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  • Day 210

    Von Schmiergeld und Parkbekanntschaften

    November 26, 2023 in Ecuador ⋅ ☁️ 21 °C

    Nach meinem Retreat in den Hügeln ausserhalb von Cuenca, kehre ich zurück in die hübsche Altstadt und quartiere mich in der „Perla Cuencana“ ein. Die Übernachtung kostet 7 Dollar, es hat eine Küche, viel Raum, eine Dachterrasse mit Sicht auf die Kathedrale und die Gassen. Die jungen Brüder, die es betreiben, sind freundlich und unkompliziert.
    Cuenca wird immer mehr zu meinem Zuhause. Ich kenne die Märkte, einige Restaurants, die Schleichwege, die Wandmalereien und die hübschen Cafés.
    Eckanard aka. José meldet sich bei mir und kündigt an, dass er für ein paar Tage nach Cuenca kommt. Er hat Arbeit in einem argentinischen Fleischrestaurant, als Vegetarier. Ich empfehle ihm mein Hotel.
    Wir streifen zusammen durch die Stadt, er zeigt mir vegetarische Restaurants und ich lade ihn und seine 4 Kinder (die mit der Mutter in Cuenca wohnen) ins Kino ein. Wir diskutieren über die Schweiz und die Arbeitsmöglichkeiten dort. Er würde sehr gerne in die Schweiz arbeiten kommen.

    An einem sonnigen Nachmittag packe ich spontan mein Buch und setze mich zum lesen in den lauschigen und gut besuchten„Parque Calderon“ (der zentrale Hauptplatz in Cuenca). Menschen der Hilfsorganisation Unicef sind auf der Jagd nach neuen Spender:innen, ältere Männer diskutieren neben mir über die schönen und weniger schönen Aspekte des Lebens, fliegende Händler verkaufen süsses und salziges, ein junges Mädchen bittet mich um Münz: a little mony pliiis!
    Ich lese.. beobachte das bunte Treiben und versuche, wie so oft, das gelesene aus meinem spirituellen Buch, hier draussen im Leben zu verstehen und zu spüren.. immer wieder berührende Momente.
    Ob ich spanisch spreche und verstehe fragt mich eine junge Frau der Hilfsorganisation Unicef plötzlich. Sie hatte mich davor von weitem gemustert. Wir kommen ins Gespräch. Schnell komme ich zu meinem zentralen Thema: meiner Passgeschichte. Sie hört mir aufmerksam zu und sagt dazu: es tue ihr leid dies zu hören, sie würde am liebsten den ganzen Nachmittag mit mir sprechen.. Ich spüre eine spannende Verbindung zwischen uns, wir tauschen Energien aus, als würden wir uns beschnüffeln ;). Sie müsse wieder arbeiten gehen, es sei ihr nicht erlaubt, sich zu lange mit Leuten auszutauschen, die nicht spenden wollen. Also frage ich sie für ihre Nummer. Sie speichert ihre Nummer in meinem Handy mit dem Namen: Vanessa Calle.
    Ich lese noch eine Weile weiter und beobachte Vanessa flüchtig aus der Ferne. Mein Herz klopft..

    Wir beginnen zu Schreiben. Wir verabreden uns ein paar Tage später im selben Park bei Einbruch der Nacht. Die unzähligen Weihnachtslichter in den Bäumen verzaubern alles und alle. Wir sprechen lange auf der Bank, gehen Pizza und Eis essen und lernen uns besser kennen. Wir fühlen uns sofort wohl beim Andern, alles was uns in dieser kurzen Zeit widerfährt fühlt sich „von einer höheren Macht“ gesteuert an.. Da sind sich zwei wohl gerade am verlieben..

    Die nächsten Tage habe ich vor allem eins im Kopf: Vanessa.

    Wir unternehmen Stadtbummel zusammen, ich besuche sie in ihrer Wohnung, helfe ihr beim Umzug aus dieser Wohnung zurück zu ihrer Mutter und ihrem Bruder, wir essen in verschiedenen Restaurants oder bestellen auch Mal Pizza zu ihr nach Hause oder in mein Hotel.
    Wir sprechen viel, haben von Anfang an tiefgründige Unterhaltungen und kommen uns emotional dadurch sehr schnell nah.

    Ich beschliesse eine Sammelaktion für José zu starten. Er würde so gerne wieder seine einzigartigen Popcorn (in verschiedenen Geschmäckern) in den Strassen von Cuenca verkaufen. Also gestalte ich einen Bettelbrief und verschicke ihn Freunden und Familie. Wir bitten darin um Spenden für den Popcorn Wagen und die Arbeitsgeräte. Innerhalb weniger Tage kommt viel Geld zusammen. Ich teile den Erfolg José mit. Freudig sagt er mir, er komme so schnell wie möglich nach Cuenca zurück.

    Kurz vor Weihnachten kann ich noch nach Guayaquil fahren (4.5 Std.), wo ich endlich, mit einem meiner Anwälte, meinen Pass bei der Gerichtspolizei abholen kann. Dieser „Deal“ mit der Staatsanwalt kostet mich weitere 400 Dollar und ist der Arbeit meiner Anwälte zu verdanken. Wer schlussendlich dieses Geld bekommt ist mir unklar. Wenn ich es nicht bezahlt hätte, hätte die Polizei meinen Pass zurück zur Grenze geschickt um weitere Inwestigationen zu machen und das ganze wäre noch Monate gegangen.
    Der Moment als die Polizei mir, in einem staubigen Lagerbüro, (wo haufenweise beschlagnahmte Gegenstände wie Pistolen, Handys und Geldbeutel in Plasticksäcken herumliegen) meinen roten Pass zurück gibt, fühlt sich sehr gut an, ich fühle mich siegreich! Nach einer monate andauernden „Behördenschlacht“ mit vielen schwierigen Momenten, viel Unsicherheit und dem „ausgesetzt sein“ der korrupten und undurchsichtigen Polizei Guayaquils.
    Zum Gerichtsfall ist es glücklicherweise gar nicht gekommen. Der Fall sei somit abgeschlossen erklärt mir mein Anwalt in seinem Autio im ermüdenden Stau Guayaquils.
    Glücklich, müde und hungrig fahre ich noch in der selben Nacht zurück nach Cuenca.
    Nun muss ich mich mit der Hilfe meines Anwalts noch bei der Migration um die rechtmässigen Stempel kümmern, damit ich wieder ausreisen kann.
    Ich hoffe sehr, dass dies problemlos und schnell gehen wird. So richtig entspannt bin ich in dieser Passgeschichte erst, wenn ich im Flugzeug in die Schweiz sitze. Nunca sabes..

    Zu Weihnachten bin ich bei ihrer Familie eingeladen. Wir essen ein Festmal um Mitternacht und packen danach im ecutorianischen Stil (das Geschenkpapier muss möglichst schnell und wild aufgerissen werden) die vielen Geschenke aus. Ihre Mutter und ihr jüngerer Bruder sind auch sehr herzlich und offen zu mir. Es ist schön, als Reisender, der auch oft alleine ist, dieses Fest der Liebe in einer Familie verbringen zu können.
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