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- Aug 12, 2024, 4:18 PM
- ☀️ 25 °C
- Altitude: 818 m
- IndonesiaSouth SulawesiTondok3°0’30” S 119°55’7” E
Im Land der lebenden Toten
August 12 in Indonesia ⋅ ☀️ 25 °C
Achtung: Dieser Footprint enthält Beschreibungen und Bildmaterial von für uns ungewöhnlichen Beerdigungsritualen der Torajas, inklusive der Schlachtung von Tieren. Wem das zu viel ist, der/die sollte lieber auf den nächsten Footprint warten.
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Es ist 6.30 Uhr morgens, und wir kommen nach einer langen Nacht im Bus in unserem Homestay in Tana Toraja, Zentralsulawesi, an. Die Haustür ist noch verschlossen. Ich laufe ums Haus herum und schaue durch die Fenster. Eigentlich sollte die Mutter der Familie wach sein. Doch statt der Mutter sehe ich durch die Vorhänge hindurch einen offenen, nur mit einem Tuch bedeckten, gefüllten Sarg. Schnell wende ich mich wieder ab und verdränge den Gedanken, dass wir wohl die nächsten Tage mit einer „kranken“ Person zusammenleben werden.
In Tana Toraja gilt der Tradition nach eine Person erst als tot, wenn die Beerdigung stattgefunden hat. Eine Beerdigung beeinhaltet jedoch eine sehr aufwändige Zeremonie, bei der im „besten“ Falle mindestens 24 verschiedene Büffel geopfert werden. Diese Büffel sollen der verstorbenen Person dabei helfen, in den Himmel (Puja) zu gelangen. Die Büffel kosten bis zu 50.000 Euro pro Tier - bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 300-500 Euro kann man sich also vorstellen, dass hierfür eine Weile gespart werden muss. Zudem ist die gesamte Zeremonie so groß und aufwändig, dass neben der Büffelschlachtung beträchtliche weitere Kosten auf die Gastgeber zukommen (inklusive Schlachtung von vielen Schweinen, um die Gäste zu versorgen).
So kommt es, dass die verstorbenen Personen so lange zu Hause aufbewahrt werden, bis die Beerdigungszeremonie abgehalten werden kann. Und das kann unter Umständen, je nach Ressourcen der Familie und Vorstellungen über die Größe der Beerdigung, auch viele Jahre lang sein. Bei unserer Tour haben wir eine Familie besucht, die 4 „kranke“ Personen zu Hause hatte, die längste bereits seit 26 Jahren.
Insgesamt haben wir großes Glück mit der Wahl unseres Homestays und unserem Guide Meyske. Es lohnt sich wirklich, hier eine gute Tour zu buchen, um die Hintergründe der Kultur besser zu verstehen. Kurz zusammenzufassen, was wir alles erlebt und gelernt haben, erscheint uns fast unmöglich. Die Tradition ist unfassbar reich an Ritualen, und es gibt jede Menge Regeln und Details, die zu beachten sind.
Während unserer zweitägigen Tour besichtigen wir traditionelle Häuser und verschiedene Gräber der Torajas. Es gibt beispielsweise Steingräber, also aufwändig per Hand in Felsen geschlagene Löcher, in die die Leichen gelegt werden, oder auch Höhlengräber. Außerdem gehen wir auf den Büffelmarkt, auf dem die Büffel für die Zeremonien gekauft werden. Das ist ein eher trauriges Ereignis für uns. Die Büffel haben alle einen Ring durch die Nase gesteckt und sind an einem über sie gespannten Netz angekettet. Bewegung bekommen sie fast keine. Stattdessen wird hin und wieder die Leine verkürzt, sodass sie ihre Nackenmuskulatur trainieren müssen (wenn sie ihren Kopf senken würden, würde der Ring in ihrer Nase zu sehr schmerzen). Und die Büffel bekommen fast täglich eine Dusche. Das alles soll sie schön und stark aussehen lassen, damit sie für einen hohen Preis verkauft werden können.
Highlight der Tour sind eine Hauseinweihungszeremonie sowie der erste Tag einer mehrtägigen Beerdigungszeremonie. Bei der Hauseinweihungszeremonie sind wir nur relativ kurz. Wir kommen (glücklicherweise) ein bisschen zu spät. Alle 20 Schweine sind bereits geschlachtet. Überall sind Blutlachen zu sehen, an denen Hunde lecken. Die Schlachter sind voller Blut und gerade dabei, die Tiere auseinanderzunehmen und je nach Status in größeren oder kleineren Teilen an die Gäste zu verteilen. Es ist ein Fest, das Gemeinschaft fördern soll.
Wir werden vom Gastgeber eingeladen, uns in den Besucherbereich zu setzen und Tee zu trinken. Nach einiger Zeit wird mir beim Anblick des ganzen Bluts schlecht, und ich bin froh, als wir wieder gehen.
Die Beerdigungszeremonie beginnt dann in freudiger Stimmung. Beerdigungen sind für die Torajas generell etwas Positives. Es wird gefeiert, dass die Verstorbenen nun den Weg in den Himmel gehen können. Zunächst wird der Sarg mit der Leiche, in unserem Falle die Frau eines Parlamentariers, von starken jungen Männern durchs Dorf getragen. Vorneweg der Witwer in einer Tragekonstruktion, der der Zuschauermenge zuwinkt und lacht.
Als Nächstes kommt die Büffelparade, bei der alle Büffel, die am dritten Tag der Zeremonie geschlachtet werden, vorgeführt werden. Am ersten Tag der Zeremonie wird (glücklicherweise) nur ein einziger Büffel geschlachtet. Dieser Anblick reicht mir ehrlich gesagt auch. Natürlich stehen wir in der ersten Reihe. Es wird ein Kehlschnitt gesetzt, und das Blut spritzt mit großem Druck heraus. Der Büffel geht zu Boden, röchelt aber noch einige Minuten vor sich hin, bevor er den Kampf vollends aufgibt. Kein schöner Anblick. Vor Ort und Stelle wird der Büffel auseinandergenommen, bis nur noch der Kopf übrig ist.
Derweil ist die Verstorbene von der Tour durchs Dorf zurück gekehrt und wird auf einen Thron gehoben, auf dem sie bis zum letzten Tag der Beerdigung liegen wird.
Als Nächstes kommt der Empfang der Gäste an die Reihe, an dem auch wir teilnehmen dürfen und von in Pink gekleideten Damen mit Tee und Kuchen versorgt werden. Die anderen Gäste und Mitglieder der Familie sind sehr nett zu uns und honorieren, dass wir in traditioneller Kleidung gekleidet sind (die hatte uns Meyske vorher gegeben). Dass wir als Touris mit dabei sind, ist übrigens überhaupt nicht komisch. Für die Familie der Verstorbenen ist es besser, je mehr Leute kommen und den Weg in den Himmel unterstützen, und weit angereiste Touris sind eine Ehre für sie.
Während sich nun die Gäste bei Speis und Trank amüsieren, werden die Spenden der Besucher:innen auf den Platz gebracht, vorwiegend Büffel und Schweine. Es ist für mich ein skuriles Bild. Die Schweine tragen den Kampf ihres Lebens aus. Sie sind alle eng an Bambusstangen gefesselt und können sich nicht mehr bewegen. Hin und wieder hört man lautes Quieken, gefolgt von vergeblichen Befreiungsbesuchen. Bei meinem Weg aufs Klo muss ich über zwei bereits getötete Schweine steigen.
Nach dem Gästeempfang machen wir uns auf den Heimweg. Als krönenden Abschluss der Tour lernen wir dann noch die Oma von Meyske kennen (im Sarg, den ich am Anfang gesehen hatte). Sie soll die erste Leiche sein, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe. Eigentlich sieht sie noch recht normal aus, nur etwas verrunzelt und ohne Augen.
Es ist schön zu sehen, wie liebevoll Meyske von/mit ihr spricht. Sie selbst empfindet es als hilfreich für den Trauerprozess, ihre Oma noch ein paar Monate bei sich zu haben, bevor die Beerdigung stattfindet.
Insgesamt finde ich die Tradition und die Rituale der Torajas faszinierend und den Sinn für Gemeinschaft schön. Nur frage ich mich, ob so viel Tierleid unbedingt sein muss.
Voller neuer Eindrücke und Einblicke in eine für uns sehr ungewöhnliche Tradition machen wir uns nach vier Tagen wieder auf den Rückweg nach Makassar.Read more
Traveler Sehr interessant die Tradition. Riechen die Laichen nicht?
Traveler Viele Leichen werden heutzutage mit Formaldehyd behandelt (so auch die Oma im Haus) und riechen nicht. Einige Leichen werden nur eng mit vielen Lagen eingewickelt (so die vier Leichen, die schon bis zu 26 Jahre tot sind). Diese riechen wohl einige Zeit lang sehr schlecht, aber irgendwann hört der Gestank auf. Bei unserem Besuch stanken sie nicht mehr.
Traveler Das ist gut