• von Putin, Sava, Tito und Psychosen

    September 16 in Serbia ⋅ ☀️ 29 °C

    Auf Belgrads Souvenirmärkten stehen sie dicht an dicht: Tassen mit Tesla, Đoković und – jawohl – Putin. Das Trio infernale der serbischen Projektionen: der geniale Erfinder für die Vergangenheit, der Tennischampion für die Gegenwart und der Ersatzschwiegervater aus Moskau für die Zukunft. Đoković liefert Siege, Tesla liefert Glanz, Putin liefert das Gefühl, dass man nicht völlig allein auf der Balkaninsel sitzt. Jeder Becher ein Placebo gegen die Realität, dass Jugoslawien längst Geschichte ist und Serbien heute eher Statist als Regisseur in Europa spielt.

    Der Traum vom „Großserbien“ ist offiziell begraben, aber er spukt weiter herum wie ein alter Onkel, der bei jeder Familienfeier wieder von seinen Heldentaten erzählt. Während die unorthodoxen Nachbarn NATO-Mitglied sind und westliche Hymnen summen, bleibt man in Belgrad beim martialischen Trommeln. Militärparaden, Uniform-Ästhetik und Macho-Posen sind der Trostpreis für den geopolitischen Kontrollverlust. Und genau deshalb darf Putin hier grimmig vom Keramikregal lächeln: als imaginärer Hausfreund, der Panzer statt Pralinen mitbringt.

    Das doppelte Alphabet tut sein Übriges. Lateinisch für den Alltag, kyrillisch fürs Pathos. Ein pragmatischer Spagat, der in Wahrheit das Zerren zwischen Westbindung und orthodoxem Rückzugsraum illustriert. WhatsApp tippt man in Lateinschrift, die Heldenlieder über serbische Größe schreibt man besser kyrillisch.

    Und dann Tito. Ein kommunistischer Diktator, der als einziger in Osteuropa noch immer Blumen bekommt – zum Geburtstag wie zum Todestag. Partizan Belgrad spielt derweil weiter sein ewiges Match „gegen die Deutschen“, weil der Mythos des Widerstands noch immer verlässlicher fesselt als jedes UEFA-Turnier. Tito bleibt Projektionsfläche einer Zeit, in der Belgrad nicht Bittsteller war, sondern Hauptstadt eines Blockfreien Imperiums im Miniaturformat.

    Dazu passt die Gegenwart: überall in der Stadt prangt Werbung von Gazprom – „gutes russisches Freundschaftsgas“. Wer so viel Bruderhilfe tankt, braucht keine Photovoltaik und fährt auch garantiert kein E-Auto. Im ganzen letzten Jahr wurden ganze fünfzehn Teslas verkauft – die meisten vermutlich an Exzentriker mit West-Kreditkarte. Im Teslamuseum wie auch in vielen Gaststätten gilt ohnehin: gezahlt wird in Dinar bar, keine Teufels-€ und schon gar kein westlicher Kreditkartenmist. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet die Kathedrale des Heiligen Sava, Monument orthodoxer Selbstbehauptung, trägt neben Weihrauch auch Coca-Cola im Fundament. Gas aus Russland, Zucker aus Amerika – fertig ist der serbische Energiemix. Früher war das auch bekannt als der Coca-Cola-Kommunismus.

    So wird klar: Diese Tassen sind keine Souvenirs, sie sind Reliquien einer nationalen Selbstinszenierung. Belgrad verkauft sich an Touristen nicht nur mit Skyline und Rakija, sondern mit einer kräftigen Dosis Größenwahn im Porzellanbecher. Wer daraus trinkt, sollte wissen: das ist kein Kaffee, das ist flüssige Balkan-Psychoanalyse.
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