Satellite
Afficher sur la carte
  • Jour 87

    Lavaglut und Gruselkissen

    28 octobre 2021, États Unis ⋅ ⛅ 22 °C

    Auch die dritte Nacht war kurz und nicht sehr erholsam – um 2 Uhr stehe ich auf, mache mich rasch fertig, schnappe mir Essen, Badesachen, warme Kleidung und starte Richtung Vulkan. Ich werde gleich Lauren wiedersehen, eine liebgewonnene Bekannte vom Hostel auf Maui, die kanadische Ärztin. Mit dabei auch Shwetha und Phil, wir treffen uns auf halber Strecke. Dann geht es filmreif weiter: Wir lassen das Verdeck des Cabrios hinunter, dick eingepackt in Decken, über uns die Sterne. Als Lauren sagt, sie hätte noch nie so einen schönen Sternenhimmel gesehen, denke ich zugleich an all die wunderbaren Nachthimmel, die ich bisher in meinem Leben sehen durfte – sie sind ungezählt!

    Der Hawai'i Volcanoes National Park gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und umfasst sowohl Regenwald als auch Wüstengebiete. Der Kilauea ist einer aktivsten Vulkane der Erde und sorgt dafür, dass die Insel niemals ausgewachsen sein wird, da sie wegen der vulkanischen Aktivität andauernd an Landmasse gewinnt. Zuletzt brach er 2018 aus und richtete zum Teil erheblichen Schaden an, was die Hawaiianer dennoch nicht daran hindert, hier in unmittelbarer Nähe zu leben und zu arbeiten. Ihre Legende erzählt von der Feuergöttin Pele, die im Vulkankrater lebt und ihrer Verärgerung durch Vulkanausbrüche und Erdbeben Ausdruck verleiht. Um sie milde zu stimmen wurden ihr früher Opfergaben dargebracht - heute jedoch soll man darauf verzichten, Steine in den Krater zu werfen, um nicht ihren Zorn heraufzubeschwören.

    Fast da! Das letzte Stück vom Devastation Parking müssen wir zu Fuß gehen, zum Glück ist es nicht so kalt wie auf dem Haleakala auf Maui. Noch bevor wir tatsächlich am Aussichtspunkt ankommen, sehen wir ein rotes Leuchten. Dann liegt er schließlich vor uns: Der Kilauea Krater – glühende Lava enthaltend, zum Teil Lava sprühend, zum Teil in einer zähen Masse mit leuchtenden Adern dahinfließend. Andere Stimmen sagen, man fühle sich „geerdet“ auf einem der „beeindruckendsten und schönsten Böden, die diese Welt zu bieten hat“. Keine Worte können dies annähernd beschreiben. Und so stehen wir da, um uns herum eine andächtige Stille, trotz der anderen Schaulustigen, die sich hier eingefunden haben. Erst als die Sonne sich ihren Weg bahnt und den Kraterrand in rotes Licht tauchen wird, machen wir uns auf dem Weg zurück zum Auto, tief berührt, in einer Art demütig den Naturmächten gegenüber. Auch dieses Erlebnis wird sich in die Riege der Superlativen meines Lebens einreihen: „Once in a lifetime“ - Ich habe am Rand eines aktiven Vulkans gestanden, auf einem der wenigen Orte dieser Welt, der noch wächst und dessen Schicksal noch ungewisser ist als unseres.

    Ich begleite die anderen in ihr Hostel und besichtige es – fest entschlossen, die Unterkunft zu wechseln. Helle, freundliche Räume strahlen mir entgegen, die Leute sind unheimlich freundlich, wenn auch schrullig. Am Nachmittag fahren wir noch zum Carlsmith-Beach, einem so schönen Strand, dass er mir für die nächsten Tage mein Lieblingsort werden wird. Ich weiß sofort: HIER bin ich am richtigen Ort!

    Abends treffe ich Jenny wieder und sie lädt mich auf ihre Terrasse ein, ganz angetan von der wunderschönen Aussicht. Und wenn mir bisher diese Begeisterung nahezu völlig gefehlt hatte, weiß ich nun, weshalb die Unterkunft so gute Bewertungen erhalten hat. Ihr Zimmer ist groß und hell mit einer eigenen Terrasse, einer Hängematte und einem fantastischen Blick auf das Lavafeld, welches nun von der untergehenden Sonne so beschienen wird, so dass alles wie eine Filmkulisse wirkt. Und während wir auf der Terrasse sitzen und sie mir über ihr Leben und ihre Reise erzählt, wird langsam die Milchstraße sichtbar und adelt all das Schwarz durch Trilliarden von Lichtern.

    Und so hätte dies als perfekter Tag enden können. Aber die Reise wäre sehr gewöhnlich, ohne die folgende nächtliche Begegnung. Und hier beginnt der erste Teil des „Unbelievable“. Als ich nämlich am Ende dieses wunderbaren und rundum gelungenen Tages im Bett liege und etwas rascheln höre, bin ich so müde, dass ich nur kurz nachschaue und, als ich nichts finde, annehme, dass die Geräusche wieder einmal von draußen kommen. Ich falle in einen traumlosen, tiefen Schlaf – so tief, dass ich erst durch den Biss eines Tieres erschrocken hochfahre. Was hat da gerade in meinen Finger gezwickt? Mit klopfendem Herzen schalte ich das Licht an und sehe neben mir Bewegungen. In der Kissenhülle auf der anderen Seite des Bettes bewegt und windet sich etwas durch den spannenden Stoff! Oh mein Gott, was ist das? Der Biss war zum Glück durch die Hülle nicht durchgegangen, aber ich glaubte das Gebiss eines Nagers gespürt zu haben. Kein Traum! Ein Albtraum! Ich überwinde meine Angst, packe das Kissen an der offenen Stelle, schüttle das Tier nach unten, damit es nicht entweicht, renne ohne zu atmen zur Türe und werfe das Kissen samt Untier vor die Türe. Einen kurzen Augenblick warte ich, gerade so lange, um noch zu sehen, dass dem Kissen nun eine Ratte entweicht, bevor ich die Türe zuschlage und nicht mehr gewillt bin, sie je wieder zu öffnen. Eine Ratte? Wo war die Ratte bloß hergekommen? War sie davor auf mir gelaufen, hat an mir geschnüffelt? Wie zur Hölle hatte sie sich in diese Hülle verirrt?

    Bis ich erleichtert aufatmen kann, dauert es noch eine gefühlte Ewigkeit. An Schlaf ist kaum noch zu denken. Ich wasche meine Hände minutenlang, untersuche meine Finger auf Biss- und Kratzspuren, die zum Glück ausblieben, desinfiziere alles und bin letztlich froh, dass ich dem kleinen Nager nur in der Kissenhülle begegnet bin und nicht von Angesicht zu Angesicht. Das ersparte uns allen vermutlich einen lauten Schrei in der Nacht. Glück im Unglück! Ich lasse die ganze Nacht das Licht brennen und höre Meditations- und Einschlafmusik, versuche mich abzulenken. Irgendwann bin ich dann doch im Dunst des Morgengrauens in einen unruhigen Schlaf gefallen, nicht tierisch gut, aber zumindest ohne tierischen Besuch.
    En savoir plus