• 18. Mai

    18 Mei 2024, Sweden ⋅ ⛅ 22 °C

    Nachdem ich bei Hanna im Haus gefrühstückt habe, verabschiede ich mich und gehe um neun los. Die Sonne steht wieder hoch. Der Weg ist ein Schotterweg, der rechts und links sehr breit ohne Bäume ist, so dass es völlig ohne Schatten ist. Der Weg ist heute nur der E1, also kein lokaler Wanderweg und dementsprechend gibt es auch keinerlei Markierungen und ich muss öfter mal in der Karte nachsehen. Das steigert sich noch weiter, so dass ich irgendwann im Wald stehe, es gibt nichts und es gibt auch keinen Pfad mehr, der in irgendeiner Form an Wanderer erinnert. Dementsprechend ist es mehr ein Irren und immer wieder nach der Karte versuchen, die Richtung zu halten. Das ganze mache ich so lange, bis irgendwann eine Wegkreuzung kommt und es ab da wieder auf einen echten Weg geht. Es dauert nicht allzu lange, dann geht es wieder in den Wald rein, hoch auf den Dragberget. In gut 6 km soll es dort einen Shelter geben und es lässt sich erst mal gleich ziemlich steil an. Gegen halb zwölf erreiche ich das Plateau, es ist hier oben etwas karger bewaldet, es ist viel swampy Grassland. Der Weg ist wieder besser markiert, trotzdem ist auffällig, dass gegenüber vielen anderen solchen Landschaftsarten wenig Holzplanken ausgelegt sind. Der Pfad ist auch nur schlecht erkennbar, weil es so nass ist, dass die Spuren, die man im nassen Sumpfland hinterlässt, schon nach kurzer Zeit wieder verschwunden sind. Und so kämpfe ich mich auf dieser Anhöhe durch wirklich derb nassen Untergrund. Es läuft sich gefühlt noch schwerer als bei dem nassen Schnee vor einigen Wochen. Dazu kommt, dass ich häufig so weit einsinke, dass die Höhe der Wanderschuhe gar nicht mehr ausreicht. Zweimal schaffe ich es bis zum Knie, dann ist es ziemlich aufwändig, das Bein wieder rauszukriegen, da sich der Schuh im Untergrund richtig gut festsaugt. Diese Art der Landschaft, also Hochmoor beziehungsweise Sumpfland ist für mich trotzdem weiterhin eine der faszinierendsten hier in Schweden. Auf dieser Anhöhe, die circa auf 500m über dem Meeresspiegel ist, gibt es auch einen richtig großen Antennenmast, er ist nur wenig niedriger als der Berliner Fernsehturm. Wenn es nicht bei Strafe verboten wäre, würde ich da zu gern hochklettern.
    Als ich den Shelter erreiche, fühle ich mich ziemlich ermattet und bemühe erst mal meinen Kocher, mir ein ordentliches Essen anzurichten. Es gibt neben dem Shelter hier noch zwei geschlossene, sehr ordentliche Hütten, die auch für Übernachtungen geeignet sind. Eine davon ist sogar mit einer Notfall-Pulka ausgerüstet. Diese Art von Schlitten, die man bei Winterwanderungen hinter sich her zieht, um die Ausrüstung zu transportieren. Natürlich geht das auch für jemanden, der verletzt ist. Ich lege mich erstmal in eine der Hütten und schlafe eine gute Stunde.
    Als der Weg weitergeht, sehe ich auf meiner Karte, es gibt mal wieder eine kleine Abkürzung. Da ich mich an einige vergangene aber gut erinnern kann, lasse ich es dabei und folge dem E1. Der Weg führt in eine Schlucht und ich sehe, als ich sie betrete, schon von weitem Eis und Schnee. Das ist natürlich nach inzwischen drei Wochen Sonnenschein und Hitze erst mal etwas, wo ich große Augen mache. Die Sonne erreicht diese tief gelegenen Stellen nicht. Es sind riesengroße Felsbrocken, die hier drin herumliegen und dementsprechend wird dieser Schnee beziehungsweise das Eis sich noch einige Zeit halten. Für mich heißt das natürlich auch, dass ich jetzt anfange, darüber zu klettern. Die Felsbrocken selbst wären schon anstrengend genug, aber jetzt kommt noch der Schnee dazu, der an manchen Stellen noch richtig richtig hart ist, an manchen Stellen sinke ich aber auch bis fast zur Hüfte ein. Merkwürdigerweise sehe ich keinerlei Spuren von anderen Wanderern hier und das Durchsteigen wird auch immer schwieriger. Nachdem ich noch mal auf der Karte nachsehe, stelle ich fest, dass ich unbemerkt doch auf den Abkürzungs-Weg gekommen bin. Jetzt weiß ich, warum das nicht der offizielle E1 ist. Da ich keine Möglichkeit sehe, ernsthaft hierdurch weiterzukommen mit meinem Gepäck, finde ich eine Möglichkeit, seitlich über die Felsen aus der Schlucht herauszusteigen. Es ist sehr kurios, wenige Meter entfernt von diesem kalten, schattigen Loch fühle ich mich oben wieder wie in afrikanischer Savanne. Es zieht sich jetzt noch einmal eine Zeit lang durch das nasse Grasland und ich schaffe es auch noch einmal, mich wirklich tief bis übers Knie zu versenken. Immerhin sind jetzt beide Schuhe voll gelaufen, damit ist es einheitlich und sie fühlen sich beide wie Klumpfüße an.
    Circa um halb fünf erreiche ich Mockfjärd, hier stehen neben modernen Wanderhütten auch ein paar uralte und ein Slogbod. Es ist der erste in dieser Art, den ich auf dem Weg sehe. Slogbods stammen aus dem Mittelalter und wurden von Bauern vor allem im nördlichen Dalarna zur Bewirtschaftung von Wald und Sumpfland genutzt. In der Hauptsache dienten sie als Ess- und Schlafplatz. Diese Art der Unterbringung geriet später in Vergessenheit, erlebte aber als Ressource im zunehmenden Tourismus und Leben im Freien rund um die Wälder entlang von Wanderwegen, Straßen und Wasserwegen eine Renaissance. In manchen gibt es Fußböden, so wird das Schlafen etwas angenehmer. Die meisten haben einen Steinkamin unter oder vor dem Vordach.
    Ich mache hier auch eine kurze Rast und ab jetzt geht es wieder abwärts vom Plateau herunter. Nachdem ich circa 15 Minuten gegangen bin, erschließt sich mir endlich für den heutigen Tag das Jump’n’Run-Spiel: Ich musste beide Schuhe voll haben, damit ich endlich einen Elch sehen kann. Tatsächlich der erste live und in Farbe auf meiner Wanderung. Es ist auf einer Fläche, die gerodet war und jetzt viele noch nicht so große Bäume hat. Wir haben gestern Abend erst gerade wieder darüber gesprochen, dass die Schweden den Elchen zugucken, wie sie ihnen rund um die Häuser die Äpfel von den Bäumen klauen. Es ist eine Elchkuh, circa 80 m von mir entfernt und sie hat mich noch nicht wahrgenommen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, krame das Fernglas heraus und beobachte das Tier eine Weile, zwischendurch bewege ich mich immer weiter in seine Richtung. Immerhin kann ich dabei auch schon ein Foto machen. Aber man kann reizen und man kann überreizen: Irgendwann bemerkt sie mich doch, wir starren uns noch gut 2 Minuten lang stillschweigend an und dann verdrückt sie sich. Wie gut die Klumpfüße ab jetzt wieder laufen, muss ich sicher nicht erklären.
    Für den Abend habe ich mir passend zur Tagesstrecke einen kleinen See ausgesucht, es gibt keinen direkten Weg zu ihm, dementsprechend wird auch der gesamte Uferbereich völlig wild sein und ich werde mir ein Plätzchen fürs Zelt suchen müssen. Am Myrflaten angekommen ist es wie erwartet. Nachdem ich mir eine Stelle ausgeguckt habe, ziehe ich mit dem Zelt aber dann doch noch mal um, weil es mir zu schief ist und so bin ich jetzt ein paar Meter erhöht über dem See und freue mich, dass ich relativ schnell ins Zelt verschwinden kann, da die Blutsauger am Abend doch inzwischen in großer Anzahl auf mich warten.
    Baca lagi