• Eine Parade in Rio

    September 7 in Brazil ⋅ ☁️ 22 °C

    Am Sonntag in Rio habe ich etwas Lustiges erlebt. Ich dachte zuerst, es geht um Karneval – hier ist das nämlich nicht nur während der Hauptsaison ein großes Ding, sondern auch davor und danach, also eigentlich das ganze Jahr immer irgendwo in der Stadt. Bei den Sambaschulen, die im Mittelpunkt stehen, dreht sich alles um Tanzwettbewerbe, und diese gibt es auch außerhalb der Hauptsaison, organisiert von einzelnen Tanzschulen, Vereinen oder anderen Gruppen. Am Samstag waren wir leider zu kaputt, um morgens um sieben bei so einem Karnevals-Event mitzumachen. Dafür hatten uns ein paar Freunde von Marcelo am Freitagabend eingeladen, sie am Sonntag zu begleiten. Ich hatte das irgendwie so verstanden, dass es wieder um Karneval geht – am Ende war es dann doch etwas ganz anderes, obwohl die Stimmung dem schon sehr ähnelte, und es hat sich definitiv gelohnt.

    Heute, am 7.9. ist der brasilianische Nationalfeiertag (Dia da Proclamação da República – Tag der Ausrufung der Republik), der an die Absetzung der Monarchie 1889 erinnert. Bolsonaro-Anhängern haben diesen Tag für sich; ich möchte sagen extremisiert – es gab damals z. B. Militär-Paraden. An der Copacabana sind die Bolsonaristen heute mit Brasilien-Trikots und in den Farben Brasiliens in ihrer Parade gelaufen. Natürlich ohne Militär (zumindest in Uniform).
    Mir fällt heute wieder einmal auf, wie politisch gespalten das Land ist... leider nach amerikanischem Vorbild.

    Das Museum der Modernen Künste (Museu de Arte Moderna – MAM) veranstaltete an diesem Tag eine eigene Parade, als eine Art Gegenveranstaltung und Demo für Freiheit, auch der künstlerischen Freiheit. Es gab verkleidete Leute, teils auf Stelzen, Musikgruppen und ganz viele Fahnen. Verschiedene Gruppen stellten Themen dar, wie zum Beispiel Erde oder – in meiner Gruppe – den Ozean. Bia, eine Freundin von Marcelo, ist als Veranstalterin an der Organisation beteiligt.
    Viele Freunde von ihr, die ich auch kennengelernt habe und die dabei sind, haben etwas mit dem Meer zu tun und setzen sich aktivistisch dafür ein. Ein paar sind Meeresbiologen, einer Meeresfotograf. Sie machen Strandreinigungen, Aufklärung zur Nachhaltigkeit der Meere an Schulen und in Form von Dokumentarfilmen. So kommt diese Gruppe zustande.

    Wir trafen uns mittags beim MAM. Irgendwie wurde ich als Fahnenträger für unsere Gruppe auserkoren. Unsere Fahne war etwas abstrakt, von einem Kind gemalt (ich glaube, durch einen Wettbewerb ausgewählt). Unsere Gruppe hatte ein blaues Tuch, das sie zusammen auf- und abwarfen. Und dann ging es auch schon los. Von Musik und Gesang begleitet, durch abgesperrte Straßen, an Schaulustigen und vielen Autos vorbei, über zwei große Plätze der Stadt und zum alten Theater der Stadt. An diesen Stellen gab es kurze Vorführungen oder Kundgebungen.
    Die Stimmung war sehr fröhlich, es waren viele verrückte Menschen dabei, die Lust auf Party hatten – es erinnerte mich etwas an Straßenkarneval und gab mir einen kleinen Einblick, wie das hier sein könnte.
    Der Ablauf war etwas freigeistig, ich habe akustisch (und natürlich auch sprachlich) nichts verstanden, wie die meisten, die dabei waren. Manches wirkte zufällig, künstlerisch frei. Ich hatte meinen Spaß, dabei zu sein, und war motiviert, einen guten Job mit der Fahne zu machen (am Ende wurde ich sogar mehrfach dafür gelobt).

    Die Fahnen wurden in einem Museum eingesammelt, denn sie sollten ausgestellt werden. Auf der Straße davor spielte eine Band, und es wurde getanzt und gefeiert.
    Die Truppe war wirklich gut drauf, und ich habe mich sehr darüber gefreut, noch mehr Zeit mit Marcelos Freunden zu verbringen. Wir gingen noch in eine Bar und dann mit mehreren Taxis zum gleichen Sandwich-Restaurant, in dem wir schon am Vortag waren.

    Zum Abschluss dieses Fußabdrucks geb ich euch eine Beschreibung von Bea zu dieser außergewöhnlichen veranstaltung (aus dem Portugisichen übersetzt):
    Parada 7 ist ein kultureller, politischer und künstlerischer Umzug mit Performances, Kostümen und Interaktionen, der die Straßen in ein lebendiges Spektakel verwandelt. Es besteht aus Künstlern, Kollektiven und Einzelpersonen, die an die Kraft von Kunst und Fantasie glauben.
    In diesem Jahr gab es 100 Flaggen, die von Künstlern aus Brasilien und den BRICS-Staaten gestaltet wurden. Jede Flagge ist ein Traum, der in die Luft gehoben wird, jeder Schritt ist die Erfindung einer neuen Welt.
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