• EL SUNZAL // EINDRÜCKE & LEARNINGS

    October 29, 2024 in El Salvador ⋅ ☁️ 30 °C

    Obwohl wir eigentlich kaum in El Salvador umher gereist sind (eigentlich nur der Weg zur Unterkunft, der Weg zum Flughafen und ein paar mal in die Stadt San Salvador), haben wir trotzdem einige Einblicke in dieses Land bekommen und in das, was es heißt, hier zu leben. Ob durch die Beobachtungen in el Sunzal, la Libertad, in der Hauptstadt, oder durch die vielen Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen.

    El Sunzal ist ein kleiner Ort, der aufgrund seiner phänomenalen Welle viele Surfertouristen anzieht. Da wir mal wieder (noch) in der Nebensaison dort waren, haben wir von dem großen Touri-Wahn, der dort vor allem November bis Januar stattfindet, wenig mitbekommen. Auch wenn wir dahingehend wieder mal ein super Timing hatten, war das Timing bezüglich der Welle nicht ganz so gut, denn in den 3 Wochen, in denen wir zusammen dort waren, haben sage und schreibe 3 Surfcontests (wsl longboard world championsship, ein local contest und isa world masters) von jeweils 3-6 Tagen stattgefunden. Wir hatten also nur sehr sehr wenige ganze Tage, an denen wir ohne Einschränkungen ins Wasser gehen konnten.
    Die Welle war aber glücklicherweise jeden Tag am Start und hat uns wieder viele tolle und einzigartige Surferlebnisse beschert. Auch hier gabs wieder Schildkröten, die hier und da mal das Köpfen rausstreckten oder uns mit ihrer Flosse zuwinkten. Die Menschen, die man hier im Line up traf, waren alle mega nett und es war eine gute Stimmung da draußen!
    Die Welle ist an den kleinen Ort el Tunco angeschlossen, der vor allem aufgrund der immer mehr werdenden Touristen entstanden ist und hauptsächlich aus Hotels Restaurants, Bars & Clubs, Cafés, Surfschulen, Surfshops, Minitiendas und Souvenierläden besteht. Ganz komischer Vibe irgendwie 😅
    Und so ist das eigentlich mit der ganzen Gegend, das was noch nicht um- oder ausgebaut ist, wird aktuell erneuert und erweitert - alles im Names des großen, von der Regierung gesteuerten Projekts "Surf City".
    Man sieht, hier wird grad extrem viel Geld investiert, um sich auf noch größere Mengen von Touristen vorzubereiten.
    Man denkt sich "oh ist ja super für die Locals" und für einige mag das sicher auch stimmen, nämlich die, die aus diesem Projekt mitprofitieren, wie Hotelbesitzer etc. oder unser Shuttle Fahrer.
    Leider muss aber auch eine große Menge der Locals drunter leiden, und das sind mal wieder genau die, ihr dürft raten, die eh nichts haben. Dort wo Straßen entstehen sollen, müssen natürlich Häuser weichen, und Familien sind gezwungen, ohne jeglichen Ausgleich dafür, aus ihrem zu Hause auszuziehen.
    Und wer sich denkt "oh, ziemlich abgefuckt", dem können wir jetzt sagen, "ja, die ganze Politik dort ist ziemlich abgefuckt".
    Seitdem Bukele seit 2019 das Land regiert, hat sich sehr vieles verändert.
    Er dreht die Politik, die Gesetze vor allem zu seinen Gunsten und denen, der Wohlhabenden im Land. Er hat zum Beispiel während seiner Amtszeit ein Gesetz eingeführt, dass von allen Landbesitzer nun Gebühren verlangt. Viele der Landbesitzer sind kleine Bauern oder Menschen, die außer ihrem Land nicht viel haben. Sie waren aus diesem Grund meist sehr schnell gezwungen, ihr Land für einen Spottpreis zu verkaufen. Seit dem Tourismus Boom durch die Veränderung der Dinge, die Bukele außerdem geändert hat (siehe Stichpunkte), steigen die Landpreise gerade so, dass sich keiner der Einheimischen nun jemals wieder Land dort kaufen kann, sondern immer mehr Ausländer dort das Ruder übernehmen.

    Kriminalität
    El Salvador gehörte bis vor Kurzem zu den Ländern mit den höchsten Mord und Kriminalitätsraten weltweit. Seit es 2015 das Maximum erreicht hat, sinken die Zahlen seitdem wieder. Bukele hat Bandenterror durch Staatsgewalt ersetzt. Er jagdt die Kriminellen mit dem Einsatz von Unmengen an Polizisten und Militär, die schwer bewaffnet an jeder Ecke stehen (wirklich ein komisches Gefühl). So hat er es geschafft, dass inzwischen über 75.000 Menschen (darunter auch Kinder) in seinem extra gebauten "Mega-Gefängnis" sitzen, das noch viel mehr Platz für viele weitere Gefangene hat. Darunter sitzen auch viele Unschuldige, die völlig willkürlich dort gelandet sind. Eigentlich jeder Kontakt, mit dem wir über das Thema gesprochen haben, kannte min. 1 Person, die ohne Grund inhaftiert wurde. Leider gibt es für diese kaum Wege, die Dinge aufzuklären und wieder Chancen auf ein freies Leben zu haben, denn sowas wie Gerichtsverhandlungen scheint es dort nicht wirklich zu geben.
    Abgesehen davon, ist die große gute Seite davon aber jedoch, dass El Salvador nun wieder zu einem mehr oder weniger sicheren Land geworden ist, das vor allem auch für alle Einheimische wieder mehr Lebensqualität bringt.
    Menschen mit entsprechendem Geld leben in El Salvador ohnehin meist in Gated Communities, also Ortsteilen, ganzen Orten oder Stadtteilen, die umzäunt und speziell gesichert und bewacht werden. Die Hauptstadt San Salvador besteht hauptsächlich aus solchen Communities.

    Bitcoin
    Bitcoin ist seit 2021 national anerkanntes Zahlungsmittel in El Salvador. Wir waren natürlich interessiert und wollten uns das mal erklären lassen von den Leuten, die wir so getroffen hatten. Interessanterweise konnte uns aber kein einziger so richtig erklären, um was es da eigentlich geht.
    Anscheinend wurde es damals ohne jegliche Anweisungen eingeführt, in eine Gesellschaft, in der circa die Hälfte der Leute nicht mal ein Bankkonto besitzen... Verständlich, dass das keiner checkt!
    Da das für mich ebenfalls ein kompliziertes Thema ist, möchte ich hier jetzt nicht weiter ins Detail gehen. Wer darüber mehr wissen möchte, dem kann ich folgenden Podcast "Bitcoin statt Entwicklungshilfe" empfehlen (https://open.spotify.com/episode/79pnGQMCNf4xOk…).
    Der Einfluss der USA ist in El Salvador nicht zu übersehen, zuerst schonmal, weil die andere Landeswährung US-Dollar ist. Marken wie Starbucks, Taco Bell, Subways, Burger King, McDonalds, Wendys und Pizza Hut sieht man hier alle paar Kilometer. Teile San Salvadors sehen aus wie amerikanische Infrastruktur.
    Nachdem die Wahl nun leider von Trump, dem großen Bitcoin Unterstützer gewonnen wurde, bleibt es also spannend, wie es mit El Salvador so weitergeht.

    Tiere & Natur
    Was uns sehr sehr positiv auffiel, war, dass wir kaum Tiere ohne Besitzer bzw. Straßenhunde gesehen haben. Anscheinend kam mit Bukele auch ein Gesetz, das hohe Geldstrafen für Menschen vorsieht, die Tiere aussetzen oder überfahren. Es gibt wohl Shelter, in denen man sich melden kann, sobald man ein Tier ohne Besitzer sieht, und die es dann einfangen und sich kümmern. Allerdings haben wir doch auch hin und wieder Streuner gesehen, auffallend war, es waren ausschließlich Männchen. Die Aussage einer Frau dazu war, dass das ok wäre, solange keine Weibchen und damit keine Babys da wären. Das Patriachat gilt also auch für die Tierwelt! Natürlich sind wieder die Weibchen die, die die Probleme machen...
    Die Natur, die uns hier umgeben hat war wieder einzigartig. Auf unserem täglichen Weg an den Strand fühlte man sich, als ob man gerade durch den Urwald geht, mit Palmen, Bananen- und Mangobäume, zwischendrin hingen immer wieder Lianen. Sobald die Dunkelheit einsetzte schwirrten die Glühwürmchen überall und die Kröten kröteten ganz laut, es war wie im Glitzer-Märchen-Wald.
    Der einzige Störfaktor hier waren leider die Massen an Müll, die man nicht nur auf diesem Weg sondern eigentlich überall finden konnte. Einkaufstüten, Chipstüten, Wassertüten, Plastikflaschen, Kosmetikbehälter, Waschmitteltüten und viele viele Schuhe/FlipFlops, konnte man alle spätestens 2m finden, wirklich überall!
    Für die Leute ist es einfach ganz selbstverständlich, den Müll nicht aufzuräumen oder sogar absichtlich in der Natur zu entsorgen. Dass sie der Natur damit keinen Gefallen tun, wissen sie einfach nicht, und es scheint sie aus ästhetischer Sicht wohl auch nicht zu stören 😔.

    Menschen
    Die Schere zwischen Arm und Reich ist in diesem Land sehr weit geöffnet. Es gibt so viele Menschen, die in Armut leben und jeden Tag ums überleben kämpfen, aber auch einige Menschen, die im extremen Reichtum leben und Geld für Dinge ausgeben, die keiner braucht.
    Läuft man durch die Straßen hier in Sunzal, sieht man nur wenige Meter nach den Beach-Front-Hotels eigentlich nur noch einfache Häuser mit Wellblechdächern und teilweise offenen Wohnräumen. Hier leben viele Menschen auf kleinstem Raum, meist sind es Familien in mehreren Generationen. Sie kochen oft noch mit offenem Feuer, waschen ihre Kleidung im Fluss, da sie oft keine Strom-und Wasserversorgung haben.
    Sie brauchen die Anwesenheit der Familienmitglieder, um sich die Arbeit aufteilen zu können. Die, die arbeiten gehen können, müssen arbeiten, um die Familie finanziell zu versorgen. Und die, die es nicht können, sind für Kinderbetreuung und ggf haushältliche Aufgaben zuständig. Anders könnten sie nicht überleben.
    So leben die Menschen, die hier in unserer Unterkunft arbeiten. Sie kommen jeden Tag, um die Unterkunft zu putzen, um sich um den rießigen Garten zu kümmern, um unsere Gastgeber zu bekochen, ihren Haushalt zu schmeißen und auf ihr Kind aufzupassen. Maria, Maria, Rosa und Gerson verdienen am Tag 15$ für 8 Stunden Arbeit, das Kindermädchen Maria muss zusätzlich oft noch länger bleiben. Sie arbeiten zwischen 6 und 7 Tagen die Woche, ohne Urlaub, das Ganze Jahr. Und wenn man mal krank ist... dann muss man auch arbeiten, Arzttermine zahlt man aus eigener Tasche und müssen dann am freien Tag stattfinden.
    Sie sind zufrieden hier und haben uns erzählt, dass sie hier Glück haben, denn 15$ seien überdurchschnittlich und sie bekommen Essen und Getränke for free.
    Kaum vorzustellen, wie man mit 15$ leben soll, wenn man diese mit der Familie teilen muss und das Essen quasi so teuer ist wie in Deutschland.
    Dieser Vergleich tut weh, und wieder merkt man, wie priviligiert wir leben dürfen und welches Glück wir hatten mit unserem Geburtsort und Familien.
    Den direkten Vergleich vor Ort haben wir jedoch durch das Leben unserer Gastgeber dann erfahren dürfen, welche auf jeden Fall zu den wohlhabenden Menschen in El Salvador gehören. Die Familie (Ingrid, Orlando und ihr Sohn Marcel) lebt in einem Haus auf einem rießigen Grundstück, das Ingrids Familie gehört, von dieser ca jedes Familienmitglied so ein Anwesen besitzt. Sie haben mehrere Fahrzeuge, und wie schon gesagt, täglich 3-4 Angestellte, die sich hauptsächlich um ihr Wohlbefinden kümmern. Dabei arbeiten sie selbst kaum und verfügen über sehr viel Freizeit, die sie mit Reisen, Shopping (Ingrid) und Schmökern (Södern) und rumhängen (Orlando) befüllen.
    Einblicke, die wir nur so detailliert erhalten haben, da wir uns so lange an diesem Ort aufgehalten haben und so viele Gespräche und Zeit mit vor allem den beiden Marias, mit Rosa und Gerson verbracht haben. Oft haben wir uns aufgrund unserer offensichtlichen Priviligiertheit unwohl gefühlt, und versucht, ihnen so gut es ging auf menschlicher Ebene zu begegnen. Wir haben diese 4 besonderen Menschen echt in unser Herz geschlossen, sodass wir bei der Abreise Tränen in den Augen hatten. Wir wünschten, wir könnten mehr tun für sie und hoffen, wir sehen sie irgendwann wieder.
    Read more