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  • Day 49

    Über den Dächern von La Paz

    February 19, 2020 in Bolivia ⋅ ☁️ 14 °C

    Mit den Teleféricos über La Paz schweben. Dieser Blick auf eine Stadt ist einzigartig. Wir haben uns einen Vormittag vorgenommen, um die bolivianische Grossstadt mit den Bähndli zu erkunden. Letztlich sind wir auch spätabends noch mit Begeisterung am Gondeln, ohne dass wir bereits alle Linien befahren hätten. Für die rund fünf Stunden in den Gondeln müssen wir gerade mal ein paar wenige Franken bezahlen. Es ist imposant, wie die farbigen, topmodernen Bähndli in wenigen Minuten auf ruhige Art mehrere hundert Höhenmeter überwinden. Dabei schweben sie oft nur knapp über den vielen Dächern von La Paz, wo morgens fast überall frisch gewaschene Wäsche zum Trockenen aufgehängt wird. Auf der Fahrt zeigt sich, wie die Einwohner von La Paz wohnen und wie zufällig die Stadt gewachsen zu sein scheint. Die Gondeln führen auch entlang von Hauptstrassen und bieten jeweils zehn Personen Platz. Wir sind selten ganz alleine in einem Gefährt und werden darum des Öfteren von den freundlichen Einheimischen angesprochen. Am eindrücklichsten ist für uns die Fahrt mit der Línea Plateada in Richtung El Alto. Diese Stadt grenzt direkt an La Paz und hat rund eine Million Einwohner. El Alto ist auf der Hochebene gebaut, während La Paz in der Senke entstanden ist. La Paz ist aber immer mehr gewachsen, hat nach und nach die Hügel erklommen und besitzt inzwischen mit der Agglomeration rund 2,7 Millionen Einwohner. Der Übergang zwischen den Städten ist mittlerweile fliessend. El Alto ist aber mit 4’100 Metern über Meer rund vierhundert Meter höher gelegen als das Zentrum von La Paz.

    Nervenaufreibend nur schon beim Zuschauen ist die Fahrt über die sehr einfachen Häuser in El Alto, welche direkt am Abhang gebaut sind und den Anschein machen, als rutschten sie jeden Moment runter. Kleine Vorplätze wurden teils bereits Opfer der Erosion. Die Bewohner sitzen dennoch seelenruhig vor ihren winzigen Häusern, welche in wenigen Jahren nicht mehr stehen dürften.

    Das Seilbahnprojekt hat Evo Morales unter teils grossem Widerstand der Bevölkerung durchgeboxt. Es soll bisher rund 750 Millionen Dollar gekostet haben und ist das grösste zusammenhängende städtische Seilbahnnetz der Welt. Im Mai 2014 eröffnete Evo Morales die erste Linie. Heute sind elf Linien auf einer Länge von gut 30,4 Kilometern in Betrieb. Insgesamt gibt es derzeit 36 Stationen. Weitere Linien sollen noch gebaut werden. Die Teleféricos waren auch ein prestigeträchtiges Projekt für das Schweizer Bahnunternehmen Garaventa, welche die Bahn gemeinsam mit der österreichischen Firma Doppelmayr gebaut hat. Man fühlt sich definitiv sicher, wenn man in den modernen Kabinen über die Grossstadt gondelt. Etwas Besonderes ist auch die tiefer gelegene Zona de Sur, wo viele schickere und neuere Bauten die Besucher begrüssen. Hier haben wir in einem Restaurant zu Mittag gegessen und waren von der grossen Menge an leckerem Essen total überfordert. Preislich dennoch unschlagbar.

    La Paz ist mehrheitlich keine attraktive Stadt. Es fehlt an schönen Gebäuden, Plätzen und Gassen. Die Strassen scheinen trotz Seilbahnprojekt notorisch verstopft und als Fussgänger muss man gut aufpassen, nicht von einem rasenden Minibus erfasst zu werden. Da die Stadt in einer Senke gebaut wurde, gibt es in La Paz nur wenige Sonnenstunden und die Temperaturen kühlen schnell ab. Wir sind froh, dass wir in unserer Unterkunft einen kleinen Ofen nutzen können. Trotz allem finden wir La Paz sehr einnehmend und wir entscheiden uns deshalb dafür, einen Tag länger zu bleiben als ursprünglich geplant. Unser Hotel liegt mitten im Zentrum in der Calle Sagárnaga, wo es viele coole Restaurants gibt. Gleich um die Ecke befindet sich ausserdem der Witches Market. Er wird so bezeichnet, weil es hier allerhand an Heilkräutern und Zutaten für die Riten der Aymara gibt. Entsprechend sind auf dem Markt in La Paz diverse getrocknete Tierföten zu finden. Sie sind an den Marktständen zu Dutzenden angebracht. Ein seltsamer Anblick. Doch viele Bolivianer leben noch die Traditionen ihrer Vorfahren. Wird etwa ein Haus gebaut, ist es üblich, in alle Ecken ein Lamafötus in den Boden zu graben. Das ist eine Opfergabe an Pachamama – Mutter Erde – und soll die Bewohner vor Unheil bewahren. Früher seien gar menschliche Opfergaben gemacht worden. Den Traditionen zugetane Bolivianer kippen jeweils auch den ersten Schluck ihres alkoholischen Getränks auf den Boden. Dieser ist ebenfalls Pachamama gewidmet. Ist Pachamama gut gestimmt, wird sie die Menschen mit einer reichen Ernte beschenken.

    Ein spezieller Ort in La Paz ist auch das Gefängnis San Pedro. Es handelt sich dabei um eine Art Stadt in der Stadt. Es soll da drin Restaurants und diverse kleine Unternehmen geben. Die Häftlinge müssen ihre Zellen selber zahlen. So gibt es Häftlinge, welche sich zum Absitzen ihrer Strafe ein Luxusappartement bauen lassen, während andere eine einfachste Zelle mit anderen teilen müssen. Bei der Entlassung kann die Zelle dann wieder verkauft werden. Die Gefängnishierarchie wird somit über die Vermögensverhältnisse geregelt: Wer viel besitzt, hat das Sagen.

    Was in La Paz ebenfalls auffällt, sind die Cholitas. Die traditionell gekleideten Frauen tragen verschiedene übereinander geschichtete farbige Röcke. Breite Hüften gelten als Schönheitsideal. Stramme Frauen-Wädli anscheinend auch. Die Frauen haben ihre dunklen langen Haare zu zwei Zöpfen geflochten. An diesen sind teils noch Kordeln angebracht, um sie noch länger wirken zu lassen. Auch das ist etwas, dass die Frauen in Bolivien anstreben. Ausserdem tragen die Cholitas einen Melonenhut. Je nachdem, wie der Hut getragen wird, zeigt er an, ob die Frau noch zu haben ist: Sitzt er gerade auf dem Kopf, ist die Frau vergeben. Trägt die Dame die Melone schräg, ist sie noch zu haben. Unser Guide bei der Free Walking Tour fügt noch hinzu, dass ein nach hinten geschobener Hut bedeutet «Es ist kompliziert». Eventuell hat er sich da von seiner Fantasie und von den auf Facebook verfügbaren Beziehungsstatus inspirieren lassen.

    Die Cholitas sieht man häufig als Früchte- oder Gemüseverkäuferinnen in den Strassen La Paz und auf den Märkten. Oder aber im Wrestlingring. Richtig gelesen. Seit rund 15 Jahren gibt es in La Paz das Cholita-Wrestling. Initiiert wurde es vor allem von Frauen, welche unter häuslicher Gewalt gelitten hatten und einen Katalysator für ihre Wut und Frustration fanden.

    Das Cholita-Wrestling lassen wir uns nicht entgehen. Es ist toll zu sehen, wie stark und selbstbewusst die Frauen wirken, wenn sie in ihrer traditionellen Kleidung solche Kämpfe austragen. Bei den Darbietungen sind die Frauen unter Beifall des Publikums gegeneinander und teils gar gegen den Schiedsrichter angetreten. Leider haben wir das Cholita-Wrestling nur unter der Woche besuchen können, wo dieses vor allem für Touristen veranstaltet wird. Am Wochenende soll aber in einer grossen Halle noch viel mehr die Post abgehen. Bei den Bewohnern von La Paz wundert uns das keinesfalls.
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