• Ort der warmen Quellen

    October 12, 2024 in Georgia ⋅ ☁️ 17 °C

    Die Nacht über hatte es geregnet und den natürlichen Pfad vor den Wohnmobilen ziemlich aufgeweicht. Beide sauber geputzten Minibusse für die Stadtbesichtigung von Tiflis oder Tbilissi standen bereit. Meine Schuhsohlen waren gefühlte 10 Zentimeter höher...ein Reinigungsversuch nur halbwegs erfolgreich. Nicht nur bei mir. 🫣
    Behütet vom Berg Mtazminda im Westen und der Hügelkette Machata im Osten, wiegt sich seit dem 5. Jahrhundert Tiflis - Georgiens Hauptstadt. Auf Felsen gebaut und von den Bergketten des Kaukasus beschattet, erstreckt sich die Grossstadt entlang dem gelb schäumenden Fluss Kura. (Georgisch: Mtkwari). Mit mehr als eine Million Einwohner ist Tiflis die bevölkerungsreichste Stadt des Landes, mit orientalischen Baudenkmälern, Moscheen und christlich-orthodoxen Kirchen. Wobei die orthodoxen Christen in Georgien mit 80% Bevölkerungsanteil die meist vertretene Glaubensgemeinschaft sind.
    Tiflis gilt als das politische, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Landes. Einer der bedeutendsten Momente in der Geschichte der Stadt
    war das Jahr 1122, als König David der Erbauer Tiflis von den Seldschuken zurückeroberte und sie zur Hauptstadt des geeinten georgischen Königreichs machte. Im 19. Jahrhundert, nach der Annexion durch das Russische Reich, wurde Tiflis zum Verwaltungszentrum des Kaukasus und erlebte ein wirtschaftliches und kulturelles Wachstum. 1921, während des russisch-georgischen Krieges, fiel Tiflis in die Hände der Roten Armee, was zur Eingliederung Georgiens in die Sowjetunion führte. Am 9. April 1989 kam es in Tiflis zu einer blutigen Niederschlagung von Protesten gegen die sowjetische Herrschaft, die den Weg zur Unabhängigkeit Georgiens 1991 ebnete. Nach der Rosenrevolution 2003, die in Tiflis ihren Höhepunkt fand, kam es zu tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Reformen im Land. Die Stadt ist bekannt für ihre kulturelle Vielfalt, da sie historisch Heimat vieler ethnischer Gruppen war, darunter Georgier, Armenier, Russen und Juden. Heute ist Tiflis eine pulsierende Metropole mit einer Mischung aus historischer Architektur und modernen Entwicklungen, die sowohl Touristen und Geschäftsleute anzieht.
    Vor dem Parlamentsgebäude trafen wir auf einige Hungerstreikende, die sich seit dem 11. September 24 dort niedergelassen haben. Beim Hungerstreik protestieren die Einwohner aus Chiatura (Westgeorgien) gegen die systematischen Arbeitsrechtsverletzungen und tödlichen Arbeitsbedingungen in den Manganminen. In den späten 1800er Jahren wurden reiche Manganvorkommen in den Schluchtwänden entdeckt, die Chiatura umschliessen. Während der Status Georgiens als hippes neues Reiseziel für Westeuropäer*innen zu einem Tourismusboom geführt hat, stagniert der Bergbausektor des Landes. Wilde, verzweifelte Streiks sind zu einem Merkmal des Überlebenskampfes geworden. Die Minen werden heute von einem in Miami ansässigen Unternehmen betrieben.
    Unsere Stadttour ging am Freiheitsplatz vorbei. Er ist einer der ältesten, zentralen Plätze von Tiflis. In der Mitte steht die 44 Meter hohe goldene Statue des Heiligen Georg. Weiter gings in die Altstadt. Wir trafen auf wunderschöne Quartiere, saubere Strassen und gut erhaltene Häuser mit prachtvoll verzierten Balkonen.
    Vor dem Marionetten Theater von Gabriadze machten wir einen kleinen Halt. Der Theater- und Filmregisseur Revaz Gabriadze ist ein Mensch mit vielen Talenten. Er schreibt seine Theaterstücke, bastelt die Puppen zusammen und erweckt sie auf der Bühne zum Leben. Das Theater wurde 1981 eröffnet. 2010 hat Herr Gabriadze einen aussergewöhnlichen Uhrturm neben seinem Theater gebaut. Der Turm ist schief und wird von einem massiven Metall-Pfeiler gestützt. Der Turm selber wurde aus Flusssteinen und Ziegeln von verfallenen Häusern in Tiflis gebaut. Sehenswert ist der Turm auch, wegen der zweimal täglich stattfindenden Aufführung:
    Jeden Tag um 12 und um 19 Uhr kommt aus dem schön bemalten Türchen ein kleiner Engel heraus und läutet die Glocken. Leider hatten wir nicht genügend Geduld und verpassten nach den Glockenschlägen die anschliessende zweiminütige Aufführung " Der Kreislauf des Lebens".
    Als Bindeglied der Altstadt mit neuen Vierteln spannt sich die 156 Meter lange Friedensbrücke über den Fluss Kura. Die Brücke wurde 2010 errichtet und soll wie eine sanfte Welle aussehen.
    Bevor es in die Mittagspause ging, besuchten wir das orientalische Bäderviertel in Tiflis.
    Tiflis oder eben auch Tbilissi, wie die Georgier ihre Hauptstadt nennen, bedeutet: " Ort der warmen Quellen" und wird aus dem georgischen Wort "tibli" (warm) abgeleitet. Grund für diese Bezeichnung sind die kohlensäurehaltigen Schwefelwasser Quellen, die wegen ihrer heilenden Wirkung seit Jahrhunderten für die luxuriösen Badehäuser genutzt werden. Hinter dem Bäderviertel verläuft die Feigenbaumschlucht.
    Als Abschluss der Stadtführung besuchten wir noch kurz die Dreifaltigkeitskathedrale oder Sameba-Kathedrale auf dem Elias Hügel. Sie wurde zwischen 1996 bis 2004 errichtet und ist das grösste Kirchengebäude in Transkaukasien.
    Wie in einem Bienenstock ging es hier zu und her... Es wurde in verschiedenen Ecken der Kathedrale gleichzeitig geheiratet, getauft, gebetet, Souvenirs und Kerzen verkauft, fotografiert und Führungen vorgenommen.
    Inzwischen waren unsere Schuhe sauber gelaufen und wir ziemlich müde von den vielen Eindrücken.
    Zurück bei unseren Hüttlis genossen wir die letzten Sonnenstrahlen in den Liegestühlen, bevor es nach dem Eindunkeln ins warme Stübli ging.
    Die Tage werden merklich immer kürzer.
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