• Ute-Tipi von innenHogan von innenEine Babywiege

    Tag 318: Goosenecks bis Bluff

    22 janvier 2024, États Unis ⋅ ☁️ 9 °C

    Im Gegensatz zu den Tagen zuvor, wachen wir heute zu etwas Regen auf. Bis wir allerdings alles eingepackt und die Regenkleidung angezogen haben, ist es wieder weitestgehend trocken.
    Wir fahren mit der Erwartung los, dass es von nun an weniger zu sehen gibt und wir nun "endlich" mal etwas voran kommen. Wie man sich nur so täuschen kann!
    Die Landschaft wird alles andere als öde und bleibt stattdessen abwechslungsreich. Kurz bevor wir den kleinen Ort Bluff erreichen, werden wir auf ein Schild aufmerksam. "Bluff Fort 3 Miles" heißt es hier. Vermutlich nur eine Ruine von der nicht mehr viel übrig ist oder sogar nur ein Schild mit einem kleinen Infotext, denken wir.
    Wir fahren also nach Bluff hinein, machen Mittagspause auf einer trockenen Bank und fahren dann noch weiter. Wir haben schon fast wieder vergessen, dass hier noch das Fort angeschrieben war, als es plötzlich neben der Straße auftaucht. Von wegen Ruine! In liebevollster Detailarbeit wurde hier der ehemalige Ort von Nachfahren der frühen Siedler nachempfunden.
    Im Oktober des Jahres 1879 brachen insgesamt 260 Mitglieder der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage", damals bekannt als Mormonen, vom Süden Utahs auf. Sie hatten von ihrer Kirche die Aufgabe bekommen eine Siedlung in der Region der vier Bundesstaaten Arizona, Utah, Colorado und New Mexico (auch bekannt als "Four Corners") zu errichten. Grund hierfür war wohl, sich die Region zu sichern und die herum streundenden Banditen in Zaum zu halten. Außerdem sollte eine bessere Beziehung zu den Diné, Anasazi Pueblos, Utes und Paiutes aufgebaut werden. Damit waren diese Siedler wohl die einzigen, die von Westen her auf eine Mission loszogen, um weiter im Osten eine Siedlung zu errichten.
    Bisher gab es bereits einen Weg über den Süden (und damit durch das Gebiet der Diné) und über den Norden. Der Letztere war allerdings für die Siedler zu lang und da der Aufbruch im Winter statt fand ebenfalls zu hoch gelegen und damit zu sehr dem Winter ausgesetzt. Der Weg über den Süden war dagegen zwar leichter und von den Diné durchaus geduldet, allerdings durften hier keine Rinder mitgebracht werden, die die Nahrungsquellen der Tiere der Diné auf der Durchreise abfressen würden.
    Daher mussten die Pioniere einen direkteren Weg finden. Die Reise war auf nur sechs Wochen ausgelegt, dauerte stattdessen allerdings sechs Monate. Die 260 Männer, Frauen und Kinder stießen auf der Reise auf einige unvorhergesehene Hindernisse. Das wohl berühmteste dieser Hindernisse war eine Felsspalte, die nun als "Hole in the Rock" bekannt ist. Diese Felsspalte war zu der Zeit allerdings so schmal, dass sie über Wochen verbreitert werden musste, damit die Pferde und Planwägen durch sie hindurch kommen. Auch Abhänge mit irrsinnigen Steigungen mussten mit den Tieren überwunden werden. Ein Wunder, dass immerhin alle menschlichen Teilnehmer der Mission lebend an ihrem Ziel ankamen.
    Um sich der Taten und Geschichten der Pioniere zu erinnern, wurde dieses Fort möglichst wahrheitsgetreu nachgebildet. In einer Art "Wagenburg" aus kleinen Hütten werden die Geschichten der damals beteiligten Familien erzählt. An jeder Hütte hängt ein Lautsprecher mit kurzen Texten in Englisch, Deutsch, Italienisch und weiteren Sprachen. Dadurch ist man praktisch mitten drin im Geschehen von damals.
    Auf dem Gelände steht ebenfalls ein Tipi der Ute. Es ist ziemlich geräumig mit einer Feuerstelle in der Mitte, einem kleinen Regal und ein paar Bildern von bedeutenden Kriegern der hier lebenden Stämme.
    Direkt daneben steht ein Hogan das ebenfalls sehr geräumig ist. Ein bisschen erinnert es mich tatsächlich an eine Jurte. Auf dem Boden liegen ein paar Felle. Auf diese Weise wurde wahrscheinlich in so einem Hogan geschlafen. Auch eine Babywiege mit einer Puppe steht im Raum. Das Kind wird hierrauf der Länge nach festgebunden und ähnelt damit einer Babywiege wie wir sie in Kirgistan gesehen haben.
    Als wir so über den Platz schlendern und uns über das Fort informieren, kommt in schnellen Schritten ein Mann auf uns zu. Er ist Volunteer in dem Fort und spricht uns auf Deutsch an. Vor Jahren hat Ted in Deutschland gearbeitet und dort sehr gut Deutsch gelernt. Er erklärt uns, dass er der Urenkel des Leiters dieser Mission durch das "Hole in the Rock" sei. Welche Tour wir machen, will er wissen. Als wir es erklären kann er es gar nicht fassen. Wir seien die modernen Pioniere und wir würden ihn an die Geschichten seiner Vorfahren erinnern. Dann will er uns vorerst nicht weiter stören und verabschiedet sich.
    Da es zu schütten beginnt entscheiden wir uns dazu, unter dem Dach des Forts auszuharren. Dabei kommen wir mit Ron und Bev (Beverly) ins Gespräch, zwei weiteren Freiwilligen des Forts. Beth erzählt uns, dass sich die Besucher im Sommer fast über den Haufen rennen, so viele kommen hier her. Die Männer des Teams sind dann meist im Hof und führen die Gäste umher, die Frauen verkaufen selbstgebackene Kekse und selbstgenähte Kleidung und andere Nähware. Das Fort hat auch eine Werkstatt in der die Freiwilligen (die meist ein Jahr, teilweise aber auch länger bleiben) verschiedene Verkaufsgegenstände für den Souvenirshop herstellen. Alle Freiwilligen sind hauptsächlich Mitglieder der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" und sind hier auf Mission.
    Draußen wird der Regen nicht weniger und so schauen wir uns noch einen Film über die Reise der Pioniere an, in dem man nochmal ganz gut sieht, was die Siedler früher leisten mussten. Was uns allerdings vollkommen überrascht hat war die Aussage einer der damals an der Mission beteiligten Frauen, dass sie im Fort manchmal Popcorn gemacht haben. So einen Luxus haben wir nicht, denke ich daraufhin amüsiert.
    Das Wetter scheint sich nicht zu bessern und so laden uns Beth und Ron zu sich nach Hause ein, um mit ihnen zu Abend zu essen. Gerne nehmen wir das an, denn mittlerweile sind wir schon ganz schön durchgefroren.
    Die beiden wohnen nicht weit entfernt in einem Haus, das ihnen zwar gestellt wird, für das sie aber dennoch Miete bezahlen. Zum Abendessen kommen auch Rons Bruder Kyle und seine Frau Ranae. Auch sie sind Freiwillige des Forts. Beide Familien kommen aus dem Norden von Utah, nahe Salt Lake City. Wir sitzen zusammen und genießen das leckere Essen, das Bev zubereitet hat. Da es draußen schon zu dämmern beginnt, steht noch die Frage offen, wo wir unser Zelt aufbauen können. Ein ursprünglicher Gedanke Rons in der Nähe des Forts zu schlafen, ist leider nicht möglich. Daher telefoniert Ron mit Ted (dem Deutschsprechenden), um einen Unterstand für uns zu finden. Stattdessen teilt er uns jedoch nach seinem Telefonat mit, dass Ted für uns eine Hütte hat in der wir schlafen können. Wir sind unfassbar dankbar und erfahren erst im Laufe des Abends, dass Ted uns in einer Art Motel gegenüber des Forts eine Cabin auf seine Kosten gemietet hat. Eine unfassbare Geste!
    Nach dem Essen werden wir also von Ron und Kyle, die gemeinsam eine Ranch im Norden Utahs besitzen, zu dieser Cabin gebracht. Was wir sehen übertrifft nochmal unsere Erwartungen. Das kleine Häuschen besteht aus einem Badezimmer mit (!) zwei Duschen, einer gut ausgestatteten Küche, einer Terrasse, einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer mit zwei Kingsize-Betten.
    Wir können es gar nicht wirklich fassen! Eigentlich wollen wir noch das Beste aus der Übernachtung in der Cabin mitnehmen, aber sind zu müde um noch irgendetwas zu machen.
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