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  • Day 10

    Puerto Nariño - Funkytown

    August 24, 2016 in Colombia ⋅ ☀️ 19 °C

    Nach 3 Tagen als Möchtegern-Bear Grylls entschied ich mich dazu, die idyllische Gemeinde Puerto Nariño rund 75km flussaufwärts von Leticia aufzusuchen. Diese hauptsächlich aus Angehörigen der Ticuna bestehende Siedlung zeigt vor, wie Mensch und Natur friedlich koexistieren können: motorisierte Fahrzeuge sind grundsätzlich verboten, organische Abfälle werden kompostiert, nicht-organische sorgfältig getrennt und wann immer möglich recycled. Jeden Morgen schwärmen Trupps engagierter BewohnerInnen aus, um herumliegenden Müll aufzusammeln und die in Puerto Nariño angebotenen Lebensmittel stammen großteils aus der Region. Generell scheint hier die Zeit etwas langsamer zu verlaufen und die Einheimischen sind von einer herzlichen aufrichtigen Freundlichkeit, die den gelernten Wiener nur verblüfft den Kopf schütteln lässt. Umgeben ist der Ort von unberührten Regenwäldern in denen sich Faultiere, Kolibris, Tapire und sogar Jaguare tummeln. Außerdem schlingt der Amazonas seinen mächtigen Arm um Puerto Nariño. In ihm und seinen zahlreichen Verzweigungen treiben zahllose Fischarten, rosa und graue Delfine, Manatís und Kaimane munter vor sich hin. Abends brutzeln die Fischer ihren Fang an den Wegrändern und bieten somit Streetfood der besonders frischen Art an. Obwohl hunderte Kilometer vom Meer entfernt, verbreitet der Ort ein karibisches Flair. Und das vielleicht allerwichtigste: keine Ameisen weit und breit. Hier lässt es sich gut aushalten.

    Nachdem ich mich anfangs etwas einsam fühlte (Sabrina brach mit dem Schiff auf nach Peru Richtung Iquitos), traf ich schnell einige interessante Menschen und verbrachte drei wunderbaren Tage hier. In der familiären Atmosphäre des Hostal Paraíso Ayahuasca lernte ich den herzlichen, inspirierenden serbischen Biologen Radan sowie die quirlige, mindestens ebenso inspirierende Italienerin Mara kennen. Beide haben schon viel Zeit in Kolumbien verbracht und arbeiten gerade gemeinsam an einer multimedialen Dokumentation über Mythen, Traditionen und überlieferte Geschichten der Region.

    Am Morgen des zweiten Tages bot uns José, ein charismatischer alter Ticuna mit leuchtenden Augen, an, uns mit seinem peque-peque (ein kleines, meist auf den ersten Blick nicht besonders seetauglich wirkendes Holzboot) zu den rosa Delfinen sowie zum Lago Tarapoto zu kutschieren. Üblicherweise tummeln sich die bufeos (Delfine) mit Vorliebe im Lago Tarapoto, der auf Grund seines Fischreichtums eine Art all-you-can-eat Buffet für Delfine darstellt. Nachdem der Wasserpegel auf Grund der aktuellen Trockenzeit (auch Sommer genannt - etwas irritierend, nachdem's hier ganzjährig schwül und heiß ist) recht niedrig steht, stehen unsere Chancen, die bufeos zu erblicken jedoch im Amazonas besser. Und tatsächlich (José weiß ganz offensichtlich, was er tut), schon nach wenigen Minuten schimmert die verkümmerte rosa Rückenflosse eines Riesenthunfischs durch die braune Wasseroberfläche. Ich war überrascht, WIE rosa (fast schon pink) die Haut dieser Delfine erscheint. Fast wie schwimmende Schweinchen mit langen Schnauzen. Auch einige ihrer grauen Artgenossen ließen sich blicken. Für die Ticuna besitzen die delfines rosados eine besondere Bedeutung und nehmen einen herausragenden Stellenwert in den überlieferten Geschichten dieser Gemeinschaft dar. Wie bei allen Tieren glauben die Ticuna, dass die Delfine einst Menschen waren - im Fall der bufeos verwandeln sich ertrunkene Menschen in ebenjene rosa Wassersäuger. Die Legende besagt weiters, dass die bufeos an manchen Nächten an Land kommen, um die lokalen Jungfrauen zu verführen. Geschmückt mit Krebs als Armbanduhr, Anaconda als Halsschmuck und Rochen als Kopfbedeckung begeben sie sich auf die Balz. Da die bufeos als wahre Casanovas gelten, sollen so einiger Nachwuchs als halb Mensch, halb Delfin das Licht der Welt erblickt haben. Das wäre doch mal ne interessante Idee für “Teenager werden Mütter“, sagte ich zu mir, behielt den Gedanken aber lieber für mich.

    Nachdem wir uns an den entzückenden Rücken der Flipper satt gesehen hatten, tuckerte das peque-peque in Richtung Lago Tarapoto. Während José mit einer alten Pfanne das Wasser aus dem Boot schaufelte, bewunderten Mara, Radan und ich, wie die wunderschöne Landschaft an uns vorbei zog. Überall erblickte man satt und zufrieden wirkende Reiher, bunte Riesenlibellen und Wasservögel, die so vollgefressen waren, dass sie kaum dem (alles andere als flott) herantuckernden Holzboot ausweichen konnten.

    Im See angekommen, packte José plötzlich eine improvisierte Angel aus, schmückte den Haken mit einem Stück Fisch und schmiss ihn in den Lago, um ein paar Piranhas mit nach Hause nehmen zu können. Währenddessen legte Radan seine Kleidung ab und schmiss sich als Lebendköder in den See. Bevor ich das für eine fragwürdige Idee halten konnte, rief er amüsiert auf: irgendwelche kleinen Fische begannen, an ihm herum zu knabbern, was offenbar ziemlich kitzelte. Kurz darauf durften wir auch unser Glück mit der Angel versuchen. Außer ein paar recht seltsam anmutenden Zwergen, die wir in den See warfen, blieb der Erfolg jedoch aus.

    Zurück in Puerto Nariño dankten wir José für die tolle Erfahrung und kehrten ins Hostel zurück, um zur Abwechslung mal ein Mittagessen mit Gemüse zu kochen (aus irgendeinem Grund gibt's hier immer nur Cassava, Reis und/oder Nudeln als Beilage). Von einer Low-Carb Diät scheint man in Kolumbien wenig zu halten. Mir unbegreiflich bleibt, wie die bei der Hitze hier solche schweren Sättigungsbomben in sich reinschaufeln können und das öffentliche Leben trotzdem weiter funktioniert.

    Nach einem kurzen Waldspaziergang genossen wir die über dem Amazonas untergehende Sonne, die die Wasseroberfläche in rosa Licht tauchte. Ein tolles Spektakel. Für die Mosquitos bot die Szenerie quasi Dinner mit Ausblick, weshalb wir uns bald aufmachten, um selbst etwas Essbares aufzutreiben. Die Wahl fiel auf Fisch (Gamitana und Piraña) vom Grill mit - Überraschung - Reis und Yuca. Das wird ne harte Nacht für die Peristaltik.

    Am nächsten Morgen zog es Mara und Radan zur Dorfoma (alle nennen sie einfach abuela), die sich damit rühmt, eine Koryphäe der lokalen Kulturen und Überlieferungen zu sein. Außerdem gilt sie als hervorragende Geschichtenerzählerin, was Mara und Radan gerne in ihre Dokumentation einbauen möchten. Ich war fasziniert von ihrem furchendurchzogenen Gesicht und ihren wachen Augen. Also begann sie zu erzählen. Und wie. Selten hab ich jemanden so aus- (und ab)schweifen erlebt wie die abuela. Was das Zuhören für mich zusätzlich erschwerte war ihre übergroße, grellgrüne Baseballkappe, die eher auf die verschwitzte Stirn eines Ferntruckfahrers aus Oklahoma gepasst hätte, und auf deren Vorderseite in fetten schwarzen Lettern BIG TOYS sowie die Silhouette eines springenden Hirschs aufgedruckt war. Nachdem ich bei dem Anblick immer wieder lachen musste, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zu den berühmten Cabañas del Fraire.

    Der Weg dorthin ist an sich schon faszinierend, weil er d u r c h den Campus der örtlichen Oberstufe führt. Während ich den Eingang zu den Cabañas suchte, ließen sich links und rechts von mir die Schülerinnen in ihren “Klassenzimmern“ (kreisrunde Betonplatten mit Holzdach) berieseln. Als ich endlich bei den Cabañas ankam, begrüßte mich sogleich ein roter Ara mit einem satten ;Hola! Ich muss ziemlich verblüfft aus der Wäsche geschaut haben, denn ich bemerkte gar nicht, dass inzwischen ein blauer Papagei Kurs auf meinen Kopf genommen hatte und mich mit seinen Krallen attackierte. Womöglich hielt er meinen Wuschelkopf für ein potentielles Nest. Ich deutete den Angriff jedenfalls als Aufforderung, mich mal wieder zu frisieren. Nach dem ersten Schock entdeckte ich auch die ersten Affen. Ein winziger Zwerg (er passte auf meine Handfläche) hatte sich offenbar Zugang zur Küche verschafft und ein Stück Würfelzucker stibitzt. Das bemerkten auch die zwei Papageien und flogen auf den bemitleidenswerten Affen zu. Glücklicherweise konnte der flinke Zwerg schnell genug Schutz in einem vergitterten Aufenthaltsraum suchen. Währenddessen erklärte mir ein Gast, dass man um den blauen Vogel am besten einen großen Bogen macht, das er ziemlich aggressiv zu sein scheint (den Eindruck hat er mir auch vermittelt). Laut Besitzer aber eigentlich nur Frauen gegenüber - ein misogyner Papagei, Sachen gibt's.

    Ich setzte mich in die Küche und beobachtete, wie die kleinen Affen auf den Schultern und Köpfen von mit Bananen bewaffneten Besucherinnen herumklettern, während die Aras eifersüchtig hinüber schielten. Plötzlich öffnete sich die Tür einen Spalt und mit einem schrillen HOLA steckte ein dritter Papagei seinen Kopf in die Küche. Er taxierte mich einen Moment, bevor er mich nach ¿COMIDA? (Essen) fragte und seinen besten Hundeblick aufsetzte. Das und die eigenartige Interaktion von Hunden, Affen und Papageien fand ich ziemlich witzig.Ich machte mich dennoch auf zum Kochen mit Mara und Radan, bevor ich am Nachmittag das Schiff zurück nach Leticia nahm. Puerto Nariño, es hat mich sehr gefreut in diesem Paradies und komme gern zurück.
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