• Unerwartete Begegnung

    Jul 9–10, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 14 °C

    DAY 12 TOUR DE EUROPE
    (Fahrtstrecke 57 km)

    Fannrem E 39 bis Abzweig 710 kurz vor Orkanger - Rabygda am Ende des Trondheimfjord - Steinastranda - Ingdalen - Selbekken - Lensvik - Åremmen

    Bei der Abfahrt vom Campingplatz fülle ich noch einen Kanister Wasser auf. Die Leitung am Wohnhaus scheint durch einen moorigen Grund zu laufen, der leicht düstere Geruch aus der Flasche wird mich nur dazu verleiten, Körper und Haare zu waschen, anstatt es in mich hineinzuschütten.

    Trinkwasser habe ich noch genug, spätestens morgen dürfte ich die nächste Versorgungsstation erreichen. Da haben die Norweger echt aufgerüstet. Aber es gibt auch immer wieder den Hinweis. No Camping. Wie das mit dem
    Jedermannsrecht zu vereinbaren ist, kann ich nicht nachvollziehen.

    "Das Allemannsretten (auf Norwegisch) ist ein traditionelles Recht aus der Antike. Seit 1957 ist es ein Teil des norwegischen Gesetzes über die Erholung in der Natur. Das Recht sorgt dafür, dass jeder die Natur erleben kann, auch auf großen, privaten Flächen.

    Sie dürfen auf dem Land, in Wäldern und Bergen unter freiem Himmel schlafen oder ein Zelt aufstellen – unter einer Voraussetzung: Es sollte mindestens 150 Meter Abstand zum nächsten bewohnten Haus oder zur nächsten bewohnten Hütte gehalten werden. Diese Regelung gilt auch für Vans, Wohnmobile und Wohnwagen."

    https://www.visitnorway.de/reiseplanung/reiseti…

    Das scheint nur noch Theorie zu sein, denn No Camping ist weit verbreitet und wird heute morgen noch getoppt. "No Driving on the Gras. NO WALKING ON THE GRAS"

    Natürlich hat diese Abwehrhaltung ihre Ursachen im Verhalten vieler Reisender. Am Besten ist vermutlich, wenn Du wie ich letzte Nacht alleine an einer Marina stehst und das Gespräch mit den Norwegern suchst. Dann kommt auch die Zustimmung zur Benutzung des Platzes wie von selbst.

    Sie werden alleine sein heute Nacht, sagt der Mann, der die Marina gemanagt hat, und jetzt mit seiner Frau im Motorboot auf eine kleine Insel fährt, wo sie eine Hütte haben. Weit draußen im Meer, so sagt sie. Wir winken uns zu.

    Als ich aus dem Bus steige, liegt im Gras eine völlig aufgeweichte Pokemonkarte. Ein Schwerttanz. Wir haben am Fjord bei Geitastranda geparkt, ich nutze die Blicke aufs Wasser für eine Zwischenmahlzeit, schlafe neunzig Minuten im Regentakt, während ein verankertes Segelboot sich im Meer dreht.

    An der Rosentankstelle in Selbakken ist der Diesel günstig, in solch einsamen Gegenden fahre ich gerne mit möglichst vollem Tank. Es gibt warme Schnellgerichte, der Duft von Pølsern und Co treibt Sehnsucht durch meinen Geruchssinn. Das waren noch Zeiten, als ich sowas essen konnte.

    Mittlerweile habe ich das Kochen gänzlich eingestellt, ob ich ne warme oder kalte Suppe aus der Dose trinke, macht keinen Unterschied. Nur der heiße Kaffee morgens, den meine ich noch brauchen zu müssen. Obwohl ich es besser weiß. Aber Rituale sind nun mal wichtig.

    Es regnet und es regnet nicht. Die Sonne kommt raus oder sie bleibt hinter den Wolken. Gegen Abend ebbt der Verkehr ab, dafür kommen mehr Angler. Oder Meerangler. Christine reist mit ihrem Mann auf einem Passagierschiff an Norwegens Küste entlang. Er ist Prediger und im christlichen Raum als Sänger gut bekannt.

    Mit Christine bin ich aufgewachsen, wir kennen uns seit über 70 Jahren, sind uns aber zwischendurch 45 Jahre lang nicht mehr begegnet. Erst im Alter haben wir es nochmal probiert, die Vergangenheit zu begraben. Jetzt legt ihr Schiff um 22.00 Uhr vom Hafen ab und kommt im Trondheimfjord an uns vorbei.

    Vorher ein wahnsinnig schöner, geschlossener Regenbogen, der Wasser und Land umschließt, ein unglaublicher Sonnenuntergang zwischen heftigen Regenschauern. Als das Schiff endlich vorbeifährt, wirkt es mit den erleuchteten Fenstern schemenhaft weit draußen auf dem Fjord.

    Christine steht im Regen an Deck, ich im gleichen Schauer auf dem Wellenbrecher. So nahe waren wir uns schon seit Jahren nicht mehr. Schaue den Lichtern vom Bus aus nach. Bei einem nächtlichen Becher Wein um null Uhr, streichele Hilde's Fell, die froh ist, dass ich wieder Zuhause bin.
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