• Hokkaido - das andere Japan

    13 juillet 2024, Japon ⋅ ☀️ 17 °C

    Nach dem Großstadtgetümmel Tokios, wollen wir zügig nach Norden in Japans wildeste Gegend: Hokkaido.
    Der Name ist bei uns als leckere Kürbissorte bekannt. Auf Hokkaido selbst weiß davon niemand etwas. Sie nennen ihre Kürbisse auf jeden Fall nicht so.

    Per Zug und Rad geht's zur Fähre in Oarai und wir schippern 17 Stunden über den Pazifik, nachts vorbei an Fukushima, bis wir zwei Schiffs-Onsengänge später in Tomakomai ankommen. Heftiger Wind und ein echt fieser, durchdringender Nieselregen begrüßen uns. Wir denken beide sofort an Island. Da veranstaltet das Wetter ähnliche Kapriolen - auch im Sommer. Hier ist es allerdings etwa 15 Grad wärmer, so dass der Regen erträglich, wenn nicht sogar erlösend ist. Landschaftlich gleichen sich Hokkaido und das karge Island abgesehen von den Vulkanen so gar nicht. Hier ist es üppig, fast dschungelartig grün, die Zikaden zirpen um die Wette und ganz im Süden gibt es Makaken.

    Wir werden in den knapp 4 Wochen auf Hokkaido ziemlich variantenreiches Wetter erlebt haben. Nass bis auf die Unnerbux vom Regen, aber auch von der schwülen Hitze, Wind von vorn, der nur 8 km auf flacher Strecke zulässt und Rückenwind, der Laune macht. Von nachts im Zelt schwitzen und doch noch mal in den Daunenschlafsack kuscheln ist alles dabei. Die Erhebungen lassen unsere Haare noch einmal schön im Wind wehen, obwohl ich mich hier noch einen Haarschnitt bei der Frisörin getraut habe. Ganz interessantes Erlebnis ohne verbindende Sprache.

    Erstmal geht es entlang der Westküste nach Norden. Ziel ist das Kap Soya, der nördlichste Punkt Japans. Im Linksverkehr haben wir so die Küste und das Meer immer neben uns, wenn nicht gerade endlose Tunnel uns diesen Anblick rauben. Tunnel mit dem Fahrrad zu fahren macht mir so gar keinen Spaß. Wenn Autos durchfahren ist es ohrenbetäubend laut. Es ist dunkel, dreckig und oft ist die Luft schlecht. Mit viel Glück haben wir einen Seitenstreifen und etwas Platz. Vier Kilometer bergauf fühlen sich unter der Erde unendlich lang an.

    Wir campen jeden Abend direkt am Meer auf kostenlosen Campingplätzen (das ist echt genial auf Hokkaido) und erleben hier schöne Sonnenuntergänge mit kühlen Sapporo Bierchen. Unser Ziel: jeden Tag ein Bad in Onsen wird meist erfüllt. Da Hokkaido von Vulkanen übersät ist, gibt es viele stinkende Schwefelquellen, die herrlich heißes Wasser bereitstellen. Hier finden wir auch endlich einige tolle Spots draußen unter freiem Himmel, statt immer ins Thermalbad zu gehen. Wir machen noch einen Abstecher auf Rishiri, einer atemberaubend schönen und chilligen Vulkaninsel im Norden.

    Einigen Japaner:innen wurde es hier wohl zu wild und die schneereichen Winter mit Treibeis vor der Küste zu lang. Wir sehen viele zerfallene Häuser und Orte, in denen mehr verwitterte Schiffsbojen als Menschen zu finden sind. Wir sind hier weit weg von den Touristenmassen in Osaka, Kyoto und Tokio.
    Sowieso ist es ganz anders hier. Die Bauweise der Häuser unterscheidet sich komplett von der auf allen anderen Inseln. Keine der schönen verschnörkelten Dächer, die so typisch sind. Hier baut man wegen des harten Winters eher Barrikaden in Form von Bretterwänden vor dem Haus auf. Es gibt kaum mehr Reisfelder. Hier werden Kartoffeln, Mais, Buchweizen, Rüben, Zwiebeln, Karotten und eben Kürbis angebaut. Außerdem gibt es allerhand Meeresgetier. Ganz Japan schwärmt vom besten Sushi des Landes und der für mich ungenießbaren Spezialität: Seeigel.

    "Hier oben" ist die Kombu-Algen Ernte in vollem Gange. Fischer - oder nennt man sie besser Algenbauern? - fahren mit kleinen Booten an der Küste entlang, schauen durch ein Guckloch unter Wasser und drehen dann mit einer Riesengabel wie bei Neptun, die Algen vom Meeresboden. Dann werden sie gewaschen und zum Trocknen in die Sonne gelegt . Die Algen von hier haben die beste Qualität und werden in ganz Japan hochgeschätzt. Der Jodgehalt ist so hoch, dass sie in Deutschland gar nicht verkauft werden dürfen (Stichwort Schilddrüse). Hier nutzt man sie, um Suppenbrühe anzusetzen und in ganz feinen Mengen zu verzehren.

    In Wakkanai angekommen, der nördlichsten Stadt mit dem nördlichsten Bahnhof, mit dem nördlichsten Onsen und den nördlichsten freilaufenden Stadtrehen, bläst der Wind dann so abartig stark, dass wir die 30 Kilometer zum nördlichsten Punkt Japans am Kap Soya dann doch knicken und uns sagen: genug vom Norden, ab in den Süden zu den wilden Nationalparks. Denn unser Leben ist nicht besser oder schlechter, wenn wir nicht an diesem Kap waren (stattdessen aber zwei Mal in den nördlichsten Onsen gebadet haben).
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