• Definitiv Abschied aus Hergot

    Jul 6–7 in Norway ⋅ ☀️ 13 °C

    Dass sich eine Landschaft unmittelbar nach der Grenze auf einer Anhöhe so ändern kann, damit hätte ich nie gerechnet. Wir fahren durch eine norwegische Fels-Seen-Formation, kaum dass wir in die E10 abgebogen sind. Ein Traum voller pittoresker Momente im Sonnenschein. Kleine Hütten verstreut auf den Felsen, versteckt hinter Bäumen, gesprenkelt mit Schnee vom letzten Winter, und den kleinen Seen in Blau und Türkis.

    Als die Straße zu einem Denkmal an den mutigen Kommandanten Fleischer abbiegt, dem rund um Narvik an verschiedenen Stellen gedacht wird, und der hier bei der Bahnstation Björnfjell ebenfalls gegen die Deutschen erfolgreich gekämpft hat, erleben wir das Highlight eines versprengten Dörfchens in den Felsen rund um eine weiße Kirche. Ein Traum, die Hütten in der Sommerzeit und zum Wochenende gut besetzt, der Bahnhof in Rot und Weiß abgesetzt.

    Als wir zurückkommen, ist gerade ein Hubschrauber gelandet, der 35jährige Co-Pilot erzählt von seinem Traumjob, Waren in einsame Fels- und Wald- Gegenden zu fliegen. Zwei Wochen Arbeiten, zwei Wochen Freizeit, in denen er noch anderen Tätigkeiten nachgeht. Jedes Jahr einige Wochen in der Armee dienen.

    Er wirkt entspannt und wir verabschieden uns freundlich, gerade als der ältere Pilot mit einem Mitarbeiter des Bahnhofs zurückkommt, für den das große Paket, das den Restweg mit einem Lastwagen transportiert wird, gedacht ist.

    Kurz danach beginnt Schwedisch-Lappland, und ich bekomme meine Lektion in Landschaftskunde hautnah. Die Felsen rücken in den Hintergrund und ein grünes Waldwiesenland überzieht das Auge, lediglich unterbrochen von blauen Seen. Aber das wiederum so üppig, dass ich schnell satt bin.

    Ich fülle die Wasserflaschen an einem einsamen Supermarkt mit Tankstelle auf, wasche meine Haare, und bemerke eine mentale Veränderung in meiner Seelenlandschaft. Ich weiß, es wird sich nicht viel ändern an dem Schweden, das wir jetzt tagelang durchfahren werden, und auch wenn Norwegen bedeutet, die gleichen Wege zurückzufahren, wieder Tunnel zu durchqueren, und einsame Landstriche, bin ich doch gewillt, dies auf mich zu nehmen.

    Kaum fahren wir die achtzig Kilometer zurück, erleben ich eine andere Sicht auf die Landschaft, die sich vor meinen Blicken öffnet. Und mir wird klar, dass die Fahrt von Süden nach Norden mich in einer ganz anderen Weise berührt wie umgekehrt. Durch Schweden nach Süden fahren, das machen die meisten Menschen auf ihrem eiligen Heimweg nach Finnland, ins Baltikum, nach Deutschland und weiter ins südlicher Europa. Einfach aufs Pedal drücken und quasi mit halb geschlossenen Augen die Landschaft ignorieren.

    Aber bloß nicht so rumbummeln wie wir es gewohnt sind. Kommst du dagegen aus dem Süden, dann bist du so erfüllt von der landschaftlichen Vielfalt bis hoch nach Mittelschweden und der Vorfreude auf Norwegen, dass du das triste Grün lappländischer Langeweile durchaus ertragen kannst.

    Und, ich muss leider zugeben, im Gegensatz zu der Weite des Meeres, finde ich die Weite der riesigen Seen in Schweden einfach uninteressant. Das war schon immer so, dass ich die Begeisterung von Menschen über Vänern und Vättern nicht teilen konnte.

    Der Torneträsk ist vom Volumen her der drittgrößte See in Schweden, auf den wir von der gleichnamigen Bahnstation blicken, wo wir zurückfahren, um in Abisko nochmals zu tanken, wobei die Preise ähnlich denen in Nordnorwegen sind.

    Über Abisko sagt Wikipedia, "Abisko ist ein kleiner Ort, der nördlich des Polarkreises in Schweden liegt. Unmittelbar vor dem Ort erstreckt sich der Nationalpark Abisko, der am Südwestufer des Torneträsk-Sees beginnt. In dem von Bergen umgebenen Park sind Lemminge, Rentiere und eine lappländische Orchideenart beheimatet. Hier beginnt auch der Wanderweg Kungsleden, der nach Hemavan im Süden führt. Auf dem Nuolja befindet sich die Aurora Sky Station, ein Nordlicht-Beobachtungszentrum."

    Große Wandergruppen starten unter den genauen Blicken der aktiven Moskitos zu ihren Touren in diese Waldlandschaft, bestückt mit den besten chemischen Mitteln zur Abwehr ihrer Angriffe, denn kaum bleibst du stehen, stechen sie auch schon zu, mich bevorzugt in die Stützstrümpfe. Alles besser als Wespen, aber auch vor Hilde als Tier haben sie keinen Respekt oder kein Mitleid, obwohl sie sich diesen Attacken überhaupt nicht entziehen kann.

    So haben Skandinavier, die in Hütten leben, auch gerne einen Tennisschläger dabei, der mit Batterien betrieben, in einem Schlag hunderte dieser Plagegeister mit einem kleinen Klack töten kann. Über den Tod kann man geteilter Meinung sein, tatsächlich berührt mich diese Form allerdings unangenehm, sodass ich eher versuche, ihnen aus dem Weg zu gehen.

    An einem kleinen See halten wir am Nachmittag an, machen einen Spaziergang bis hoch zu einer Schneefläche, auf der Hilde's Begeisterung keine Grenzen kennt, sodass ich mir vornehme, in den nächsten Wintern irgendwo in Schneelandschaften unterwegs zu sein.

    Ich unterhalte mich mit Norwegern aus dem nahen Narvik, die hier ihre Hütten haben, und mal am Wochenende eine einsame Nacht in den Bergen verbracht haben. Sie lieben ihr Land mit der winterlichen Dunkelheit, sie seien es von Kind auf gewöhnt, und es habe keine negativen Auswirkungen auf ihr seelisches Befinden, wenn es mehrere Monate lang Nacht sei. Nur in die Hütten gehen sie dann nicht, weil es hier keine Elektrizität gibt. Also brauchen sie doch das Licht, und sei es nur in Form von Strom, der ihre Umgebung erhellt.

    Eigentlich bedauere ich, noch keinen Winter im Norden verbracht zu haben, kann also nicht wirklich mitempfinden, was das mit dem Menschen macht. Lese nur von einer Vielzahl von Selbstmorden in dieser lichtlosen Jahreszeit, und weiß natürlich, dass auch die seelischen Erkrankungen nicht vor einer Grenze Halt machen.

    Vielleicht sind meine Gesprächspartner auch gerade seelisch sehr stabil, dass sie so ausgeglichen wirken. Es sind ja immer nur Fragmente aus dem Leben einzelner Menschen, die mit mir ins Gespräch kommen.

    Abends fahren wir noch für eine Nacht nach Hergot, der Platz ist wochenendvoll, aber wir können wie die Nacht vorher direkt neben dem alten Norweger nahe der Straße parken. Hilde will gar nicht lange spazieren gehen, der Strand ist von Familien besetzt, die Zeit hier scheint einfach für uns vorbei zu sein.

    Heute morgen wache ich spät auf, die Sonne scheint, und die ersten Schläfer erwachen. Wir spazieren durch das Stückchen Wald, in dem zwei Zelte stehen, und zurück am Strand, wo ich mit einem finnischen Paar ins Gespräch komme. Sie verbringen jedes Jahr eine Woche in Nordnorwegen und durchqueren Schweden an einem Tag. Wir tauschen uns aus über interessante Ziele und das Leben mit Moskitos. In der Stadt würde es ja gehen, aber auf den Land nur im Winterhalbjahr. Aha. Denke ich. Also im nächsten März dann auf nach Helsinki, finnische Küste fahren und Schnee genießen.

    Parkplatz (frei)
    Google Code
    FP24+9HX Hergot, Norwegen
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