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  • Day 65

    Tag 63: Bayreuth

    June 11, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 22 °C

    Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich von nichts und niemanden während meiner Reise aus der Ruhe bringen zu lassen. So verfolge ich seit zwei Monaten weder die Lokal- noch die Weltpolitik, kümmere mich nicht um irgendwelche Pandemien und selbst die Schicksale der Kleinen und der Großen in der Promiwelt lasse ich außer Acht. Und heute um 12 Uhr habe ich dann beschlossen, dass es auch so bleiben soll. Aber der Morgen war schon echt besch.... Ich habe mir eine Nacht im Bayerischen Hof, einem 4****-Hotel, gegönnt. Mit wunderbarem Zimmer, Sauna, hauseigenem Garten, großem Frühstücksbuffet ... Entspr. erholt und gestärkt geht's in den Tag. So denk ich zu dem Moment noch. Kurz noch das Fahrrad aus der Tiefgarage geholt, das Handy in die Halterung am Lenker und dann noch schnell ins Hotel, um die Taschen zu holen. 10 Sekunden hat es gedauert, genau 10 Sekunden zu viel. Ich hätte es doch wissen müssen, 50 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, nur mal kurz.... Handy weg! (meine neue Nr.: 0151-50882896)
    So sitze ich ziemlich bedröppelt vor dem Hotel und muss mich erstmal sammeln. Hab ich nicht noch mein altes Handy, so als Backup irgendwo in meinen Sachen? Auf dem ist doch auch ne Handyortung installiert! Tatsächlich. Aber demnach liegt das gute Stück im Mülleimer im Hauptbahnhof... Also abschreiben.
    Ich erstatte zwar noch ne Anzeige, so pro forma, und dann beschließ ich, mir den Tag und erst Recht nicht den Urlaub verderben zu lassen.
    Noch mal das gleiche Hotel gebucht und dann geht´s hoch zum Festspielhaus. Und, um so mehr ich dort oben stehe und die vielen Infotafeln durchlese, um so wütender und entsetzter werde ich. Unbestritten hat Richard Wagner mit seiner Musik und den Bayreuther Festspielen die Stadt international berühmt gemacht. Es war und ist wohl immer noch eine besondere Ehre in die Hallen des Bayreuther Festpielhauses als Sänger, Dirigent, Regisseur und Bühnenbildner geladen zu werden. Rufen zu Beginn der Festspielsaison die Fanfaren, strömt ein internationales Publikum herbei.....die Akustik soll phantastisch sein.
    Aber Richard Wagner wollte nicht nur die Musik sondern auch die Gesellschaft erneuern, das sei mit der "Verjüdung" der Gesellschaft nicht möglich. "Die Juden haben sich als fremdes Element in der deutschen Kultur eingenistet und dominieren sie..." Nur in Ausnahmefällen und nur aufgrund ihres besonderen Könnens wurden in das 1875 fertiggestellte Haus jüdische Künstler berufen, man brauchte sie ja.
    Unter Cosima Wagner, der zweiten Ehefrau von Richard Wagner, und ihren Kindern wurde es nur noch schlimmer. Die Familie Wagner, Antisemiten durch Jahrzehnte. Hitler, ein häufiger Gast bei den Festspielen... Die jüdischen Künstler wurden diffamiert, gedemütigt und nur noch in Ausnahmefällen geduldet, viele wurden entlassen, viele später im KZ getötet.
    Und die Stadt Bayreuth? Sie ließ sich gerne zur Hochburg nationalsozialistischer Propaganda umfunktionieren. Es dauerte bis 2012 !!!!, bis sich die kommunale Politik dem Thema zu stellen begann. Weiterhin heißen Straßen nach Mitgliedern der Familie Wagner, nicht nach den verfolgten und getöteten jüdischen Künstlern....
    Früher war es immer ein Wunsch von mir, einmal auf den Festspielen zu sein, vielleicht mal eine Karte zu ergattern.....das hat sich mit meinem heutigen Besuch erledigt.
    Dafür habe ich aber einen neuen großen Wunsch. Ich möchte einmal eine Aufführung im Markgräflichen Opernhaus, dem UNESCO-Weltkulturerbe, erleben.
    Ein barockes Hoftheater, wie aus einem Film entsprungen. Die Außenmauern mächtig, aus Basalt, der Innenraum nur aus heimischen Hölzern (Fichte und Linde) phantastisch gestaltet. Es sieht aus wie Marmor und Gold, dabei ist es nur Farbe, prächtig inszeniert. Das Bühnenbild noch original aus dem 18. Jhd. Alles einzigartig in Europa (alle anderen Theater dieser Art sind abgebrannt). Schöpfer des Ganzen ist der Italiener Guiseppe Galli Bibiena, der vom Wiener Kaiserhof nach Bayreuth kam. Dort saß die Schwester Friedrich des Großen, Wilhelmine, die etwas ganz Besonderes für die Hochzeit ihrer Tochter erschafft haben wollte. Und sie bekam es!
    Schon seit Anfang des 20. Jhd. gibt es kein festes Ensemble mehr im Opernhaus, es wird nur noch für Gastspiele geöffnet. Und da die UNESCO auf ihre Welterbe aufpasst, gibt es nur noch max. 30 Aufführungen im Jahr, und auch nur im Sommer (ein Mehr würde dem Holz, den Farben...schaden). Da müsste doch was möglich sein.....
    Fast an das Opernhaus angrenzend das ehemalige Bergbauamt der Stadt, die Schaffenstätte von Alexander Humboldt. Zum Oberbergmeister wurde er im August 1792 berufen. Fünf Jahre blieb er, dann war sein Fernweh und der Wunsch nach großen Reisen und Forschungen einfach zu groß. Im Juni 1799 bricht er zu seiner berühmten Reise nach Südamerika auf.
    Zum Abschluss schlendere ich noch durch die barocke Altstadt, es gibt ein Leckeis und ich hab Spaß an all den Kindern, die mehr oder weniger nackelig durch die Fontänen des Stadtbrunnens laufen.
    So schaffe ich doch noch den Tag zu genießen, und das ist auch gut so.
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