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  • Day 62

    Mit Hannah Arendt an der Seenplatte

    August 1, 2020 in Germany ⋅ ⛅ 14 °C

    Jonas schreibt:

    Fünf paradiesische Tage auf einem mediterran anmutenden Hof am Rande der mecklenburgischen Seenplatte durften wir zusammen mit Barbara Hahn, einer Germanistik-Professorin, verbringen. Umgeben von einer leicht hügeligen, weiten Landschaft, voller Kieferwälder und klarer Gletscherseen. Ein kleines Paradies und wohl eine der schönsten Gegenden Deutschlands, laden uns hier zum Lesen, Geniessen und Erholen ein. Für einmal ist neben Gartenarbeit auch viel faktisches Wissen über Geschichte und Politik in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gefragt.
    Unsere Gastgeberin lernen wir als sehr umgängliche Person kennen und schätzen, die es liebt, fast ständig Gäste auf ihrem grosszügigen Hof zu haben, Geschichten und Wissen zu teilen und die über eine erstaunliche Flexibilität verfügt, sich mit und über Themen und Menschen diverser Art und Alters zu unterhalten.

    Hannah Arendt, an deren Lebenswerk in Form einer Gesamtausgabe Barbara Hahn gerade arbeitet, kenne ich, wie ich zähneknirschend festgestellen musste, bisweilen nur aus einem Fernsehbericht, aus dessen Inhalt mir nur das Bild einer älteren Frau mit einer Zigarette in der Hand und einer Persönlichkeit, die eine eher unkonventionelle Meinung vertrat, geblieben ist. Mit Barbara Hahn besprechen wir bei Sonnenschein, angenehmem Lüftchen und wolkenlosem Himmel ihr bekanntes Essay "Organisierte Schuld", welches in in intellektuellen Kreisen und vor allem auch bei der jüdischen Bevölkerung, zu der Arendt selber auch zählte, grosse Wellen geschlagen und für Entrüstung gesorgt hatte. Sie sah die Mechanismen und Ursachen für die schrecklichen Geschehnisse in Deutschland als ein weltumspannendes und nicht territoriales Problem, welches jederzeit und überall wieder auftreten kann und dessen langfristige Auflösung nur mit einem neuen, globalen Verantwortungsgefühl möglich sein wird, das ohne Abgrenzung jede/n betrifft. Ein Appell und eine Warnung, die sich gut in etwas abstrakter Weise auch auf diverse Themen globaler Kriesenbewältigung wie z. B. den Klimawandel anwenden lässt.
    Arendt selbst liess sich zu Lebzeiten bewusst in keine Schublade stecken, sah sich weder als Deutsche, noch als Amerikanerin und blieb bis zum Schluss, allen Versuchen der plumpen Kategorisierung trotzend, einzig ihrer eigenen Philosophie, ihrer Weltansicht und ihren zahlreichen Freunden treu.

    Diese doch eher schwere Kost verdauen wir bei vorzüglichem Essen, Sonnenuntergängen, die wahrlich einem Gemälde entsprungen sein könnten und der Beobachtung der vielen Rauch- und Mehlschwalben, die hier auf dem Hof mit viel Raudau und Vergnügen von Frühling bis Spätsommer nisten.
    Wir baden in glasklaren Seen, die zu unserer Verwunderung noch zu grossen Teilen von grossen Mischwäldern umgeben sind, suchen und finden die ersten Riesenschirmpilze am Waldrand und kommen auch einige Male mit dem typischen DDR-Flair und deren Ruinen der Zeitgeschichte in Kontakt.

    Neben mir sind auf dem Hof auch noch Eva, Louis und Caro aus der Wanderuni-Gruppe "Esel" sowie Lotte, die das Ganze für uns erst möglich gemacht und organisiert und deren ursprüngliche Wuni-Gruppe sich leider aufgelöst hat, zugast.
    Einigen davon werden wir, so hoffe, ich nach dieser schönen Zeit auf dem Land auch auf unserer weiteren Reise wieder begegnen.
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