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  • Day 15

    Der Weg ist das Ziel

    August 28, 2016 in Germany ⋅ ☀️ 34 °C

    Etwas abgedroschener Spruch, aber passt auf mein Projekt wie die Faust aufs Auge. Was jetzt noch fehlt ist ein Fazit, das bestimmt etwas länger ausfallen wird und das ich hier mal beginne und vermutlich in der Bahn weiterschreiben werde.

    Bevor ich mir die wohl wichtigste Frage vorknöpfe, möchte ich mich erst einmal herzlich bei meiner lieben Frau Charlotte und der besten Schwiegermutter der Welt Erika bedanken, ohne die ich meine Ego-Tour gar nicht hätte machen können. Und dann noch lieber Dank an alle, die mich anderweitig unterstützt und mitgefiebert haben. Und lieben Dank an meinen tollen Freund Udo für die Begleitung auf meiner längsten Etappe. So, das klingt zwar nach Oscar-Rede, war mir aber sehr wichtig.

    Nun zur wichtigsten Frage. Hat es sich gelohnt? Ohne Abstriche ein volles 'Ja'. Ich habe so viel gesehen, einige nette Leute kennen gelernt (weniger als ich es mir eigentlich vorgestellt habe) und viele andere Erfahrungen gemacht. War es eine Tour de Selbsterkenntnis? Nein, mittlerweile bin ich alt genug und habe genug erlebt, um zu wissen wer ich bin. Tour de Selbsterfahrung? Auf jeden Fall!! Jeden Tag konnte ich immer die Strecke genießen, musste aber immer zumindest ein wenig kämpfen. Es ist schon erstaunlich, wie viel noch geht, wenn man schon denkt, dass gar nichts mehr geht. Sozusagen der Sieg vom Geist über den Körper. Mit meinem inneren Schweinehund habe ich also immer diskutiert. Zum Ende hin wurde es aber besser, da sicherlich ein gewisser Trainingseffekt gewirkt hat.

    Spaß pur? Nein, sicherlich nicht. Das ist auf den 1.200 Kilometern auch nicht zu erwarten gewesen. Zweifel gab es wie gesagt nicht, doch war nicht alles Zucker schlecken. Obwohl ich die gesamte Zeit eher nur das Positive geteilt habe, gab es auch eher negative Dinge, mit denen ich mich herumgeschlagen musste, u.a. mit dem ein oder anderen Wehwechen. Nach Nienburg war ich sogar kurz vor dem Abbruch, da ich mir fast einen 'Wolf' gefahren habe. Dank Medigel Wund- und Heilsalbe, das ich nach Hinweis meiner Frau noch am Nachtschalter einer Apotheke erstanden habe, und Zähne aufeinander beißen habe ich das in den Griff bekommen. Danach habe ich aber abends immer schön gecremt:-)

    Auch die stechenden Schmerzen in beiden Schultern, die zum Glück nur wenige Phasen am Tag auftraten, waren nicht von schlechten Eltern. Teilweise konnte ich mich abends im Bett nur mit großen Schmerzen umdrehen. Das wurde zum Ende der Tour aber immer besser. Dann noch ein Wort zu den Knien. Die habe ich bis zu meinem Stopp in Hehlen abends immer mit Gelpads gekühlt. Danach konnte ich dies aber weglassen. Zu guter Letzt ein Wort zum Hintern. Am Anfang war es der Hammer. So bei 60-70 Kilometern wusste ich nicht mehr wie ich sitzen sollte. Bei Tourenlängen von mehr als 100 Kilometern kann man sich ja vorstellen, wie die letzten 2 Stunden ausgesehen haben. Und dann musste ich mich gestern und vorgestern noch mit einer Entzündung am oberen rechten Oberschenkel (nein, es war nicht der Hintern) herumgeschlagen. Beim Radeln hat mich das aber nicht belastet. Ach so, dann sind da noch die Finger, die zum Ende der letzten Touren immer gekribbelt haben. Ich dachte, dass das Einschlafen der Finger zusammen mit den vielen Schaltvorgängen im hügeligen Gelände der Grund für die leichte Taubheit im kleinen und Ringfinger ist. Nach einer kleinen Internet Recherche (wie toll es ist, was durch Handys so möglich ist) ist es aber wohl so, dass ich mir einen Handnerv gequetscht habe. Ich denke mal, dass sich das die nächsten Tage ohne Fahrradfahren wieder beruhigt. Das musste auch mal gesagt werden, um ein realistisches Bild der Reise zu geben.

    Insgesamt war aber alles im grünen Bereich, wenn man bedenkt, wie lang die Strecke war und dass Radfahren eigentlich nicht zu meinen bevorzugten Sportarten gezahlt hat und meine Vorbereitung ok aber nicht so wahnsinnig intensiv war. Die letzte Strecke nach Füssen bin ich soger ohne jegliches Zipperlein gefahren.

    Wetter: Glück gehabt. Insgesamt vielleicht 20 Minuten nur ganz leichten Regen. Gesehen auf 11 Tage wirklich nicht der Rede wert. Dafür am Ende fast zu viel Sonne, sodass ich auf der rechten Seite, die auf der Tour nach Süden die meisten Sonnenstrahlen abbekommen hat, schon Sonnenbrand bekommen habe und die letzten 2 Tage zeitweise meine Ärmlinge angezogen habe. Nun sitze ich im Zug und es regnet :-) Schwein gehabt.

    War es langweilig? Ein großes Nein. Kann man sich kaum vorstellen, aber auch ein Tag allein auf dem Rad ist gar nicht langweilig. Es gibt sooooo viel zu sehen. Wie schon mehrfach in den Einträgen der letzten Tage erwähnt, gab es keine Gelegenheit, sich anderen anzuschließen. Somit blieben nur vereinzelte Selbstgespräche oder kurze Kommentare auf die Anweisungen der komoot Lady, die mir zuverlässig den Weg gewiesen hat. Komisch ist, wie wenig man auf die lange Zeit, die man auf dem Bock sitzt, so denkt. Viel ist einfaches Dahinradeln. Was aber wirklich wunderschön war. Denn wann hat man mal so viel Zeit am Stück, um die Seele baumeln zu lassen.

    Ausrüstung: Mein Fahrrad lief die ganze Zeit rund. Am Ende war das Umschalten auf dem vorderen Zahnkranz sehr hakelig, aber ich brauchte in den Hügeln eigentlich auch nur das kleinste Ritzel vorn und habe in diesen Gänge ausreichend variieren können. Jetzt kommt es zur Belohnung aber ab in die Inspektion. Was das Gepäck angeht, so waren die Orthlieb Satteltaschen super. Nachdem ich einiges an Zeug beim Stopp bei meinen Eltern ausgemistet habe, musste auch nichts mehr auf dem Gepäckträger verstaut werden. Komoot auf dem Handy als Streckenplaner hat sich auch als vorteilhaft erwiesen. Trotz recht guter Ausschilderung war nicht immer alles so eindeutig oder teilweise versteckt angebracht. Komoot hat mich aber immer frühzeitig auf Richtungswesel hingewiesen, sodass ich mich extrem wenig verfranzt habe. Vor allem im Norden ohne durchgehenden Radweg und sebstgestrickter Route sind mir so vermutlich viel Frust und Umwege erspart geblieben. Gut war auch das Investment in eine gute Powerbar, denn mittags haben komoot und Spotify den Akku meines Handys schon leer gesogen. Auch die Lenkerhörnchen waren jeden Euro wert. Die Anschaffung von Regenponcho und Gamaschen hat sich als nicht notwendig herausgestellt, aber das soll mir auf jeden Fall recht sein, denn auf Regentage habe ich gerne verzichtet.

    Unterhaltung: Zuerst bin ich mit viel Rock Musik geradelt, habe mich dann aber später von den Mädels aus den 90ern begleiteten lassen. Passte von der positiven Stimmung sehr gut. Ich hatte auch ein ebook auf dem Handy. Gelesen habe ich keine einzige Seite.

    Die schönsten Strecken: Eigentlich hatte jeder Tag etwas Besonderes. Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir die ganz einsamen Wege im Norden auf der ersten Etappe, wo mir von jeder Person, die meinen Weg gekreuzt hat ein freundliches 'Moin' entgegengeschmettert wurde. Dann waren noch das Werrateilstück und der Fulda Radweg super schön. Und das letzte Stück vor Landsberg und der Weg nach Füssen waren richtig super.

    Optimierungspotenzial: Ist überraschenderweise extrem gering. Die ein oder andere Unterkunft hätte besser recherchiert werden können, um den Weg zur Nahrungsaufnahme zu verkürzen und nicht nochmal radeln zu müssen (dann wäre mir aber das Kochfleisch entgangen). Am Ende habe ich meine komoot-Route auch der Fahrradkarte angeglichen. Das hätte ich in Vorfeld machen können und nicht erst so kurzfristig. Ich hätte auch vorher die Lage der Schwimmbäder recherchieren können. Aber wozu gibt es schließlich Smartphones. Natürlich hätte ich noch mehr im Vorfeld trainieren können, um mit einem noch besseren Fitness-Level in die Tour einsteigen zu können. Aber es hat ja schließlich gereicht.

    Und würde ich es noch einmal machen. Na klar! Aber gerne mit der Familie oder mit anderer Begleitung. Alleine? Auch gerne wieder. Jetzt habe ich aber erst einmal die Familie mit eineinhalb Wochen Abwesenheit genug belastet. Aber ich habe ja noch drei Wochen Sonderurlaub zu verballern. Da lasse ich mir bestimmt etwas Spannendes einfallen. Stay Tuned!!!! :-)

    Die Tour in wichtigen und unwichtigen Fakten

    * Stunden im Sattel/also reine Fahrzeit: 67 Stunden
    * Kilometer: 1.207
    * Höhenmeter hoch: 8.320m (wow, da wäre ich ja fast über den Mount Everest gekommen)
    * Höhenmeter runter: 7.690m
    * Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,9 (gut geschätzt. Hatte mit 18 gerechnet)
    * Schaltvorgänge: vor allem mit den Eindrücken sus den letzten Etappen: gefühlt mehrere Tausend
    * Pedalumdrehungen (Schätzung nach Internetrecherche bei 90 U/min): 360.000
    * Verbrannte Kalorien Schätzung nach Internetrecherche): 47.360
    * Freihändig gefahrene Meter: Null
    * Gefahrensituationen: Null
    * Pannen: 0,5 (hier noch einmal Dank an Fahrradladen Bischoff in Melsungen)
    * Flüssigkeitsaufnahme: ca. 60 Liter (am Ende waren es mehr als 6 Liter, die ich am Tag getrunken habe)
    * Brausetabletten: 3 Röhrchen, unter anderem auch die extrem scheußliche Geschmacksrichtung Rhabarber Limette)
    * Gegessene Bananen (nachträgliche Schätzung): 35
    * Reisewaschmittel: 0,5 Tuben (abendliches Waschen der Radklamotten hat prima geklappt, was auch für die Turnschuhe gilt. Das hätten die Radler-Jungs, die mir gegenüber sitzen auch mal probieren sollen. Die müffeln etwas und sind nach einem kurzen Gespräch von meinen 1200 Kilometern leicht beeindruckt )
    * 0,5 Dosen Melkfett :-))
    * Mückenstiche: ca. 15, immer bei meinen Pausen erwischt. Sonst war ich ja auch zu schnell :-)
    * Mücken auf Armen und Beinen: Wurde zum Ende hin immer mehr, da die Biester auf Sonnencreme ja auch super kleben bleiben
    * Mücken verschluckt (grobe Schätzung): pro Tag ca. 3, also zusammen über 30. Zum Glück machen die aber nicht dick und hochgewürgt bekommt man die meist nicht.
    * Überfahrene Nacktschnecken: Die Biester haben sich vor allem auf der ersten Hälfte getummelt. Denn meisten konnte ich ausweichen :-)
    * Verloren gegangene Dinge: bislang vermisse ich nur ein kleines rotes Tuch
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