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  • Day 56

    Aussteiger

    February 2 in Portugal ⋅ ☀️ 17 °C

    Als ich aus dem Seitentürfenster schaue, blickt mich aus dem Gras ein Hundegesicht an. Vielleicht geht es dir auch so, dass du immer wieder in der Natur Gesichter siehst. Gerade in Felsformationen, die sich vom blauen Himmel abheben, begegnen mir immer wieder Gesichter. Manchmal nur Augen, eine Schnauze, oder wie vor einigen Jahren im Schwarzwald ein Wolf, der in einem Wasserfall steht, sich umdreht und mich anschaut.

    Ich habe die beiden Bilder am Anfang des Beitrages gepostet, um dir die Möglichkeit zu geben, ob du es auch erkennen kannst. Beim Wasserfall musst du eventuell das Bild vergrößern, es geht um den schmalen Wasserlauf rechts, während es im Gras die dunkle Stelle ist, die ich meine. Obwohl ich natürlich glauben will, dass es sich nicht um echte Tiere handelt, kann ich mich der Faszination dieser Bilder kaum entziehen.

    Heute sind wir schon im Dunklen rausgegangen, halb sieben in Portugal ist noch Nacht, die Laternen erhellen lediglich die gepflasterten Ŵege. Hilde möchte gerne in den schmalen Pfaden zwischen dem hohen Schilf schnüffeln, aber das müssen wir auf später verschieben. In der Nacht hat es so abgekühlt, dass die Gräser im Licht so glänzen, als hätten sie Besuch vom Väterchen Frost bekommen.

    Hilde schaut mich oft mit traurigen Augen an, diese großen Kullerblicke ohne blitzendes Bernstein. Keine Aufregung, nur eine Form von Traurigkeit, die ich nicht ergründen kann.

    Wir hatten uns in zehn Tagen mit Anja in Lagos verabredet und versuchen seit zwei Tagen Sagres zu verlassen. Aber keine Richtung gefällt mir. Entweder erdrücken mich Wald und Berge, gewundene Straßen ohne gute Möglichkeiten zum Spaziergang. Oder der Verkehr auf der Hauptstraße zwischen den bekannten Orten an der Algarve und Huelva in Spanien erschlägt mich.

    Fahre ich in den Norden, wo ich herkomme, oder in den Westen, so muss ich auf den gleichen Weg zurückkommen oder durchs Landesinnere fahren. Und dann kenne ich vieles hier in der Umgebung, die gefüllt ist von Mitteleuropäern, die geblieben sind. Eine Art Enklave in diesem Landstrich, die sich nicht wirklich mit den Einheimischen vermischt hat, auch wenn ihre Fahrzeuge zwischenzeitlich portugiesische Kennzeichen tragen.

    Vermutlich empfinden das sogenannte Auswanderer durchaus anders, und nur mir als Nichtsesshaftem fallen solche Unterschiede auf. Der Tankwart vor einigen Wochen oben im Alentejo, dessen Eltern vor dreißig Jahren aus England ausgewandert sind, ist zweisprachig aufgewachsen, weil er in Portugal zur Schule gegangen ist, aber die Eltern durchgehend englisch gesprochen haben. Wie er sich fühlt, sei schwierig zu sagen, er habe halt einen anderen Status als die Einheimischen.

    Mir begegnen sie an den Stränden, aus ganz unterschiedlichen Herkunftsschichten ergeben sich ähnliche Gespräche wie diese in den Hostals in aller Welt. Es geht mehr oder weniger um den Austausch von Informationen, selten um den Lebensinhalt, der mich wirklich interessiert. Natürlich gibt es Unterschiede, wie ich aus den Gesprächen mit Georg und Jessi weiß, wobei ich trotzdem überlege, ob mein Hinterfragen wirklich gewünscht ist. Will 'man' sich wirklich in die Karten schauen lassen.

    Ich habe schon Bewunderung über jemanden, der sich bewusst für ein Leben in einem fremden Land entscheidet, dort entgegen aller Ungewissheit alt werden möchte. Das Wetter ist ja nur ein Faktor. Andere bleiben genau deswegen in Skandinavien. Ist Integration wirklich gewünscht, oder macht es die Vielzahl der Gleichgesinnten einfach, nicht darüber nachdenken zu müssen. Im Norden Europas sind die Zeichen dann eben auf Einsamkeit und Abstand gerichtet. Ich will und kann auch niemand über einen Kamm scheren, geschweige denn mir ein Urteil bilden, das mir übrigens gar nicht zusteht.

    Tatsächlich bleibe ich der Fragende, auch was meine eigene Motivation angeht. Ich glaube, dass es keinen Unterschied macht, wo ich leben würde, wenn ich mich sesshaft machen würde. Tatsächlich würde ich vereinsamen oder den Leuten auf den Geist gehen, die sich mir nähern. Und möglicherweise deshalb fühle ich mich in diesen Enklaven unwohl, fehl am Platz, wie man so sagt.

    Sie haben und leben ein Zusammengehörigkeitsgefühl, in das ich mich nicht integrieren kann, selbst wenn ich das müsste. Ich bin und bleibe ein Außenseiter. Trotz aller Bemühungen über die Jahrzehnte meines Lebens habe ich nirgendwo wirklich andocken können. Immer war und bin ich zugereist, lediglich in dem mir gehörenden Raum bin und war ich Zuhause, was sich im blauen Bus nochmal extremer darstellt.

    Bleiben können und Weggehen wollen sind Eckpunkte meines Lebens und Wohlbefindens. Kontakte knüpfen und sie pflegen gehört genauso dazu wie der Rückzug in die gewünschte Einsamkeit und Ruhe. Von allem, was mich binden könnte, halte ich Abstand. Auch wenn ich nicht verneinen kann, dass es hin und wieder die Sehnsucht gibt, etwas an diesem Zustand zu verändern.

    Die Bilder sind von unseren Ausflügen nach Monchique und dem Barragem de Bravura, einem Stausee oberhalb von Odiáxere. Und natürlich von den Stränden in Sagres und Vila do Bispo. Gestern habe ich mich entschieden, dass wir noch bis Sonntag in Sagres bleiben und dann Richtung spanischer Grenze unterwegs sein werden. Wenn ich mir Zukunft wünschen könnte, dann würde ich nächstes Jahr im Februar nach Sagres wiederkommen, und später in den wärmeren Monate den Norden Portugals bin hin zur spanischen Grenze reisen.
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