- Show trip
- Add to bucket listRemove from bucket list
- Share
- Apr 30, 2023
- ☀️ 13 °C
- Altitude: 307 m
- ChileMauleParralParral Villa Baviera Airport36°23’2” S 71°35’25” W
Villa Baviera - ehemals Colonia Dignidad
April 30, 2023 in Chile ⋅ ☀️ 13 °C
Als wir am Nachmittag vom Hof fahren, wissen wir noch immer nicht so genau wohin wir eigentlich wollen. An der Pazifikküste entlang wäre sicherlich schön. Doch davor entscheiden wir uns nochmal ins Landesinneren zu fahren, nach Villa Baviera - von 1961 bis 1988 bekannt unter dem Namen Colonia Dignidad. Zunächst führt die Ruta 5, Teil der Carretera Panamericana, vorbei an weiteren, großflächig abgebrannten Wäldern.
Die Schranke öffnet sich und wir fahren die letzten zwei Kilometer entlang des noch immer umzäunten Geländes bis ins Dorf. Ab diesem Moment begleitet uns ein merkwürdiges, beklemmendes Gefühlt. Wir werden freundlich auf deutsch begrüßt und bevor es zu spät ist, machen wir uns gleich auf den Weg in das kleine Museum. Neben einigen Gegenständen hängen hauptsächlich Bilder aus der damaligen Zeit an den Wänden. Viele davon offenbar gestellt.
Durch strömenden Regen rennen wir zurück und da es schon dämmert, beschließen wir eine Nacht zu bleiben. Ganz so schnell wollen wir diese historische Stätte nicht wieder verlassen. Bei deutscher Volksmusik und einem Bier im "Zippelhaus", dem ehemaligen Versammlungssaal, lassen wir uns die Vergangenheit nochmals durch den Kopf gehen. Irgendwie skurril, dass wir heute genau hier in einem Restaurant sitzen. Auf der Speisekarte stehen viele traditionell deutsche Gerichte wie Leberkäs, Schweinshaxe und Kassler mit Rotkohl, Kartoffelpüree oder Knödel. Als Dessert gibt es unter anderem Bienenstich, Frankfurter Kranz oder Apfeltasche. Das lassen wir uns nicht entgehen und es schmeckt ausgezeichnet. Im Dorfladen kaufen wir noch ein Schwarzbrot und Leberwurst.
Am nächsten Morgen machen wir einen ausgedehnten Spaziergang durch das Dorf. Währenddessen wird das Festzelt für einen Kindergeburtstag hergerichtet. Einige Mitglieder der ehemaligen Colonia Dignidad leben bis heute hier. Manche Wege sind daher für die Öffentlichkeit gesperrt. Vor vielen Gebäuden stehen Schilder in deutscher und spanischer Sprache. Unter anderem kommen wir an der ehemaligen Schuhsterei, der Schlosserei und der Bäckerei vorbei. Ebenso am Sägewerk, den Lagerhallen und dem ehemaligen Krankenhaus. Immer wieder läuft es uns kalt über den Rücken, wenn wir daran denken, welche Verbrechen an diesem so idyllisch gelegenen Ort stattgefunden haben.
Wir persönlich werden den Eindruck nicht los, dass ein geeigneter Weg mit all dem umzugehen - im Hinblick auf die Vergangenheit und die Gegenwart, erst noch gefunden werden muss. Zwischen Tourismus und Aufklärung, Sensibilität und Gedenken. Aufarbeitung fehlt. Dass hier Kindergeburtstage, Hochzeiten und Oktoberfest gefeiert werden, erscheint uns bizarr.
Netflix Doku: "Colonia Dignidad: Eine deutsche Sekte in Chile"Read more
Traveler Ich habe ein wenig nachgelesen. Es scheint noch nicht viel aufgearbeitet zu sein. Und immer noch alles eingezäunt. Hattet ihr Gelegenheit zu erfahren, wie das Selbstverständnis der Bewohner ist?
Traveler Soviel wie ich weiß, findet eine Aufklärung so gut wie gar nicht statt. Es gibt nahezu keine Strafvervolgung noch eine öffentliche Verurteilung der dort begangenen Taten. Ich vermute die ehemaligen Bewohner werden dieses Kapitel ausblenden und nicht darüber sprechen. Eigentlich ganz tragisch, wie damit umgegangen wird. Bestimmt aber eine ganz spezielle Erfahrung den Ort besuchen zu können. Schade, dass war mir nicht möglich.
Katja Schiller Uns hat sich leider keine Möglichkeit geboten mit jemandem tiefer ins Gespräch zu kommen. Natürlich haben wir vieles gelesen und so wie wir es vor Ort erlebt haben, würde ich Martins Aussage zustimmen. Kann sonst auch nur mutmaßen. Komplex das Ganze.