Camino

September 2022 - March 2023
Dies ist das Tagebuch zu meinem Sabbatical von September 2022 bis März 2023. Hierin notiere ich Gedanken, Gefühle und Geschehnisse meiner Reise(n). Seid herzlich eingeladen mitzureisen, mitzudenken, mitzufühlen und zu schreiben.
Buen Camino!
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  • Day 1

    Was lasse ich zurück - Was nehme ich mit

    September 1, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 21 °C

    Heute ist Donnerstag, der 1. September 2022. Es ist der erste Tag meines sieben-monatigen Sabbaticals. Sechs davon möchte ich reisen, mich treiben lassen, völlig frei fühlen. Frei von Pflichten. Frei von Zwängen. Frei von Plänen. Frei von Briefkästen (ganz überwiegend finde ich dort sowieso nur Werbung, Rechnungen und Mahnungen - Memo an mich selbst für nach dem Sabbatical: Rechnungen bezahlen!). Frei von Nachrichten. Waren Nachrichten früher bereits so dystopisch? Krieg in Europa, Pandemie, Inflation. Das Wort Krise kann man mit einem nahezu beliebigen Substantiv seiner Wahl ergänzen und hat gute Chancen, den Nerv der Zeit zu treffen. Sei es Klima-, Migration-, Wirtschaft-, Energie- und seit neuestem auch Wasser. Gibt es bald Räumschilde als Sonderausstattung für Neufahrzeuge ala Mad Max? Für meinen Bob vermutlich nicht mehr. Er hat übrigens die 281.000 km geschafft. Die mittlere Entfernung zwischen Erde und Mond beträgt 384.000 km. Noch gute hunderttausend Kilometer, mein treuer Gefährte, und du bekommst die „Apollo-Plakette“… Ich schweife ab.
    Das Seltsame an diesen bedrückenden Nachrichten ist, dass ich davon kaum etwas in meinem täglichen Alltag spüre. Pandemie? Ich nehme sie nicht (mehr) wahr. Inflation? Energie- und Wasserknappheit? Ohne Medien bekäme ich davon nichts mit. Ich bin mir meiner privilegierten Situation bewusst dafür dankbar, meinen Konsum wegen der Preissteigerungen nicht entscheidend ändern zu müssen. Krieg? Städte wie Kharkiv, in deren Parks ich vor nicht allzu langer Zeit noch spazieren war. Cafés, in denen ich zu dieser Zeit saß und ähnliche Gedanken wie diese hier notiert habe. All das wird gerade bombardiert und beschossen oder ist vielleicht schon zerstört. Menschen, die mir nah sind, machen sich plötzlich nicht mehr Gedanken über Karriere oder Reisen sondern denken bis morgen und kämpfen um ihr Leben und ihre Heimat. Diese Gedanken bedrücken mich - mal mehr und mal weniger. Einfluss auf meinen Alltag haben sie selten.
    All diese Dinge möchte ich zurücklassen. Was nehme ich mit?
    Neben den offensichtlichen Dingen, wie meinem neuen Fahrrad namens Camino (ich mag es, persönlichen Dingen Namen zu geben), meinem Zelt (ohne Namen - warum eigentlich?) und weiterer Ausrüstung nehme ich vor allem meine Beziehungen zu den Menschen mit, die mir in meinem Leben wichtig sind. Es ist das Wertvollste, was ich habe. So sehr mich manchmal die Möglichkeit der ständigen Erreichbarkeit und Informationsflut mit der heutigen Technologie stört, freue ich mich andererseits doch sehr, hierdurch mit meinen Lieben verbunden sein zu können. In einsamen Momenten fühle ich mich dann nicht allein. Auch wenn ich räumlich entfernt sein werde, fühle ich mich dadurch ganz nah. In Form von Abschieden packe ich diese Verbindungen zu meinen Lieben wie kleine Reisepäckchen ein.
    Ich bin gerade in Guben und verabschiede mich von meinen Eltern. Ich werde hier bis Samstag bleiben und dann wieder nach Berlin fahren. Die vergangenen und kommenden Tag sind sehr von Abschieden geprägt.
    Gestern habe ich mich von Susi verabschiedet. Sie wird Freitag in ihre Heimat nach Bayern fahren. Somit werden wir uns am Wochenende nicht mehr sehen. Wir haben gestern das Wetter genutzt, um noch eine kleine Runde mit Bob und Biene zu drehen. Susi hat sich letzte Woche eine Vespa zugelegt - Biene (Susi gibt persönlichen Dingen wohl auch gern Namen). Wir waren im Jagdschloss Grunewald und am Grunewaldsee. Es war besonders und tat uns beiden gut, dass wir uns diese Zeit füreinander genommen haben.
    Viele kleine und große Geschehnisse der letzten Tage lassen ein Gefühl der Zuversicht in mir Aufkommen, welches mir sagt, es ist richtig, jetzt loszuradeln.
    Sei es, dass ich - nach langem Kampf - im letzten Moment eine Zusage meiner Wohnungsgesellschaft bekommen habe, meine Wohnung unterzuvermieten. Sei es, dass ich auf Arbeit alles erledigen und mich verabschieden konnte, um mich jetzt ohne dienstliches „Gepäck“ auf die Reise zu begeben. Dies hat nur funktioniert, da meine Kollegen, Sacha vorweg, in den letzten Tagen neue Sachen von meinem Schreibtisch fern hielten. Danke dafür!
    Sei es, dass Niko sich am Montag spontan dazu entschlossen hat, die ersten drei Tage auf dem Rad mitzukommen. Eigentlich hatten wir uns im „Gestrandet“ getroffen, um einen (bei einem bleibt es nie - doch diesmal alkoholfrei) Scheidebecher zu nehmen. Als ich ihm sagte, dass ich kommenden Montag (5. September) starten möchte, realisierte er, dass er da ebenfalls eine Woche Urlaub und noch nichts festes geplant hat. Kurz entschlossen werden wir die ersten hundert (oder mehr) Kilometer gemeinsam radeln. Ich freue mich darüber sehr, da es mir den Aufbruch merklich erleichtert. Wenn wir einmal rollen, fällt es mir sicher leichter, allein weiterzuradeln.
    Oder sei es, dass ich vergangenen Samstag spontan zu Ronja‘s letztem Auftritt bei der Müritz Saga 2022 gefahren bin und wir so die Möglichkeit hatten, uns noch einmal zu sehen. Wir hatten uns während meines ersten Sabbaticals 2019 in Neuseeland kennengelernt. Dort hatte mir Ronja von ihrem Engagement bei der Müritz Saga im Sommer 2020 erzählt und ich hatte mir vorgenommen, sie dort zu besuchen. Aufgrund von Corona fielen die Müritz Saga 2020 und 2021 aus. Vergangenen Samstag war somit die erste und letzte Möglichkeit, sie als Gräfin Amanda von Bimel zu sehen. Es war sehr schön, diese Verbindung auf diese Weise einzupacken.
    Alles fühlt sich derzeit gut und stimmig an.
    Sonntag werde ich mich auch vom Berlinprojekt und den dort lieb gewonnen Menschen verabschieden. Eingepackt habe ich bereits viele berührende Lieder meiner Gemeinde, die mich unterwegs begleiten.
    Es wird Zeit aufzubrechen. Ich freue mich darauf. Ich freue mich auf das was kommt - auf die Weite, die Entschleunigung, die Natur, fremde Städte, große Gedanken (Problem: kleines Gehirn), interessante Begegnungen. Ebenso freue ich mich bereits jetzt ein Wiedersehen mit vielen meiner Lieben - daheim oder in der Ferne.
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  • Day 5

    Ihr könnt‘ och Zweehe!

    September 5, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 23 °C

    Niko und ich sind in Brück. Genauer gesagt bei Gisela im Schützenhaus. Doch der Reihe nach…

    Gestern Morgen war ich noch einmal im Kino Babylon. Leonie hatte mich zuvor angerufen und gefragt, wie die Planung meiner verbleibenden Tage ausschaut. Beim Morgengottesdienst hatte ich die Gelegenheit, noch einmal mir wichtigen Menschen meiner Gemeinde „Auf Wiedersehen“ zu sagen und anschließend mit Leonie, Fanny, Jonny und Theo ein kleines Picknick im Volkspark zu veranstalten. Ich holte Pizza und Leonie hatte einen kleinen Kuchen als Nachtisch gezaubert. Leonie bemerkte selbstkritisch, dass der Yoghurt im Kuchen nach nix schmeckte. Was wohl stimmte und durch Theo mehrmals goldig bestätigt wurde. Kindermund… Dennoch war die Gesamtkomposition gelungen und das kleine Picknick in der Runde perfekt.
    Obwohl es sooo schön war, mit diesen Menschen einen der letzten Sommertage im Freien zu genießen, verabschiedete ich mich gegen vier. Ich musste noch in meine Wohnung, Bob gegen Camino (mein Rad) tauschen, Sachen packen und nach Potsdam radeln.
    Ich wollte in Potsdam schlafen und mich Montag mit Niko dort treffen.
    Also startete meine erste (halbe) Etappe doch schon Sonntag. Ich packte mir Musik von Lucy Clearwater auf die Ohren und radelte durch Kreuzberg. Lucy hatte ich heute morgen im Babylon zum ersten Mal gehört. Sie hatte dort live gespielt.
    Die Grünflächen, Wege und Tische der Aussengastronomie waren mit Menschen in Sommerkleidung gefüllt. Viele lachten, schwatzten oder genossen still die letzten Sonnenstrahlen. Es war, als hätte sich Berlin zum Abschied noch einmal rausgeputzt und zeigte sich von seiner schönsten Seite. Mit Lucy’s Stimme in meinen Ohren zogen diese Bilder wie in einer Schnittszene eines Roadmovie an mir vorbei. Am Radhaus Schöneberg präsentierte eine Tanzgruppe dem flanierenden Publikum ihre Künste zu Popmusik. Für mich - eine kleine Abschiedsvorstellung… Ich radelte weiter.
    Zwischen all den Rennrädern und Citybikes hatte ich den Eindruck, mit meinen Packtaschen durchaus aufzufallen. Eines der Rennräder sah ich an den roten Ampeln immer wieder. Es wurde von einem sportlichen Typen in meinem Alter gefahren. Auch ihm war aufgefallen, dass wir anscheinend den gleichen Weg hatten und er sprach mich an. Er fragte, wohin ich unterwegs sei und ich erzählte ihm von meinem heutigen Ziel Potsdam und von meinen Plänen darüber hinaus. Er fragte, wie ich mich vorbereitet hätte (ähhh?!), ob ich einen Reifen wechseln könnte (das hoffe ich in den ersten Tagen von Niko zu lernen) und wie lange ich geplant hätte (so ca. zehn Wochen - Ende offen). Wir unterhielten uns vielleicht ein, zwei Kilometer. Dann trennten sich unsere Wege und wir wünschten uns jeweils eine gute Reise. Das kurze Gespräch gleich zu Beginn machte mir Mut, auf meiner Reise noch vielen interessanten Menschen zu begegnen.

    Niko kam heute nach. Er hatte bereits etwa 30 km in seinen Beinen und so war es für ihn Zeit für eine Pause und für mich für ein spätes Frühstück/ frühes Mittagessen. Anschließend - gegen 13:30 Uhr rollten wir los.
    Unser eigentliches Ziel für die heutige Etappe hieß Beelitz-Heilstätten. Das war nur etwa 25 km von Potsdam entfernt. Wir ließen uns die Option offen, dort zu entscheiden, ob wir vielleicht doch noch ein wenig weiter radeln. Wir folgten dem EuroVelo 7 Richtung Süden, welcher uns über sehr schöne Wege aus Potsdam hinaus, vorbei an Seen und durch Wälder führte. Es rollte sich ohne große Anstrengung dahin und gab uns die Möglichkeit über Fahrradausrüstung und andere Themen zu fachsimpeln.

    Kurz vor unserem Ziel wollte uns Komoot plötzlich quer über Stock und Stein durch einen Wald lotsen. Wir stoppten und suchten eine alternative Route. Bei der Gelegenheit hielten wir es für eine gute Idee, vielleicht vorher mal in der Unterkunft anzurufen, da sie von ihrem Glück, uns heute Nacht beherbergen zu dürfen, noch nichts wussten. Wir wiederum wussten nicht, dass die Unterkunft vollständig ausgebucht war. Freundlicherweise empfahl man uns am Telefon direkt eine weitere Unterkunft - etwa eine halbe Stunde mit dem Rad entfernt. Auch diese war aber leider ausgebucht. Ich dachte für einen Moment an mein Zelt und mein Nüsse als Abendessen. Niko hatte allerdings Schlafsack und Isomatte daheim gelassen und so fiel diese Notlösung aus. Wir telefonierten die Pensionen entlang unserer Route ab. In Brück wurden wir dann bei Gisela im Schützenhaus fündig. Wir hatten jetzt also noch gute 17 km vor uns.
    Diese zogen zwar ähnlich mühelos an uns vorüber wie die davor - dennoch waren wir recht zufrieden, als wir gegen 16 Uhr bei Gisela im Schankraum standen. Sie hatte uns bereits am Telefon vorgewarnt, dass heute Ruhetag sei und die Küche geschlossen ist. Der Schankraum sah tatsächlich ziemlich geschlossen aus. Selbst der Zapfhahn war mit einem Tuch verhangen und die Aussicht auf ein Zielbier schwand. Gisela verkörperte ideal, was man gemein hin unter Brandenburger Gastfreundlichkeit versteht. Sie wirkte recht gestresst und war im Ton schroff. Unter dieser rauen Schale erkannten wir aber sofort ein warmes Herz. Obwohl Ruhetag war, hing sie gerade am Telefon als wir hereinkamen. Wir verständigten uns kurz per Gesten, dass wir wohl die waren, die vor etwa einer Stunde wegen eines Zimmers angerufen hatten und Gisela deutete auf die Zimmerschlüssel auf dem Tresen. Sie legte auf und sagte, wir können unsere Taschen von den Rädern holen und ins Zimmer bringen. Anschließend könnten wir die Räder wegschließen. Großartig. Das Telefon klingelt erneut. Wohl eine gute Bekannte oder Freundin - jedenfalls zeigte uns Gisela unsere Zimmer, während sie sich mit der Gesprächspartnerin über ihre täglichen Sorgen austauschte. Zurück im Schankraum war das Telefonat beendet und ich wollte zumindest die Möglichkeit eines Zielbieres nicht unversucht lassen. Ich fragte, ob sie - trotz des Ruhetages - vielleicht zwei Bier hätte. Selbstverständlich! war Giselas Antwort und in einer Bewegung war das Tuch vom Zapfhahn verschwunden und flüssiges Gold floss in das erste Glas…. Okay - leicht dramatisiert, aber in dem Moment sah es beinah so aus.
    Während des Zapfens erklärte sie uns, dass sie heute allein sei und viele Arbeiter anreisen werden. Das Gasthaus ist quasi ausgebucht. Nebenbei muss sie einiges in der Küche vorbereiten - Kartoffeln schälen und Pfirsich-Marmelade kochen. Als wir unsere Biere hatten, gingen wir in den sonnigen Hof. Fast draussen rief und Gisela aus der Küche hinterher „Ihr könnt‘ och Zweehe!“
    Dieses Angebot nahmen wir sehr gern wahr. Anschließend machten wir uns im Zimmer frisch und gingen dann die Hautstraße entlang zu dem einzigen Restaurant, welches in Brück heute geöffnet hatte. Gute (ost-)deutsche Küche. Für uns hab es heute Cordon Bleu und Steak au four - jeweils mit Pommes.
    Morgen wollen wir weiter in die Lutherstadt Wittenberg. Niko möchte mich dann noch eine Etappe bis Torgau begleiten. Ich freue mich, dass wir rollen…
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  • Day 8

    Wassertaufe

    September 8, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 23 °C

    Heute Morgen habe ich mich von Niko verabschiedet. Wir sind die letzen zwei Tage von Brück über Lutherstadt Wittenberg nach Torgau geradelt. Bis gestern hatten wir großes Glück mit dem Wetter, denn es blieb trocken und sogar sommerlich. Gestern war allerdings schon ein Wetterumschwung spürbar. Die Luft war heiss und feucht. Es war drückend schwül und gegen Ende unserer Strecke waren die Straßen vom Regen nass. Die verantwortliche Husche dafür hatten wir glücklicherweise umfahren.
    Die Kilometer der letzten Tage rollten leicht dahin. Der Wind hielt sich zurück und die Radwege waren in perfektem Zustand. Naja - fast perfektem Zustand. An unserer letzten Rast in Brandenburg wurden wir von der Wirtin bereits gewarnt, dass man die Landesgrenze zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt daran erkennt, dass sich der asphaltierte Weg in einen Schotterweg wandelt. Und exakt so war es auch. Wir hatten bis Wittenberg nur knappe 20 km von der Landesgrenze, doch diese waren anstrengender als die 35 km zuvor. Zwischendurch gab es auch Waldwege mit tiefen Sandpassagen und zwei, drei Mal küsste ich gefühlt schon anhaltischen Boden. Gott sei Dank ging alles gut und auch Niko kam - bis auf Seufzer und Flüche - unbeschadet durch.
    In Wittenberg hatten wir diesmal eine Unterkunft über booking.com reserviert. Die Pension „Alabama“ lag sehr verkehrsgünstig ;)
    Zu meiner Freude befand sich unser Zimmer unter dem Dach - ich habe insgesamt fünf Fahrradtaschen zu schleppen. Zu Nikos Freude hatten wir das Fenster zur gut befahrenen Bundesstraße. Wegen des Lärms mussten wir uns allerdings nur bedingt sorgen, da das Dachfenster sowieso nicht richtig in geöffneter Stellung hielt. Somit war die stickige Schwüle eigentlich das größere Problem. Egal - frisch machen und los auf Luthers Spuren.
    Niko hatte bereits ein paar Dinge über Wittenberg recherchiert und so konnten wir gezielt die Highlights ansteuern. Marktplatz, Stadtkirche (mit der „Judensau“) und Schlosskirche (mit Luthers Thesentür). Leider waren die Kirchen bereits geschlossen.
    Nach einem Stadtrundgang ließen wir uns bei einem griechischen Italiener - das Lokal hieß treffend „Mediterraneo“ - nieder. Nach den 55 km war Pasta-Party angesagt und ich gab die Bestellung für uns auf. Anschließend sagte Niko spaßig - doch schon mit vorwurfsvollem Blick „Du blamierst uns!“. Ich wusste sofort, was er meinte. Ich hatte als Vorspeise für uns Bruschetta bestellt - und wie es dort steht ausgesprochen. Es folgte ein kurzes Gespräch über die richtige Aussprache und Niko überzeugte mich mittels Wikipedia und seiner halbitalienischen So-Gut-Wie-Schwägerin von brus'ket:a. Als der italienische Grieche uns dann die Vorspeise brachte und fragte, wer die Bruschetta (Aussprache wie geschrieben) bekommt, waren wir doch kurz verwirrt und feigsten.
    Zurück im Sweet Home Alabama fand Niko dann eine Möglichkeit, das Dachfenster doch etwas zu öffnen. Es war nicht genug, um den Raum merklich zu kühlen, doch ausreichend, um den Straßenlärm hineinzulassen. Entsprechend erholsam war unsere Nacht.
    Das Frühstück war auf ähnlichem Niveau wie unsere Nacht. Mittelmäßiger Kaffee, hart gekochte Eier und eine sehr überschaubare Auswahl an Aufschnitt - kein Vergleich mit dem herzlichen Frühstück bei Gisela mit selbstgemachter Pfirsichmarmelade.
    Wir packten unsere Sachen und rollten los. Unser Weg führte uns erneut über den Marktplatz, unweit der Stadtkirche St. Marien - Luther’s Predigtkirche. Ich nutzte die Möglichkeit auf meinen ersten Stempel im „Pilgerpass”.
    Zu unserer Freude war die Beschaffenheit der Wege hinter Wittenberg wieder auf EuroVelo-Niveau. Bis Torgau hatten wir heute knapp 67 km vor unseren Lenkerstangen. Wir planten zwei Pausen nach jeweils ca. 20 km - abhängig davon, was sich dort dann als Pausenmöglichkeit anbietet. Die ersten Kilometer spürte ich in mich hinein. Wie gehts meinem Hintern? Wie schwer sind die Beine? Was machen die Knie? Eine meiner größten Sorge ist, dass mein Körper irgendwie nicht mitmacht. Ich bin kein Radfahrer. Für meinen Körper ist diese Art von Belastung neu. Ich habe mich auch nicht sonderlich auf diese neue Art von Belastung vorbereitet. Ich vertraue einfach darauf, dass sich mein Körper während der Reise irgendwie daran gewöhnt. Bei den Muskeln und meinem Hintern mache ich mir da auch eher weniger Sorgen. Daran gewöhne ich mich schon und kann die Abhärtungsdosis anhand der Etappenlänge variieren. Größere Sorgen mache ich mir da bei den Gelenken - insbesondere den Knien. Wenn die nicht mehr wollen, geht - so befürchte ich - nicht mehr viel.
    Deshalb möchte ich es bei den einzelnen Etappen auch nicht übertreiben. Am Ende von 60 Kilometern steigt in mir merklich die Freude auf das Zielbier, eine warme Dusche und das Bett. Niko erzählte mir von seiner Radtour an die Ostsee mit Matthias. Sie legten dabei 180km am Tag zurück. Klar - die Zielsetzung und das Gepäck waren da ganz anders.
    Ich versuche mich so gut und so oft es geht zu dehnen. Vor kurzem wurde ich durch einen mir sehr wichtigen Menschen auf Yoga aufmerksam, welches mir diese Möglichkeit bietet. Kurz vor Start landete somit auch noch eine Yoga-Matte in meinem Reisegepäck und ist zu einem regelmäßig genutzten Gegenstand geworden.
    Wie gesagt, fühlte ich in mich hinein und merkte anfangs ein leichtes Stechen in meinem rechten Knie. Ich war sehr dankbar, als dieses nach den ersten Kilometern verschwand und ich schmerzfrei dahin radelte.
    Wie vereinbart hielten wir ab Kilometer 20 nach einer Einkehrmöglichkeit Ausschau. Bis wir fündig wurden, mussten wir noch knapp zehn Kilometer unserer Beine kreisen lassen und fanden schließlich die Burg Klöden. Eine recht verfallene alte Burg aus dem 13 Jahrhundert, welche mehrmals vom Elbhochwasser zerstört und anschließend auf einem höher aufgeschüttetem Sockel wieder aufgebaut wurde. Heute finden dort Radtouristen eine gute Möglichkeit, sich zu stärken. Da es bereits Mittag war, hieß das für uns „Zweimal Bauernschnitzel, bitte!“.
    Gut gestärkt und erholt ging es entlang der Elbe weiter. Felder und Deiche dominierten die heutige Etappe. Über den frisch geernteten Feldern kreisten unzählige Greifvögel und hielten nach einem Snack Ausschau. Ich bin immer wieder von diesen anmutigen Vögeln und ihrem ruhigen Flug fasziniert.
    Wie eingangs erwähnt, wurde es zunehmend heißer und schwüler. In einiger Entfernung, doch leider in unserer Richtung, türmten sich - wie Niko richtig bemerkte - Cumulonimbus Wolken auf. Seltsam, was manchmal aus der Schulzeit hängen bleibt. Noch waren sie sehr hell und wirkten wenig bedrohlich. Da für den späten Nachmittag allerdings Regen vorhergesagt war und wir die Wolken ungern im ihrer dunklen und bedrohlichen Variante erleben wollten, ließen wir die zweite Rast aus und zogen die verbleibenden 37 km durch.
    Trocken erreichten wir unser Hotel in Torgau. Noch vor den Zimmerformalien orderte Niko zwei Zielbier, welche wir zufrieden vor dem Hotel genossen.
    Anschließen ging’s aufs Zimmer und natürlich befand sich dieses wieder im zweiten Obergeschoß. Neben einem leisen Fluchen auf der Treppe regte ich mich nicht weiter darüber auf. Niko war da sehr viel glücklicher als er bei Anblick der Zimmertür feststellte, dass wir diesmal nicht zur Straßenseite residierten. Wir witzelten, ob auf unserer Seite stattdessen der Grossflughafen Torgau liegen könnte.
    Das Zimmer war geräumig und mit 90‘er Jahre Charm eingerichtet. Als ich die halb geschlossene Aussen-Jalousie öffnete, musste ich laut lachen. Niko schaute mich erschrocken an, trat ans Fenster und sah … eine Bahnlinie direkt unter unserem Fenster. Das Gleisbett war neu und weit und breit kein Schallschutz. Noch während wir lachten recherchierte Niko, dass dies nur ein Betriebsgleis für den Hafen war und somit wohl kaum genutzt wird. Wir hatten tatsächlich nicht eine Zugfahrt während unseres Aufenthaltes.
    Das Programm war das Gleiche wie die vergangenen Tage. Kurz dehnen, duschen und nochmal los. Niko hatte ein paar architektonische bzw. stadtplanerische Sehenswürdigkeiten rausgesucht, als da wären: der schwarze Graben, die Altstadt mit Markplatz und Schloss Hartenfels mit seinem weltberühmten Treppenturm. Torgau überraschte uns beide sehr positiv.
    Zurück auf dem Zimmer wurde es Zeit für die Scheidebecher. Niko hatte hierfür extra zwei kleine Single Malt Whiskys mitgebracht, welche wir aus den Weingläsern unserer Minibar genossen.
    Mit Blick auf die WetterApp hatten wir den Plan, morgen sehr früh aufzustehen und gegen neun zu starten. Dann sollten wir vor dem starken Regen loskommen und mit etwas Glück trocken bleiben. Zum Einschlafen hörten wir eine Folge des Schwarze Akte Podcasts.
    Der Himmel beim Aufstehen war grau - doch noch war es trocken. Wir gingen zum Frühstück. Noch während des Frühstücks begann es allerdings bereits zu tröpfeln. Alles halb so wild. Aus den einzelnen Tropfen wurde dann allerdings richtiger Regen und wir hatten plötzlich keine Eile mehr beim Frühstück. Nach Niko‘s App sollte es bald wieder schwächer werden - diese Pause wollten wir für den Start nutzen. Mir gefiel die App und ich lud sie mir ebenfalls runter. Bei einem weiteren Blick in die App war von der Abschwächung leider nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil - es wurde tendenziell stärker. Also packten wir zusammen und beluden die Räder.
    Es hieß Abschied nehmen und obwohl ich die Reise ursprünglich sowieso allein geplant hatte, fühlte es sich komisch an, nun tatsächlich allein weiterzufahren. In mir stieg die Frage nach dem „Warum?“ auf. Niko sagte gestern, dass ihm drei Tage Radtour reichen würden. Warum fuhr ich dann weiter? Dazu noch allein? Wollte ich vielleicht doch jemandem etwas beweisen? Mir eventuell? Möglicherweise. Wann oder wie wäre ein Beweis (wofür?) erbracht?
    Ich hatte keine rechte Antwort auf diese Fragen. Möglicherweise finde ich die Antwort unterwegs und möglicherweise endet dann meine Reise. Bisher war ich jeden Nachmittag froh, als wir unser Ziel erreichten. Der Hintern tat weh, die Beide waren müde und ich freute mich auf Dehnung und Dusche. Doch ebenso machte sich jeden Morgen eine Vorfreude in mir breit, als ich die erste Meter auf dem Rad saß. Die Strapazen des Vortages waren vergessen und ich freute mich auf die Strecke. Solange dieses Gefühl da ist, fahre ich auf jeden Fall weiter. Ob dieses Gefühl bleibt, wenn ich allein radle, werde ich sehen. Heute morgen war es - trotz des Sauwetters - spürbar.
    Niko und ich verabschiedeten uns, ich dankte ihm, dass er die ersten Tage mitkam und wir wünschten uns alles Gute für den Weg. Ohne ihn wäre mir der Start ungleich schwerer gefallen. Wenn du das hier liest, lieber Niko, von Herzen Dank für deine Hilfe!
    Und auch Dank für den Ventil-Adapter. Er kam heute an einer Tankstelle zum Einsatz. Leider erst nach etwa 40 Kilometern. Doch mit etwa vier bar zu fahren, statt mit zweieinhalb, ist (fast) wie Fliegen - selbst bei Regen.
    Davon gab‘s heute reichlich. Es regnete die komplette Strecke durch. Und da meine Schuhe (ich hatte mir extra wasserfeste Wanderschuhe für solche Situationen geholt) nach etwa einer halben Stunde durchnässt waren, beschloss ich die knapp 50 Kilometer durchzufahren. Das Problem waren nicht die Schuhe, sondern, dass das Wasser an meiner Gore-Tex Hose in meine Verse lief und von dort in den ganzen Schuh. Niko hatte heute Morgen Gamaschen übergezogen, die genau dies verhindern. Dass wird meine nächste Investition.
    Trotz des Regens fuhr sich die Strecke recht gut dahin. Hat wohl etwas mit Erwartungsmanagement zu tun. Wenn man eh auf einen Misttag eingestellt ist, kann man nur schwer enttäuscht werden. Ich fuhr tatsächlich durch und kam völlig durchnässt in meiner Pension in Riesa an.
    Meine Sachen trocknen mittlerweile mit Hilfe von Ventilatoren und Kaufland-Werbeprospekten. Hier hat es aufgehört zu regnen und ich bin zuversichtlich, dass bis morgen alles wieder trocken ist. Niko ist mittlerweile daheim angekommen und ich ziehe mal los und schaue, was Riesa so zu bieten hat. Niko‘s Stadtführungen fehlen mir schon jetzt.
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  • Day 11

    Steckst‘n Finger in Po und … ;)

    September 11, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 15 °C

    Auch ohne Niko‘s Empfehlungen begab ich mich auf eine kleine Stadterkundung durch Riesa. Ob es an seinen fehlenden Referenzen oder einfach an Riesa lag, weiß ich nicht, doch ich war lange nicht so begeistert, wie von Torgau oder Wittenberg. Eigentlich gab es nur eine große Einkaufsstraße, welche ich einmal hoch und wieder runter schlenderte. In einem Fahrradladen wurde ich zumindest in Sachen Regen-Gamaschen fündig. Anschließend ging ich zurück zur Pension. Dort traf ich auf Sven aus Hamburg. Er radelt mit seinem Vater Detlef von Wittenberge (nicht zu verwechseln mit Lutherstadt Wittenberg) nach Dresden. Detlef ist heute 68 Jahre alt geworden.
    Die Beiden waren bis Riesa sechs Tage unterwegs und wollten morgen zur finalen Etappe nach Dresden aufbrechen. Wir tauschten uns über die Beweggründe unserer Reisen aus, die ziemlich privater Natur sind und ich hier nicht ohne Zustimmung niederschreiben möchte. Beim Italiener gegenüber gab es dann Tortellini mit Steinpilzfüllung in Gorgonzolasoße zum Abendessen. Eine sehr gute Wahl.

    Beim Frühstück am nächsten Morgen traf ich Sven und Detlef wieder. Ihre Fahrräder waren bereits beladen. Meine Klamotten hingegen hingen noch im Zimmer verteilt und der Ventilator trocknete die verbliebene Feuchtigkeit meiner Wanderschuhe.
    Ich bin mit einer kleinen Yoga Einheit von Travis Eliot in den Tag gestartet. Im Laufe meiner noch sehr frischen Yoga-YouTube-Erfahrung ist er zu meinem Lieblings-Yogalehrer geworden. Seine ruhige, schnörkellose Art spricht mich sehr an. Er hat im September eine 30-Tage-Serie vom jeweils 30 Minuten gestartet. Perfekt! Mal schauen, ob ich nach nem Monat eine Veränderung spüre.

    Mit frisch gemachtem Rührei und Speck sowie ausreichend Kaffee in meinem Blut fuhr ich los. Auf Wettervorhersagen gebe ich nicht mehr viel. Eigentlich sollte es erneut bis 13 Uhr trocken bleiben - ich rollte bei leichtem Niesel los. Dieser wurde zunehmend stärker und nachdem mich eine Husche unter ein knappes Garagendach gescheucht hatte, entschloss ich mich, auf Regenmontur zu wechseln. Ich war mit meinen neuen Gamaschen recht zufrieden.

    Das gute am Regen war, dass ich wieder keine große Lust auf Pausen hatte und so ziemlich flott voran kam. Sven hatte gesagt, dass sie alle zehn Kilometer pausieren und so rechnete ich eigentlich damit, sie bald einzuholen. Sie waren aber lange nicht zu sehen. Entweder sparten sie sich bei dem Wetter ebenfalls die Pausen oder reizten die maximale Geschwindigkeit ihrer E-Bikes aus.
    Hinter Meißen wurde es trockener und die Sonne kam raus. Ich rollte den Elberadweg entlang und genoss ihre wärmenden und trocknenden Strahlen.
    Etwa 18 Kilometer vorm Ziel traf ich doch noch auf Sven und Detlef. Sie starteten eben wieder nach einer Pause.
    Ich hängte mich an Detlefs Hinterrad und kam so indirekt in den Genuss eines E-Bikes. Ich weiß nicht, ob es der Windschatten war oder das imaginäre Band zum Vorderband, aber es fuhr sich plötzlich so mühelos, als hätte ich selbst einen Motor. Die beiden zogen mich so bis Dresden.
    Kurz vor Dresden machten wir noch einen kleinen Stop und ich konnte mich meiner Regensachen entledigen. An der Bank, die wir für unsere Rast ausgewählt hatten, erschien plötzlich vom Grundstück gegenüber ein weissbärtiger Herr mit sonnengegerbter Haut. Schwer zu schätzen, wie alt er war, doch diese Haut hatte sicher so einige Sonnenumrundungen mitgemacht. Doch wirkte er bemerkenswert frisch und seine Augen versprühten Lebensfreude, Witz und Abenteuerlust. Er wollte zu dem Schaukasten hinter unserer Bank und ein paar Informationen des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs aktualisieren. Wir kamen kurz ins Gespräch. Er hatte eine ruhige und freundliche Ausstrahlung. Ob das wohl vom Radfahren kommt? Mit Sicherheit trägt Reisen dazu bei und ohne irgendetwas über ihn zu wissen - na gut, er hieß Wolfgang, soviel erfuhr ich - gefiel mir der Gedanke, eine ähnliche Energie auszustrahlen, wenn ich mal in seinem Alter sein würde. Ich erfuhr noch etwas von Wolfgang. Er fragte, woher wir kommen. Sven und Detlef erzählten von ihrer Route und ich sagte anschließend, dass ich in Potsdam bzw. Berlin gestartet sei. Er schaute mich und Camino an und fragte: „Heute?“. Erst dachte ich, er macht einen Witz. Doch er meinte die Frage tatsächlich ernst, denn wie er erzählte, ist er einmal die 180km nach Potsdam an einem Tag geradelt… Für einen kurzen Moment fühlte ich mich etwas klein und ließ die vergangenen Tage Revue passieren. Doch Wolfgang und ich hatten bei unseren jeweiligen Radtouren andere Schwerpunkte, stellten wir fest.
    In Sachen Unterkünfte gab uns Wolfgang noch den Hinweis auf das „Dachgeberverzeichnis“. Da dies allerdings hauptsächlich in Deutschland funktioniert, hat es für mich (derzeit) keine große Bedeutung. Wir verabschiedeten uns und Detlef „zog“ mich weiter nach Dresden.
    Auf den letzten Kilometern wurde Sven wehmütig. Ich kannte dieses Gefühl genau. Ich hatte es zuerst an meinem letzten Tag auf dem Jakobsweg 2018 gefühlt. Die verbleibenden Kilometer werden einstellig. Man geht oder fährt langsamer und versucht, alles noch einmal intensiver wahrzunehmen. Man realisiert, dass - so sehr man manche beschwerlichen Abschnitte, einige Unzulänglichkeiten der Reise und auch Schmerzen zwischendurch verflucht hat - etwas einmaliges zu Ende geht. Jede Reise ist einmalig. Wie das Leben auch. Reisen kann man immer wieder neu beginnen. Beim Leben sind sich die Experten noch nicht einig. Zu diesem Gedanken hatte ich später noch eine interessante Begegnung.
    Dieses Ende fühlte Sven. Eines Tages werde ich es vermutlich auch wieder spüren. Es wäre schön, dass es sich bei mir wie in Neuseeland anfühlt. Dort bin ich nicht wehmütig, sonder erfüllt und glücklich abgereist. Voller Schätze in meinen Erinnerungen und der Vorfreude auf das Wiedersehen mit meinen Lieben. Ich hatte in dem Moment das Gefühl, alles erlebt zu haben, was mir Neuseeland zeigen wollte. Vielleicht habe ich dieses Gefühl auch am Ende dieser Reise. Und wie heißt es doch… „The real Camino starts in Santiago“
    Der Abschied von Sven und Detlef war kurz. Wir klatschen während der Fahrt ab und wünschten uns eine gute Reise.
    Bis zu meiner Bleibe der nächsten Tage waren es nur noch weniger Kilometer. Ich hatte mindestens einen Ruhetag in Dresden eingeplant und mir für Samstag bereits eine Massage über Groupon gebucht. Wenn schon Erholung, dann richtig. Mandy, eine liebe Freundin aus Teenager-Tagen wohnt mittlerweile in Dresden und hat mir lieberweise ihre Wohnung überlassen. Sie selbst wollte an dem Wochenende mit einer Freundin nach München auf ein Konzert. Ich hatte die Wohnung somit bis Sonntag für mich und entschied mich kurzerhand, zwei Ruhetage einzulegen. So wäre ich noch da, wenn sie zurück kommt und ich könnte ihr persönlich für das großartige Angebot danken.
    Außerdem hatte ich ein paar Besorgungen zu erledigen und mein Körper würde sich über mehr Ruhe sicher auch nicht beklagen.
    Nachdem ich eine Waschladung gestartet hatte, begann mein Wohlfühlprogramm mit einer kurzen Yoga-Einheit und einem ausgiebigen Bad. Sofort stellte sich ein Zuhausegefühl ein, welches mit einem Couchabend und rocketbeans.tv („Alles zum Titelkampf zwischen FREIBURG und UNION!“ - Bester Titel!) im Fernseher komplettiert wurde. Freitag passierte nichts mehr.

    Mein Samstag begann mit einer gemeinsamen Yoga-Einheit via Facetime nach Potsdam. Danach eilte ich zu meiner Massage. Hierfür musste ich die Elbe überqueren und nutzte die Johannstadt-Fähre. Die Massage war ein Traum. Bei entspannenden Klängen drückte und presste Martina eine Stunde lang alle kleinen und großen Verhärtungen der letzten Tage aus meinen Füßen, Beinen, meinem Rücken und Armen. Auch eine sanfte Gesichtsmassage war Bestandteil. Ich fühlte mich wie neu geboren und was macht so ein Neugeborener als erstes? Eine weiterer Wiedergeburt für den nächsten Tag buchen, natürlich!
    Ich erkundete die Dresdner Neustand und schlenderte dabei über einen Wochenmarkt und durch die Kunsthofpassage. Nach einem kleinen Frühstück radelte ich in das touristische Herz Dresdens. Ich wollte zur Frauenkirchen und schauen ob ich dort einen Stempel für meinen Pilgerpass bekomme. Ich bekam ihn und machte mich dann wieder schnell vom Acker. Die vielen Menschen und eine Art Jahrmarkt waren zu viel. Ich verzog mich an die Elbe und gönnte mir eine weitere Kleinigkeit im Fährgarten Johannstadt.
    Danach fuhr ich heim und entspannte in ähnliche Manier wie tags zuvor.

    Der heutige Sonntag begann wieder mit einer Yoga-Facetime-Schaltung nach Potsdam und anschließender Hetzfahrt zu Martina. Warum komme ich nie pünktlich weg?
    Waren manche Druckpunkte gestern noch teilweise schmerzhaft, fühlte sich heute alles viel weicher an. Die Ruhetage und die Massagen waren ein voller Erfolg.
    Im Gespräch nach der Massage erzählte mir Martina von ihren Plänen, ein Seminarhotel im Erzgebirge zu eröffnen. Es ging um Yoga, Meditation und Fasten und klang sehr spannend.
    Sie hatte für heute keine weiteren Pläne und - wie ich - noch nix gefrühstückt. Wir beschlossen, die Unterhaltung bei einem Kaffee und einem kleinen Snack weiterzuführen. Martina erzählte mir von ihren Reisen nach Südostasien, nach Indien und Tibet. Sie hatte auf ihren Reise die Gelegenheit, den Dalai-Lama und - was ihr noch viel mehr bedeutete - den Karmapa zu treffen. Der Karmapa sagte mir bis dato nichts und ich lauschte gespannt ihren Erzählungen. Der Karmata lebt derzeit in seiner 17 Reinkarnation. Über die Suche nach ihm existiert ein Dokumentarfilm namens „The Living Buddha“, welcher umgehend auf meiner Watchlist landete. Ich spürte, wie ich gerade sehr offen für Inspiration von Themen bin, welche ich selber nicht auf meinem Radar habe. Etwas in mir hatte den Wunsch, nach Tibet zu reisen.
    Es sind Begegnungen mit Sven, Wolfgang und Martina, welche für mich eine wesentliche Motivation für das Reisen bedeuten. Vor meiner Abfahrt hatte ich Bedenken, ob diese Begegnungen auch auf einer Radreise möglich seien. Ich denke, ich muss mir darüber keine weiteren Gedanken mehr machen. Ich freue mich auf viele interessante und inspirierende Begegnungen.
    Nach dem Frühstück fuhr ich heim, räumte ein wenig auf und kümmerte mich um Camino. Meine letzte Kettenfettung war zu gut gemeint. „Viel hilft viel“ gilt wohl nicht bei Kettenöl und so musste dich den ganzen Schodder wieder runterbekommen.
    Mandy ist zwischenzeitlich zurück. Allerdings benötigt eine gute Freundin ihre Gesellschaft dringlicher als ich und so werde ich mich eines anderen schönen Tages erkenntlich zeigen. Morgen geht es die Elbe entlang zur Tschechischen Grenze und mit ein wenig Glück, bekomme ich eine günstige Unterkunft in Bundeseigentum
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  • Day 15

    Vítejte v České republice 🇨🇿

    September 15, 2022 in Czech Republic ⋅ ⛅ 14 °C

    Als ich Montag Morgen aufstand, war Mandy bereits auf Arbeit. Wir hatten abgesprochen, dass wir vor meiner Abfahrt noch einen Kaffee gemeinsam trinken. Ihre Arbeit liegt nur fünf Gehminuten entfernt.
    Während ich meine Sachen zusammen räumte, vermisste ich eine Sache - die Lust loszuradeln. Auch nach längerem Suchen fand ich sie nicht und fragte Mandy, ob sie mich spontan noch einen Tag länger ertragen würde. Würde sie. Anschließend rief ich meine Kollegen an der Deutsch-Tschechischen Grenze an und reservierte ein Zimmer von Dienstag auf Mittwoch. Alles war für einen weiteren Tag in Dresden geregelt und ich traf mich mit Mandy auf den versprochenen Kaffee.
    Mandy musste danach noch ein paar Dinge erledigen und ich vertrieb mir die Zeit mit einem Telefonat auf den Elbwiesen. Als sie wieder zurück war, hatte sie mir ein kleines Add-On ihres Care-Pakets mitgebracht. Sie hatte mir bereits ein paar Nüsse, eine liebe Karte, Kaffee und eine Dose „Popoflott-Bike-Salbe“ als Welcome-Geschenk hingestellt. Die Salbe ist Teil ihrer eigenen Marke „Fragantura“ - handgemachte Cremes, Öle und Tees aus 100% natürlichen Inhaltsstoffen. Heute hatte sie noch eine Goldröschensalbe, Jod-Salbe und Sprühpflaster für den Fall der Fälle (der hoffentlich niemals eintreten wird) mitgebracht.
    Am Abend gingen wir in der Dresdner Neustadt etwas essen und ich konnte mich zumindest ein wenig für die herzliche Gastlichkeit erkenntlich zeigen. Über den Goldenen Reiter, Fürstenzug und Frauenkirche ging es mit den Rädern zurück.
    Am nächsten Tag musste Mandy in Pirna arbeiten, was zufällig direkt auf der Hälfte meiner heutigen Etappe lag und wir verabredeten uns erneut auf einen Pausenkaffee.
    Ich räumte in aller Ruhe meine Sachen zusammen und rollte gegen 11 Uhr los. Bis Bad Schandau, meinem heutigen Ziel, war es nur eine Marathon Distanz. Ich hatte somit keine Eile. Meine Motivation war irgendwie noch immer nicht aufgetaucht. Dabei fehlte es mir nicht an der Lust Radzufahren. Das machte Spaß. Camino fährt sich traumhaft und das Wetter spielte heute auch mit. Doch ich fühlte mich allein. Ich war es ja auch. Deshalb fiel mir der Aufbruch schwer und mich beschäftigte bis Pirna der Gedanke, warum ich das mache.
    Ich war vor drei Jahren auch nach Norwegen und sogar nach Neuseeland allein gereist. Ich kann gerade nicht sagen, ob ich da ein ähnliches Gefühl hatte. Ich kann mich nicht erinnern. Ich neige dazu, negative Dinge schneller zu vergessen als positive. Eine hilfreiche Eigenschaft. Rückblickend fühlte ich mich nur sehr selten allein.
    Vielleicht war es auch der Gedanke, dass es ab jetzt kaum noch bekannte Personen geben wird, die ich treffen kann. Ich befuhr unbekanntes Terrain. Ich beschloss, zumindest bis Prag zu radeln und auf dem Weg dorthin zu überlegen, was und wie ich weiter mache.
    In Pirna suchte ich Mandy und wir tranken einen Kaffee zusammen in der Sonne. In unserem Gespräch fiel in anderem Zusammenhang der Satz „Wozu und wofür macht man das alles?“. Er scheint wohl gerade recht allgemeingültig.
    Mandy schrieb mir noch eine liebe Botschaft in meinen Pilgerpass. Dann ging sie zurück an ihre Arbeit und ich fuhr weiter. Über den Marktplatz von Pirna fuhr ich zurück zur Elbe und spulte die verbleibenden 20 Kilometer zur Grenze hinunter.
    Ich konnte die Landschaft jetzt mehr genießen als heute Vormittag. Es lag teilweise an meiner Stimmung aber auch an der Landschaft selbst. Zudem erhielt ich liebe Nachrichten von Menschen, die mir sehr wichtig sind. Ich fühlte mich gar nicht mehr allein und eine tiefe Dankbarkeit für die Menschen in meinem Leben.
    Links und Rechts der Elbe türmten sich nun Felsen auf und ich passierte so beeindruckende Sehenswürdigkeiten wie die Basteibrücke oder die Festung Königstein.
    Eine Sache trübte diese Aussicht und mein Fahrgefühl dennoch. Es waren winzig kleine Fliegen. Unzählige. Das meine ich, wie ich es schreibe. Ich erinnerte mich leidvoll an Niko‘s Worte, ich bräuchte eine Fahrradbrille.
    Ich bin oft in der Natur und jogge beispielsweise im Treptower Park an der Spree regelmäßig. Auch dort kenne ich Schwärme dieser kleinen Plagegeister. „Augen zu und durch“ ist dort mein Motto. Beim Laufen mag das gehen - beim Radfahren ist „Augen zu“ kein guter Rat. Und an der Elbe waren es keine begrenzten Schwärme. Die kleinen, nervigen Biester zogen sich kilometerweit. Dabei waren die Fliegen gar nicht richtig als Schwärme zu sehen. Vielmehr waren sie im Gesicht, auf der Brust, auf den Armen und - am schlimmsten - in den Augen zu spüren. Die Streckenführung beinhaltete immer wieder leicht abschüssige Passagen und so bekam ich gut 25 bis 30 km/h auf Camino`s Reifen. Es fühlte sich an, als würde es regnen, als die kleinen Fliegen gegen meine Haut prasselten. Ich senkte den Kopf und versuchte so gut es ging, die Strecke vor mir zu erahnen. Trotz aller Vorsicht landete doch immer wieder eine Fliege in meinen Augen, welche ich mir bei der Fahrt raus wischte. Fahrtwind, Fliegen, Tränen - es war kein Spaß und ich wusste, was meine nächste Investition bei passender Gelegenheit wäre.
    Irgendwann war der Spuk dann doch vorbei. Mein hellgrünes Shirt war mit unzähligen schwarzen Punkten gespickt. Witzig war, dass fast alle davon flogen, als ich anhielt. Sie hafteten vorher wegen des Fahrtwindes und meines Schweiß an mir. Okay - sie waren in ihrer Situation auch nicht zu beneiden.
    Als ich mich die kurze Steigung zur Dienststelle im kleinsten Gang hochgeleiert hatte, wurde ich bereits erwartet. Ich war angemeldet und erhielt den Zimmerschlüssel.
    Natürlich war mein Zimmer mal wieder in der obersten Etage. Netterweise hatte man mir ein Eckzimmer am Ende des Ganges gegeben. So hatte ich wegen der Fenster an zwei Seiten ausreichend Licht.
    Die Dienststelle lag sehr idyllisch an einem Hang und ich hatte von meiner Stube einen herrlichen Blick auf die Elbe und Bad Schandau. Sie hatte den BGS-Charme der 2000er Jahre. Bett, Tisch, Schrank, Kühlschrank, Waschbecken. Toilette und Bad befanden sich auf dem Flur. Ich fühlte mich an meine Ausbildung erinnert und trotz der spartanischen Ausstattung auch irgendwie wohl.
    Ich schnappte mir nochmal Camino und fuhr über die Elbe nach Bad Schandau. Für morgen war ganztägig Regen angesagt. Schweren Herzens hatte ich bereits beschlossen, einen weiteren Ruhetag einzulegen. Ganztägig bei Regen zu fahren, hatte ich nicht vor. Da bei Regen auch nicht die Möglichkeit bestand, sich Bad Schandau näher anzuschauen, nutzte ich hierfür den Rest des Tages. Just in dem Moment, als ich dachte, ob es hier wohl ein Fahrradgeschäft gäbe, entdeckte ich ein Sportgeschäft. Sie müssen Fahrradbrillen haben! Hatten sie auch.
    Bei meinem weiteren Streifzug durch Bad Schandau entdeckte ich eine Therme und im dann einen Historischen Aufzug. Mit der Therme war der morgige Regentag doch noch gerettet. Und über den Aufzug gelang ich auf einen kleinen Wanderweg oberhalb von Bad Schandau. Ich genoß die schöne Aussicht auf Bad Schandau bei untergehender Sonne und fuhr anschließend in meine Stube.

    Am folgenden Tag regnete es wie vorhergesagt nahezu ganztägig und ich genoss die Wärme der Sauna in der Toskana Therme. Da ich keine Badesachen dabei hatte, blieb mir der Rest der Therme leider verwehrt. Sonst passierte an diesem Tag nicht viel, was ich hier erwähnen könnte.

    Am nächsten Morgen waren nur noch die Straßen nass. Von oben kam nix neues dazu. Es war Zeit, endlich die Grenze zu überqueren und weiter Richtung Prag zu radeln. Ich hatte mir ein markantes Grenzzeichen oder eine Tafel vorgestellt, um ein schönes Erinnerungsfoto zu machen. Leider gab es das auf meiner Elbseite nicht. Doch auf der anderen Seite sah ich ein paar Fahnenmasten mit verschiedenen Flaggen. Das musste wohl die Grenze sein. Anschließend las ich an einem Gebäude in deutscher Schrift „Zigaretten & Alkohol“ - das kannte ich aus meiner Heimat, ich musste mittlerweile in Tschechien sein.
    Der Radweg blieb in bestem Zustand und seit dem Stück in Sachsen-Anhalt konnte mich eh nichts mehr schocken. Ich wollte in drei Tagen die gut 180 km bis Prag schaffen. Um ein wenig Puffer für die verbleibenden Tage zu haben, buchte ich eine Unterkunft in Lovosice. Ein kleines, unspektakuläres Örtchen in ca. 71 km Entfernung.
    Ich rollte dahin und ohne es richtig zu merken, waren die Felswände links und rechts der Elbe verschwunden und dem Flachland gewichen. Meine Gedanken lies ich ebensoweit schweifen. So zogen Felder und Höfe, Kirchen und Schlösser, kleine und größere Orte dahin. An zwei Cafés entlang des Weges machte ich jeweils eine kurze Rast. Weder das Wetter noch die Vorstellung der heutigen 70 Kilometer ließen mich lange sitzen. Es war mittlerweile kalt und wenn ich mich nicht bewegte, fror ich aufgrund des frischen Windes und meiner durchgeschwitzten Klamotten doch recht arg. Ich überlegte, ob ich mein Fahrradabenteuer vielleicht in etwas wärmere Breitengrade verlegen sollte. Denn das Radfahren an sich bereitete mir sehr viel Freude. Wenn die Sonne schien, genoss ich das stille dahingleitet entlang der Elbe sehr. Aber vielleicht waren die Sonnentage hier dann doch langsam zu Ende. Ich werde mir in Prag überlegen, wie es weitergeht.
    Lovosice hatte erwartungsgemäß nicht viel zu bieten. Nachdem ich mein Zimmer bezogen hatte, drehte ich eine kurze Runde durch das kleine Stadtzentrum und nahm mir von dort eine Pizza mit auf mein Zimmer. Mehr passierte hier nicht.

    Die Sonne schien als ich aufwachte. Morgenroutine, Frühstück und gegen elf fuhr ich los.
    Heute erneut über 60 Kilometer und so verblieb nur noch ein lockeres Ausrollen bis Prag für den nächsten Tag. Es ist erstaunlich, welchen Einfluss das Wetter auf meine Stimmung hat. Die Sonne schien. Mit Rückenwind rollte ich mühelos dahin. Mein Körper schien sich ebenfalls langsam an die Bewegung und Belastung gewöhnt zu haben. Ohne große Anstrengung erreichte ich 26, 27 machmal knapp 30 km/h auf ebener Fläche. Es machte großen Spass. Ich legte mir eine alte Predigt des Berlinprojektes aus 2015 als Podcast auf die Ohren. Bodo Park, ein Gastprediger aus Frankfurt, predigte zum Thema „Laufe deinen Lauf!“. Mich sprach der Titel an und einige seiner Aussagen konnte ich sehr gut nachempfinden. Es ging um Vergleiche. Um den Blick nach links und rechts, statt gerade aus auf den eigenen Weg. Es ging um die innere Unruhe, immer etwas erleben zu müssen. Ich fühlte mich angesprochen. Ich hatte ähnliche Gedanken bezüglich meines Sabbaticals. Nicht selten dachte ich darüber nach, ob ich diese freie Zeit nicht besser nutzen müsste. Auf Instagram sah ich viele Bilder von mir mehr oder minder bekannten Menschen auf denen weiße Strände, beeindruckende Berge oder atemberaubende Sonnenuntergänge an den entlegensten Orten zu sehen waren. Ich hingegen radelte bei beginnendem Herbstwetter von Berlin nach Prag. Irgendwie unspektakulär und vielleicht sogar verlorene Zeit? - dachte ich manchmal bei mir. Dann erinnerte ich mich an die Aussage eines Menschen, den ich vor kurzem auf meiner Tour getroffen hatte. Als ich ihm von meinem Sabbatical und meiner geplanten Tour erzählte, sagte er „Du lebst mein Leben“. Er meinte damit, das Leben, dass er sich wünschte. Damals brachte mich die Aussage bereits kurz zum Nachdenken und nun kam der Gedanke zurück. Mir ist bewusst, wie gesegnet ich bin, diese Zeit für mich zu haben. Ich bin völlig frei und kann tun und lassen, was ich möchte. Möchte ich schöne Strände sehen, sollte ich das tun. Bereitet es mir Freude, die Elbe entlang zu radeln und dabei solche Gedanken zu haben, sollte ich es ebenfalls tun. Möchte ich nach Tibet, sollte ich mir einen Weg dahin suchen. Eines ist bei alledem nur wichtig - ich sollte es tun, weil ich es möchte und nicht, weil ich schöne Bilder auf Instagram posten möchte. Selbiges gilt ehrlicherweise auch für diesen Blog. Ich sollte nichts tun, nur um hier etwas tolles schreiben zu können. In diesem Moment wäre es tatsächlich verlorene Zeit.
    Überraschender Weise erwähnte und zitierte Bodo Park aus dem Buch „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“. Ich hatte dieses Buch vor etwa zwei Jahren geschenkt bekommen und mit großer Freude gelesen. Manche Personen, Gedanken und Dinge begegnen einem im Leben scheinbar wieder. Wann und warum das ist, bleibt ein Rätsel. Es nicht einfach als Zufall abzutun und stattdessen einen möglichen Sinn dahinter zu suchen, bereitet mir viel Freude. Das Buch ist jedenfalls eine Empfehlung für alle, die den kleinen Prinzen mögen und auch schon einmal einen Kaffee am Rande der Welt getrunken haben.
    Mit diesen Gedanken rollte ich dahin und genoss die Zeit, die mir geschenkt ist.
    Ich war kurz vor dem heutigen Ziel, als der Wind plötzlich auffrischte und statt von hinten, von schräg vorn kam. Ich hatte nur noch etwa drei Kilometer, doch diese wurden härter als die heutigen 60 Kilometer zuvor. Mein Weg führte nun direkt gegen den Wind, welcher immer stärker wurde. Ich schaltete weiter runter und kämpfte stellenweise mit 13 km/h gegen den Wind an. Ich erinnerte mich an eine liebe Person, die in dieser Situation sicher ihren Frust rausgeschrien hätte. Ich war mutterseelenallein auf weitem Feld - warum probierte ich diese Frustbewältigung nicht auch einmal? Ich schrie so laut ich konnte. Eine leichte Befreiung war spürbar - mehr nicht. Der Wind nahm dadurch aber leider nicht ab und wirklich leichter fuhr es sich danach auch nicht. Vielleicht fehlt mir Übung, meine Emotionen ungefiltert rauszulassen?
    Auch wenn es noch so windig ist, drei Kilometer sind wirklich kein Hexenwerk und irgendwann geschafft. Der Empfang in meiner heutigen Bleibe war sehr freundlich und sie Strapazen von eben sogleich vergessen. Es mutet nach einem alten Bauernhof an, welcher mit samt seinen Nebengebäuden zu einem Hotel mit Restaurant ausgebaut wurden. In der Mitte war ein kleiner Teich mit Stühlen und Tischen angelegt. Alles sah sehr idyllisch aus und ich entschloss mich nach kurzer Bedenkzeit, hier zwei Nächte zu bleiben.
    Heute ist dieser Ruhetag und ich komme nach langer Zeit mal wieder dazu, einen Blogeintrag zu schreiben. Morgen fahre ich weiter nach Prag. Es sind nur entspannte 38 Kilometer. Allerdings zeigt mir Komoot eine heftige Steigung an. Ich lasse mich überraschen. Heute wird gechillt und die Annehmlichkeiten meines riesigen Drei-Personen-Zimmers genossen.
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  • Day 19

    Die goldene Stadt

    September 19, 2022 in Czech Republic ⋅ 🌧 8 °C

    Die Etappe begann, wie meine letzte endete - mit heftigem Wind von allen Seiten und hauptsächlich von vorn. Vielleicht nur ein subjektives Empfinden.
    Die Strecke bis Prag betrug heute nur 38 km. Die würde ich auch bei diesem Wind schaffen, dachte ich mir und begann die Landschaft zu genießen. Mit dem Wechsel meiner Aufmerksam, weg vom Wind, schien dieser auch nachzulassen. Vielleicht ebenfalls nur ein subjektives Empfinden - diesmal allerdings weitaus hilfreicher.
    Ich folgte weiter dem Fluss, den ich bis gestern noch immer für die Elbe hielt. Es war aber mittlerweile die Moldau, welche, wie ich ebenfalls gestern lernte, durch Prag fließt. Ich hatte den Zusammenfluss von Moldau und Elbe nicht wahrgenommen. Ich hoffe Moldau und Elbe nehmen es mir nicht krumm, aber für mich sehen beide ziemlich ähnlich aus. Ach, warum sollten sie das krumm nehmen? Sie fließen ja ab hier irgendwo gemeinsame Wege … sie werden mich schon verstehen und meine Verwechslung als Kompliment sehen. Ob es Menschen gibt, die Flüsse an ihrem Aussehen erkennen? Bestimmt.
    Ich folgte also der Moldau, überquerte sie einige Male mit mehr oder minder baufälligen Brücken und kam gut voran. Auf etwa halber Strecke begann ein Anstieg, der mir bereits auf der gestrigen Streckenvorschau ein paar Bedenken bescherte. Es war aber alles halb so wild und wieder einmal empfand ich Anstiege weitaus angenehmer als Gegenwind. Bei Anstiegen weiß man, was auf einen zukommt. Wind ist unberechenbar. Ich schaltete also runter und leiherte mich ca. zweieinhalb Kilometer den Berg hinauf. Es wehte kaum Wind, da ich einem kleinen, bewaldeten Bach und seinem schmalen Tal folgte. Vielleicht ist die Sache mit dem Wind auch einfach eine Kopfsache? An einem Anstieg sieht man die Steigung und merkt, was man gerade leistet. Man geht davon aus, dass es langsamer voran geht.
    Bei Wind hingegen sieht alles aus wie immer. Selbst wenn alles eben ist und man weit schauen kann, kommt man kaum voran. Zudem kommen in mir frustrierende Gedanken nach dem Motto „Warum habe ich immer Gegenwind?“ (Habe ich gar nicht. Sogar eher selten) oder man sieht die entgegenkommenden Radler mit einer Leichtigkeit an einem vorbei gleiten. Das nervt! Bei Wind weiß man halt nie, wann er dreht und die Sache wieder einfacher wird. Bei nem Anstieg ist das ziemlich eindeutig. Und noch ein Vorteil hat der Anstieg - danach gehts bergab! So auch bei mir. Ich erreichte Geschwindigkeiten von über 40 km pro Stunde. Mag jetzt nicht so viel klingen. Allerdings hatte ich kein Rennrad, sondern einen kleinen LKW mit meinem mobilen Hausstand. Camino gab mir aber nie ein unsicheres Gefühl und hielt treu die Spur. Es machte riesigen Spaß, die fast leere Straße ohne jegliche Anstrengung dahinzurollen und sich in die Kurven zu legen. Der Spaß war leider viel schneller vorbei als die Anstrengung zuvor.
    Danach wurde es bis Prag wieder flach und ich nutzte den mentalen Schwung der Abfahrt bis Prag. Der Uferweg wurde allmählich voller und zu den Radfahren, zu denen nun nicht nur Radtouristen sondern augenscheinlich auch Pendler und Radsportler gehörten, gesellten sich Jogger und Spaziergänger. Ich kam in urbanes Gebiet.

    Ein richtiges Schild mit „Prag“ sah ich nicht. Schade - hätte gern ein Foto für das Etappenziel gehabt. Ich steuerte die Altstadt an. Die Route führte mich durch einen kleinen Park mit einem Zoo. Ich glückliches Gefühl erfüllte mich, als mir bewusst wurde, dass ich tatsächlich von Berlin bis Prag mit dem Fahrrad gefahren war. Alles ohne größere Schwierigkeiten. Weder bei Material noch Körper. Ich war bisher noch nie größere Strecken mit dem Rad unterwegs. Auch nicht oft die kleineren. Bisher bewegte ich mich größtenteils motorisiert fort. Zur Vorbereitung auf die Tour bin ich in drei Tagen von Berlin nach Waren geradelt. Das war mein bisheriger Radfahrhorizont. Nun lag er in Prag. Mal schauen, was Camino noch zu sehen bekommt.
    Aber nicht sofort. Heute war Sonntag. Montag hatte ein mir sehr wichtiger Mensch in Berlin Geburtstag. Für mich stand schon bei Abfahrt in Berlin fest, dass ich an diesem Tag wieder in Berlin sein werde. Ich hatte mir bereits gestern eine Fahrkarte für den EuroCity von Prag nach Berlin gebucht und ein Hotel in Bahnhofsnähe gesucht. Mir blieben für eine Erkundung von Prag also nur wenige Stunden. Das Wetter spielte mit und für den Abend war nur leichter Nieselregen angesagt.
    Ich fuhr zum Hotel, ließ meine Taschen dort und schnappte mir erneut Camino. Über Komoot hatte ich mir über Komoot ein paar Fleckchen herausgesucht, die ich gern sehen wollte. Als erstes steuerte ich aber wieder die Altstadt für ein Zielbier an. Pilsener Urquell vom Fass. Dazu gönnte ich mir ein Pfannengericht mit allerlei leckeren Sachen. Beim Essen sah ich mir auf meinem iPhone den 2:0 Erfolg von Union gegen Wolfsburg an. Schöne neue Technikwelt!

    Prag - viele süße Cafés, Kunstateliers, wunderschön verzierte Gebäude, niedliche Gassen und natürlich die Burg und die sonstigen Sehenswürdigkeiten. Ich ließ alles auf mich wirken, so gut es in der Kürze der Zeit möglich war. Der Abschluss meiner Stadttour sollte ein Aussichtspunkt mit einem wundervollen Blick über Prag sein. Es dämmerte bereits, als ich mich über Trampelpfade durch ein kleines Waldstück zum Aussichtspunkt bewegte. Ich bin immer wieder erstaunt, welch unscheinbare Wege teilweise in Komoot verzeichnet sind. Es begann zu nieseln, doch das Schmuddelwetter konnte mir die Freude über den Ausblick nicht vermiesen. Ich hatte einen herrlichen Blick auf die Stadt und war ganz allein. Bei zwanzig Grad und Sonnenschein oder -untergang sicherlich noch schöner - aber wer wird schon meckern.
    Der Regen wurde stärker. Ich beschloß, mich nur kurz aufzuhalten und ins Hotel zurück zu fahren. Mein Zug fuhr am nächsten Tag bereits um 06:25 Uhr.
    Ich ging zurück durch das Waldstück. Camino hatte ich davor abgestellt. Am Geräusch in den Blättern über mir merkte ich, dass die Tropfen wohl stärker geworden sein müssen. Als ich Camino erreichte, schüttete es bereits. Meine gute Stimmung wurde für einen Moment ebenso weggespült, wie die Blätter und Zweige, welche mir in anschwellenden Rinnsalen entgegen flossen. Bis zum Hotel waren es knapp sechs Kilometer. Ein Großteil davon bergab. Hatte ich erwähnt, dass die Straßen Prags überwiegend aus Kopfsteinpflaster bestehen? Nein? Das tun sie und es fährt sich bei Dunkelheit und Nässe echt besch … eiden. Bei Trockenheit übrigens auch.
    Mal wieder komplett durch bis auf die Schlüppi kam ich ins Hotel. Eine heiße Dusche holte die Wärme zurück in meinen Körper und die gute Laune zurück in meinen Geist. Der kleine Fön leistete unbezahlte Überstunden - bis morgen früh hatte ich einfach keine Zeit, alles an der Luft zu trocknen. Nachdem meine Sachen halbwegs trocken war, legte ich mich schlafen.

    Mein Wecker klingelte um fünf. Fertig machen, Auschecken und los.
    Gegen sechs war ich am Bahnhof. Der Bahnsteig des EuroCity wurde erst fünf Minuten vor Abfahrt angezeigt. Als es endlich soweit war, setzte sich eine riesige Traube von Personen mit Koffern und Rucksäcken in Bewegung. Ich reihte mich mit Camino ein und folgte dem Strom.
    Ich genoss die viereinhalb Stunden Zugfahrt und passierte in Zeitraffer viele Orte der letzten beiden Wochen - darunter Lovosice, Bad Schandau und Dresden. Dabei zogen ein schöne Erinnerungen ebenso vorbei wie die Orte.

    In Berlin angekommen sortierte ich kurz die Lage. Vor dem Hauptbahnhof sprach mich ein junger Typ auf mein Fahrrad an und fragte woher ich käme. Er war aus Stuttgart und erzählte, dass er auch mal mit dem Rad aus Stuttgart nach Venedig (oder Verona?) gefahren sei. Mmmmh - Italien? Muss ich mal nachdenken.
    Ich brauchte noch ein Geschenk für heute Abend. Dabei hatte ich eine konkrete Vorstellung und wollte es bei Dussmann besorgen. Allerdings hatte ich Bedenken, Camino mit all meinen Taschen unbewacht Unter Den Linden stehen zu lassen. Alles mitschleppen war ebenfalls keine Option. So musste ich wohl erstmal heim und später nochmal los.
    Mein Weg führte mich sowieso über Unter den Linden und just an der Kreuzung Friedrichstraße sah ich plötzlich eine Menge Blaulicht. Ein paar Menschen hatten sich auf die Kreuzung gesetzt und festgeklebt. Meine Meinung zu diesen Aktionen ist hier nicht relevant. Allerdings sorgte die Aktion dafür, dass viele Freunde und Helfer vor Ort waren und wohl auch nicht so schnell wegfahren würden. Sicherer konnte Camino gar nicht stehen. Ich schloss mein Rad unmittelbar neben der Aktion an einen Metallpfeiler und ging die paar Schritte zu Dussmann. Nachdem ich alles besorgt hatte, gönnte ich mir in Sichtweite zu Camino noch eine Kleinigkeit zu essen. Ich musste Zeit überbrücke, da mein Untermieter heute Morgen aus der Nachtschicht kam und ich ihn nicht wecken wollte. Es passte erstaunlich gut und pünktlich zu seiner Nachricht, dass er nun wach wäre, erreichte ich mein Daheim - in dem ich nun zu Gast war. Ein seltsames Gefühl. Ich spare durch die Untervermietung schon eine Menge Geld - aber kein richtiges Zuhause zu haben, fühlt sich doch auch schräg an. Memo an mich selbst: Die Sache mit der Untervermietung beim nächsten Sabbatical nochmal überdenken.
    Ich wechselte von Outdoorklamotten auf Jeans-Look und wusch alles durch. Während die Waschmaschine ihre Pflicht tat, holte ich den fehlenden Schlaf der letzten Nacht auf meiner Couch nach.
    Dann brach ich zu Susi‘s Geburtstagsfeier auf. Ich hatte mich mit Fanny und Leonie vor Susi‘s Tür verabredet. Das Wiedersehen mit den Beiden war schön. Fanny hatte mir freundlicherweise ihre Couch als heutigen Schlafplatz angeboten. Auch Leonie bot mir eine Schlafmöglichkeit für die nächsten Tage an. Im weiteren Verlauf des Abends boten sich noch weitere Möglichkeiten, in Berlin unterzukommen. Ein wohliges Gefühl von Freundschaft und Zuhause machte sich in mir breit.
    Wir überlegten uns eine Überraschung für Susi. Ich wartete ungesehen eine Etage unter Susi’s Wohnung, als Fanny und Leonie klingelten und in die Wohnung eintraten. In der Wohnung war ein Geburtstagslied zu hören. Ich hatte Susi heute bereits telefonisch ein Ständchen dargebracht. Dann bemerkten Fanny und Leonie, dass eine weitere Überraschung im Hausflur warte. Wie soll ich sagen? Die Überraschung war vollends gelungen! Susi hatte nullkommagarnicht damit gerechnet, mich hier zu sehen. Sie war schlichtweg überwältigt. Die Freude über unser überraschendes Wiedersehen in Susi’s Augen zu sehen, war ein riesiges Geschenk. Als hätte ich heute Geburtstag.
    Trotz einer angekündigten Feier im kleinen Rahmen waren es doch fünfzehn Gäste geworden. Die eigentliche Geburtstagsparty steigt erst kommenden Samstag. Ich bekam umgehend eine Einladung für Samstag. Es war ein sehr schöner Abend mit herzlichen Menschen, lustigen Gesprächen, persönlichen Geschenken und gutem Essen. Susi war sehr glücklich.
    Ich blieb bis zum Schluss. Fanny war schon gegangen, da sie am nächsten Morgen arbeiten musste. Kurz nach Mitternacht klingelte ich bei ihr. Leicht verschlafen öffnete sie, zeigte mir das vorbereitete Bett, wünschte eine gute Nacht und verschwand wieder. Ich schlief sehr gut.

    Nun sitze ich in einer Berliner Altbauwohnung im Friedrichshainer Nordkiez. Ich überlege, wie ich meine Reise fortsetze. Ich habe große Lust, mit Camino weiterzuradeln. Doch ist es leider schneller kalt und regnerisch auf meiner geplanten Route geworden, als ich dachte. Ich werde wohl einige Tage in Berlin und Umgebung verbringen und die Zeit nutzen, mir eine neue, sonnige Route zu überlegen. Bis dahin genieße ich die freie Zeit in Berlin, hoffe auf einen Altweibersommer und viele schöne Begegnungen.
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  • Day 28

    Freunde und Familie

    September 28, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Es ist Mittwoch und ich sitze in Karlsruhe bei meiner Schwester auf der Ofenbank.
    In den vergangenen Tagen war ich in Berlin, Potsdam und Guben und habe Freunde und Familie besucht. Nun habe ich mir seit langem etwas Zeit genommen, auch mal bei meiner Schwester und Family vorbei zu schauen.
    In den vergangenenTagen hatte ich Gelegenheit, die Schlafqualität verschiedener Sofas und Matratzen zu testen. Lieben Dank an Fanny, Leonie und Susi. Apropos Susi - sie hat am Samstag ihren 30. Geburtstag auf einer Berliner Dachterasse gefeiert.
    Gemeinsam mit Bob haben Susi, Sophie (Susi‘s Besuch aus Schottland) und ich die Party-Utensilien die paar Kilometer zum Refugio gekarrt. Es war das letzte Septemberwochenende und das bedeutet in Berlin traditionsgemäß Marathon. Die Strecke war bereits gesperrt. Zum gewöhnlichen Verkehrschaos an einem Samstag kamen die Sperrungen noch obendrauf. Glücklicherweise mussten wir die Strecke nicht kreuzen und schlängelten uns durch Baustellen und Staus zum Partyort. Wir schleppten alles aufs Dach. Jessy und Lisa kamen hinzu und wir verwandelten die Dachterasse in eine Geburtstagspartylocation. Nach und nach kamen die Gäste. Micha kam auch recht früh und erleichterte uns den Aufbau mit entspannter Hintergrundmusik auf einem Klavier.
    Susi‘s herzliche Freunde, der Ort mit Blick über die Stadt und die feierliche Stimmung machten diesen Abend zu einem unvergesslichen Tag. Das Motto „30“ zog sich von einer Fotowand über ein selbstgebackenes Brot hin zu einem Kunstwerk, bei dem jeder Meisterbäcker ehrfürchtig applaudieren würde. Als emotionalen Höhepunkt bekam Susi auch noch ein eigens geschriebenes Geburtstagslied präsentiert. Statt Worte lasse ich hier besser Bilder sprechen. Unvergesslich.

    Ich schlief bei Susi und Sophie. Am Sonntag holten wir Bob und die Geschenke zurück zu Susi‘s Wohnung. Der Marathon fand gerade statt und so schauten wir - angelockt von Livemusik - ein wenig zu. Die positive Energie der Läufer und Zuschauer war ansteckend und obwohl ich dieses Kapitel eigentlich für mich abgehakt hatte, kribbelte es doch für einen Moment wieder, diese Energie erneut als Läufer erleben zu wollen. Aber dafür reicht vielleicht auch ein halber. Vielleicht sogar mit Susi. Alles kann - nichts muss.
    Anschließend fuhr ich zu mir und packte ein paar Sachen für die nächsten Tage zusammen.
    Nach dem Aufenthalt bei meiner Schwester fahre ich übers Wochenende zu einer Auszeit des Berlinprojekt ins Brandenburger Umland. Am 2. Oktober gehe ich dann mit Dürten zum Spongebob Musical und freue mich darauf, Ronja endlich einmal bei einem Musical zu sehen.
    Doch das ist noch Zukunftsmusik - im wahrsten Wortsinn.

    Heute werde ich erstmal nach Freiburg fahren und Stephanie besuchen. Auch das hatte ich mir bereits lange vorgenommen. Wir hatten uns 2019 in Neuseeland kennengelernt und sind einige Etappe gemeinsam gereist. Unvergesslich war dabei die Zeit bei den Clawfish-Fischern und dem Ausflug mit den Delfinen.
    Freitag auf dem Heimweg treffe ich dann noch Philipp. Ihn hatte ich auch 2019 in Norwegen auf dem Olavsweg kennengelernt.

    Ich hatte eigentlich keinen ausgiebigen Aufenthalt in Deutschland geplant. Doch irgendwie fühlt es sich gerade richtig an, die Zeit für Freunde, Familie und Besuche zu nutzen, für die ich mir sonst nur wenig Zeit nehme. Ein wenig Auszeit nur für mich ist danach auch noch geplant. Und dann werde ich wieder meine Sachen schnappen und losfahren. Wohin? Weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall dorthin, wo es warm ist.
    In Freiburg regnet es gerade…
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  • Day 46

    G(l/r)o(w) with the flow

    October 16, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 14 °C

    Ich habe meine Pläne geändert. Ich werde nicht weiter mit dem Fahrrad fahren. Sorry, Sven ;)
    Gestern bin ich von Yoga Vidya Ashram in Bad Meinberg zurück gekommen. Dies ist ein unglaublich friedvoller Ort, voll positiver Energie und meine Zeit war geprägt von körperlichen und spirituellen Höhen und Tiefen.
    Ich begann diese besondere Zeit mit einem zweitägigen Yoga-Thai-Massage-Einführungskurs am vergangenen Freitag. Gundi, unsere Kursleiterin, schaffte es, uns bis Sonntag eine ca. einstündige Ganzkörpermassage beizubringen. Lena und ich fanden schnell zusammen und massierten uns gegenseitig entlang unserer Energielinien an Füßen, Beinen, Armen, Händen und Rücken. Sowohl das Geben als auch das Empfangen der Massage bereitete viel Freude. Ich wollte schon seit Jahren lernen, wie man richtig massiert. Hier durfte ich in eine Technik reinschnuppern, die man nahezu jederzeit und ohne größere Anstrengung und ohne Hilfsmittel durchführen kann. Die traditionelle Thai-Yoga-Massage wird bekleidet, ohne Öl und auf einer Matte durchgeführt. Ich war schnell überzeugt, dass ich mehr von dieser Art der Massage lernen möchte.
    In der Nähe von Bad Meinberg befinden sich die Externsteine - eine ebenso schöne wie beeindruckende Felsformation. Ich wollte sie mir unbedingt am Wochenende anschauen, da ich befürchtete, in der kommenden Woche keine Zeit mehr dafür zu haben. Außerdem war am Wochenende Vollmond und nahezu wolkenfreier Himmel. Also fuhr ich Samstag nach dem Abendessen hin. Auf dem Weg zu Bob traf ich auf Lena und fragte, ob sie spontan mitkommen würde. Ebenso spontan sagte sie zu und wir fuhren gemeinsam zu den Steinen. Die Atmosphäre mit dem strahlenden Mond, den einzigartigen Formationen und dem See war sehr mystisch. Wir spazierten um den See und setzten uns anschließend eine Weile auf eine Bank. Wir lernten einander etwas besser kennen und unterhielten uns über Reisen, Yoga Vidya und ein wenig unseren Glauben. Außerdem erzählte mir Lena von ihrem VW Caddy, den sie sich als Camper zugelegt hat. Das Campen wurde ihr quasi mit in die Wiege gelegt. Da der Caddy viel in der Werkstatt war, hatte sie mit ihm bisher leider nicht allzuviel Freude. Gerade ist sie mit dem Bulli ihrer Eltern auf Tour.

    Sonntag Nachmittag war der Kurs bereits wieder vorbei und am Abend begann für mich ein Meditation- und Schweigeretreat im Shivalya Tempel. Dies ist ein ganz besonderer Ort auf dem Yoga Vidya Campus. Im ganzen Bereich herrscht Schweigen. Gedämpftes Sprechen ist im Flur und Küchenbereich möglich, wenn die Notwendigkeit dazu besteht. Alles ist lichtdurchflutet. Es gibt mehrere helle Räume mit jeweils eigener spiritueller Kraft und eine große Dachterrasse.
    Wir waren eine Gruppe von zwölf Personen - fünf Männer und sieben Frauen. Angeleitet wurde das Retreat von der Visionärin, Leiterin und gleichzeitig guten Seele des Shivalaja Tempels, Swami Nirgunananda.
    Swami Nirgunananda strahlt einen solchen Frieden, eine Spiritualität und Inspiration aus, wie ich sie noch bei keinem Menschen gespürt habe.
    Unsere Tage begannen morgens um 5 Uhr mit einer zweistündigen Meditation und endeten abends um 22 Uhr ebenfalls meditierend. Wir meditierten täglich fünf bis sechs Stunden still und haben die gesamte Woche schweigend verbracht. Die nonverbalen Kommunikation wurde auf das nötigste beschränkt. Ich hörte kein Radio, las keine Nachrichten, schaute kein YouTube und auch meine Handynutzung schränkte ich weitestgehend ein. Gänzlich konnte ich sie nicht vermeiden, da ich einige Sachen, wie beispielsweise mein Unterkunft nach dem Retreat, klären musste. Doch alles geschah ohne zu sprechen.
    Das Schweigen fiel mir überraschender Weise gar nicht so schwer, obwohl ich davor anfangs den größten Respekt hatte. Die Kommunikation wurde auf das nötigste beschränkt - meist ein "Bitte" oder ein "Danke". Die Gesten hierfür kamen intuitiv und jeder verstand einander. Mehr noch - die Reaktionen auf ein nonverbales Danke mit Gesten, einem Lächeln und Blickkontakt erschienen mir viel intensiver und herzlicher, als ein "Dankeschön", welches ich im Alltag auch schonmal gedankenlos dahinsage. Doch nonverbal war jedes "Danke" eine aufmerksame Geste und diese wurde vom Gegenüber ebenso aufmerksam und freudvoll registriert. Es entstand für einen kurzen Moment eine spürbare Verbindung. Swami Nirgunananda hatte einführend gesagt, dass durch das Schweigen eine Kommunikation der Herzen entsteht. Dies Beschreibung trifft diesen Moment ziemlich gut.
    Recht schnell fiel es mir gar nicht mehr schwer, nicht zu sprechen. Im Gegenteil - bald genoss ich sogar das "Privileg", nicht zu allem etwas sagen zu müssen. Auf dem Ashram Campus gab es weit mehr Gäste als uns zwölf und diese durften selbstverständlich reden. Es gab ein kleines Café. Dort saß ich manchmal und gönnte mir nachmittags still einen Kaffee. Ich las in meinem Büchlein "Geschichten zum Nachdenken" von Jorge Bucay und hörte dabei unweigerlich den Gesprächen der anderen Gäste zu. Ich hatte einen kleinen Anstecker auf dem "Schweigen" stand und fühlte mich somit davor geschützt, in das Gespräch meiner Nachbarn eingebunden zu werden. Meistens lächelte ich nur, las und lauschte weiter.

    Was mir anfangs weitaus schwerer als das Schweigen fiel, war das lange Sitzen während der Meditation. Meditation ist mir nicht neu. Ich kenne es von der Kontemplation. Gudrun, die gute Seele des Berlinprojekts, leitet jeden Dienstag dieses stille Gebet in der Galerie an. Ich war dort vor Jahren das erste Mal und seither immer mal wieder. Seit Corona allerdings so gut wie gar nicht mehr. Bei Gudrun's Kontemplation meditieren wir zweimal 25 Minuten in Stille - mit einer kurzen Gehmeditation dazwischen. Über diesen Zeitraum still zu sitzen bereitete mir keine Probleme mehr.
    Die Meditationen im Shivalaya waren allerdings doppelt so lange. Zweimal 45 Minuten mit einer Gehmeditation dazwischen. Und dies etwa dreimal täglich. Montag Abend fühlte sich mein Rücken an, als hätte ich den ganzen Tag Kartoffelsäcke geschleppt. Ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlt, Kartoffelsäcke zu schleppen, aber so stelle ich es mir vor. Ich probierte verschiedene Sitzpositionen, Sitzkissen und Sitzbänkchen aus. Es änderte nicht viel. Immer wenn ich dachte, diese Position ist es, kam doch früher oder später ein Ziehen im Rücken, ein Drücken im Fuß oder ein Stechen im Knie. Mittwoch hatte sich wohl mein Körper an die Anstrengung gewöhnt und die Schmerzen ließen nach. Ich behielt meine augenblickliche Position und mein Kissenarrangement für den Rest der Woche bei. Endlich konnte ich mich weg von meinem Körper hin zur Meditation fokussieren. Ich gewann in vielen Dingen Klarheit. Ich erkannte neue Wege für mich und auch ein kleines spirituelles Licht, welches ich sehr lang Zeit nicht mehr gefühlt hatte, begann wieder zu leuchten. Was das genau bedeutet, lässt sich mit Worten schwer beschreiben. Ich gewann an Ruhe. Ich war dankbar für mein Leben und die Möglichkeiten, die sich mir boten. Wahren Frieden finde ich nicht im Außen sondern nur in mir selbst. Hierfür gilt es, große Baustellen an mir und insbesondere meinem Ego anzugehen. Ein möglicher Weg dies alles zu erreichen - so scheint mir - kann die Verbindung aus Yoga, Meditation und mein persönlicher Glaube sein. Diesem Weg möchte ich nun folgen. Ich glaube, wo dieser Weg entlang führt, wäre ein Fahrrad sehr hinderlich. Deshalb werde ich wieder auf Rucksack umrüsten und ins Flugzeug steigen.
    Ich möchte meine Reise in Südostasien beginnen. Eine Region, die mich bisher nie gereizt hat, zieht mich seit dieser Woche magisch an. Dieser Anziehung, diesem Flow, möchte ich folgen. Hierfür muss ich in den nächsten Tagen einige kleine Vorbereitungen treffen und hoffe so bald wie möglich ins Flugzeug zu steigen.

    Gerade sitze ich in einem gemütlichen Bungalow am Scharmützelsee. Nach dieser Woche schien mir nichts unpassender, als über das Wochenende wieder zurück nach Berlin zu fahren. Ich wollte die Stille noch etwas nachwirken lassen und hier ist genau der richtige Ort dafür. Einen kurzen Stop in Berlin hatte ich Freitag allerdings dann doch gemacht. Samuel Breuer hatte mit Band im Prachtwerk gespielt. Er geht auch ins Berlinprojekt und so waren viele mir vertraute Gesichter vor Ort. Es war schön, sie alle dort zu sehen. Es war auch schön, anschließend an diesen Ort der Ruhe zu fahren. Wie Swami Nirgunananda uns ans Herz legte, führe ich meine tägliche Meditationspraxis fort.
    Als ich eben am Ufer meditierte, wurde mir etwas bewusst. Es gibt da die Geschichte von dem alten Indianer, der mit seinem Enkel am Feuer sitzt. Sicher kennt der eine oder die andere sie.

    Der alte Indianer erzählt:
    „In jedem von uns lebt ein weißer und ein schwarzer Wolf. Der weiße Wolf verkörpert alles was gut ist - Freude, Friede, Liebe, Hoffnung, Freundlichkeit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Wahrheit und all das Lichte in uns. Der schwarze Wolf steht für das Negative in uns wie Zorn, Neid, Trauer, Angst, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Groll, Minderwertigkeit, Lüge, falscher Stolz. Zwischen beiden Wölfen findet ein ewiger Kampf statt. Dieser Kampf zwischen den beiden findet auch in dir und in jeder anderen Person statt, denn wir haben alle diese beiden Wölfe in uns.“ Der Enkel dachte kurz darüber nach und dann fragte er seinen Großvater,
 „Und welcher Wolf gewinnt?“
    Der alte Indianer antwortete: „Der, den du fütterst.“

    Mir gefiel diese kleine Geschichte schon immer. Doch gerade wurde mir eine neue Sichtweise bewusst. Ein Aspekt meines schwarzen Wolfes ist mein Ego. Dieses Ego füttere ich unter anderem, indem ich diesen Blog öffentlich schreibe. Es mag nur ein kleiner Happen sein, doch es nährt mein Ego - und somit meinen schwarzen Wolf. Ich merke es daran, dass ich manchmal überlege, wie ich Dinge schreibe. Ich schreibe sie dann nicht für mich, sondern aus der Sicht anderer Leser.
    Als Konsequenz dieser Überlegung werde ich diesen Blog nicht mehr öffentlich weiter führen. Ich werde ihn dennoch für mich weiter schreiben und schauen, ob sich dadurch etwas beim Schreiben ändert.

    Ich möchte mich bei allen bedanken, die mir hier gefolgt sind. Es war mir eine große Freude, euch bei mir zu wissen und euch ein Stück weit auf meine Reise - meinen Camino - mitzunehmen. Von hier an reise ich nun allein weiter. Mit vielen stehe ich auch weiterhin in Kontakt. Somit bin ich gar nicht allein und viele sind weiterhin bei mir. Ich wünsche euch von Herzen viel Glück und alles Gute auf euren Wegen.

    Passt auf euch auf!
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  • Day 65

    Bangkok (K)nights

    November 4, 2022 in Thailand ⋅ ☀️ 30 °C

    Der Titel ist ein wenig irreführend. Weder habe ich hier Ritter gesehen, noch blieb ich (vorerst) mehr als eine Nacht in Bangkok. Dennoch fiel mir dieser Name als erstes ein, als ich an Bangkok dachte.
    Das ist der Titel eines Computerspiels von 1987, welches ich damals auf meinem Commodore 64 gespielt hatte. Damals nannte ich es Prügelspiel - heute würde man wohl Beat‘m Up dazu sagen. Schöne, unbeschwerte Kindertage… zurück ins Hier und Jetzt.

    Der Flug war recht anstrengend. Wobei, Berlin - London war easy. Ich hatte in London gut drei Stunden Aufenthalt. Die erste Stunde hatte ich allerdings bereits zwischen Landung und erreichen meines Abflugterminals eingebüßt . Auch auf anderen Flughäfen und Drehkreuzen gibt es noch Verbesserungspotential.
    Von London nach Bangkok saß ich gut elf Stunden zwischen zwei Herren. Mittelplätze sind echt das Letzte. Ich konnte mich kaum mal zur Seite drehen und fand somit nie eine richtige Schlafposition. Durch den Schlafmangel hoffte ich, schneller in den neuen Zeitrhythmus zu kommen. Wir landeten gegen 16 Uhr Ortszeit. Ich wollte mit dem Zug nach Bagkok hinein fahren und dann schauen, wie weit es bis zu meinem Hotel ist. So tat ich auch. Bis ich meinen Rucksack hatte und ich am Gleis stand dauerte es fast zwei Stunden. BER - du musst dich gar nicht schämen.
    Ich wollte mir eine lokale SIM-Karte holen. Angebote gab es von allen großen Anbietern. Allerdings kosteten diese 999 Baht. Das sind etwa 27 EUR für 30 Tage Internet. Mir erschien dies recht viel und ich entschied, mir später eine Karte in der Stadt zu besorgen.

    Meine war die letzte Station der Linie und es war bereits dunkel, als ich am Bahnhof Phaya Thai ausstiegt. An das Leitsystem muss ich mich wohl noch gewöhnen, doch irgendwann fand ich aus dem Bahnhof hinaus und stand auf den nächtlichen Straßen Bangkoks. Laut meiner Karten-App waren es 2,8km zu Fuß bis zu meinem Hotel. Ich entschied mich, auf den großen Straßen zu bleiben und nicht durch die vorgeschlagenen Gassen zu gehen - nicht in meiner ersten Nacht in Bangkok. Wieder dachte ich an das C64-Spiel.
    Der Verkehr war so, wie ich ihn mir in dieser asiatischen Metropole vorgestellt hatte. Autos, Busse, bunte LKW und zwischendurch huschten alle möglichen Varianten von motorisierten Zweirädern. Helme trugen die wenigsten. Dafür seltsamer Weise Masken. Ich hätte mir bei dem munteren Treiben wohl eher Sorgen um meinen Kopf gemacht, als an der frischen Luft durch einen Virus zu erkranken. Naja.
    Es war nicht chaotisch - doch es war viel Verkehr, sehr viel! Und laut. Und eng. Die Fußwege waren schmal und teilweise kaum vorhanden.
    Nach etwa einer Stunde erreichte ich das Hotel. Es war auf westliche Gäste ausgelegt. Zum einen war das Restaurant überwiegend von ihnen besucht. Zum anderen gab es Toilettenpapier. Wie ich später erfuhr eher unüblich für Thailand. Ich war müde und beschloss nur noch schnell etwas zu essen, dann zu baden und zu Bett zu gehen. So tat ich auch. Nach meiner ersten „originalen“ Tom Kha Gai und frittiertem Fischfilet ging ich aufs Zimmer.
    Ganz ohne Jet Lag kam ich nicht davon. Gegen zwei Uhr wurde ich wach und starrte an die Decke. Ich daddelte etwas am Handy. Gegen vier schlief ich endlich wieder ein.
    Als ich wieder erwachte war es bereits zehn. Ich erschrak und checkte kurz, bis wann ich auschecken müsste. 12 Uhr - alles gechillt!
    Mein Nachtzug nach Chiang Mai fuhr heute Abend kurz vor Acht von Bang Sue Junction. Ich hatte also gut sieben Stunden Zeit. Laut Karte waren es etwa 6,5 km bis zum Bahnhof. Mit ein paar Schlenkern lagen einige Tempelanlagen auf dem Weg. Ich schlappte los.
    Bangkok sah bei Tag ganz anders aus. Gefühlt war weniger Verkehr und ich entschloss mich, abseits der großen Hauptstraßen durch die Gassen zu gehen. Hier bekam ich einen ersten Eindruck vom Leben in Bangkok. Strom- und andere Leitungen sind oberirdisch verlegt, was etwas chaotisch wirkt. In den teils winzigen Gassen herrschte reges Treiben. Vor fast jedem Eingang - die Eingänge wirkten auf mich etwa wie Garagentore - gab es etwas zu sehen. Mal hingen einige Kleidungsstücke auf Bügeln zum Verkauf. Mal gab es alle möglichen Snacks. Was dort zu essen angeboten wurde, muss ich in den nächsten Wochen noch herausfinden. Auf dem ersten Blick erkannte ich es nicht. In einem engen Durchgang war eine Gruppe von Männern um ein Tablet versammelt. Sie diskutierten recht laut und verfolgten gespannt, was auf dem Tablet passierte. Als ich vorbei ging erkannte ich es - Thai Boxen! Bangkok Knights grüßt erneut.
    Ich schaute mir einige buddhistische Tempel an, ohne genauer deren Namen oder Hintergrund zu wissen. In einem Tempel fand gerade eine Hochzeitsfeier statt. Dort setzte ich mich für einen Moment nieder. Direkt neben mir gab ein Mann einem anderen Mann eine Massage. Auf einer Matte auf dem Boden. So würde ich es hoffentlich auch bald können.
    Ich ging am Königspalast vorbei und fand zufällig ein nettes Restaurant am Chao Phraya. Es hieß Kaloang Home Kitchen. Chicken mit Cashews waren meine Wahl. Eine gute!
    Ich lief weiter. Der Rucksack wurde langsam schwer und laut Karte war mein weiterer Weg nicht sonderlich attraktiv. Es war Zeit für meine erste Tuk-Tuk-Fahrt. Für 100 Baht brachte es mich zum Bahnhof. Vermutlich wäre es günstiger gewesen, wenn ich nicht gleich zugestimmt hätte.
    Ich hatte noch etwa zwei Stunden Zeit und mir kam die beste Idee des Tages. Ich versuchte, mein Ticket für den Nachtzug upzugraden. Ich hatte ein zweite Klasse Ticket für die 13 Stunden nach Chiang Mai. Ein Platz im Schafwagen war damals nicht mehr verfügbar. Ich dachte, Fragen kostet nichts und tatsächlich war ein Upgrade auf erste Klasse und Schlafwagen möglich. Halleluja!
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