- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 135
- Selasa, 2 April 2024
- ⛅ 18 °C
- Altitud: 12 m
New ZealandWindsor46°24’46” S 168°22’3” E
Allein auf weiter wässriger Flur
2 April 2024, New Zealand ⋅ ⛅ 18 °C
Von Danny:
Während Charlotte in Queenstown ihr gemütliches Hotel bezieht, steige ich in einen kleinen Bus, der mich zum Ausgangspunkt meiner nächsten Etappe bringt. Dazu müssen wir einmal rund um den Lake Wakatipu fahren, der sich s-förmig an Queenstown vorbei schlängelt und die Stadt vom nächsten Teil des Trails trennt. Mit mir im Bus sind einige Tagesausflügler, die alle schon vorher aussteigen. Ich dagegen rumple mit dem schon etwas in die Jahre gekommenen Gefährt über immer kleinere Straßen, dann über Holperwege und schließlich durch ein paar flache Flüsschen, bevor mich der Fahrer gegen 13 Uhr an einem Trampelpfad rauslässt. Ab jetzt bin ich allein. Keine Charlotte mehr. Keine Menschen. Nur noch das langsam verblassende Rumpelgeräusch des Busses.
Vor mir liegen rund 300 Kilometer. Ich habe zehn Tage dafür eingeplant, aber ob ich das schaffe, weiß ich nicht. Es ist Regen vorhergesagt und die Flüsse können schnell anschwellen und unpassierbar werden. Dann heißt es warten - in einer Hütte, im Zelt, in der Einsamkeit eines namenslosen Niemandslandes. Egal. Ich denke nicht weiter darüber nach und laufe los. Bis zur ersten Hütte sind es laut Ausschilderung 5 Stunden. Aber ich habe meine Schnellwanderwaden ausgepackt und schaffe es in zweieinhalb.
Als ich gegen 15.30 Uhr in die Hütte komme, sind schon einige Wanderer da. Die Hütte ist groß und hell und sehr schön, und da sie nicht Teil der Backcountry Huts ist, musste ich mir für 25 Dollar auch ein Übernachtungsticket kaufen. Das Problem: da es erst halb vier ist, will ich eigentlich weiter zur nächsten Hütte. Laut Angaben sind das 6 Stunden, das wäre zu lange, dann würde ich in die Dunkelheit reinlaufen. Ich frage die anderen Wanderer. Sie sagen, es gibt einen Fluss auf dem Weg, der wohl sehr hoch sein soll. Sie würden daher warten. Ich überlege. Für morgen ist auch Regen vorhergesagt. Dann steigt der Fluss noch weiter an. Am besten, einfach hingehen und sich selbst ein Bild machen. So habe ich das bisher immer auf dem Trail gemacht und es war (fast) immer die beste Lösung. Außerdem, wenn der Fluss unpassierbar ist, kann ich immer noch zurückgehen. Wenn nicht, laufe ich einfach weiter und hoffe, dass mich meine Wanderwaden vor Einbruch der Dunkelheit in die nächste Hütte bringen.
Ich verabschiede mich von den Wanderern in der Hütte, erinnere mich an Charlottes liebgemeinten Ratschlag, nicht zu viel zu riskieren, denke mir: Was macht's - und latsche los.
Nach zwei zermürbenden Kilometern bergan geht es hinab in ein tiefes Tal - und da höre ich ihn schon rauschen. Der Fluss ist hoch, aber nicht unpassierbar. Das Wasser geht mir bis knapp unter die Hüfte. Die Strömung ist stark, aber ich suche mir eine Stelle, wo es etwas ruhiger ist und komme gut durch. Schuhe und Socken sind jetzt zwar klatschemadennass, aber das macht nichts, denn der weitere Weg ist durch Regen und Schneeschmelze ohnehin komplett aufgeweicht. Wobei, ein richtiger "Weg" ist es ohnehin nicht, nur ein Trampelpfad, über dem unzählige Bäume liegen unter denen sich immer wieder knietiefe Schlammlöcher auftun.
Und so geht's dahin. Ich kraxle über Bäume und unter ihnen hindurch, laufe kilometerweit durch kleine Bäche und Schlamm und muss mich - mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken - an einer Stelle auf dem Bauch liegend über einen Stamm hangeln, der dankenswerterweise über einem reißenden Bach liegt, den ich sonst nicht hätte überqueren können.
Ich steige 800m hoch, doch selbst die Hochebenen sind komplett aufgeweicht. Unter meinen Schuhen gluckert und schmatzt es in einem fort. Aber immerhin, ich komme gut voran. Da meine Schuhe und Hosen ohnehin nass und verschlammt sind, muss ich keine Rücksicht mehr nehmen, und die Sache fängt an, mir Spaß zu machen.
Kurz nach halb sieben und damit eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit bin ich an der nächsten Hütte. Außer mir ist noch ein Pärchen da. Wir quatschen und kochen zusammen und versuchen uns irgendwie aufzuwärmen, denn die Hütte ist zugig, kalt und eine Feuerstelle gibt es nicht. Auch Wasser ist keins vorhanden, und ich muss einen Hang runter zum Fluss steigen, um meine verschlammten Beine zu waschen. Als ich den Hang wieder hoch kraxle, ist es schon fast dunkel. Plötzlich höre ich ein Geräusch. Es ist ein tiefes, kehliges Fauchen. Ein Possum kann das nicht sein. Aber was ist es dann? Ich weiß es nicht. Als ich nachts in der Hütte liege, höre ich es noch mehrfach vom Berg herunterschallen.Baca lagi
- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 136
- Rabu, 3 April 2024
- ☁️ 18 °C
- Altitud: 12 m
New ZealandWindsor46°24’46” S 168°22’3” E
Durchs Land hirschen
3 April 2024, New Zealand ⋅ ☁️ 18 °C
Von Danny:
Der nächste Morgen beginnt wie der Tag zuvor aufgehört hat: Draußen heult ein Tier und drinnen in der Hütte ist's kalt. Als ich mich kurz nach acht auf den Weg mache, liegt das Pärchen, das mit mir übernachtet hat, noch eng zusammengekuschelt in den Schlafsäcken. Ich muss an Charlotte denken, an ihr gemütlich-warmes Hotelzimmer und daran, dass ich sie erst in neun Tagen wiedersehen werde. Aber wir hatten uns gemeinsam dafür entschieden, dass jeder mal seins machen kann: Queen Charlotte in Queenstown und Wanderkönig Danny auf dem Trail. So ein bisschen Abstand erhöht schließlich die Anziehungskraft.
Der Weg führt mich an diesem Morgen durch ein langgezogenes Tal. Das fauchende Tier höre ich nicht mehr, dafür sehe ich einen großen Hirsch, der majestätisch durch die Graslandschaft läuft. Als er mich erblickt, ergreift er die Flucht. Ich bleibe stehen und schaue einfach nur zu, wie er durch das Tal jagt und hinter einem der vielen Bergrücken verschwindet.
Mit den Wildtieren ist das so eine Sache hier: Alle Tiere, die nicht "native" sind, werden von den Neuseeländern mit Argwohn betrachtet und oft auch gejagt. Ab wann genau ein Tier (oder eine Pflanze) als native, also als einheimisch betrachtet wird, ist allerdings ziemlich schwer zu sagen, auch wenn die Neuseeländer so tun, als wäre das ganz klar. Für sie ist alles "native", was vor der Ankunft der Europäer im 19. Jahrhundert bereits im Land war. Was danach kam, gilt oft als Eindringling, auch wenn die meisten dieser Tier- und Pflanzenarten längst zur Flora und Fauna gehören und im 19. Jahrhundert oft ganz bewusst hier angesiedelt wurden. Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, der Neuseeland 1895 besuchte, schrieb z.B. über die vielen Kaninchen im Land: „Der Mann, der das Kaninchen dort eingeführt hat, wurde gefeiert und gelobt, aber sie würden ihn jetzt hängen, wenn sie ihn kriegen könnten.“
So war das auch mit den Hirschen. Sie wurden von den britischen Siedlern mit nach Neuseeland gebracht, weil sie ihnen ein Gefühl von Heimat gaben, weil sie die Tiere schön fanden - und weil sie sie jagen wollten. Allerdings konnten sich die Hirsche in den riesigen Wäldern und entlegenen Gebieten wunderbar verstecken. Ergebnis: Nur wenige wurden erlegt, die Zahl der Hirsche wuchs und sie fingen an, große Mengen der einheimischen Büsche und Bäume zu fressen, weshalb die neuseeländische Regierung ab den 1920er Jahren Prämien für jeden erlegten Hirsch zahlte. In den 1960er Jahren wurden die Tiere dann nicht mehr geschossen, sondern gefangen und in großen Hirschfarmen gehalten, denn Hirsch stand in manchen Ländern ganz oben auf der Speisekarte, weshalb die Neuseeländet das Fleisch exportierten - als erstes Land der Welt. Noch heute ist das Land der größte Hirschfleisch-Exporteur auf diesem Planeten. In freier Wildbahn sieht man die Tiere dagegen nur noch selten, und so stehe ich gebannt da und schaue wie der Hirsch durchs Tal jagt und schließlich verschwindet.
Dann geht es weiter. Der Boden ist noch immer aufgeweicht und meine Schuhe vom Vortag noch nass. Die Spitzen der Berge sind nach wie vor schneebedeckt, aber die Sonne lässt alles nach und nach schmelzen. Der Trail besteht weiterhin aus Wasser und Matsch, aber ich habe mich dran gewöhnt.
Ich bin ganz allein in diesem schier endlosen Tal, weit und breit kein Wanderer zu sehen. Aber kein Wunder: Es ist Ende März, der Herbst hat Einzug in Neuseeland gehalten. Es wird kälter, besonders hier auf der Südinsel. Die meisten Te Araroa Wanderer haben den Trail bereits geschafft. Aber ich bin noch unterwegs. Mein Ziel ist ein Zeltplatz an den Mavora-Seen. Die sind besonders bei Anglern beliebt. Die stehen selbst bei Regen regungslos am Wasser, während ich nach sieben Stunden auf matschigen Wegen schwitzend und triefend da ankomme. Irgendwie habe ich keine Lust, bei diesem Wetter mein Zelt aufzuschlagen. Kurzentschlossen marschiere ich weiter.
Eine Stunde später kommt die Sonne raus. Ich bin inzwischen 30 km gewandert. Tagesziel eigentlich erreicht. Aber ich fühle mich noch fit und laufe einfach weiter. Ein Gedanke treibt mich an: Wenn ich heute 40 km wandere, kann ich morgen bis zur nächsten Stadt laufen und damit die gesamte Strecke in neun statt in zehn Tagen schaffen. Das heißt: Ein Tag eher bei Charlotte und ein freier Tag mit ihr in der Stadt, in einem Hotel, in einem warmen, gemütlichen Bett.
Das ist Ansporn genug für mich, und kurz vor 19 Uhr habe ich meine 40 km geschafft. Nur - wo soll ich heute Nacht schlafen? Weit und breit ist nichts und niemand. Nur eine Schotterstraße und links und rechts Weidezäune mit Kühen dahinter.
Zum Glück finde ich ein paar Minuten später ein Tor im Zaun. Es führt hinab zu einem abgelegenen Parkplatz, wo die Autos einiger Jäger stehen, die in den Wäldern jagen. Wahrscheinlich haben sie es auf die Hirsche abgesehen.
Ich schlage mein Zelt am Rande des Parkplatzes auf. Es ist fast dunkel. Ich hole noch schnell Wasser aus dem Fluss, brühe mein gefriergetrocknetes Essen damit auf und kuschle mich in meinen Schlafsack. Es ist kalt. Sehr kalt. Ich fülle meine Trinkflaschen mit heißem Wasser und lege sie in den Schlafsack. Ein Tipp von Freunden (danke an die Koewis). Es hilft. Zumindest bis gegen 2 Uhr. Dann lässt die klirrende Kälte auch diese Wärmequelle erstarren. Ich quäle mich im Halbschlaf durch die Nacht. Als ich mich am nächsten Morgen gegen halb acht aus dem Zelt schäle, ist alles starr und steif gefroren: Meine nassen Schuhe, meine Socken und auch mein Zelt. Ich muss eine Stunde warten bis ich es zusammenlegen kann. Die Schuhe kann ich dagegen vergessen. Die tauen nicht so schnell wieder auf. Kurzerhand binde ich sie an meinen Rucksack und laufe in meinen Crocs los. Vor mir liegen 30 km. Zum Glück auf einer Schotterstraße - und die Sonne kommt auch raus. Ich bin durchgefroren, aber ich bin auf dem Weg. Das heute Karfreitag ist, habe ich ganz vergessen. Ostern ist überall, nur nicht in meinem Kopf. Ein paar Stunden später bekomme ich das so richtig zu spüren...Baca lagi
- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 136
- Rabu, 3 April 2024
- ☁️ 16 °C
- Altitud: 353 m
New ZealandPeninsula Hill45°1’50” S 168°39’21” E
Himmlische Überraschungen
3 April 2024, New Zealand ⋅ ☁️ 16 °C
Von Danny:
Die Sonne scheint, ich rasple entspannt meine 30 km in Richtung Te Anau von der großen Kilometeruhr und denke mir: "Zeit, mir eine Unterkunft für heute Nacht zu buchen.", als ich einen Schock bekomme. Nichts mehr frei!
Wir kann das sein, frage ich mich - bis mir klar wird, dass Ostern ist. Karfreitag. Das hatte ich komplett vergessen.
Auf den Schreck will ich mir nach meiner Ankunft in Te Anau erstmal ein Bier gönnen, aber da kommt auch schon Schock Nummer 2 um die Ecke: Kein Bierverkauf am Karfreitag, heißt es im Supermarkt. Es gibt auch keinen Wein, nichts. Sollte ich jemals auch nur die leisesten religiösen Gefühle in mir gehabt haben, sind sie jetzt weg. Ich würde mir die Situation gern schöntrinken: Ich bin 30 km in Crocs gelatscht, habe keine Unterkunft für die Nacht und gefrorene Wanderschuhe am Rucksack baumeln.
Ich suche auf allen möglichen Webseiten nach einer Unterkunft. Aber nichts. Bis, ja bis mir ein Zirkuswagen angeboten wird.
€ 80 pro Nacht sind zwar nicht billig, aber dafür ist alles drin: Bett, Kochstelle, Dusche, Toilette, Heizung - und Frühstück gibt's auch. Ich schlage zu - und wenig später vor Ort auf.
Der Zirkuswagen gehört zu einer großen Lodge, auf deren Gelände noch ein Zirkuszelt, ein Eisenbahnwaggon und eine kleine Kirche stehen, und alle kann man mieten. Dazu gibt es noch ein Haupthaus mit mehreren Zimmern, und als ich erfahre, dass dieses Haus vor vier Jahren noch 100 km entfernt stand und ein altes Nonnenkloster war, falle ich endgültig vom Glauben ab.
"Sie haben das Haus abgebaut?", frage ich die Managerin der Unterkunft.
"Abgebaut, in mehrere Teile zerlegt und hier wieder aufgebaut.", sagt sie - und ich kann es nicht glauben. Es ist ein großes, gemauertes Haus, innen vertäfelt, mit neun Zimmern, einer großen Küche, einer Bibliothek und sogar einem Beichtstuhl, der jetzt allerdings als Gepäckablage fungiert. "Sie sind TA Hiker", sagt die Frau als sie meinen Rucksack sieht. "Bin ich."
Sie gibt mir einen Cookie und jenen anerkennden Blick, den wir hier oft bekommen. Ich hätte gerade aber lieber ein kühles Bier statt herzenswarmer Anerkennung und sage: "Niemand verkauft Bier weil Karfreitag ist." „Ich gebe dir eins.“, sagt sie, greift in den Kühlschrank hinter sich und drückt es mir in die Hand. Ich bin überrascht. Im ehemaligen Nonnenkloster gibt's Bier. Am Karfreitag. Halleluja!!
Schwer beeindruckt und glücklich beziehe ich meinen Zirkuswagen, trockne mein Zelt und lasse es mir gutgehen. Am nächsten Morgen stärke ich mich beim Frühstück mit Eiern, Bohnen, Würstchen, Toast, Croissants und jeder Menge Kaffee, bevor ich mich zurück auf den Trail mache. Erneut stehen knapp 30 km auf dem Programm, doch diesmal gibt's keine Schotterstraße, sondern Wald - und das heißt: steile An- und Abstiege, unzählige Wurzeln, Flüsse und Schlamm.
Durch den Wald komme ich ganz gut. Doch dazwischen gibt es immer wieder offene Ebenen, die mit mannshohem Tussock-Gras bewachsen sind. Was drunter ist, sieht man nicht. Und es ist einiges drunter: Bäche, Schlammlöcher, offene Gräben...
Es ist extrem schwer, in diesem Gelände zu laufen - und gefährlich. Mehrfach knicke ich um, falle in Löcher oder versinke fast bis zur Hüfte im Schlamm. Einen Weg gibt es hier schon lange nicht mehr, nur orangefarbene Pfosten, an denen man sich orientieren soll, die aber oft genug vom Gras überwuchert sind, sodass mich am Ende nur das GPS vorm Verlaufen bewahrt.
Am späten Nachmittag komme ich völlig kaputt und verdreckt an der Hütte an, öffne die Tür - und stoße einen Freudenschrei aus. Lee, ein amerikanischer Wanderer, den ich seit drei Monaten nicht mehr gesehen habe, steht plötzlich vor mir. Er erkennt mich nicht gleich - ich bin komplett verdreckt, habe seit unserem letzten Treffen mindestens 10 Kilo verloren und auch meine besere Wanderhälfte nicht bei mir - aber dann checkt er doch noch, wer vor ihm steht und wir fallen uns in die Arme.
Der Abend vergeht wie im Flug und am nächsten Morgen heißt es schon wieder Abschied nehmen. Lee will nur bis zur nächsten Hütte gehen, ich dagegen 25 km bis zu einer Wiese weiterziehen, auf der ich zelten kann. Vorher aber muss ich noch mehrere Berge überqueren, darunter den letzten Eintausender dieser Reise. Ich quäle mich unter der immer heißer brennenden Sonne zur Spitze. Doch gerade als ich oben bin, schlägt das Wetter um. Nebel zieht auf. Es wird kalt und ein heftiger Wind bläst über den Kamm. Eigentlich hätte ich von hier oben erstmals das Meer und die kleine Stadt Bluff sehen können, das Ziel unserer Reise, der Endpunkt des Te Araroa Trails. Aber ich sehe kaum die Hand vor Augen.
Der Abstieg runter zum Zeltplatz geht deshalb nur langsam voran. Als ich ankomme, ist niemand da. Die anderen sind also noch hinter mir. Ich baue mein Zelt auf, werde aber sofort von Sandfliegen überfallen. Mir bleibt nur die Flucht ins Zelt. Ich bin total k.o., dreckig und habe Hunger. Aber draußen kochen geht nicht. Bevor das Essen fertig wäre, hätten mich die verdammten Sandfliegen aufgefressen. Also bleibe ich drin, mache im Vorzelt Wasser heiß, ziehe dann den Topf zu mir rein und übergieße mein gefriergetrocknetes Essen damit. Lecker ist was anderes, aber es macht mich satt, immerhin.
Am nächsten Morgen ist es wieder sehr kalt. Meine Schuhe und Socken sind leicht angefroren, aber es hilft alles nichts: Ich muss rein. Außerdem geht es nach einer halben Stunde ohnehin schon wieder durch einen Fluss. Hier bleibt nichts und niemand trocken. Zu den nassen Füßen kommt noch der Schweiß, denn immer wieder geht es steil hoch und ich keuche ganz schön. Die letzten Tage haben ihre Spuren hinterlassen. Die Hirsche in den Wäldern sind dagegen noch voller Kraft. Es ist Brunftzeit und sie röhren so laut, dass es kilometerweit aus den Wäldern zu mir herüberschallt.
Der heutige Weg führt mich über die Mount Linton Farm. Es ist eine der größten in Neuseeland. 12.000 Hektar, d.h. 120 km², auf denen vor allem Schafe und Kühe grasen. Die Schafe sind kein Problem, aber die Mutterkühe haben Kälbchen an ihrer Seite. Der Weg durch die riesigen Kuhherden ist nicht ganz ungefährlich. Ich habe von mehreren Wanderern gehört, die von aufgebrachten Kühen gejagt wurden. Aber einen Weg rundrum gibt es nicht. Also Augen auf und durch. Angst habe ich keine. Als ich jung war, war hinter unserem Haus eine Kuhweide. Die Viecher sind mehrfach ausgebrochen und haben das Haus umzingelt. Später habe ich die Kuhweide zu einem kleinen Golfplatz umfunktioniert und jeden Tag die Bälle in hohem Bogen über die Kühe geschlagen. Ich musste dabei immer wieder durch die Herde laufen. Ich bin das also einigermaßen gewöhnt, aber trotzdem vorsichtig, weil man nie sicher sein kann, wie Kühe mit Kälbchen an ihrer Seite reagieren. Ich mache deshalb ordentlich laut als ich durch die Herde laufe und halte jede Kuh, die mir zu nah kommt, mit meinen Wanderstöcken auf Abstand. Das funktioniert super und nach acht Stunden habe ich mein Ziel erreicht: Ich bin auf der nächsten Farm. Die Leute dort haben eine ihrer Scheunen zu einer Wanderer-Unterkunft umgebaut. Die Betten sind zwar alt und durchgelegen und die hygienischen Verhältnisse wie so oft in diesen Te Araroa Unterkünften eher etwas zweifelhaft, aber es gibt ein wärmendes Kaminfeuer und einen Pizzaofen. Die dazugehörigen Pizzen hat die Farmersfrau fertig zubereitet und in den Kühlschrank gepackt. Herrlich! Ich lasse es mir schmecken, denn ich weiß, bald kommen die gefürchteten Schlammwälder und da werde ich alle Energie, die ich im Körper habe, gebrauchen können...Baca lagi
- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 137
- Khamis, 4 April 2024
- ⛅ 21 °C
- Altitud: 33 m
New ZealandOkahuiti Creek36°47’32” S 175°1’56” E
Tanzen lernen
4 April 2024, New Zealand ⋅ ⛅ 21 °C
Von Danny:
Es gibt genau eine Art von Bergen auf dem Te Araroa Trail, die ich nicht mag. Es sind nicht die großen Gipfel, die schlammigen Anstiege oder die besonders felsigen Berge. Es sind die fiesen Routen, die an einem Weidezaun fast senkrecht einen Hügel hochführen.
An diesem Morgen hat der Trail mal wieder einen solchen Hügel im Angebot. Von 150m geht es hoch auf 550m, also volle 400 Höhenmeter - und das auf nur einen Kilometer Strecke. Mit anderen Worten: Es ist steil. Sausteil. So steil, dass ich immer wieder innehalten muss, um nach Luft zu schnappen. Immerhin, die Aussicht auf die umliegenden Berge ist beeindruckend, und nach einer Stunde (und zehn Lufthol-Stopps) bin ich oben.
Jetzt geht's erstmal entspannt durch den Wald und dann fast genau so steil wieder runter. Aber inzwischen komme ich mit den Abstiegen ganz gut zurecht, und der Rest des Tages gestaltet sich auch nicht allzu schwer. Es geht über Schotterstraßen und Kuhweiden, und nur ein Mal verliere ich kurz den Weg, als in einem kleinen Waldstück keinerlei Markierungen zu finden sind. Also mache ich „bushbashing“, wie sie das hier nennen: Ich laufe quer durchs Gebüsch, zur Not wird der Weg mit den Wanderstöcken freigekämpft.
Nach 27 km ist die Etappe zu Ende, und ich bin überrascht, wie fluffig das lief. Es ist gerade mal 15 Uhr. Zur Feier des Tages gönne ich mir ein Hotelzimmer in einem nahegelegenen Provinzstädtchen namens Otautau. Ich liebe diese Orte. Meist bestehen sie nur aus einer Hauptstraße, an der es ein großes, altes Hotel inklusive Pub gibt, dazu einige Läden, ein kleines Café und rundrum ein paar Häuser. So ist es auch in Otautau, auch wenn die Jahreszahl 1871, die als Erbauungsjahr am Hotel steht, nicht ganz stimmen kann, denn die Lokalhistoriker erklären mir, dass es 1871 noch gar kein Otautau gab und das Hotel nicht vor 1875 gebaut worden sein kann. Aber gut, ich gönne dem Hotel seine paar dazugeschwindelten Jahre, schließlich sind die Zimmerpreise günstig und das Bier auch.
Am nächsten Morgen laufe ich stadtauswärts zwei Kilometer zu einer Straßenkreuzung, um zu trampen. Nach 20 Minuten nimmt mich ein Baggerfahrer mit. Ich will eigentlich nur 10 km mitfahren, zurück zum Trail, verquatsche mich aber mit ihm (Wer hätte das von mir gedacht 🤪) und steige viel zu spät aus. Also geht's zu Fuß drei Kilometer zurück. Es ist deshalb schon fast halb elf, als ich in die Etappe starte. Das wäre nicht weiter dramatisch, würden heute nicht die Longwoods, die gefürchteten "Schlammwälder" anstehen. Ich weiß, was ihr jetzt denkt: „Ist der Typ nicht schon die ganzen letzten Tage durch Schlamm gelaufen?“ Ja, bin ich. Aber das, was in den Longwoods an Schlamm auf mich wartet, entbehrt wirklich jeglicher Vorstellungskraft.
Viele Te Araroa Wanderer lassen diese Etappe aus. Sie haben keine Lust, anderthalb Tage lang im hüfttiefen Schlamm zu schwimmen. Ich kann sie verstehen, denn mit Wandern hat das nichts mehr zu tun. Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt es oder man liebt es. Oder redet sich zumindest ein, dass es Spaß macht, und zwar so lange, bis man es tatsächlich liebt.
Das ist meine Herangehensweise - und sie funktioniert ganz gut. Zumindest fluche ich erstaunlich wenig für die Tatsache, dass ich immer wieder bis zu den Knien im Schlamm versinke. Und als ich einmal nicht aufpasse, auch bis zur Hüfte.
Den Schlamm zu umgehen, ist unmöglich. Er ist überall. Ich entscheide mich deshalb, einfach durchzulatschen und nur dort vorsichtig zu sein, wo ich Gefahr laufe, so tief einzusinken, dass es schwer wird, wieder rauszukommen. Das Gute an dieser Etappe ist: Wenn man einmal die Schuhe voll Schlamm hat und total verdreckt ist, ist alles egal. Man wird einfach nicht mehr dreckiger - und dann kann man den Schlam(m)assel echt genießen.
Die Etappe hat aber noch mehr zu bieten. Zwei große Hügel zum Beispiel. Der erste ist über 800m hoch, kahl und windgepeitscht, doch als ich oben bin, kann ich zum ersten Mal das Meer sehen. In der Ferne erkenne ich auch das Städtchen Bluff mit dem südlichsten Punkt der Südinsel. Dort wird die Reise zu Ende sein. Aber noch ist es nicht soweit, noch muss ich 80km laufen - und auf dem Weg auch noch meine Herzensdame abholen.
Vorher geht's aber erstmal weiter durch den Modder. Vor allem die letzten zwei Kilometer zur Hütte sind heftig: Extrem tiefer Schlamm, dazu steile Abstiege und alles voller Wurzeln. Und doch geht es gut. Sehr gut sogar, denn zum ersten Mal auf dieser Reise schaffe ich es, zu tanzen. Durch den Schlamm, über die Wurzeln, den Berg hinab.
Vor dreieinhalb Monaten, als ich erstmalig unter solchen Bedingungen "gewandert" bin, kam ich kaum voran. Es war frustrierend. Zumal ich einige Wanderer getroffen hatte, die rasend schnell über die Wurzeln liefen und den Schlamm gar nicht zu spüren schienen. Einer war damals sogar über die Wurzeln gerannt und ist mit großen Schritten durch den Schlamm gesprungen. Ich dagegen bin am Ende der Etappe sogar noch gestürzt und bei einer Notärztin gelandet. „You have to learn how to dance.“ (Du musst lernen, wie man tanzt), hatte sie mir damals gesagt, doch ich hatte sie nur fragend angeschaut und ihr kein Wort geglaubt. Man kann nicht durch Schlammwälder tanzen, davon war ich überzeugt. Bis heute.
Kurz vor 19 Uhr habe ich es dann geschafft. Ich bin an der Hütte. Wobei, in diesem Fall ist es eher eine Holzruine, denn das gute Teil wurde 1905 gebaut und hat seitdem nicht viel Pflege erfahren. Die Wände sind löchrig, der Fußboden zum Teil durchgebrochen und die ganze Hütte von Mäusen bevölkert. Draußen zu zelten, ist keine Option, denn auch rund um die Hütte ist alles verschlammt. Mir bleibt also nur, mich notdürftig in einem nahegelegenen Bach zu waschen, danach in den Schlafsack zu kriechen und die Augen und Ohren vor all dem Dreck, Gestank und Mäusegeraschel zu verschließen. Das letzte, was ich vorm Einschlafen höre, ist der Regen, der wie verrückt aufs Wellblechdach prasselt. Immerhin, denke ich mir, immerhin bin ich trocken.Baca lagi
- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 138
- Jumaat, 5 April 2024
- ☁️ 13 °C
- Altitud: 12 m
New ZealandWindsor46°24’46” S 168°22’3” E
InverCARgill
5 April 2024, New Zealand ⋅ ☁️ 13 °C
Manchmal gefällt es der Queen, in die Provinz zu reisen. Nach einer Woche Queenstown hat Queen Charlotte genug von Fergburger und Patagonia Eiscreme und braucht etwas Abstand vom Massentourismus. Außerdem zieht es sie ins Flachland und ans Meer, wo sich der Blick uneingeschränkt ausdehnen kann.
Ihre Wahl fällt auf Invercargill, die Stadt des Wassers und des Lichts. Gegründet in den 1850er Jahren ist sie nicht nur die südlichste Stadt Neuseelands, sondern gleichzeitig eine der südlichsten Städte der Welt.
Da der Intercity Bus von Queenstown nach Invercargill unverschämte 11 Stunden und 14 Minuten braucht, entscheidet sich Queen Charlotte für das kleine aber feine Busunternehmen „Catch-a-bus South“. Die schaffen es immerhin in 3,5 Stunden. Außerdem wird sie hier von der Haustür abgeholt und direkt nach Invercargill in das Motel ihrer Wahl gefahren.
Der Kleinbus ist mit 9 Personen voll besetzt. Gary, der Bufahrer, holt alle pünktlich und wie geplant von ihrem Ausgangsort ab. Schnell entspinnen sich Gespräche zwischen den Insassen: „Wo kommst du her?“, „Wie lange bleibst du in Invercargill?“, „Was machst du am Wochenende?“.
Neben Queen Charlotte sitzt ein Baumeister aus Invercargill, der gerade von einem längeren Aufenthalt aus dem Fjordland Nationalpark kommt. Er erzählt vom Milford Sound und Doubtful Sound, beides von Gletschern geformte Fjorde, wobei der Milford Sound definitiv der meistbesuchteste Ort ist. Dann versucht er, Queen Charlotte noch seine Leidenschaft für die Höhlenforschung, „Caving“ genannt, nahezubringen. Er erklärt ihr, dass Neuseeland einige der anspruchsvollsten und spektakulärsten Höhlensysteme der Welt hat. Es gibt Höhlen, die man einfach durchwandern kann oder durch die man sich im Wasser treiben lassen kann. Das nennt man dann Black Water Rafting. Aber es gibt auch Höhlen, in denen man sich abseilt, klettert oder durch enge, dunkle Gänge quetscht. Queen Charlotte bekommt schon vom bloßen Zuhören Platzangst. Als ihr der Baumeister dann noch erzählt, dass er bei einem kürzlichen Höhlengang faustgroße Spinnen an den feuchten Höhlenwänden gesehen hat, ist es aus mit ihrer Geduld. Sie möchte am liebsten laut kreischend wegrennen.
Zum Glück hat der Bus gerade sein Reiseziel erreicht und setzt Queen Charlotte am „295 on Tay Motel“ ab. Als sie einchecken will, findet just in diesem Moment ein Betreiberwechsel statt. Ein (vermutlicher) Neuseeländer übergibt das Hotel gerade an eine vietnamesische Familie. Der Check-In wirkt noch etwas holprig und alles andere als königlich. Aber das ist Queen Charlotte egal und auch nicht wichtig. Sie fühlt sich wohl in Invercargill, denn die Stadt mit den großen und breiten Hauptstraßen empfängt sie in einer freundlichen, entspannten und sehr untouristischen Atmosphäre.
Ihr Zimmer liegt im Erdgeschoss mit Blick auf die Hauptstraße. Als sie kurz davor ist, um einen Wechsel zu bitten, erinnert sie sich an ihren „Gemahl“ Danny. Er übernachtet gerade bei Temperaturen nahe der Null-Grad-Marke in einer alten, dreckigen Goldgräber-Hütte. Ihr Wunsch nach einem Zimmer-Upgrade erscheint ihr plötzlich so dekadent, dass sie ihn fallen lässt und - etwas beschämt und Kopf schüttelnd - zu ihrer Verabredung aufbricht.
Lee und Tami, zwei Mitwanderer aus Australien und den USA, sind ebenfalls gerade in Invercargill und wollen Queen Charlotte treffen. Sie verabreden sich in einem Restaurant und die Wiedersehensfreude ist riesig. Lee wurde ja von „Gemahl“ Danny schon vor ein paar Tagen herzlich gedrückt. Aber heute hat Queen Charlotte Lee und seine Kumpeline, Tami, ganz für sich allein. Und so erzählen, lachen, essen und trinken sie den ganzen Abend, bis sie höflich gebeten werden, das Lokal zu verlassen, das bereits 21 Uhr schließt. Es war der schönste Abend seit langem, den Queen Charlotte erlebt hat, nachdem ihr „Gemahlträtierter“ ins neuseeländische Schlamm-Dickicht aufgebrochen ist. Sie hat sich so lebendig wie schon lange nicht mehr gefühlt. Der Austausch mit Lee und Tami tat ihr sehr gut. Erkenntnis des Tages: Wandern verbindet ungemein.
Am nächsten Morgen durchwandert Queen Charlotte zuerst den Queens Park. Besonders beeindruckt ist sie von der „Queens Park Stumpery“, einem Garten, der aus alten Baumstümpfen und -stämmen sowie Wurzeln aus Torfmooren gebaut wurde. Danach gönnt sie sich ein königliches Lunch im Batch Café und geht anschließend noch in ins „Bill Richardson Transport World Museum“. Sie bestaunt über 300 klassische Fahrzeug-Exponate und schaut sich im hauseigenen Kino noch ein Stück des Films „The worlds fastest Indian“ an, welcher auf einer wahren Begebenheit beruht. So hört sie erstmals von Burt Monro, einem Neuseeländer aus Invercargill, der Motorräder umgebaut hat und mit einem Modell sogar den Geschwindigkeitsweltrekord aufgestellt hat.
Queen Charlotte ist ganz verzaubert von Invercargill mit seinen großen, breiten Straßen, alten Kaufhäusern und den historischen Gebäuden, die ein wenig an das viktorianische Zeitalter erinnern.
Der nächste Abend endet wie der vorherige: Im Pub mit Lee und Tami. Tresen statt Trail.Baca lagi
- Tunjukkan perjalanan
- Tambah ke senarai baldiKeluarkan dari senarai baldi
- Kongsi
- Hari 140
- Ahad, 7 April 2024 9:54 PG
- ☁️ 12 °C
- Altitud: 13 m
New ZealandClifton46°27’51” S 168°21’22” E
Wir haben‘s geschafft - kein Bluff!
7 April 2024, New Zealand ⋅ ☁️ 12 °C
Heute ist es soweit: Nach 9 Tagen räumlicher Trennung werden Danny und ich uns in Invercargill wiedersehen. Das Schöne daran: Ich muss dafür gar nichts tun, nur warten. Vor Danny wiederum liegen 35 Kilometer, denn er startet in dem Örtchen Riverton und läuft entlang des Oreti Beach. Ich rechne nicht vor 18 Uhr mit seiner Ankunft, denn es herrscht gerade Flut, als er losläuft. „Im nassen, schweren Sand wird er nur sehr langsam vorankommen“, denke ich. Doch ich habe die schier grenzenlose Ausdauer, Kraft und Energie von Danny mal wieder gnadenlos unterschätzt.
Es ist 15:30 Uhr als er keuchend und mit rotem Kopf, dafür aber freudestrahlend, vor mir steht. Danny wollte so schnell wie möglich bei mir sein und hat sich - wer hätte es gedacht - dabei noch selbst herausgefordert. Er erzählt mir, wie er sich vorgestellt hat, dass er von den anderen Wanderern verfolgt wird. Daraufhin ist er immer schneller gelaufen, damit sie ihn nicht einholen. Schließlich hat er alles gegeben und die letzten Energiereserven angezapft. Und das mit einem 16 Kilo Rucksack auf dem Rücken. Andere wären schon längst vor Erschöpfung zusammengebrochen. Aber nicht Danny. In unserem Freundeskreis wird er von manchen deshalb anerkennend „The machine“ genannt. Auch mit Hugh Jackmann als Wolverine der X-Men-Filmreihe wurde er schon verglichen. Und eine neue Form des Superlativs von „extrem“ wurde ihm zu Ehren spaßeshalber erfunden: extrem, extremer, Danny.
Wir fallen uns glücklich in die Arme, erzählen uns unsere Erlebnisse der vergangenen Tage und planen gemeinsam die letzte Etappe von Invercargill nach Bluff. Aber bis es soweit ist, geht’s…na? Richtig! In den Pub. Zum 3. Mal in Folge und gleichzeitig zum letzten Mal auf dieser Reise treffen wir Lee und Tami. Sie haben den Trail bereits abgeschlossen und wollen das Ende gebührend mit uns feiern. Wir spielen zuerst Poolbilliard, essen anschließend leckeres Abendessen und gehen zum Schluss noch in eine Cocktail Bar. Hier weist man uns freundlich darauf hin, dass in 30 Minuten geschlossen wird. Wir nicken einsichtig. Aber dann stürmt nach uns noch eine sehr angeheiterte und zahlungsfreudige Freundesgruppe hinein, die einen Cocktail nach dem anderen bestellen und trinken. Es ist schon weit nach der angekündigten Schließzeit, als wir uns vom Personal verabschieden. Die Freundesgruppe hingegen sitzt noch immer dort und ihr lautes Gelächter verstummt nur langsam, während wir uns von Lee und Tami verabschieden und durch die nächtlichen Straßen von Invercargill schlendern.
Am nächsten Morgen ist der Himmel grau und die Straßen nass. Feiner Sprühregen kommt uns entgegen, als wir zu unserem Final Countdown aufbrechen. Aber ich rege mich nicht auf, denn die letzte Etappe auf diesem Trail soll und muss einfach „schön“ werden. Da kann mir so ein bisschen Regen gar nichts anhaben. Und so laufen wir durchs nasskalte Invercargill bis zum Ausgangspunkt der allerletzten Etappe. Den Regen denke ich mir einfach „schön“ und stelle mir vor, ich würde gerade eine Kosmetikbehandlung mit kaltem Sprühdampf erhalten. Das fördert die Durchblutung des Gesichts und macht die Haut rosiger. Während andere dafür viel Geld bezahlen, bekomme ich das hier kostenlos.
Nach einer guten halben Stunde kommen wir auf den Rad- und Wanderweg zwischen Invercargill und Bluff an. Er trägt den wunderschönen Namen Te Ara Taupara, was so viel bedeutet wie Reise oder Weg entlang des Sterns der Waka. Für Te Araroa Wanderer ist er entweder der Ausgangspunkt oder - wie in unserem Fall - der Abschluss des langen Fernwanderwegs durch Neuseeland.
Die ersten 10 Kilometer laufen wir am Ufer der New River Flussmündung entlang. Hier sind selbst zu dieser Jahreszeit noch viele Vögel anzutreffen, die immer wieder über unseren Köpfen in Scharen davonfliegen. Irgendwann erreichen wir ein Industriegebiet, über das wir auf den Highway 1 kommen. Ab jetzt laufen wir 16 Kilometer direkt neben der befahrenen Hauptstraße entlang. Normalerweise würden wir solch ein Stück „hitchen“ (trampen), aber unser Stolz ist zu groß, als dass wir irgendeinen Meter der letzten Etappe auslassen. Wir sehen es gleichzeitig als Respekterweisung an einen der schönsten und gleichzeitig härtesten Fernwanderwege der Welt.
Straff ist der Schritt, hoch ist das Tempo, groß der Ansporn, die Straße endlich hinter uns zu bringen. Völlig verschwitzt und außer Puste erreichen wir nach einer gefühlten Ewigkeit das große, rostige Stahlschild, wo der Ort BLUFF (sprich: Blaff) beginnt. Ich kann mich nicht zurückhalten und will unbedingt ein Foto, wo ich in einem dieser Buchstaben sitze und bitte Danny, ein Foto von mir zu machen. Er hat zu diesem Zeitpunkt starke Knieschmerzen, sagt mir das aber nicht und drückt lustlos auf den Auslöser der Handy-Kamera. Dementsprechend Sch… 💩 sehen die Fotos aus, so dass ich um eine Neuaufnahme bitte. Danny, der schon im Begriff war, weiterzulaufen, platzt vor Wut der Kragen. Wir blaffen uns in Bluff an. Ich bin sauer und Danny ist hungrig. Am Ende komme ich doch noch zu meinem Foto und Danny gönnt sich auf den ganzen Foto-Stress erstmal ne Pause. Und ein Ei. Und Schokolade. Der Zucker entfaltet seine Wirkung und schnell rauchen wir die Friedenspfeife.
Inzwischen befinden wir uns auf den letzten Kilometern, die es aber durchaus nochmal in sich haben. Über einen ausgetretenen Wiesen-Trampelpfad laufen wir entlang der Küstenlinie. Leider ist die Sicht heute ziemlich diesig, trotzdem erkennen wir in der Ferne die Silhouette von Stuart Island. Inzwischen wird der Trampelpfad immer hügeliger, teilweise wird’s auch wieder matschig und schlammig. „Der Trail gibt echt nochmal Vollgas“, denke ich. Denn irgendwie sind die letzten Kilometer eine kurze Zusammenfassung der vergangenen fünf Monate auf dem Trail. Ganz zum Schluss, wo ich schon 34 Kilometer in den Knochen habe, kommt nochmal ein allerletzter Anstieg, der sogenannte Bluff Hill. Zum Glück ist mir Danny meilenweit voraus, so hört er nicht, wie ich schnaufe und dabei wütend fluche.
Aber am Ende wird immer alles gut. Und so erreichen wir nach insgesamt 38 Kilometern den Wegweiser, der das Ende des Te Araroa Trails symbolisiert. Wir lachen, wir weinen, wir fallen uns in die Arme. So viele Gefühle überkommen uns auf einmal, dass wir sie gar nicht in Worte fassen können.
Abends im Pub feiern wir mit Wein und Pizza - beides kommt aus Pappkartons. Irgendwie passend zu dem Ort Bluff, der ein bisschen „runtergerockt“ wirkt und wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Für uns aber ist sie weitergelaufen. Wie auch wir immer weiter gelaufen sind.Baca lagi

















































































