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  • Day 210

    Shizuoka und die Thunfisch-Stadt

    January 10 in Japan ⋅ ☁️ 8 °C

    Auf dem Weg nach Shizuoka lege ich einen Stopp ein, um meinen Japan Rail Pass abzuholen und eine Schale Ramen zu essen. Die Bestellung läuft über einen Bildschirm und eine Bezahlmaschine, dann setze ich mich an eine Theke. Ich staune nicht schlecht, als ich den Wasserhahn entdecke, der an jedem Platz angebracht ist. Fast überall habe ich in Restaurants kostenloses Wasser bekommen, aber noch nie so stilvoll. Darüber denke ich nach, als plötzlich von rechts etwas in Kopfhöhe auf mich zugeflogen kommt. Es ist aber nichts gefährliches, sondern nur meine Suppe, die mit Schmackes per Fließband von der Küche zu mir befördert wurde.
    Wenig später komme ich nach meiner ersten Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen in Shizuoka an. Ich habe gelernt, dass die Shinkansen über ein eigenes Schienennetz verfügen. Bis zu 320 km/h können sie erreichen und gefühlt tun sie das auch andauernd.

    In Shizuoka lade ich mein Gepäck ab und setze mich an die Theke eines Gyoza-Restaurants. Während ich auf die gebratenen Teigtaschen warte, erzählt mir ein anderer Gast vom Sushi im nahegelegenen Hafen von Shimizu und den frischen Fisch, den man dort bekommt - das merke ich mir natürlich. Der Mann und die Köche freuen sich, einen Touri zu sehen, der auch noch ein paar Worte Japanisch kann. Es ist wohl keine super bekannte Destination. Wäre das Erdbeben nicht gewesen, wäre ich jetzt auch woanders.
    Die Stadt ist groß, und wenngleich sie viel ruhiger als Tokyo ist, weisen einige Clubs und Bars sowie Maid-Bars auf ein ordentliches Nachtleben hin. Ich allerdings laufe erstmal zum Burggarten, wo mir in einem herrlichen Teehaus grüner Tee und eine Art süßer Teig namens Wagashi in Form einer Blume serviert werden. In der Nähe finde ich danach ein auf Matcha spezialisiertes Café und gönne mir leckeren Kuchen mit einer Kugel Eis.
    Anschließend stolpere ich auf der Suche mach Okonomiyaki in ein Kartenspiel-Geschäft mit Spezialisierung auf Yu-Gi-Oh und spreche mit einem der Jungs, die sich an einem Tisch sitzend duellieren. Es sind neue Karten, sorgfältig einzeln in Schutzhüllen verstaut. Einige der klassischen Karten in den Vitrinen des Geschäfts erkenne ich aus meiner Kindheit wieder, als ich mich mit Malte auf dem Wohnzimmerteppich duelliert habe.
    Danach finde ich mein Okonomiyaki-Restaurant. Wie so oft weiß ich vorher noch gar nicht, was das ist, sondern folge einfach einer Empfehlung. Ich kann dem freundlichen Koch dabei zusehen, wie er Ei, Käse und Kräuter zu einem Teig verarbeitet, zu dem er Meeresfrüchte gibt und wie einen Pfannkuchen verteilt er die Masse auf einem Bratfeld. Obendrein legt er noch zwei Streifen Bacon oben drauf - da ist echt alles Leckere in einem Gericht vereint.

    Am nächsten Tag nutze ich mein Zugticket, um ein paar Stationen zu fahren. Es gibt hier eine mehr als 980 Meter lange hölzerne Fußgängerbrücke, über die ich zu einem kleinen Waldstück gelangen kann. Auf dem Weg dorthin sehe ich das Undenkbare - Ein Haus über dessen Eingang “Wurst und Schinken auf die deutsche Weise” steht. Leider ist keiner zu Hause. Ich dackele also über die Brücke und treffe an dessen Ende einen alten Japaner namens Eitaro. Der verkauft hier Postkarten und Zeichnungen und macht sich einen Spaß daraus, mit den Besuchern zu quatschen und Fotos mit ihnen zu machen. Auf seiner Instagram-Seite hat er eine ordentliche Sammlung von Fotos gut gelaunter Besucher angehäuft. Um den Hals trägt er eine Kette mit einem Elefanten daran. “Sri Lanka” sagt er und versucht noch etwas per Übersetzungs-App zu erklären, was ich nicht begreife. Jedenfalls ist ihm der Elefant wichtig und er freut sich sehr, als ich ihm den Elefant auf meinem Beutel aus Chiang Dao zeige.
    Ich fahre noch weiter in den nächsten Ort, komme in die Burg, die ich mir anschauen wollte, aber nicht mehr rein und gebe mich mit Tee und Wagashi geschlagen. Mit dem Shinkansen komme ich in zwanzig Minuten wieder in Shizuoka an und plane meine Wanderung für den nächsten Tag.

    Von einem Bahnhof aus laufe ich los, mit einer Aussichtsplattform und einer Seilbahn zum Meer als Ziel. Wie langweilig der erste Teil des Weges sein würde, habe ich unterschätzt, aber mit Podcasts lässt sich das überbrücken. Während ich einen Hügel hochwandere, entdecke ich die ersten der Orangenbäume, von denen ich gelesen habe. Kleine Plantagen links und rechts des Weges mit dem Mount Fuji als Hintergrund ergeben mit dem hellblauen Sonnenhimmel eine tolle Aussicht. Dann geht es durch einen Bambuswald weiter den Berg hinauf zur Aussichtsplattform. In der Seilbahn unterhält eine Angestellte die Fahrgäste, indem sie etwas erzählt, wahrscheinlich über den Tempel zu dem wir fahren. Als wir da sind, spare ich mir aber den Eintritt und esse stattdessen Soba-Nudeln mit Krabben. Im Dörfchen gibt es viele Geschäfte von Erdbeerbauern, und ich will eines betreten. “Only reservations. Sorry.”, sagt ein junger Mann. Mit seinen erdigen Stiefeln sieht er aus als käme er direkt vom Feld. Er sucht mir dann aber einige ausgewählte frische Erdbeeren heraus, legt sie in eine Schale und schenkt sie mir. Dann hilft er mir auch noch, den Bus nach Shimizu zu finden.

    Dort angekommen gehe ich direkt zum Hafen. Die Bucht, in der die lokalen Fischer unterwegs sind, ist bekannt für Thunfisch und Garnelen. In einem Haus am Hafen gibt es auf zwei Etagen ungefähr 15 Restaurants. Ich setze mich in eines mit englischer Speisekarte und bestelle vier Arten von Thunfisch in einer Schüssel mit Reis. Wie gut dieser Fisch schmeckt, ist nicht auszudenken. Er ist so zart, dass er praktisch auf der Zunge schmilzt. Dazu gibt es natürlich Sojasauce, Ingwer und Wasabi sowie eine Suppe.
    Vom Restaurant schleppe ich mich noch zum kleinen Sushi-Museum in dem ich in einer halben Stunde ziemlich coole Sachen zum Thema lerne. Auf einer Bank im Einkaufszentrum liegen riesengroße Thunfisch-Kuscheltiere und draußen steht ein Anhänger in Thunfisch-Form. Dieser Ort ist verrückt nach Thunfisch und dafür auch sehr bekannt. Für mich gehts ab nach Hause und ins Bett. Knapp 20 Kilometer bin ich an diesem Tag gelaufen, sagt das Handy.
    Das Hostel ist übrigens wahnsinnig gemütlich. Nicht nur habe ich meinen eigenen Schlafraum, sondern ich bekomme jeden Tag frische Handtücher sowie einen frisch gewaschenen lila Pyjama. Selbstverständlich ist auch noch der Klositz beheizt. Am nächsten Tag fahre ich nochmal nach Shimizu, um mehr Thunfisch zu essen, dann gehts ab mit dem Shinkansen nach Kyoto.

    Im Zug denke ich an gestern Abend zurück. Ich war am Bahnhof von Shimizu entlang gegangen und hatte gesehen, wie sich Vögel auf Stromleitungen sammelten. Ein Mann und seine Tochter hatten am Straßenrand mit bunten Reifen gespielt. Im Hintergrund hatte ich rot blitzende Baustellenlichter und den ewigen Fuji mit der verschneiten Spitze gesehen, und ich war glücklich.
    Ich denke darüber nach, wie gefühlsleer ich manchmal in Deutschland durch den Alltag marschiert bin. Wie blind ich oft für meine Umgebung war, und wie sehr die Reise alles verändert hat. Mit welcher Intensität ich die vergangenen Tage erlebt habe. Wie die Wärme des Onsen in mich hineingesickert ist, während ich in den dunklen Wald starrte. Das Lachen des kleinen Jungen mit der Eisbär-Mütze im Burggarten. Das sanfte Schaukeln der Seilbahn zum Meer. Der Enthusiasmus der Kartenspieler. Das freundliche Gesicht des Kochs. Das Schlürfen von Japanern beim Ramen-Essen. Der Meergeruch am Hafen. Die Freude über Orangenbäume und Erdbeeren. Der Geschmack von rohem Thunfisch und Matcha-Eis. Das Gefühl, noch nicht nach Hause zu wollen.
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