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  • Day 140

    Wir haben‘s geschafft - kein Bluff!

    April 7 in New Zealand ⋅ ☁️ 12 °C

    Heute ist es soweit: Nach 9 Tagen räumlicher Trennung werden Danny und ich uns in Invercargill wiedersehen. Das Schöne daran: Ich muss dafür gar nichts tun, nur warten. Vor Danny wiederum liegen 35 Kilometer, denn er startet in dem Örtchen Riverton und läuft entlang des Oreti Beach. Ich rechne nicht vor 18 Uhr mit seiner Ankunft, denn es herrscht gerade Flut, als er losläuft. „Im nassen, schweren Sand wird er nur sehr langsam vorankommen“, denke ich. Doch ich habe die schier grenzenlose Ausdauer, Kraft und Energie von Danny mal wieder gnadenlos unterschätzt.

    Es ist 15:30 Uhr als er keuchend und mit rotem Kopf, dafür aber freudestrahlend, vor mir steht. Danny wollte so schnell wie möglich bei mir sein und hat sich - wer hätte es gedacht - dabei noch selbst herausgefordert. Er erzählt mir, wie er sich vorgestellt hat, dass er von den anderen Wanderern verfolgt wird. Daraufhin ist er immer schneller gelaufen, damit sie ihn nicht einholen. Schließlich hat er alles gegeben und die letzten Energiereserven angezapft. Und das mit einem 16 Kilo Rucksack auf dem Rücken. Andere wären schon längst vor Erschöpfung zusammengebrochen. Aber nicht Danny. In unserem Freundeskreis wird er von manchen deshalb anerkennend „The machine“ genannt. Auch mit Hugh Jackmann als Wolverine der X-Men-Filmreihe wurde er schon verglichen. Und eine neue Form des Superlativs von „extrem“ wurde ihm zu Ehren spaßeshalber erfunden: extrem, extremer, Danny.

    Wir fallen uns glücklich in die Arme, erzählen uns unsere Erlebnisse der vergangenen Tage und planen gemeinsam die letzte Etappe von Invercargill nach Bluff. Aber bis es soweit ist, geht’s…na? Richtig! In den Pub. Zum 3. Mal in Folge und gleichzeitig zum letzten Mal auf dieser Reise treffen wir Lee und Tami. Sie haben den Trail bereits abgeschlossen und wollen das Ende gebührend mit uns feiern. Wir spielen zuerst Poolbilliard, essen anschließend leckeres Abendessen und gehen zum Schluss noch in eine Cocktail Bar. Hier weist man uns freundlich darauf hin, dass in 30 Minuten geschlossen wird. Wir nicken einsichtig. Aber dann stürmt nach uns noch eine sehr angeheiterte und zahlungsfreudige Freundesgruppe hinein, die einen Cocktail nach dem anderen bestellen und trinken. Es ist schon weit nach der angekündigten Schließzeit, als wir uns vom Personal verabschieden. Die Freundesgruppe hingegen sitzt noch immer dort und ihr lautes Gelächter verstummt nur langsam, während wir uns von Lee und Tami verabschieden und durch die nächtlichen Straßen von Invercargill schlendern.

    Am nächsten Morgen ist der Himmel grau und die Straßen nass. Feiner Sprühregen kommt uns entgegen, als wir zu unserem Final Countdown aufbrechen. Aber ich rege mich nicht auf, denn die letzte Etappe auf diesem Trail soll und muss einfach „schön“ werden. Da kann mir so ein bisschen Regen gar nichts anhaben. Und so laufen wir durchs nasskalte Invercargill bis zum Ausgangspunkt der allerletzten Etappe. Den Regen denke ich mir einfach „schön“ und stelle mir vor, ich würde gerade eine Kosmetikbehandlung mit kaltem Sprühdampf erhalten. Das fördert die Durchblutung des Gesichts und macht die Haut rosiger. Während andere dafür viel Geld bezahlen, bekomme ich das hier kostenlos.

    Nach einer guten halben Stunde kommen wir auf den Rad- und Wanderweg zwischen Invercargill und Bluff an. Er trägt den wunderschönen Namen Te Ara Taupara, was so viel bedeutet wie Reise oder Weg entlang des Sterns der Waka. Für Te Araroa Wanderer ist er entweder der Ausgangspunkt oder - wie in unserem Fall - der Abschluss des langen Fernwanderwegs durch Neuseeland.

    Die ersten 10 Kilometer laufen wir am Ufer der New River Flussmündung entlang. Hier sind selbst zu dieser Jahreszeit noch viele Vögel anzutreffen, die immer wieder über unseren Köpfen in Scharen davonfliegen. Irgendwann erreichen wir ein Industriegebiet, über das wir auf den Highway 1 kommen. Ab jetzt laufen wir 16 Kilometer direkt neben der befahrenen Hauptstraße entlang. Normalerweise würden wir solch ein Stück „hitchen“ (trampen), aber unser Stolz ist zu groß, als dass wir irgendeinen Meter der letzten Etappe auslassen. Wir sehen es gleichzeitig als Respekterweisung an einen der schönsten und gleichzeitig härtesten Fernwanderwege der Welt.

    Straff ist der Schritt, hoch ist das Tempo, groß der Ansporn, die Straße endlich hinter uns zu bringen. Völlig verschwitzt und außer Puste erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit das große, rostige Stahlschild, wo der Ort BLUFF (sprich: Blaff) beginnt. Ich kann mich nicht zurückhalten und will unbedingt ein Foto, wo ich in einem dieser Buchstaben sitze und bitte Danny, ein Foto von mir zu machen. Er hat zu diesem Zeitpunkt starke Knieschmerzen, sagt mir das aber nicht und drückt lustlos auf den Auslöser der Handy-Kamera. Dementsprechend Sch… 💩 sehen die Fotos aus, so dass ich um eine Neuaufnahme bitte. Danny, der schon im Begriff war, weiterzulaufen, platzt vor Wut der Kragen. Wir blaffen uns in Bluff an. Ich bin sauer und Danny ist hungrig. Am Ende komme ich doch noch zu meinem Foto und Danny gönnt sich auf den ganzen Foto-Stress erstmal ne Pause. Und ein Ei. Und Schokolade. Der Zucker entfaltet seine Wirkung und schnell rauchen wir die Friedenspfeife.

    Inzwischen befinden wir uns auf den letzten Kilometern, die es aber durchaus nochmal in sich haben. Über einen ausgetretenen Wiesen-Trampelpfad laufen wir entlang der Küstenlinie. Leider ist die Sicht heute ziemlich diesig, trotzdem erkennen wir in der Ferne die Silhouette von Stuart Island. Inzwischen wird der Trampelpfad immer hügeliger, teilweise wird’s auch wieder matschig und schlammig. „Der Trail gibt echt nochmal Vollgas“, denke ich. Denn irgendwie sind die letzten Kilometer eine kurze Zusammenfassung der vergangenen fünf Monate auf dem Trail. Ganz zum Schluss, wo ich schon 34 Kilometer in den Knochen habe, kommt nochmal ein allerletzter Anstieg, der sogenannte Bluff Hill. Zum Glück ist mir Danny meilenweit voraus, so hört er nicht, wie ich schnaufe und dabei wütend fluche.

    Aber am Ende wird immer alles gut. Und so erreichen wir nach insgesamt 38 Kilometern den Wegweiser, der das Ende des Te Araroa Trails symbolisiert. Wir lachen, wir weinen, wir fallen uns in die Arme. So viele Gefühle überkommen uns auf einmal, dass wir sie gar nicht in Worte fassen können.

    Abends im Pub feiern wir mit Wein und Pizza - beides kommt aus Pappkartons. Irgendwie passend zu dem Ort Bluff, der ein bisschen „runtergerockt“ wirkt und wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Für uns aber ist sie weitergelaufen. Wie auch wir immer weiter gelaufen sind.
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