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  • Day 15

    Vítejte v České republice 🇨🇿

    September 15, 2022 in Czech Republic ⋅ ⛅ 14 °C

    Als ich Montag Morgen aufstand, war Mandy bereits auf Arbeit. Wir hatten abgesprochen, dass wir vor meiner Abfahrt noch einen Kaffee gemeinsam trinken. Ihre Arbeit liegt nur fünf Gehminuten entfernt.
    Während ich meine Sachen zusammen räumte, vermisste ich eine Sache - die Lust loszuradeln. Auch nach längerem Suchen fand ich sie nicht und fragte Mandy, ob sie mich spontan noch einen Tag länger ertragen würde. Würde sie. Anschließend rief ich meine Kollegen an der Deutsch-Tschechischen Grenze an und reservierte ein Zimmer von Dienstag auf Mittwoch. Alles war für einen weiteren Tag in Dresden geregelt und ich traf mich mit Mandy auf den versprochenen Kaffee.
    Mandy musste danach noch ein paar Dinge erledigen und ich vertrieb mir die Zeit mit einem Telefonat auf den Elbwiesen. Als sie wieder zurück war, hatte sie mir ein kleines Add-On ihres Care-Pakets mitgebracht. Sie hatte mir bereits ein paar Nüsse, eine liebe Karte, Kaffee und eine Dose „Popoflott-Bike-Salbe“ als Welcome-Geschenk hingestellt. Die Salbe ist Teil ihrer eigenen Marke „Fragantura“ - handgemachte Cremes, Öle und Tees aus 100% natürlichen Inhaltsstoffen. Heute hatte sie noch eine Goldröschensalbe, Jod-Salbe und Sprühpflaster für den Fall der Fälle (der hoffentlich niemals eintreten wird) mitgebracht.
    Am Abend gingen wir in der Dresdner Neustadt etwas essen und ich konnte mich zumindest ein wenig für die herzliche Gastlichkeit erkenntlich zeigen. Über den Goldenen Reiter, Fürstenzug und Frauenkirche ging es mit den Rädern zurück.
    Am nächsten Tag musste Mandy in Pirna arbeiten, was zufällig direkt auf der Hälfte meiner heutigen Etappe lag und wir verabredeten uns erneut auf einen Pausenkaffee.
    Ich räumte in aller Ruhe meine Sachen zusammen und rollte gegen 11 Uhr los. Bis Bad Schandau, meinem heutigen Ziel, war es nur eine Marathon Distanz. Ich hatte somit keine Eile. Meine Motivation war irgendwie noch immer nicht aufgetaucht. Dabei fehlte es mir nicht an der Lust Radzufahren. Das machte Spaß. Camino fährt sich traumhaft und das Wetter spielte heute auch mit. Doch ich fühlte mich allein. Ich war es ja auch. Deshalb fiel mir der Aufbruch schwer und mich beschäftigte bis Pirna der Gedanke, warum ich das mache.
    Ich war vor drei Jahren auch nach Norwegen und sogar nach Neuseeland allein gereist. Ich kann gerade nicht sagen, ob ich da ein ähnliches Gefühl hatte. Ich kann mich nicht erinnern. Ich neige dazu, negative Dinge schneller zu vergessen als positive. Eine hilfreiche Eigenschaft. Rückblickend fühlte ich mich nur sehr selten allein.
    Vielleicht war es auch der Gedanke, dass es ab jetzt kaum noch bekannte Personen geben wird, die ich treffen kann. Ich befuhr unbekanntes Terrain. Ich beschloss, zumindest bis Prag zu radeln und auf dem Weg dorthin zu überlegen, was und wie ich weiter mache.
    In Pirna suchte ich Mandy und wir tranken einen Kaffee zusammen in der Sonne. In unserem Gespräch fiel in anderem Zusammenhang der Satz „Wozu und wofür macht man das alles?“. Er scheint wohl gerade recht allgemeingültig.
    Mandy schrieb mir noch eine liebe Botschaft in meinen Pilgerpass. Dann ging sie zurück an ihre Arbeit und ich fuhr weiter. Über den Marktplatz von Pirna fuhr ich zurück zur Elbe und spulte die verbleibenden 20 Kilometer zur Grenze hinunter.
    Ich konnte die Landschaft jetzt mehr genießen als heute Vormittag. Es lag teilweise an meiner Stimmung aber auch an der Landschaft selbst. Zudem erhielt ich liebe Nachrichten von Menschen, die mir sehr wichtig sind. Ich fühlte mich gar nicht mehr allein und eine tiefe Dankbarkeit für die Menschen in meinem Leben.
    Links und Rechts der Elbe türmten sich nun Felsen auf und ich passierte so beeindruckende Sehenswürdigkeiten wie die Basteibrücke oder die Festung Königstein.
    Eine Sache trübte diese Aussicht und mein Fahrgefühl dennoch. Es waren winzig kleine Fliegen. Unzählige. Das meine ich, wie ich es schreibe. Ich erinnerte mich leidvoll an Niko‘s Worte, ich bräuchte eine Fahrradbrille.
    Ich bin oft in der Natur und jogge beispielsweise im Treptower Park an der Spree regelmäßig. Auch dort kenne ich Schwärme dieser kleinen Plagegeister. „Augen zu und durch“ ist dort mein Motto. Beim Laufen mag das gehen - beim Radfahren ist „Augen zu“ kein guter Rat. Und an der Elbe waren es keine begrenzten Schwärme. Die kleinen, nervigen Biester zogen sich kilometerweit. Dabei waren die Fliegen gar nicht richtig als Schwärme zu sehen. Vielmehr waren sie im Gesicht, auf der Brust, auf den Armen und - am schlimmsten - in den Augen zu spüren. Die Streckenführung beinhaltete immer wieder leicht abschüssige Passagen und so bekam ich gut 25 bis 30 km/h auf Camino`s Reifen. Es fühlte sich an, als würde es regnen, als die kleinen Fliegen gegen meine Haut prasselten. Ich senkte den Kopf und versuchte so gut es ging, die Strecke vor mir zu erahnen. Trotz aller Vorsicht landete doch immer wieder eine Fliege in meinen Augen, welche ich mir bei der Fahrt raus wischte. Fahrtwind, Fliegen, Tränen - es war kein Spaß und ich wusste, was meine nächste Investition bei passender Gelegenheit wäre.
    Irgendwann war der Spuk dann doch vorbei. Mein hellgrünes Shirt war mit unzähligen schwarzen Punkten gespickt. Witzig war, dass fast alle davon flogen, als ich anhielt. Sie hafteten vorher wegen des Fahrtwindes und meines Schweiß an mir. Okay - sie waren in ihrer Situation auch nicht zu beneiden.
    Als ich mich die kurze Steigung zur Dienststelle im kleinsten Gang hochgeleiert hatte, wurde ich bereits erwartet. Ich war angemeldet und erhielt den Zimmerschlüssel.
    Natürlich war mein Zimmer mal wieder in der obersten Etage. Netterweise hatte man mir ein Eckzimmer am Ende des Ganges gegeben. So hatte ich wegen der Fenster an zwei Seiten ausreichend Licht.
    Die Dienststelle lag sehr idyllisch an einem Hang und ich hatte von meiner Stube einen herrlichen Blick auf die Elbe und Bad Schandau. Sie hatte den BGS-Charme der 2000er Jahre. Bett, Tisch, Schrank, Kühlschrank, Waschbecken. Toilette und Bad befanden sich auf dem Flur. Ich fühlte mich an meine Ausbildung erinnert und trotz der spartanischen Ausstattung auch irgendwie wohl.
    Ich schnappte mir nochmal Camino und fuhr über die Elbe nach Bad Schandau. Für morgen war ganztägig Regen angesagt. Schweren Herzens hatte ich bereits beschlossen, einen weiteren Ruhetag einzulegen. Ganztägig bei Regen zu fahren, hatte ich nicht vor. Da bei Regen auch nicht die Möglichkeit bestand, sich Bad Schandau näher anzuschauen, nutzte ich hierfür den Rest des Tages. Just in dem Moment, als ich dachte, ob es hier wohl ein Fahrradgeschäft gäbe, entdeckte ich ein Sportgeschäft. Sie müssen Fahrradbrillen haben! Hatten sie auch.
    Bei meinem weiteren Streifzug durch Bad Schandau entdeckte ich eine Therme und im dann einen Historischen Aufzug. Mit der Therme war der morgige Regentag doch noch gerettet. Und über den Aufzug gelang ich auf einen kleinen Wanderweg oberhalb von Bad Schandau. Ich genoß die schöne Aussicht auf Bad Schandau bei untergehender Sonne und fuhr anschließend in meine Stube.

    Am folgenden Tag regnete es wie vorhergesagt nahezu ganztägig und ich genoss die Wärme der Sauna in der Toskana Therme. Da ich keine Badesachen dabei hatte, blieb mir der Rest der Therme leider verwehrt. Sonst passierte an diesem Tag nicht viel, was ich hier erwähnen könnte.

    Am nächsten Morgen waren nur noch die Straßen nass. Von oben kam nix neues dazu. Es war Zeit, endlich die Grenze zu überqueren und weiter Richtung Prag zu radeln. Ich hatte mir ein markantes Grenzzeichen oder eine Tafel vorgestellt, um ein schönes Erinnerungsfoto zu machen. Leider gab es das auf meiner Elbseite nicht. Doch auf der anderen Seite sah ich ein paar Fahnenmasten mit verschiedenen Flaggen. Das musste wohl die Grenze sein. Anschließend las ich an einem Gebäude in deutscher Schrift „Zigaretten & Alkohol“ - das kannte ich aus meiner Heimat, ich musste mittlerweile in Tschechien sein.
    Der Radweg blieb in bestem Zustand und seit dem Stück in Sachsen-Anhalt konnte mich eh nichts mehr schocken. Ich wollte in drei Tagen die gut 180 km bis Prag schaffen. Um ein wenig Puffer für die verbleibenden Tage zu haben, buchte ich eine Unterkunft in Lovosice. Ein kleines, unspektakuläres Örtchen in ca. 71 km Entfernung.
    Ich rollte dahin und ohne es richtig zu merken, waren die Felswände links und rechts der Elbe verschwunden und dem Flachland gewichen. Meine Gedanken lies ich ebensoweit schweifen. So zogen Felder und Höfe, Kirchen und Schlösser, kleine und größere Orte dahin. An zwei Cafés entlang des Weges machte ich jeweils eine kurze Rast. Weder das Wetter noch die Vorstellung der heutigen 70 Kilometer ließen mich lange sitzen. Es war mittlerweile kalt und wenn ich mich nicht bewegte, fror ich aufgrund des frischen Windes und meiner durchgeschwitzten Klamotten doch recht arg. Ich überlegte, ob ich mein Fahrradabenteuer vielleicht in etwas wärmere Breitengrade verlegen sollte. Denn das Radfahren an sich bereitete mir sehr viel Freude. Wenn die Sonne schien, genoss ich das stille dahingleitet entlang der Elbe sehr. Aber vielleicht waren die Sonnentage hier dann doch langsam zu Ende. Ich werde mir in Prag überlegen, wie es weitergeht.
    Lovosice hatte erwartungsgemäß nicht viel zu bieten. Nachdem ich mein Zimmer bezogen hatte, drehte ich eine kurze Runde durch das kleine Stadtzentrum und nahm mir von dort eine Pizza mit auf mein Zimmer. Mehr passierte hier nicht.

    Die Sonne schien als ich aufwachte. Morgenroutine, Frühstück und gegen elf fuhr ich los.
    Heute erneut über 60 Kilometer und so verblieb nur noch ein lockeres Ausrollen bis Prag für den nächsten Tag. Es ist erstaunlich, welchen Einfluss das Wetter auf meine Stimmung hat. Die Sonne schien. Mit Rückenwind rollte ich mühelos dahin. Mein Körper schien sich ebenfalls langsam an die Bewegung und Belastung gewöhnt zu haben. Ohne große Anstrengung erreichte ich 26, 27 machmal knapp 30 km/h auf ebener Fläche. Es machte großen Spass. Ich legte mir eine alte Predigt des Berlinprojektes aus 2015 als Podcast auf die Ohren. Bodo Park, ein Gastprediger aus Frankfurt, predigte zum Thema „Laufe deinen Lauf!“. Mich sprach der Titel an und einige seiner Aussagen konnte ich sehr gut nachempfinden. Es ging um Vergleiche. Um den Blick nach links und rechts, statt gerade aus auf den eigenen Weg. Es ging um die innere Unruhe, immer etwas erleben zu müssen. Ich fühlte mich angesprochen. Ich hatte ähnliche Gedanken bezüglich meines Sabbaticals. Nicht selten dachte ich darüber nach, ob ich diese freie Zeit nicht besser nutzen müsste. Auf Instagram sah ich viele Bilder von mir mehr oder minder bekannten Menschen auf denen weiße Strände, beeindruckende Berge oder atemberaubende Sonnenuntergänge an den entlegensten Orten zu sehen waren. Ich hingegen radelte bei beginnendem Herbstwetter von Berlin nach Prag. Irgendwie unspektakulär und vielleicht sogar verlorene Zeit? - dachte ich manchmal bei mir. Dann erinnerte ich mich an die Aussage eines Menschen, den ich vor kurzem auf meiner Tour getroffen hatte. Als ich ihm von meinem Sabbatical und meiner geplanten Tour erzählte, sagte er „Du lebst mein Leben“. Er meinte damit, das Leben, dass er sich wünschte. Damals brachte mich die Aussage bereits kurz zum Nachdenken und nun kam der Gedanke zurück. Mir ist bewusst, wie gesegnet ich bin, diese Zeit für mich zu haben. Ich bin völlig frei und kann tun und lassen, was ich möchte. Möchte ich schöne Strände sehen, sollte ich das tun. Bereitet es mir Freude, die Elbe entlang zu radeln und dabei solche Gedanken zu haben, sollte ich es ebenfalls tun. Möchte ich nach Tibet, sollte ich mir einen Weg dahin suchen. Eines ist bei alledem nur wichtig - ich sollte es tun, weil ich es möchte und nicht, weil ich schöne Bilder auf Instagram posten möchte. Selbiges gilt ehrlicherweise auch für diesen Blog. Ich sollte nichts tun, nur um hier etwas tolles schreiben zu können. In diesem Moment wäre es tatsächlich verlorene Zeit.
    Überraschender Weise erwähnte und zitierte Bodo Park aus dem Buch „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“. Ich hatte dieses Buch vor etwa zwei Jahren geschenkt bekommen und mit großer Freude gelesen. Manche Personen, Gedanken und Dinge begegnen einem im Leben scheinbar wieder. Wann und warum das ist, bleibt ein Rätsel. Es nicht einfach als Zufall abzutun und stattdessen einen möglichen Sinn dahinter zu suchen, bereitet mir viel Freude. Das Buch ist jedenfalls eine Empfehlung für alle, die den kleinen Prinzen mögen und auch schon einmal einen Kaffee am Rande der Welt getrunken haben.
    Mit diesen Gedanken rollte ich dahin und genoss die Zeit, die mir geschenkt ist.
    Ich war kurz vor dem heutigen Ziel, als der Wind plötzlich auffrischte und statt von hinten, von schräg vorn kam. Ich hatte nur noch etwa drei Kilometer, doch diese wurden härter als die heutigen 60 Kilometer zuvor. Mein Weg führte nun direkt gegen den Wind, welcher immer stärker wurde. Ich schaltete weiter runter und kämpfte stellenweise mit 13 km/h gegen den Wind an. Ich erinnerte mich an eine liebe Person, die in dieser Situation sicher ihren Frust rausgeschrien hätte. Ich war mutterseelenallein auf weitem Feld - warum probierte ich diese Frustbewältigung nicht auch einmal? Ich schrie so laut ich konnte. Eine leichte Befreiung war spürbar - mehr nicht. Der Wind nahm dadurch aber leider nicht ab und wirklich leichter fuhr es sich danach auch nicht. Vielleicht fehlt mir Übung, meine Emotionen ungefiltert rauszulassen?
    Auch wenn es noch so windig ist, drei Kilometer sind wirklich kein Hexenwerk und irgendwann geschafft. Der Empfang in meiner heutigen Bleibe war sehr freundlich und sie Strapazen von eben sogleich vergessen. Es mutet nach einem alten Bauernhof an, welcher mit samt seinen Nebengebäuden zu einem Hotel mit Restaurant ausgebaut wurden. In der Mitte war ein kleiner Teich mit Stühlen und Tischen angelegt. Alles sah sehr idyllisch aus und ich entschloss mich nach kurzer Bedenkzeit, hier zwei Nächte zu bleiben.
    Heute ist dieser Ruhetag und ich komme nach langer Zeit mal wieder dazu, einen Blogeintrag zu schreiben. Morgen fahre ich weiter nach Prag. Es sind nur entspannte 38 Kilometer. Allerdings zeigt mir Komoot eine heftige Steigung an. Ich lasse mich überraschen. Heute wird gechillt und die Annehmlichkeiten meines riesigen Drei-Personen-Zimmers genossen.
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