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  • Day 72

    Reisen mit lieben Menschen (Part Two)

    February 18 in Portugal ⋅ ☁️ 14 °C

    Ich weiß nicht, wo die Stadt Lagos ihre Campergäste unterbringt, aber die hochgelobten Stellplätze bei Supermärkten erweisen sich für mich während der Öffnungszeiten doch eher als Alptraum, sodass ich trotz großer Müdigkeit nach Sagres in der Nacht zurückfahre. Vermutlich hätte ich auch in dem Stadtteil, wo Anja ein Apartment gemietet hat, am Straßenrand übernachten können, aber ich war mir nicht sicher.

    Der Parkplatz am Fort in Sagres ist heute dicht besetzt, für einen Nachtschlaf reicht es aber. Doch am Morgen brechen wir mit dem ersten Licht auf, fahren hoch über Vila do Bispo, um den Tag mit einem weiten Blick über Land und Meer zu begrüßen.

    Wir nehmen Abschied. Für dieses Jahr, für diese Reise, für Immer. Niemand weiß, was morgen sein wird, und auch wenn es wichtig ist, sich Ziele zu setzen, werden wir abwarten müssen, ob und wie sie sich umsetzen lassen. Am Strand von Castelejo stürmt es heute, trotzdem treffen wir eine Wandergruppe an, die sich um einen Reisekundigen schart, der ihnen vielleicht die geologischen Hintergründe von Fels und Meer näher bringt. Hilde hat Spaß mit der Ebbe, die uns viel Platz gibt, aber zurück will sie nur dicht an den Felsen gehen, weil dort die Windböen deutlich geringer sind.

    Wir werfen einen Blick auf den Strand bei Amado, gehen nochmal in Bordeira spazieren, und schauen in Amoreira, wie der Fluss in einem See hinterm Strand zu enden scheint, während sich auf der anderen Seite das Meer gegen den Sand wirft. Noch ein Stück nördlicher treffen wir Lea und Luna am Parkplatz oberhalb des Strandes von Rogil wieder.

    Die Hündinnen freuen sich deutlich aneinander, den Menschen geht's ähnlich. Es gibt einfach immer wieder mal besondere Begegnungen unterwegs, die nur in kurzen Momenten bestehen, die aber eine langdauernde Wirkung haben. Anja @anjawy und ich haben uns in Skibotn zweimal getroffen, vielleicht insgesamt eine Stunde miteinander geredet, aber aus diesem Kennenlernen ist eine gute und lange Freundschaft geworden.

    Mit Melly und Toby von @wildnaturedesire ist es ähnlich, und jetzt schickt es sich so an, dass meine Begegnung mit Lea @lealuchs sich auch zu einer guten Freundschaft entwickeln kann. Ich trage in meinem Lebensgepäck noch einige dieser besonderen Menschen, über deren Zuneigung ich sehr glücklich sein darf. Und es erweist sich immer wieder, dass Kontinuität im Umgang miteinander nicht von viel gemeinsamer Zeit geprägt ist, sondern von der Intensität der jeweiligen Begegnungen.

    Lea liebt einsame Plätze, an denen sie ungestört leben kann, und so stehen wir über Nacht in einem dunklen Rund, das nur von einzelnen Straßenlaternen erhellt wird, dort wo Häuser stehen. In der Ferne die Lichter des kleinen Ortes Rogil, vom Meer her der Lärm der Wellen, die von den Windböen übertönt werden, die heftig den Bus schütteln.

    Ich werde nachts wach und schaue raus, aber als ich mich wieder schlafen lege, wird der Wind ganz still. Lea muss am nächsten Tag einiges erledigen, und ich möchte nochmal ins Hinterland fahren, hoffe am Nachmittag auf einen anderen Platz ans Meer zu kommen, da ich hier mit Hilde nicht zum Strand runtergehen kann, denn 260 Holzstufen sind dagegen.

    Von Rogil biegen wir rechts ab Richtung Zambujeira de Baixo. Kaum haben wir die Häuser des Ortes hinter uns gelassen, wird es still. Es fahren keine Autos mehr, und die Landschaft scheint in einer Weise den Atem anzuhalten, als würde sie sich ständig erinnern. Ich denke sofort an diesen wunderschönen Song von Pink Floyd "Coming Back to Life, dessen Inhalt sich zwar auf eine Liebe bezieht, der aber auch über diese Welt sprechen könnte, in der wir unterwegs sind.

    https://youtu.be/WAUiHImStdI?si=rDAZ6HYYb-2E8YX6

    Ich erinnere mich gut an die dramatischen Berichte über die Waldbrände im Süden Portugals vor wenigen Jahren, die einigen Menschen den Tod und vielen die Heimat genommen haben. Unterwegs sprechen Langzeitreisende gerne über eine Homebase, die sie suchen, und oft genug bleiben sie dann auch dort, weil das Reisen zur Nebensache wird. Hier in den Wäldern haben Menschen Heimat gefunden, bis der Feuersturm über sie hereingebrochen ist.

    Jetzt, einige Jahre später, ist das Land immer noch verlassen, aber wir fahren durch eine Landschaft, in der die Natur zwischen den verkohlten Zeugen der Ereignisse sich grün und blühend ausbreitet. Coming back to life, der Song schwingt durch meinen Kopf, während sich die Augen mit Tränen füllen. Es bewegt mich sehr, hier ganz alleine zu sein, zwischen der atemlosen Stille dieser schrecklichen Geschehnisse und dem Vogelzwitscher in diesem fröhlichen Moment der Wiederauferstehung.

    Vielleicht brauchen wir Menschen diese Diskrepanz, um uns zu erinnern, wie wertvoll Leben ist, und wie einmalig unser Dasein sich um uns ausbreitet. Still fahren wir durch den einsamen Tag, gehen am sandigen Fluß bei Odeceixe spazieren, wo wir Lilly treffen, die den Küstenwanderweg geht. Nur eine Woche, nur einen kurzen Eindruck will sie gewinnen, aber sie merkt jetzt schon, dass das Wandern, die Einsamkeit, ihr sehr nahe kommt.

    Menschen brauchen ein gutes Gerüst um sich herum, um mit der selbst gewählten Einsamkeit gut umgehen zu können. Bei mir ist es unter anderem das Schreiben, bei Lea die Musik. Sie spielt leidlich, wie sie zu sagen pflegt, Harfe, was aber zur Straßenmusik schon ausreicht, und lernt seit längerem, Geige zu spielen, weil sie das Instrument fesselt, auch weil das Lernen deutlich herausfordernder ist. Ein Stück würde sie gut können, das würde sie mir gerne vorspielen.

    Und so bekommt die dunkle Nacht ein helles Licht voller Melodien, deren Nähe sich über die Ferne der Wellen erhebt, und sicher von den wenigen Menschen in der Umgebung überraschend wahrgenommen wird. Vielleicht ein Geschenk in ihrer Einsamkeit, die ja wahrscheinlich gewollt ist.

    In der Nacht sitzen wir lange in intensiven Gesprächen verwickelt im blauen Bus, während Luna im gelben Camper die Zeit des Alleinseins verschläft. Und da die Aufnahmen im Dunkeln nicht so gut geworden sind, bekommen wir noch ein morgendliches Ständchen, das in mir eine besondere Erinnerung weckt.

    "Die wunderbare Geschichte eines jungen Engländers, der eines Tages mit nichts als seiner Geige in die Welt zieht. Nichts ahnend vom Gang der Dinge, durchstreift er Spanien und beschreibt seine Erlebnisse auf unvergessliche Weise. Ein wunderschönes Buch...

    Ein kleines Zelt, eine in eine Wolldecke eingewickelte Geige, Wäsche zum Wechseln und eine Dose Kekse: Das ist die ganze Ausrüstung Laurie Lees, als er an einem strahlenden Junimorgen sein Heimatdorf in Gloucestershire verlässt und sich auf den Weg nach London macht. „Neunzehn Jahre war ich alt, noch nicht trocken hinter den Ohren, aber ich verließ mich auf mein Glück.“ Mithilfe seines Geigenspiels schlägt er sich als liebenswürdiger, alle Eindrücke intensiv erlebender Vagabund zunächst bis London durch.
    Da Laurie weder ein anderes Land noch eine andere Sprache kennt, wählt er Spanien als nächstes Reiseziel, er betritt es in Vigo und durchwandert es bis nach Gibraltar, macht Bekanntschaften mit Bauern und Bettlern, den Armen und Ärmsten, musiziert für Brot und Wein und schläft in Olivenhainen und Wirtschaftshaushöfen. Es ist das Jahr 1935, und der kommende Bürgerkrieg wirft seine Schatten voraus."
    (Laurie Lee 'An einem hellen Morgen ging ich fort')

    https://www.milena-verlag.at/index.php?item=kla…

    Lea, ihre Geige, das Spiel zwischen Sand, Himmel und den grünen Pflanzen um uns, die zerrissene Hose, die Kleidung farblich und gänzlich ungewollt abgestimmt auf den Klangkörper, das Gesicht in der Konzentration der Musik versunken, so bleibt sie in meiner Erinnerung.
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