• Visselhövede

    23.–24. mar., Tyskland ⋅ ☁️ 14 °C

    3.191 TAGE AUF UNSERER
    LEBENSREISE IM BLAUEN BUS (Fahrtstrecke 94 km/ Gesamt 387.391 km / Ø121,40 km)

    Wohnmobilstellplatz (frei)
    Visselhövede
    Deutschland

    Manchmal ist die Stille im blauen Bus zuviel für mich, aber just, wo ich das schreibe, öffnet der Nachbar gegenüber seine Tür und zwei kleine Hunde kommen raus. Hilde, die grade noch auf meiner Bettdecke geschlafen hat, jumped hoch auf die Küchenablage, wo sie keinen festen Halt mit den Pfoten hat, sodass ich aufpassen muss, dass sie nicht in die brennenden Kerzen gerät, äußert ihr Mißfallen lautstark, bevor sie sich wieder zum Schlafen einrollt.

    Aus den verschiedenen Grautönen des Himmels hat sich ein buntes Gemisch aus hellen Farben von Gelb bis Blau entwickelt, aus denen vermutlich hinter dem Gestrüpp im Garten nebenan demnächst die Sonne hochkommt. Der Wind hat sich beruhigt, im Schwimmbad gegenüber sind die Lichter der Nacht gelöscht, aber in der Hellung der roten Wandfarbe sehe ich schon das Licht der aufgehenden Sonne, die jetzt auch sich zwischen den Ästen hindurchquetscht, während die Taube oberhalb vom blauen Bus einen langen Monolog hält.

    Als wir am späten Vormittag vom Bauernhof aufbrechen, merke ich schnell, dass es ratsam ist, den Bus nicht unter den alten Bäumen zu parken, um spazieren zu gehen, weil der Wind mit fünfzig Stundenkilometern schon eine ziemliche Unordnung in den hohen Kronen verursacht.

    Hinterm Dorf spazieren wir übers Feld, Hilde's Mausbegehung führt allerdings den ganzen Tag nicht zum Erfolg. Seitdem ich über einhundert Gigabyte verfüge, die ich nie verbrauche, habe ich angefangen, hin und wieder Sport über livestream zu sehen. Gut sortiert, mal Radfahren, Fussball oder wie aktuell Biathlon.

    Ich frage mich seitdem, was habe ich acht Jahre lang sonst mit meiner Zeit gemacht, dass ich gar nicht auf die Idee gekommen bin, so was anzuschauen. Mehr gelesen, längere Spaziergänge, ne Flasche Wein geöffnet. Es ist mir ein Rätsel. Tatsächlich schaue ich immer noch keine Filme auf dem Handy, und Sport ist gut dosiert auf wirkliche Highlights. Bergetappen in den Pyrenäen und Alpen, mal ein Länderspiel, das übertragen wird, oder eben die entscheidenden Biathlonrennen um die Siegertrophäen.

    Und so verdunkele ich den Bus auf einem Parkplatz und lass mich in die Spannung eines Wettkampfes verführen. Ist das der richtige Ausgleich für mein beschauliches Leben ohne besondere Höhepunkte, das Entfliehen aus dem Alltag der Gewohnheiten, denn an so einem Reisetag ist der emotionale Höhepunkt Hilde's kurzes abendliches Toben mit mir, wenn wir Platz genommen haben.

    Als wir durch Kirchwalsede fahren, fällt mir die Schafherde in den Blick, die sich zwischen Osterglocken um ein rotes Schild der nahen Bank gruppiert hat.
    "Im Rahmen einer europaweiten Ausstellungstour macht eine große Herde blauer Schafe aus Polyesterharz Station in Städten, die sich am Projekt beteiligen wollen. Ihr brillantes, ultramarinblaues Fell erinnert an die Arbeiten von Yves Klein.

    Auf grüner Wiese erwecken sie die Illusion einer lebendigen, friedlich weidenden Schafsherde, mit all ihren sympathischen Assoziationen.

    Das unübersehbare, leuchtende Blau der Herde fesselt den Blick des Betrachters und lässt ihn erst bei genauerem Hinsehen erkennen, dass es sich bei den einzelnen Herdenmitgliedern immer um ein und die gleiche Figur handelt, nur in unterschiedlicher Postionierung.
    Diese Erkenntnis, verknüpft mit der Symbolik der Herde für menschliches Miteinander, wird zur zentralen Botschaft des Kunstprojektes.

    Alle sind gleich – jeder ist wichtig.

    Jenseits aller ethnologischen, religiösen oder kulturellen Unterschiede und mit ihrem ganz speziellen Charme möchten die Blauschafe Denkanstöße geben, auf das Verbindende hinweisen und für friedliches Miteinander und Toleranz werben, auf der Basis von Wertschätzung des Anderen.

    Als Signalfarbe steht Blau symbolisch für das Verbindende. Es ist die Farbe der EU, der UNO sowie von Unesco und Unicef. Sie ist auch die Farbe der europäischen Friedensbewegung und somit für das Projekt bestens geeignet. Hier steht sie symbolisch für die Verbindung aller Menschen miteinander und natürlich auch für den Städteverbund.

    Ein Teil der Blauschafzucht erfolgt in den »Duisburger Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (wfbm gGmbH)».

    https://www.der-blauschaefer.de/

    Die alte Kirche in Wittorf am Friedhof, wo die Grabsteine den Besuchern erstmal den Rücken zuwenden, bietet einen Kontrast zu den Schafen, obwohl auch sie eine Botschafterin des Friedens und der Gleichberechtigung ist.

    Am Stellplatz geht die Sonne hinter dem blauen Bus unter, wir machen noch einen Abendspaziergang, ich werde schnell müde, lange bevor der Himmel sich verdunkelt, habe ich mich ausgestreckt. Hilde legt sich an meine Seite und schläft sofort ein, während mich noch lange Gedanken beschäftigen, die mich in die Träume begleiten.

    Während ich mich morgens anziehe, bekomme ich Druck auf die Innenfläche der linken Hand, die sofort schmerzt. Gestern morgen zieht mich Hilde unter überhängenden Tannenwedeln hindurch, sodass ich für einen Moment nicht auf den Weg achte und ins Stolpern gerate, mich gerade so mit der linken Hand an einem Pfosten halten kann, über dem ein Stacheldraht gespannt ist. Sehenden Auges versuche ich den Aufprall zu verhindern, in dem ich die Hand zu einer Höhle forme, trotzdem hat es gepiekt, und Blut rinnt aus der Wunde, die nicht tief ist, aber an einer unangenehmen Stelle liegt.

    Morgenrunde um den Teich im Sonnenschein, Frühstück im blauen Bus, dann macht Hilde ein zweites Schläfchen, während ich versuche, mein Kranichbuch von Peter Matthiessen zuende zu lesen. Vorne im Umschlag steht, dass ich es Anfang 2019 zu lesen begonnen habe, aber dann ist es irgendwann in einer meiner Bücherkisten verschwunden.

    Schon 1827 hat John Clare folgendes geschrieben. "Dort am Rand des fernen Himmels
    Fegt der Hagelsturm hinab
    Weit darüber schwebt der Kranich
    Allein im eisfreie Gefilde
    Mit immer gleichem schrillen Schrei
    Auf wilder Fahrt durchs graue Einerlei."
    (The Shepherd's Calender)
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