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  • Day 46

    Die Wahrheit

    January 23 in Portugal ⋅ 🌙 15 °C

    Die Wahrheit liegt oft näher als man denkt, sagt ein Sprichwort. Und natürlich war die Reaktion von Hilde ziemlich klar und eindeutig, aber weil ich es nicht wahr haben wollte, was ich spüre, hat es eben einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe.

    Zuerst kommt der ruhige Schlaf zurück. Dann öffnet sich die Außenwelt um uns herum in solch intensiven Farben, dass ich auch jetzt noch auf den Bildern spüren kann, wie die Luft riecht und schmeckt. Und Hilde bekommt unbändige Lust zu laufen und zu toben, als habe sich der zweite Frühling in ihrer Seele eingenistet.

    Alleine am Strand, auf der Plattform oberhalb des tosenden Meeres, dessen Wellen unerwartet laute Geräusche machen, das es wie ein Knallen klingt. Im Bus. Lass uns wieder toben, Papa, wenn wir ankommen und aufstehen, um die Welt zu bestaunen.

    Wir stehen über Nacht zwischen vielen Campern, und ich muss immer staunen, wie still es ist, sobald die Nacht kommt. Jeder ist mit sich beschäftigt, so scheint es, keiner verlässt sein Fahrzeug, um in nächtlicher Ausgelassenheit den Mond zu feiern, oder die Sonne, die jeden Abend spektakulär überm Meer untergeht.

    So überlege ich ernsthaft, wieder nordwärts zu fahren, anstatt mich dem Mittelmeer zuzuwenden, wo die Sonne überm Wasser aufgeht. In keinem anderen Land bin ich je so unschlüssig gereist wie in Portugal. Das war vor zwei Jahren auch nicht anders.

    Den Tag über fahren wir an verschiedene Strände, die Steilküste bietet spektakuläre Blicke, an manchen Orten frische ich meine Erinnerung auf, allerdings meist erst, wenn ich mitten drin bin. Stimmt. Diese lange Palmenstrasse in Porto Covo. Oder das Dorf oberhalb der Flußmündung bei Odeceixe, wo die Pilger vom Berg hinunterkommen. Gegenüber einem Wegelager wartet ein alter Mann in seinem Fahrzeug. Vor zwei Jahren haben hier noch Reisende genächtigt, heute wächst das blumige Gras schon hoch über der Erinnerung.

    Diese alten Männer finde ich an so manchen Orten, dass ich mich wundere. Sie sind nicht unfreundlich, eigentlich beachten sie dich gar nicht, und in ihrer Art erinnern sie mich an die französischen Angler, die von morgens bis abends an einem See sitzen, nicht um etwas zu fangen, sondern um alleine zu sein. In Norwegen war das ähnlich. Da kommen sie mit Kaffee und der Frau, setzen sich hin, und beobachten stumm, wie wir mit dem Ort umgehen, den so manche Gemeinden auch für Reisende hergerichtet haben.

    Nur selten ist ein Gespräch möglich, und wenn, dann erfahren wir interessante Details. Für den Spanier auf dem Parkplatz hinterm Fluß interessiert sich niemand, und wir wollen auch nur spazieren gehen. Am Wasser entlang, über den staubigen Weg, den bunte Blumen und grünes Gras einbetten wie einen langen Schal.

    Aus Sagres habe ich schlechte Erfahrungen mitgebracht. Da fällt es mir nicht so leicht, wieder Platz zu nehmen. Aus den Tagen des gemeinsamen Reisens mit Nadine habe ich mehr Vertrauen in meine beweglichen Möglichkeiten mitgebracht, sodass ich längere Strandspaziergänge mache und mich "leichtfüßiger" auf unebenem Terrain bewegen kann. Zudem habe ich tatsächlich abgenommen, gefühlt fünf Kilo seit vier Wochen, ohne dass ich deswegen Hunger leiden muss. Ein bisschen unruhiger ist mein Kreislauf zwar geworden, sodass ich manchmal ganz überraschend von kleinen Kristallen in meinem Blick eingeholt werde, die sich aber durch Ignoranz und einem Schnitzel Schokolade verflüchtigen.

    Von der Straße zum Leuchtturm in Sagres führen Ebenen zwischen Steinen zur Klippe, wo das Meer sich gegen die Felsen wirft. Hilde hat einen starken Eigensinn entwickelt, ihren Weg zu gehen, was sich in der plötzlich stark gespannten Leine ausdrückt, sodass sie mich vermutlich umreißen würde, hätte ich nicht diesen festen Wanderstock aus gutem Watenbütteler Weidenholz, den mir ein Freund vor 16 Jahren geschenkt hat. Hätte niemand gedacht, dass er mir heute Standfestigkeit gibt.

    Für eine Nacht ist Sagres okay, ich habe meinen Frieden mit dem Ort gemacht, und überhaupt mit dem Ereignissen der letzten Wochen, also im Groben mit Portugal. Vielleicht habe ich gar eine alte Liebe aufgefrischt, das wird die Zukunft zeigen.
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