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  • Day 75

    Hilde ist glücklich

    February 21 in France ⋅ ☁️ 13 °C

    Wochenlang pflege ich ein beschauliches Leben zwischen Meer und Schlafplatz, mit vielen intensiven Begegnungen, und kann meist gut einschlafen, ruhig durchschlafen - was für mich zwei nächtliche Aufwacher beinhaltet - und bin morgens ausgeruht.

    Doch kaum wende ich mein Gesicht der stillen, langen Straße zu, ist es mit der nächtlichen Ruhe vorbei. Es dauert ewig, bis ich endlich einschlafe, keine Stunde später bin ich wach, und diesen Rhythmus halte ich bis morgens bei. Entsprechend erschöpft wache ich auf.

    Hinzu kommen die niedrigen Temperaturen nachts, meist bewegen wir uns gerade oberhalb von 500 Metern und unterhalb von fünf Grad Celsius. Also Standheizung vorm Aufstehen, das macht einen dicken Kopf, weil ich in diesem Gedusel natürlich wieder einschlafe.

    Träume, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht, da überlege ich schon mal, mir das Messer aus der Küchenschublade zu holen, und entscheide mich, vorher zu gehen.

    Wohlgemerkt, ich will alleine sein. Kleine Gespräche am Wegesrand, aber keine Geschichten mit anderen Menschen. Alleine mit Hilde und dem blauen Bus, alleine auf der Straße, abseits der üblichen Wege, mit diesen besonderen Ereignissen, die unberechenbar hinter der nächsten Kurve lauern, auf einem einsamen Rastplatz, mitten im Nichts.

    Keine angsteinflößenden Begegnungen, obwohl ich beim Trampen in Norwegen plötzlich hochschrecke, als sich das Gebüsch teilt, und ein Wanderer über einen schmalen Tierpfad ins Freie tritt. Er sei ein vielbeschäftigter, schwedischer Arzt, der in seiner freien Zeit in Norwegen durch die Wälder streift. Nickt mir freundlich zu und verschwindet im gegenüberliegenden Gebüsch.

    Oder weiter im Norden, als ich vor 45 Jahren mit Kenny auf einer einsamen Straße stehe, taucht ein leicht verwirrt wirkendes Paar mit ihren Rädern aus einem Feldweg auf. Sie versuchen Autos für uns zu stoppen, was allerdings dazu führt, dass die Fahrer noch mehr beschleunigen, und wir ewig brauchen, bis wir die Beiden los sind.

    Heutzutage bin ich immer noch verwundert, woher aus dem Nichts einer einsamen Straße plötzlich ein altes Ehepaar Hand in Hand auftaucht. Sie gehen unbekümmert dicht am Bus vorbei, und als Hilde bellt, schaut mich ein verhutzeltes, lächelndes Gesicht an. Weder erschreckt noch verwundert, einfach nur gerade DA. Ich sehe ihre Augen immer noch, sie halten ihren Schritt nicht an, und ich sehe ihnen lange nach, wie sie in der Ferne kleiner werden.

    Wo sie herkommen, wo sie hingehen, das sind oft die nervigen Fragen sich begegnender Reisender, als könne man mit ihnen den Menschen einordnen, als brauchen wir diese Schubladen, die überhaupt nichts aussagen über mich als dein Gegenüber.

    In einer Richtung wie jetzt, fahre ich nachhause, in der anderen komme ich aus Braunschweig. Beides falsch. Ich habe dort gearbeitet und gelebt, aber es war trotz eines Zeitraums von dreißig Jahren nie meine Heimat. Mein Sohn ist dort geboren, er fühlt sich da Zuhause, lebt und arbeitet in der Stadt, kann sich eine Alternative nicht vorstellen.

    Wie jeder Mensch, habe ich einen Geburtsort, und wenn es einen Platz gibt, den ich mit Heimat definieren könnte, dann ist es Solingen. Obwohl wir auch dort in drei verschiedenen Stadtteilen gelebt haben in den ersten zwolf Jahren meines Lebens, ich keine Verbindung mehr zu den Menschen von früher habe, meine Eltern mir auch später nie viel von der Zeit erzählt haben. Wozu auch, sie waren dort nicht geboren, es war lediglich ein Durchgangsort in ihrem Leben.

    Aber da, wo sie gestorben sind, das hatte am Ende ihres Lebens den Inhalt von einem Zuhause, obwohl sie immer die Zugereisten waren, die nicht mal das dörfliche Platt verstehen konnten. Vor dem Bus piepst ein Vogel. Ganz laut. Hilde richtet sich auf. Wir hören genau zu, singt er nicht, Guten Morgen, Freunde, herzlich willkommen an diesem herrlichen Ort!

    Der Tag hellt auf, ich suche mit dem Blick den Sonnenaufgang. Die Nacht ist vorbei. Kaum ist das Ehepaar weitergegangen, kommt ein Bauer aus dem sandigen Privatweg gegenüber und will durch das Tor, vor dem wir parken, fahren. Nur ein Stückchen möge ich vorfahren, das reicht ihm schon.

    Als ich drehe und auf der anderen Seite parke, kommt er rüber und spricht mich an. Salamanca, verstehe ich, er deutet auf eine Richtung, und da wo er herkommt, da gibt es auch einen Ort, ob ich dorthin wolle. Plötzlich verstehe ich ihn, als habe jemand einen Vorhang weggezogen. Und als ich mit Hilde rede, die laut bellt, meint er, ich habe ihn gerufen. Er dreht sich noch zweimal um, fast meine ich, er trage ein amüsiertes Lächeln im Mundwinkel, denn auch für ihn muss unsere Begegnung völlig ungewöhnlich sein. Auf dieser Straße fahren keine Fremden entlang, und die wenigen Fahrer, die passieren, werden mit Hand und Hupe begrüßt.

    So gehen die Tage dahin. Ciudad Rodrigo, ein bezaubernder Ort mit Brücke und Burg, spiegelnde Häuser im Wasser. Salamanca mit dem bunten Haus auf dem Berg, der imposanten Kirche in der Mitte, und den Ballonbildern am anderen Ende der Stadt.

    Ich habe mir Queso de Cabra aufgeschnitten, fahre an Herden von Vaca und Oveja vorbei. Schafe und Kühe haben keine saftige Wiese unter ihren Hufen, also muss der Bauer Stroh holen. Riesige Lastwagen fahren die Ballen durch das trockene Land.

    Hilde findet an einem Feldweg ein Stück wohl duftende Wiese. Hier soll Maus zuhause sein, das erste Mal seit Wochen ist die Erde so weich, dass sie sie aufbuddeln kann. Aber auch wenn sie das Nest entdeckt, und es unverschämt frisch riecht, die Bewohner sind ausgeflogen.

    Schnauze und Pfoten voller Dreck, aber mit einem glücklichen, entspannten Gesichtsausdruck erschöpft einschlafen, das ist Hundeglück pur.
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