuch mehr schreiben, weil er heute viel glücklicher ist.

    Nach dem besten Curry, das ich in langer Zeit gegessen habe, laufe ich zurück zum Hostel, um mein Gepäck abzuholen. Vor der Tür treffe ich Nuri. Er schaut mich an und fragt, was los ist. So ne Kacke, wenn selbst fremde Menschen einen sofort durchschauen.
    Ich erzähle ihm also von meinem Heimweh und wir sprechen über den Umgang mit Gefühlen. Er gibt mir Tipps und redet mir gut zu. Wie ich später erfahre, hat er bereits 150 Länder bereist. Über ihn werden sogar Zeitungsartikel geschrieben. Wen hätte ich also besseren treffen können, um mit Heimweh klarzukommen?
    Er fragt, wohin ich heute fahre und ich erzähle es ihm. Nuri fährt morgen Richtung Küste, aber er gibt mir seine Handynummer und sagt, dass ich ihm bloß schreiben muss, dass es mir nicht gut geht und dann kommt er früher von der Küste nach San Cristóbal. Dafür müsste ich dann aber mit ihm zelten. Das verstehe ich als Drohung und verspreche ihm, mich morgen nochmal bei ihm zu melden. Er nimmt mich in den Arm und ich laufe zum Bahnhof. Während ich laufe, denke ich darüber nach, wie verrückt das Leben ist, dass es einem so oft im richtigen Moment die richtigen Menschen vorbei schickt.

    Um 21:00 Uhr geht mein Nachtbus weiter in die Berge Richtung Osten nach San Cristóbal de las casas. 12 Stunden Fahrt warten auf mich. Ich wurde schon von vielen vorgewarnt, gut auf meine Sachen aufzupassen und alle Wertsachen am Körper zu tragen. Soweit so gut. Kaum habe ich alles verbarrikadiert, wird mir kotzübel. Davor hatte mich natürlich niemand gewarnt. Es fühlt sich ziemlich genau so an, als würde man konstant über eine schlecht verdichtete Schotterpiste gurken. Es wackelt in alle Richtungen.
    Ich schmiere mir also Minzöl unter die Nase, beame mich mental auf ne Blumenwiese und konzentriere mich sehr stark auf meinen Atem, um die Umdrehungen in meiner Magengegend auf schätzungsweise unter 10 km/h zu regulieren. Ich kann zwar nicht aus Erfahrung sprechen, aber ich denke, das entspricht ziemlich genau den vorbereitenden Maßnahmen auf eine Geburt. Geboren wird in dieser Nacht glücklicherweise nichts. Das einzige, was irgendwann irgendwo herauskommt, bin ich um 8:30 Uhr aus diesem Bus - in ganzen Teilen und zu meiner persönlichen Verwunderung ohne Verlust von Mageninhalt. Großer Dank geht an dieser Stelle an meine Fähigkeit, immer und überall schlafen zu können!
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