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  • Day 58

    Imagine

    February 4 in Portugal ⋅ ☁️ 12 °C

    Letzte Nacht in Sagres. Tatsächlich haben wir 14 Tage auf dem anonymen Parkplatz vor dem Fortaleza de Sagres übernachtet. Hundert Camper jede Nacht, manche bleiben den ganzen Winter hier stehen. Sechs Monate im Umkreis von weniger als hundert Kilometer unterwegs.

    Vielleicht habe ich ein Dutzend netter Menschen kennengelernt, zumindest hat der Wiedererkennungswert funktioniert. Wobei unser Bus schon sehr auffällig ist, die meisten Menschen aber deutlich zurückhaltender sind, was den Kontakt mit Fremden angeht. Denn auch wenn ich vielleicht einer von denen sein könnte, die hier bleiben, aber nie Portugiesen werden wollen, so ist mir vermutlich die Art Tourist anzusehen, der ich nicht bin.

    Vielleicht ist es ein Klischee, dass du nie aus dem Bild springen kannst, das andere sich von dir machen, auch wenn es weder stimmig noch richtig ist. Und immer muss ich überlegen, ob meine Herzlichkeit von anderen Menschen nicht als Aufdringlichkeit verstanden wird. Wie weit kann Mensch sich aus dem Fenster lehnen, ohne raus zu fallen.

    Und was bedeutet Gleichgesinnt. Dieses Gefühl ist sehr individuell, und sein Wahrheitsgehalt scheint mit zunehmenden Alter abzunehmen, zumindest erfahre ich solche Reaktionen. Es gibt Nähe und Nähe, und trotzdem liegt ein Graben dazwischen. Ich frage mich oft, wer diese Schlucht anlegt. Bin ich es, mein Gegenüber, das gesellschaftliche Verständnis, aus dem man sich auch dann nicht lösen kann, wenn man versucht, die Gesellschaft zu verlassen.

    Wenn ich mich mit einer Vierundzwanzigjährigen unterhalte, kann ich nicht vermeiden, dass sie denkt, ich könnte ihr Opa sein. Und bei einer Zweiundvierzigjährigen werde ich in meinen Gedanken erinnert, sie könne meine Tochter sein. Interessanterweise gibt es diese Diskrepanz deutlich weniger im Kontakt mit Männern, vielleicht liegt das aber auch daran, dass immer ein emotionaler Abstand bleibt, der mitteleuropäischen Männern in die Wiege gelegt zu sein scheint.

    Mit vielen verbindet sich der Open-End Gedanke beim Reisen, auch eine ähnliche Lust am Neuen, Fremden, Unbekannten. An den Herausforderungen, und der Freude am Erleben. Aber während ich Kinder und Enkel in Deutschland besuche, haben sie Eltern und Geschwister. Und ihre Form zu überleben, richtet sich an die vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten, während ich eine Rente beziehe, über ein regelmäßiges Einkommen verfüge.

    Das Besitz nicht mein Begehr ist, und Geben seliger denn Nehmen, fällt dabei meistens gar nicht ins Gewicht. Und auch wenn ich ihre Lebenssituation sehr gut kenne aus den Jahren, in denen ich durch Europa getrampt bin, ist es bei ihnen heute und bei mir gestern.

    Eigentlich bin ich anscheinend auf der falschen Spur unterwegs. Und tatsächlich treffe ich ab und an Menschen, die sich sozusagen horizontal wie ich bewegen. Mit Rente und ähnlichen Voraussetzungen, was Familie und Perspektive angeht, auch in Bezug auf den Open End Gedanken. Überraschenderweise sind dies, mit wenigen Ausnahmen, Männer, bei denen sich im Gespräch schnell ein sehr ähnlicher Background einstellt, was unsere Vergangenheit betrifft. Es gibt ja auch Frauen aus meiner Generation, die unterwegs sind. Nur treffe ich diese Menschen nicht. Auch in acht Jahren hat sich daran nichts geändert. Und ich bin durchaus sehr kontaktfreudig.

    Also muss es andere Ursachen geben, die sich mir leider nicht erschließen. Ich habe Verdachtsmomente, aber weder Klarheit noch Gewißheit. Und um nicht total zu vereinsamen, oder positiv gesprochen, weil ich Kontakte zu anderen Menschen brauche, sie ein Teil meines Lebens sind, werde ich auf dieser Spur weitergehen, trotz aller Zweifel, die sich immer wieder auftun.

    In den letzten Tagen bin ich nochmal durch die Orte gefahren, die mich umgeben. Vila do Bispo, die Strände in Castelejo und Cordoama. Auf einem Parkplatz in der Nähe der Markthalle treffe ich Sina's Familie @wander.horizons, von der ich mich verabschieden wollte. Uwe und Christine winken uns zu im Vorbeifahren, am Meer begegnet uns nochmal die Familie mit dem jungen, braunen Wuselhund, der sich vor Hilde fürchtet. Letztens hat mir noch der argentinische Pizzaverkäufer zugewinkt, den ich getroffen habe, als er vom Surfen den stürmischen Wellen entkommen war.

    Wir fahren über die Strände von Zavial und Salema, durch eine grüne Landschaft mit kleinen Straßen bis zum Praia da Boca do Rio, wo wir Anja und ihren Hund am Strand treffen, uns angenehm unterhalten, später auf eine gute Art voneinander verabschieden, vielleicht eine positive Erinnerung mit uns tragen. Im Dunkeln fahre ich zurück nach Sagres, weil die Übernachtung im Naturschutzgebiet verboten ist.

    In den meisten Campern ist es dunkel, dass mir der Gedanke an einen Friedhof kurz vor 19 Uhr gar nicht so fremd vorkommt. Das betrifft auch die Stille, die ja nachts durchaus wünschenswert ist, aber für einen solchen Abend schon beängstigend wirkt. Ich lasse Janis Joplin auf dem Handy laufen, während ich den Bus umbaue. Und obwohl ich weiß, dass die räumliche Ausstrahlung der Musik kaum weiter als ein paar Schritte geht, habe ich für einem Moment die Vision, dass sich alle Türen öffnen und die Menschen herausströmen, um mit uns ein großes Happening zu veranstalten.

    "A dream you dream alone is only
    a dream
    A dream you dream together is
    a reality." (John Lennon)

    https://youtu.be/bvFLKyAGzzI?si=otfQO0SNp0QtmIQM

    PS. Am Morgen fahren wir zurück an den Praia da Boca do Rio, um dort spazieren zu gehen und den neuen Tag gebührend zu begrüßen!
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