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  • Day 9

    GROSSE MALADRESSE !

    July 22, 2023 in France ⋅ 🌙 17 °C

    Der nächste Reisetag steht vor uns und will uns zum Mont Ventoux bringen. Das Städtchen Villes-sur-Auzon erwartet uns und wir frohlocken ob der recht kurzen Strecke, die es zu absolvieren gilt. Deshalb ist morgens Zeit für einen kleinen Abschiedslauf, und dieses Mal halte ich mich an eine flache Route. Dann schafft man auch mal 12 km und die Beine bleiben heil. Vernunft ist nicht so schlecht, der Lauf dafür weniger spektakulär.

    So langsam haben wir auch wieder alle relevanten Handgriffe für’s Ankommen und Abbauen unter traumwandlerischer Kontrolle. Obwohl wir über einen Tausch mit einem Kastenwagen statt unseres Golfs und des Eribas nachdenken, schaffen wir die recht häufigen Ortswechsel ohne großes Aufheben. Markise einfahren, Stühle und den Tisch einräumen, Grauwasser entsorgen, Kabel einsammeln, Dach einklappen, Stützen einschrauben, die Luft aus dem Nivellier-Kissen lassen. Dank des Movers ist auch das Ausparken und Ankuppeln kein Akt.

    Der war neben einer leistungsstärkeren Batterie eine der besten nachträglichen Investitionen in unseren hübschen Wohnwagen. Beim Kauf unserer Emily winkten wir bei der Frage nach einem solchen Gerätes noch müde lächelnd ab. Mover ist doch was für alte Leute. Mit Schmalz in den Armen und Jugend in den Beinen kriegen wir diese süßen 1.400 kg doch locker über jeden Stellplatz gezerrt. Nach den ersten beiden Campingurlauben sind wir geheilt und lassen einen Mover nachrüsten. Spätestens, als es einmal in Frankreich auf einem durchweichten Campingplatz die Anstrengung sämtlicher anwesender Camper benötigte, um den Wagen wieder ans Auto zu kriegen, wurde uns klar, dass auch junge, sportliche Menschen kein Traktor sind. Besonders in der Schweiz auf einem Campingplatz in 2.000 Metern abschüssiger Höhe beglückwünschten wir uns zu derart sinnvoll investiertem Geld.

    So verläuft auch heute die Abfahrt verdammt entspannt und wir spähen nach dem großen Berg mit wüstenheller Spitze und Leuchtturm obendrauf. Zwanzig Minuten vor dem Ziel wird unser Frohsinn allerdings eingebremst. Beim Ausfahren aus dem Örtchen Mazan hält ein weißer Sportwagen vor uns, ein wütender Franzose entsteigt ihm.

    In nicht ganz freundlichem Ton erklärt er uns, wir hätten ihm mit unserem verlängerten Spiegel (die müssen wir an den serienmäßigen Spiegeln montiert haben, um unser angehängtes Heim im Auge behalten zu können) den Seitenspiegel kaputtgefahren. Nach eingehender Betrachtung lässt sich korrigieren: Ein Fitzelchen des Carbon-artigem Coverings des Seitenspiegels angeschabt.

    Wann und wo das genau passiert sein soll, können wir nicht so recht nachvollziehen, aber der Herr lässt nicht locker. Das macht ihn nämlich richtig sauer. Da er uns allerdings nicht sagen will, was wir jetzt weiter tun sollen und wir auch nicht wegkönnen, verfährt sich die Situation etwas. Will heißen, er schreit sehr viel, wir sind überfordert und wir versuchen, das mit Hilfe der Polizei zu klären. (Die Nummer ist 17, es gibt sogar Übersetzer, die sich zwischenschalten können.)

    Für alle, denen in Frankreich ein Malheur mit Verkehrsmitteln passiert: Solange keiner verletzt ist, kommt keine Polizei. Beide Parteien sollen einen Bericht schreiben (formlos, nehmen wir später an), dieser wird dann an beide Versicherungen gegeben und dann wird entschieden, wer was an wen zahlt oder auch nicht. So weit kommt es aber am Ende bei uns nicht. Auch, wenn wir etwa 90 Minuten daran laborieren. Der geschädigte Franzose weiß selbst bereits, dass die Versicherung nicht helfen wird, wie das bei Seitenspiegeln vermutlich immer der Fall ist.

    Stattdessen sehen wir keine andere Lösung, als bei der Polizei doch nochmal nachzufragen, ob sie kommen und das alles aufklären können. Die Überraschung: Die Polizei bemüht sich dann doch zu uns. Keine Überraschung: Unseren Konflikt löst sie nicht, aber jetzt haben wir noch eine schreiende Partei. Der Ober-Polizist (also der, der am meisten und am lautesten kommuniziert), macht Patrik zur Schnecke, weil wir zum einen mitten auf der Straße stehen und er zum anderen die Polizei für so einen Scheiß dahaben wollte. Und, weil er uns als f…king ash…les bezeichnet hat. (Ja, wir haben gepetzt.) Erstaunt über all diese Fülle an heftigen Emotionen und der Menge an Geschrei wissen wir noch nicht so richtig, wie wir uns der Situation entziehen können. Uns rettet am Ende eine alte Dame, die zufällig über ihren Hof schlendert, als wir festgehalten werden. Sie beschaut sich den Schaden an Patricks Auto und verwickelt ihn in ein freundliches Gespräch. Zeigt ihm sogar den Seitenspiegel ihres Autos (der ist wohl richtig im Eimer) und lenkt den Fokus ihres Zuhörers auf innere Werte, Gesundheit und schöne Seelen. Und das hilft.

    Unser wütender Peugeot-Fahrer kommt allmählich runter, beginnt dann, seinen Bericht für die Versicherung zu schreiben, lässt dieses aber bald fallen, um uns ein bisschen aus seinem Leben zu erzählen. Seine Mutter hätte deutsche Wurzeln, sein Vater wäre vor zwei Monaten gestorben, er liebt sein Auto sehr und sowas blödes mit dem Spiegel sei ihm letztes Jahr bereits passiert. Und irgendwann lässt er uns dann ziehen, mit einigen Händeschütteln und trotzdem noch etwas Ratlosigkeit auf unserer Seite.

    Endlich kommen wir in Villes-sur-Auzon an und unser Campingplatz hier ist echt gut ausgestattet (Pool und ein Platz für Fahrradwartungsarbeiten inklusive Montageständern, Luftpumpe und Wasserschlauch) und trotzdem familiär gemütlich. Schöne Sitzplätze, ein Kickertisch, ein kleiner Kunstrasenplatz mit Tennisnetz und Fußballtoren. Wir leihen uns Tennisschläger, testen den Pool und kochen ein opulentes Gemüsecurry und Vollkorn-Nudeln.

    Am Abend bereiten wir noch mein sportliches Highlight des Urlaubs vor: Der Aufstieg per Rad auf den Mont Ventoux!
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