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- Day 23–24
- March 22, 2025 at 9:23 AM - March 23, 2025
- 1 night
- 🌬 10 °C
- Altitude: 53 m
GermanyBötersen53°8’33” N 9°18’10” E
Bötersen

3.190 TAGE AUF UNSERER
LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 92 km/ Gesamt 387.297 km / Ø121,40 km)
Landvergnügenhof
Bötersen
Deutschland
Ich hatte schon lange überlegt, wie ich morgens früh heißes Wasser für den Körper und den ersten Tee hinbekommen kann, ohne die Nachbarschaft mit fünf Minuten laufendem Motor aufzuhetzen. Jetzt habe ich die Lösung. Bei den kurzen Strecken, die wir fahren, lädt sich nicht genügend Energie auf die Batterien auf, selbst das Solar macht da keinen großen Fuß. Aber wenn ich abends Wasser koche für eine Thermoskanne, dann reicht die Energie für alles andere auch bis in den Morgen hinein.
Beginnen tue ich den Tag gerne um fünf Uhr. Ein erster Blick hinaus, im Bauernhof ist schon Licht, dafür ist es im Legehennenmobil noch dunkel. Blutdruckmessung, Stützstrümpfe anziehen, Fitline mit Wasser auffüllen, Medikamente einnehmen. Körper waschen, Tee trinken. Meist höre ich früh meine beiden christlichen Podcasts, gegebenenfalls ne Predigt hinten drauf. Oder ich mag es still wie heute und schreibe früh meine Geschichte.
Kurz nach sechs Uhr gelbt der Himmel hinter den Tannen, die sich schwer im einem Wind bewegen, der uns nicht erreicht. Unter den hohen Eichen, im Laub des letzten Herbst, ist es ganz still. Hilde träumt, ihr Atem rennt gerade über eine Wiese, dann ist es wieder still, nur den Wind meine ich zu hören.
Ich ziehe mich zwischendurch an, irgendwo kräht ein Hahn, Vogelgezwitscher löst sich unter den Federn hervor, so hat jeder sein Ritual. Gestern dachte ich, dass ich mit einen kleinen Video früh beim ersten Spaziergang unseren Schlafplatz lüfte, falls jemand in der Gegend ist, der Lust auf eine spontane Begegnung hat, denn die Geschichte kommt ja oft erst im Laufe des Tages online. Aber dann war der Edmond schon wach und ist mit uns spazieren gegangen, hat sich zum Frühstück an den Bus gesetzt, und wir haben miteinander geredet.
Als klar war, wir übernachten in Wischhafen, habe ich mich bei ihm gemeldet, und er ist spontan mit seinem Camper eine Stunde rüber gefahren. Vorne auf dem Platz steht ein Wohnmobilstell aus Hamburg, das Ehepaar lebt und reist schon seit Jahren in kleinen Schritten durch Europa. Die nächsten Tage ein Zwischenstop bei der Tochter, die die Post macht, dann Dänemark und Schweden. Ohne Plan, Zeitlimit, Zielfahndung. Aber mit der nötigen Demut und Dankbarkeit, dass sie dort reisen dürfen.
Am Morgen vor zwei Tagen sind wir noch in Niendorf an der Ostsee aufgewacht. Nachdem klar ist, dass wir wegen Hilde's Läufigkeit nicht mehr an den Strand können, queren wir am Nachmittag das Land weit genug oberhalb von Hamburg nach Glückstadt rüber zur Fähre, wo es die ersten Bilder gibt, denn Hilde merkt sehr schnell, dass in dem Laster neben uns große Schweine transportiert werden.
Rechts das Wasser, vorne die Sonne, links die Schweine. Aber das, was am Anfang noch lustig wirkt, nimmt auf der zwanzigminütigen Fahrt an emotionalem Stress bei mir deutlich zu. Denn was da auf der Ladefläche im abgetrennten Teilbereich mit einer Handvoll wohlgenährter Schweine passiert, ist nicht mehr spaßig. Um sich bewegen zu können, müssen sie sich gegeneinander durchsetzen, sodass es ein Schnaufen, Quieken und Grunzen gibt, bis ein anderes Schwein mal kurz an die Luftschlitze kommt.
Eine emotionale Achterbahn für mich, empfinde ich doch hier nicht nur die Schweine, sondern denke an all die Lebewesen, die solche Positionskämpfe oft viel schweigsamer und unbeachteter erleben. Das typische Sozialarbeiterdilemma der Vermischung langjähriger Erfahrungen mit plötzlichen Ereignissen.
Edmond's Besuch bringt mich auf andere Gedanken, vor seiner Abreise schenkt er mir ein paar Hosenträger, die zwar knapp sitzen, aber meine Kleiderordnung positiv beeinflussen.
Wir fahren ein Stück die Elbe runter und biegen bei Bützfleth rechts ab, Richtung Zeven. Zwischendurch ein schöner Spaziergang im Sonnenschein mit lebhaftem Wind an Feldern vorbei, in denen Rabenatrappen die anderen Vögel davon abhalten sollen, die Saat auszugraben.
An einem Ort begleiten Osterglocken kilometerweit die Landstraße goldgelb und grün. Da kommt mir die Erinnerung an die junge Araberin im langen, schwarzen Kleid mit Kopfbedeckung in den Sinn, die mir in Großenbrode begegnet ist. Ein junges Mädchen von der Schule nach Hause gehend mit der ganzen Ernsthaftigkeit einer Religion im Gesicht, aber den goldgelben Osterglocken in der Hand, ein Symbol des christlichen Abendlandes.
Und just in dem Moment, wo ich das schreibe, kommt die Sonne zwischen den Bäumen hervor, und scheint allen Menschen ins Gesicht, egal welcher Nationalität, und welche religiösen Zugehörigkeit sie für sich annehmen. Gegen die Sonne sind wir chancenlos.
Vor ihrem Untergang kommen wir zum Bauernhof in Bötensen. Landvergnügen sei das schon lange nicht mehr, meint der Landwirt. Nachdem ihm der Krebs das Leben erschwert, wird ihm bewusst, dass er den Kampf gegen die bürokratischen Windmühlen nicht mehr erleben will. Es muss eine andere Lösung geben, als permanent mit dem Rücken an die Wand gedrückt zu werden.
Ich kaufe Joghurt und Leberwurst im Hofladen ein, die großen Gläser mit vollständigen Mahlzeiten für eine Familie muss ich leider stehen lassen, die Fleischportionen zum Angrillen auch. Die Nacht ist ruhig, wir träumen viel, es ist mäßig kalt. Mit dem Temperaturanstieg des Tages nimmt auch der Wind an Intensität zu, mal schauen, was uns heute begegnen wird.Read more