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  • Day 50

    Calgary – Wachsen und Gedeihen

    October 15, 2018 in Canada ⋅ 13 °C

    Nachdem wir uns entschieden haben, in Banff zu überwintern, war es nun an der Zeit, die Ladenklinken mit Lebensläufen zu polieren. Also in das letzte saubere Paar Socken geschlüpft und raus aus der Wanderhose in die mittlerweile ganz ungewohnte Jeans. Ein paar herzerobernde Floskeln zurechtgelegt und los geht’s. Tschakka! Im El Dorado des Work and Travel wird sich schon was finden lassen.
    Nachdem ein Dutzend Bewerbungen über diverse Café-, Rezeptions- und Einzelhandelstheken geschoben wurden, war die erste Reaktion dann allerdings doch recht ernüchternd. Überall in der Stadt sah man Leute durch die Straßen schleichen, die einen verräterischen A4-Umschlag in der Hand hielten. Umschläge gefüttert mit Lebensläufen aus aller Welt: Australien, Großbritannien, Frankreich, Südamerika, Asien – alle lockt der Traum vom Winter im Paradies hierher.
    Angebot und Nachfrage schienen Mitte Oktober also nicht ganz zu unserem Vorteil zu sein.

    Nach ein, zwei weiteren Tagen entschieden wir uns dazu, dass sich die Zeit bis zu einem Rückruf auch super im eineinhalb Stunden entfernten Calgary abbummeln ließe.

    Während man also mit sportlichen 90-110 km/h von Banff nach Calgary juckelt und im Rückspiegel einen letzten schmachtenden Blick auf die Rockies wirft, wiehern einem links und rechts des Highways bereits die ersten Pferde von verschiedenen Ranches entgegen. Ein erster Vorgeschmack auf das, was uns in dieser Hochburg der Countrymusik erwartete.
    In Calgary treffen Moderne und Tradition aufeinander. Und Tradition heißt hier vor allem Western. Mal mehr oder weniger platt verpackt. Von saloonartige Bars, einem Hockeystadion in Sattelform (das auch ganz plakativ den Namen „Saddledome“ trägt), Schaufenstern, die üppig gefüllt sind mit Leder-Stiefeln und Jeanshemden bis hin zu Polizisten, die zu ihrer Uniform modisch verwegene Cowboyhüte tragen. Fühlt sich an wie Tennessee. Nur ein paar tausend Kilometer zu weit nördlich. Bei all dieser Westernbegeisterung verwundert es nicht, dass sich hier seit mehr als hundert Jahren im Sommer in Lederwesten-und-Stiefel-verpackte Groupies zur weltweit größten Rodeoshow treffen, dem Stampede. Yeeha!

    Zwischen all dem Westernflair ragen hier immer wieder selbstbewusst riesige gläserne Hochhäuser hervor, die mit dem Rest des Stadtbilds nicht so recht zusammen zu passen scheinen, aber es irgendwie doch tun.

    Mit jedem Baustil und jeder neuen Baustelle sieht man Calgary an, dass es in den letzten Jahren beständig gewachsen ist. Und auch in nächster Zeit nicht vorhat, damit aufzuhören. Eine Stadt, die ihre Geschichte noch schreibt.

    Mittlerweile ist Calgary der größte Ort in Alberta und der viertgrößte in Kanada. Klingt erschlagend, fühlt sich aber nicht so an.

    In das Stadtbild mogeln sich immer mal wieder kleinere und größere Kunstinstallationen, die mit allerhand Liebe zu kleinen und größeren Details zusammengezimmert wurden. Vor allem Inglewood verleiht Calgary Charme. In diesem Künstlerviertel stapeln sich in diversen Klinkerhäuschen Schallplatten, Mickey-Mouse-Spielfiguren aus den 80ern, Rekrutierungsposter für den 2. Weltkrieg, Stahlhelme und noch das ein der andere verstaubte und verstörende Schätzchen der letzten 150 Jahre.

    Nachdem wir uns den ersten Eindruck hatten schmecken lassen, haben wir den beliebtesten Tourguide aller hippen Work and Traveller nach Calgarys geheimen Highlights gefragt. Den Lonely Planet. Der schlägt einen Abstecher in den Zoo vor. Originell. Wir beugen uns diesem offensichtlich mit viel Hingabe zur Recherche und Insidertipps gefülltem Hipsterbüchlein und machen einen Abstecher in den Zoo. In der Hoffnung, unseren ersten Grizzly zu sehen. Zwischen fluchtwütigen Pinguinen, schläfrigen Pandabären und moppeligen Nilpferden stehen wir also endlich vor dem Gehege und sehen… Nichts. Auch nach zwanzig Minuten intensivem Laserblick – nichts. Und auch, als wir ein Stündchen später noch mal neugierig und hoffnungsvoll vorbeihuschen – nichts. Enttäuscht und erleichtert zugleich, unseren ersten Grizzly nun doch nicht auf einer künstlich angelegten Spielwiese anzutreffen, machen wir uns auf den Rückweg.

    Was nun mit dem restlichen halben Abend anfangen? Die Euphorie sagt: Lass uns mal ein richtig amerikanischen Kinoerlebnis haben. Der Geldbeutel sagt: Lieber nicht.
    Als Kompromiss entscheiden wir uns fürs Autokino. Also suchen wir uns ein Schlafplätzchen auf einem ein paar Kilometer außerhalb gelegenen Parkplatz, schütteln unsere Schlafsäcke auf und improvisieren mit einem 5,1 Zoll-großen Bildschirm, Netflix und den letzten Krümeln aus unserer Nuss-Dose.
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