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  • Day 50

    Wassertage

    January 27 in Portugal ⋅ ⛅ 18 °C

    Es gibt Wassertage. Das sind solche Morgenstunden, an denen dir der Hund die feuchte, sandgekörnte Leine heftig durch die Hand zieht, sodass dir kurzzeitig einfällt, dass die alten Physiker durchaus recht haben mit ihrer Erkenntnis, wie Wärme entsteht. Und wenn du jetzt nicht unmittelbar fest zupackst, dann wird es wehtun.

    Solche Tage habe oft ihren Ursprung in wunderschönen Erfahrungen am Tag zuvor. Erst als ich das Photo mit der Sonne, deren Strahl durch das Loch im Felsen weiterläuft, verschicke, sehe ich, wie wunderbar diese Aufnahme geworden ist. Gegenlichtbilder auf verschmiertem Display sind, wenn überhaupt, nur schemenhaft zu sehen. Ich spüre eher eine gute Aufnahme, als dass ich sie wirklich bewusst mache.

    Das Bild mit Hilde und einem ähnlichen Hintergrund zeigt deutlich, dass das Loch hier nicht zu erkennen ist. Wir haben einen wunderschönen Abendspaziergang am Castelejo Beach gemacht, dort wo wir tags zuvor die netten Wesen, Jessi und Ivy, getroffen haben, die just angekommen sind, als wir eigentlich abfahren wollten. Es sind immer jene Sekunden, die entscheiden, wem wir begegnen, und wen wir verpassen werden.

    Ja sie habe Lust drauf, dass wir ihren Spaziergang ɓegleiten, wobei das Vergnügen nicht unbedingt Hilde mit so großer Freude anspringt, wie das die kleine Ivy macht, die begeistert vor dem älteren Hund, große Sprünge macht und sich zu ihren Füßen auf den Rücken wälzt. Nimm das weg, Papa, meint Hilde verzweifelt, als selbst wildes Zähnefletschen nichts bringt. Ich lache zurück, du bist der Hund, du musst das alleine regeln.

    Zu angenehm und interessant ist die Unterhaltung mit Jessi, die in der Gegend lebt und arbeitet. Ein Mensch, der sich bewusst in durchaus jungen Jahren für das Leben in einem anderen Land entscheidet, wo die Landessprache eine Herausforderung ist, besonders wenn das tägliche Leben in Englisch und Deutsch erfolgt. Solche Schritte sind mir durchaus nicht unbekannt, gab es solche Überlegungen nicht nur in den Jahren, als ich durch Europa getrampt bin. Letztens noch sagte mein Sohn, miete dir doch ne Wohnung dort, wo es dir gut gefällt.

    Als die Beiden uns am nächsten Tag für einen weiteren Strandspaziergang abholen, ist das Interesse von Ivy an Hilde weitgehend erloschen, dafür versucht sie dieses Mal eigene Wege zu gehen, was ihre Besitzerin zu einigen ersteren Worten bringt. Auf diesem Spaziergang sind wir 90 Minuten unterwegs, und auch wenn ich später ein bisschen länger ausruhen muss, bin ich doch über die Erweiterung meiner Möglichkeiten sehr froh.

    Vor einem solchen Wassertag liegt also meist eine euphorische Gratwanderung, an der ich manchmal den Überblick verliere, und mich grade noch vor spitzen Jubelschreien bewahren kann, aber nicht vor so manchen Gedanken, die es in Worte schaffen, die auch ihre Adressaten finden müssen. Und dann denke ich immer, bloß mich nicht jetzt falsch verstehen...

    An solchen Tagen fällt mir auch mal das Handy in Hilde's Wassernapf, dieses Mal ist es nur eine Socke. Aber wir finden keinen guten Platz zum Schlafen, es ist schon dunkel, und ich muss mich irgendwo hinquetschen, wohl wissend, dass wir morgens vorm Spaziergang auf jeden Fall wegfahren müssen. Noch ewig höre ich nachts Musik, und wenn ich schon nicht schlafen kann, dann findet sich doch noch ein Fläschchen Alkohol zwischen dem Hundefutter.

    Entsprechend unruhig ist die Nacht, der ich leider auch nicht früh ein Ende bereiten will. Alle Fenster sind nass, es sieht nach Bodennebel aus, die Sonne geht über der Mülltonne auf. Der Morgen ist kalt und natürlich nass, so wie das Gras im Naturschutzgebiet, die Hundeleine, meine Schuhe, überhaupt alles, was mir in die Hände kommt.

    An solchen Tagen rate ich mir immer, langsam zu fahren, möglichst viel Land um den Bus zu lassen. Am Ende stehen wir oben auf dem Berg, auf dem sich eine große freie Fläche gebildet hat. Von hier aus bin ich gestern zu den Stränden gefahren, hier fegt der Wind wie das Geräusch eines einfahrenden Zuges auf den Bus zu. Blau und Grau wechselt mit Dunkel und Sonne.

    Oben auf dem Berg steht ein Haus im Licht, bei dem ich nicht erkennen kann, ob dort immer noch Menschen übers weite Meer schauen. Und wenn es verlassen wurde, stelle ich mir oft die Frage nach dem Warum. Ob es die Einsamkeit ist, die die Seele auffrisst, oder der Wind, der die Menschen übers Land jagt. Die Ungeheuer der Nacht oder die brennende Sonne, die die Augen blendet.

    Tief im Tal unter mir, gibt es ebenfalls eine mögliche Bauruine, da wo das Licht nur einen begrenzten Zugang hat, und die Sonne lediglich um die Mittagsstunden herum ihre Wärme verteilen kann. Vielleicht ist der Sturm dort unten gebunden, die Wölfe kommen überall hin, egal wo du dich versteckst. Wenn sie einmal auf deiner Fährte sind, werden sie dich finden.

    Vor einigen Monaten hatte mir Birgit eine Biografie von Holly-Warren über Janis Joplin in die Hand gelegt, dass ich es lesen möge. In der Einführung wird eine Aussage von Janis zitiert, auf deren Fährte die Wölfe schon früh gekommen sind. Das Zitat findet sich original im Buch von Laura Joplin, ' Janis Joplin. Ein wildes kurzes Leben.'

    "Mach keine Kompromisse mit dir selbst. Du bist alles, was Du hast."

    Ich hatte früher eine der ersten Langspielplatten von Janis Joplin, aus der Zeit, als sie lange noch nicht so bekannt war. Wenn ich jetzt im Abstand von fünfzig Jahren darauf zurückblicke, erfüllt es mich mit Dankbarkeit, ein Teil dieser Geschichte gewesen zu sein, mit meinen Wölfen letztendlich in einigen spektakulären Situationen Frieden schließen konnte, ohne vielleicht nie ganz sicher zu sein.

    Die LP habe ich mit einigen anderen gegen Essen getauscht, also mit einem Übergang in Form von Geld. Aber vielleicht habe ich schon damals gewusst, dass Erinnerungen wertvoller sind als Besitz. So geht es mir auch mit allen Begegnungen, mit jedem Menschen, der meinen Weg kreuzt, und mir ein dankbares Herz und eine glückliche Seele hinterlässt.
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